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Abendausgabe

Nr. 185 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 91

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Vorwärts

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Tel- breffe: Sozialdemokrat Berlin

Berliner Volksblatt

10 Pfennig

Mittwoch

20. April 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin Sm. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Der Lockspitzelprozeß in Rom .

30 Jahre Zuchthaus für Zaniboni, Capello und Angelo Ursalla beantragt.

rischen Treiben erhebliche finanzielle Hilfe zugesichert, weit über die Summen hinaus, die Zaniboni durch Capello, wie nachgewiesen sei, ausgezahlt worden seien.

Rom , 20. April. ( WTB.) 3m Prozeß 3aniboni beantragte| fönnte. Die italienische Loge habe unzweifelhaft diesem verbreche­der Generalftaatsanwalt am Schluß seiner Anklagerede folgende Strafen: gegen 3aniboni, Capello und Angelo Urfalla, letzterer in Abwesenheit, je 30 Jahre 3uchthaus; gegen Ducci 7 Jahre Gefängnis, Ferrucio Nicoloso und Luigi Calligaro je 12 Jahre Ge­fängnis, Enzo Riva und Ezio Celotti je 7 Jahre Gefängnis. Für Angelo Calligaro beantragte er Freisprechung von der Anklage der Beihilfe zum Aufstand und zum versuchten Mord, dagegen Berur­feilung wegen Beleidigung der öffentlichen Gewalt zu 7 Monaten Zuchthaus.

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In seiner Schlußrede sagte der Antläger, wenn man auch im einzelnen die Schuld des Großmeisters der Freimaurerloge Großmeisters der Freimaurerloge juristisch nicht habe festlegen fönnen, habe der Prozeß doch keinen 3weifel gelassen, daß die Loge durch General Capello Bereinigungen und Bestrebungen finanziert habe, die aus­gesprochen feindlich der gegenwärtigen Regierung gegenüberſtänden.

Durch das Attentat auf Mussolini habe man den Aufstand gegen

die Regierung ermöglichen wollen. Darin liege die Mittäter schaft Capellos. Ein General a. D., noch dazu Präsident der Bereinigung ehemaliger Offiziere, habe sich nicht entblödet, regie­

rungsfeindliche Bereinigungen auch nach ihrer Auflösung zu reor ganisieren, und dies immer in der Hoffnung, daß ein äußerer Um­stand den Ausbruch dieser unstürzlerischen Bestrebung veranlassen

Am Mittwoch beginnen die Plädoyers der adyt Berteidiger. Am Sonnabend wird das Urteil erwartet.

Faschistenspitzel in Frankreich verhaftet. Paris , 20. April. ( WTB.) Wie Matin" aus Marseille be­richtet, ist der dort festgesetzte Italiener Alfredo Viola, der im Dienste der italienischen Polizei als Agent Provo cateur tätig gewesen sein soll, in reguläre polizeiliche Haft ge­cateur tätig gewesen sein soll, in reguläre polizeiliche Haft ge­nommen worden. Er soll ausgeliefert(!) werden.

Nur Faschisten dürfen Lehrer sein. Rom , 20. April. ( WIB.) Das Amtsblatt veröffentlicht ein Gesezesdefret über die Amtsenthebung der Mittelschullehrer( d. h. an den höheren Schulen). Danach können die Mittelschullehrer ab­gesezt werden, wenn sie aus physischen, intellektuellen oder morali­schen Gründen feine nützliche Arbeit in der Schule mehr leisten sie durch Kundgebungen in oder außerhalb der Schule sich mit den allgemeinen politischen außerhalb der Schule sich mit den allgemeinen politischen Richtlinien der Regierung in Widerspruch setzen.

fönnen, ferner, menn

Zollkrieg oder Handelsvertrag?

Die Reaktion in Deutschland und Polen macht scharf.

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hat, und daß schließlich eine erträgliche Regelung der Niederlassungs­frage unerläßlich für eine gute Entwicklung des Handelsverkehrs ist. Die Reaktionäre auf beiden Seiten verschanzen sich also hinter Vorwänden, hinter denen sie ihre wirtschafts- und macht Bei der politischen Gründe zu verstecken suchen. das zeigt der Charakter der deutschen Reaktion spielt noch Meldungen in der Rechtspresse neuerdings ganz besonders deutlich das Moment eine Rolle, daß man nicht ungern dem deutschen Ge­sandten in Warschau über diese Frage zu Fall bringen möchte, um

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Die deutsch - polnischen Berhandlungen über den Abschluß eines Wirtschaftsvertrages, der den Zollfrieg beendigen foll, gehen nun schon wieder seit einigen Wochen weiter, ohne daß positive Ergebnisse sichtbar wären. Die Reaktion auf beiden Seiten benutzt die Zeit, um recht energisch aufzutrumpfen und Borwände zu schaffen; man will ein Scheitern der Berhandlungen später vor dem Bolke rechtfertigen fönnen, das natürlich unter den Störungen des deutsch - polnischen Handelsverkehrs am meisten leidet. So herrscht in deutschen Kreisen Ostoberschlesiens große Er­bitterung über die während der letzten Wochen verfügten Entfeine Stelle für einen gefinnungstreuen Nationalisten freizumachen. lassungen von Arbeitern, die sich ausschließlich gegen deutsche Scheitern aber die deutsch - polnischen Verhandlungen, so bleiben die Staatsangehörige oder deutschfreundliche Ober- Störungen im Warenverkehr, die infolge des verringerten Absatzes Ichlesier polnischer Nationalität menden. Die letzten Kommunal. zu erhöhter Arbeitslosigkeit auch in Deutschland führen. Die Sabo­wahlen mit ihren großen Erfolgen für das Deutschtum haben offen- tage einer Berständigung erschwert jedoch endlich die Lage der bar die polnischen Machthaber erschreckt. Die Befreiungs- jenigen deutschen und deutschfreundlichen Bauern und Siedler in den agrarischen Teilen Polens , die nach dem fundgebung". die von den polnischen Kampfverbänden am 21. März in Anwesenheit von Offizieren der früheren französischen Bersailler Diktat abgetreten werden mußten. Die reaktionäre Besatzung Oberschlesiens abgehalten wurde, gab den polnischen Propaganda tehrt sich also gegen die eigenen Volksfreunde und Sie hat jedenfalls mit dem Spigeln die Möglichkeit, die unerwünschten deutschen und deutsch - Bolfsgenossen im Ausland. freundlichen Elemente- zumal die letzteren festzustellen, da deutschen Interesse nichts zu tun. Dieses geht vielmehr dahin, daß der 3ollfrieg liquidiert wird und daß durch die diese natürlich dieser Rundgebung fern blieben. Borher waren bereits in den Betrieben Bekanntmachungen ausgehängt worden, Anbahnung einer wirtschaftlichen Verständigung die Voraussetzungen die zur Teilnahme an der Kundgebung aufforderten, ftrenge für ein erträglicheres politisches Verhältnis zwischen Deutschland und Strafen für das Fernbleiben androhten und besonders fristlose Polen geschaffen werden. Entlassung in Aussicht stellten. Bald darauf folgten denn auch die Entlassungen, von denen nicht weniger als 7600 deutsche Staatsangehörige und weitere 8000 deutschfreund liche Oberschlesier betroffen wurden.

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Rußland und der Völkerbund .

Annäherung wahrscheinlich.

In Moskau tagt gegenwärtig der vierte allrussische Sowjetton­greß. Die außenpolitische Rede Rykoffs war von äußerster Zurückhaltung, in der man alles andere, nur nichts von bolfchewifti. schen Methoden verspürte. Insbesondere fiel die glimpfliche Be­handlung des Völkerbundes auf.

Es scheint, daß die Sowjetunion in der Tat eine Annäherung an den Völkerbund erstrebt. Sie lehnt zwar eine Teilnahme am Völlerbund nach wie vor ab, aber macht doch im gleichen Augenblick Anstalten, sich zum Bölkerbund wesentlich anders zu stellen als bis­her. Vor allem dürfte die Sowjetunion eine eigene Berichterstattung in Genf einrichten. Sie ist ferner bereit, unter der Vorausseßung einer Verschiebung der Eröffnung an der Weltwirt fchaftsfonferenz teilzunehmen und sich auch auf der Ab rüstungs fonferenz in Zukunft vertreten zu lassen und bietet für die Abrüftungsfragen Vorschläge durch Sachverständige an. Die Beilegung des Worowski - Konflikts zwischen Rußland und der Schweiz gibt der Moskauer Regierung auch die technische Mög­lichkeit zu solcher Annäherung.

Der Einspruch der Organisationen und Betriebsvertretungen gegen diese Entlassungen konnte natürlich leicht abgewehrt werden mit dem Hinweis darauf, daß in Oftoberschlesien eine große Wirt. fchaftstrife herrscht, die, wie überall so auch hier, eine starte Erwerbslosigkeit zur Folge hat. Trogdem ist diese Krise natürlich nur Vorwand, wenn man die neu zu entlassenden Arbeiter nicht nach den Erfordernissen des Betriebes, sondern nach ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer politischen Gesinnung ausfucht. Jedenfalls wird uns von glaubwürdiger Seite versichert, daß in der fraglichen Zeit ausschließlich deutsche und deutschfreundliche Arbeiter zur Entlassung famen. Der deutschen Reaktion find natürlich diese Vorkommnisse ein Grund mehr, ihre Waffen zu schärfen. Die deutschen Großagrarier haben ein Interesse an der Abwehr der Einfuhr von polnischem Fleisch und polnischen Futtermitteln. Dieses Interesse bemänteln fie natürlich mit nationalen" Forde rungen. Sie verlangen Sicherungen für ein Niederlassungs= recht Deutscher in Polen , wie es feinem anderen Ausländer in Bolen bisher gegeben worden ist. Die Forderungen werden ganz bemußt überspitzt, um die öffentliche Aufmerksamkeit von dem Streitpunkt abzulenten, deffen Behandlung den Patriotismus der Auch bei den Engländern. Großagrarier in das rechte Licht rüden fönnte. Scheitern nämlich die neuen Verhandlungen am Niederlassungsrecht, jo London , 20. April. ( WTB.) Times" meldet aus Schanghai : bleibt den deutschen Agrarier die unangenehme Diskussion über den Trotz der Versprechungen Tschiangtaischefs sind die Zustände in Man­Schweine und Get stenzoll erspart, deffen Hochhaltung ihnen ting nicht beffer geworden. Kein Ausländer fann an Land die wichtigste nationale" Aufgabe ist. Ebenso aufgeregt wie die gehen und die Plünderungen dauern an. Es würde ein großer deutschen Reaktionäre die Niederlaffungsfrage behandeln, gebärden Fehler sein, zu glauben, daß Tschiangtaischef den Ausländern fich ihre polnischen Gesinnungsfreunde, die die Gefahr größeres Entgegenkommen zeigen oder seine Bersprechungen beffer einer deutschen Invasion und Kolonisation zum Bauernschred machen einhalten wird als die Kommunisten. Alle noch in Manting befind­unbekümmert darum, daß tatsächlich in Oberschlesien eine starke lichen ausländischen Zivilisten werden morgen die Stadt ver­Deutsche Minderheit ist, die des Schußes bedari und auf ihn Anspruchlaffen, um sich nach Shanghai au begeben.

Der unbeliebte Tschiangkaischek.

Der Orientnep".

Gemischtwirtschaft im Verkehr Sowjetrußlands mit der Türkei .

Von Dr. A. Abeghian.

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Etwa vier Fünftel der russischen Grenze stoßen an asiatische Länder mit rund 800 millionen Gesamtbevölke­rung. Trotzdem find die Wirtschaftsbeziehungen Rußlands zu seinen asiatischen Nachbarvölkern von icher sehr schwa ch gewesen. Ihr Anteil an dem ruffischen Außenhandel betrug 1913 nur 320 Millionen Rubel von den 2600 des Gesamt­außenhandels, also 12,3 Proz., während der Anteil Deutsch­ lands 36 Proz., der Englands 18 Proz. betrug. Von diesem geringen Anteil der orientalischen Länder an dem russischen Außenhandel entfielen auf die Türkei nur 1,7 Proz.; aber auch Rußland war an dem türkischen Außenhandel nur schmach beteiligt: mit nur 7,5 Proz. Im Berhältnis zum Gesamtaußenhandel aller orientalischen Länder zusammen genommen entfielen auf Rußland faum 4 Proz. Chima und Buchara mit eingerechnet 5 Proz. Die Grundursache hierfür war die schwache Entwicklung der russischen Industrie. In der Nachkriegszeit sind die Verhältnisse im wesentlichen die gleichen geblieben, haben sich vielfach sogar verschlechtert. Der russische Außenhandel mit den Ländern des Orients ift ( wie mit denen des Westens) heute immer noch weit davon entfernt, den Stand der Vorkriegszeit zu erreichen. Jedoch ist die Sowjetregierung schon seit 1923 bemüht, ihre Wirtschafts­beziehungen zum Orient zu verbessern. Allmählich ist die orientalische Wirtschaftspolitik Sowjet­rußlands umgestaltet worden. Sie unterscheidet sich viel­fach von derjenigen gegenüber den kapitalistischen Staaten, so daß man hier von einem Orientnep", d. h. einer neuen orientalischen Wirtschaftspolitik der Sowjets reden fann. Ein bezeichnendes Beispiel dieser Politik ist auch der neue türkisch russische Handelsvertrag, der das bisherige Provisorium ersetzt.

Das russische Außenhandelsmonopol wird be­fanntlich als ein ,, Grundpfeiler" der Sowjetwirtschaft, als ,, eine kommandierende Höhe" des gesamten Sowjetsystems be­trachtet. Der Außenhandel ist der Betätigung des Privat­unternehmens entzogen. Gegenüber den Ländern des Drients aber hat das Sowjetmonopol eine grundsätzliche Aen­derung erfahren; es ist weitgehend eingeschränkt worden. Sowjetrußland gewährt schon seit 1923 orientalischem Privathandel und orientalischem Unternehmungsgeist eine ziemlich weitgehende Handelsfreiheit. Den orientalischen Kaufleuten ist es möglich, mit Rußland Erport- und Importhandel zu treiben. Die nach Rußland expor­tierten Waren dürfen dabei nicht ausländischer, sondern müssen inländischer Herkunft sein; auch die aus Rußland im­portierten russischen Waren sind nur für den inneren Markt der betreffenden orientalischen Länder bestimmt. Allerdings ist der Handel nur für bestimmte Waren freigegeben. Immer­hin bleibt die Tatsache bestehen: Im Verhältnis zum Orient ist in das russische Handelsmonopol eine tiefe Bresche gelegt. Die sowjetrussischen Vertretungen im Drient find nicht, wie sonst überall, die einzigen Handelsvermittler; neben ihnen und oft auch zusammen mit ihnen betätigen fich Kaufleute und Es eriſtieren zum Beispiel in Persien eine Reihe Firmen DON sogenannten gemischten Handelsgesell schaften", an denen russisches Staatskapital und persisches Brivatkapital beteiligt sind. Aktiengesellschaften dieser Art find auch für die Türkei in Aussicht genommen.

Sowjetrußland läßt sich bei seiner orientalischen Wirt­schaftspolitik von Handelsinteressen sowohl als auch von allgemein politischen Gesichtspunften leiten. Die Bolschewiti glauben, hierdurch die Länder des Drients leicht für ihren Kampf gegen den europäischen Einfluß zu gewinnen. Rein wirtschaftliche Beweggründe spielen dabei eine noch wichtigere Rolle. Als ausschließlich landwirtschaft­liche Gebiete exportieren die Orientländer nach Rußland Waren, deren die russische Staatswirtschaft dringend bedarf: Wolle, Baumwolle und anderes. Dagegen importieren die Orientalen russische Fabritate: Petroleum, Tertilmaren, Ruder und anderes. Das Verhältnis zu den West mächten ist gerade umgekehrt. Unter diesem Gesichtswinkel lassen fich Tschitsch erins Worte, die er vor einiger Zeit in der Moskauer Handelskammer gesprochen hatte, verstehen:

Unfere wirtschaftlichen Beziehungen zu den Ländern des Drients müssen viel enger und viel intimer gestaltet werden, als diejenigen mit den Ländern des Westens. Sie bilden auch den Grund unserer allgemeinen Politik im Orient."

Türkei und mit Persien dauernde Handelsverträge zu schließen. Dennoch weigerte sich die Sowjetunion jahrelang, mit der Noch mehr: die Sowjetregierung hatte im Februar 1926 die Importsperre türkischer und persischer Waren ange­ordnet( mit Ausnahme der Baumwolle). Diese Maßnahme, die sowjetrussischerseits als ein politisches Drudmittel gedacht war, rief unter den persischen und türkischen Rauf­leuten und in der Presse eine tiefe Mißstimmung hervor. Erst jetzt, nach der Unterzeichnung des russisch - türkischen Handels­vertrags, findet dieser Zollfrieg gegenüber der Türkei ein Ende. Persien jedoch, das wirtschaftlich und handelspolitisch noch viel mehr von Rußland abhängig ist, wartet bis heute vergeblich auf ein ähnliches Handelsabfommen.

Auf Grund des Handelsvertrages wird die türkische Ausfuhr nach Rußland auf 45 Warensorten in bestimmten Rontingenten beschränkt, deren Umfang nach der Leistungs­