tlr. 190 ♦ 44.Iahrgang
7. Seilage öes vorwärts
Sonnabend, 2Z. flpril 1927
Wie märkifthe Kleinstäöte aussehen:
Als Ausgangspunkt einer Fahrt extremer politischer Gruppen ist die unweit von Berlin gelegene Stadt Trebbin zur traurigen Be- rühmtheit gekommen: der brutale Ueberfall von Kommunisten durch Hakenkreuzler in Lichterfelde -Ost dürfte noch lange die politische M«- nung beschäftigen. Die kleinen Städte um Berlin herum sind natur- gemäß beliebte Objekte für die Raufbolde: die schwache einheimische Polizeimacht ist einer solchen Bande gegenüber ohnmächtig. Als 1813 die Schlacht von Großbeeren geschlagen wurde, saßen die mutigsten Berliner im Theater. Die Meldung vom Siege kam »och während des Theaterspiels an und Unzelmann. benutzte dies zu einem Extempore: er stülpte seinen dreieckigen Hut schief aus den Kopf, damit den französischen General Angereau kopierend, und sagte: „Vir begeben uns rückwärts nach Trebbin ."„Großes Freudenhallo," wie Fontane bemerkt— und die Vorstellung war aus. Fontane » Urteil über Trebbin , vor zwei Menschenaltern ge- schrieben, lautet nicht sehr verlockend:„Die Kirche so trist wie die Stadt und die Stadt so trist wie die Kirche... Menschen, häuier, Kirche, sie geben nichts heraus." Der scharf blickende märkische Wanderer war nach Trebbin gegangen, um die vierte der Ruthe- bürgen zu entdecken: er mußte sich mit der Bekanntschaft eines „Majors der Schützengilde" begnügen, der ihm die Versicherung
ab:„Trebbin hat eine gute Luft." Wer heute au der Ruthe pazieren geht, wird auch nicht die Burgreste finden, wohl ober häufig Zeuge von Ueberschwemmungen sein, die das Vorhandensein eines Sees vortäuschen. Das Stadtbild ist auch heute nicht imponierender geworden: um die Kirche herum stehen etliche alle Häuser, im übrigen trägt alles den sparsamen Nutzcharakter der vergangenen Zeit. Die Gegenwart neue Ai ''
Zabrikbranü in üer Zennstraße. A» drei Stellen Feuer zu gleicher Zeit. Die Feuerwehr hatte in den gestrigen Nachmittagsstunden in der Fenn straße 21 mit der Bekämpfung eines sehr gefähr- Lchen Fabrikbrandes zu tun. Während die Wehren noch mit den Löscharbeiten beschäftigt waren, kam aus der Fennstrahe erneut Feuerarlarm, wo auf der Straße ein mit Wellpappe beladenes Fuhrwerk brannte. Gleichzeitig wurde die Feuerwehr nach der Eisenbahnbrücke Ecke Gericht- und Acker st raße gerufen, wo auf dem Bahnkörper Eisenbahn - schwellen, vermutlich infolge Funkenfluges, in Brand geraten waren. In den beiden letztgenannten Fällen konnte die Gefahr bald beseitigt werden. Zu dem Fabrikseuer, das in kurzer Zeit größere Ausdehnung annahm, werden folgende Einzelheiten-bekannt: Auf dem dritten Hof des Grundstückes Fennstrahe 21 liegen zwei einstöckige Fabrikgebäude der Firma Eisenwerke Gebrüder Arndt, in denen die Modell- tischleret und die Gießerei untergebracht, ist. Nach Betriebs- schluß wurde um �6 Uhr die Entdeckung gemacht, daß in der Modelltischlerei Feuer ausgebrochen war. Ein Teil des Betriebes brannte schon lichterloh. Das Feuer fand an Holz- >vorrSten, fertigen Modellen usw. reiche Nahrung und griff aus das D a ch des Gebäudes über. Als die alarmierten Feuerwehren an der Brandstätte erschienen, brannte das Fabrik- gebäud« in ganzer Ausdehnung. Die Flammen hatten bereits das Dach der angrenzenden Gießerei ergrissen, das ebenfalls zum größten Teil ein Raub der Flammen wurde. Branddirektor M e n d e ließ mit zwei B- und drei E-Leitungen angreifen. Die Feuerwehrleute konnten wegen der starten Berqualmung nur mit Rauchschutzmasken arbeiten. Die große Hitze und die viele Meter hochschlagenden Flammen hatten auch die Betriebsleitung der angrenzenden chemischen Fabrik vorm. E. Scheering alarmiert. In der Nähe des Brandherdes liegt da» Spirituslager dieser Fabrik, so daß eine Explosion be- fürchtet wurde. Das Feuer konnte aber dank des schnellen Ein- greifens der Wehren abgeriegelt werden. Gegen 8 Uhr abends war die Hauptgefahr beseitigt. Unter Zurücklassung einer Brand- wache rückten die Wehren einige Zeit später ab.
stellt natürlich
lnforderungen, und man erfüllt sie schlecht und
recht nach Maßgabe der vorhandenen Mittel. Seit geraumer Zeit at Trebbin den Charakter eines Gärtnerortes angenommen, dessen
rodukte in Berlin abgesetzt werden. Da» Haupthindernis für die Entwicklung ist das Fehlen eines Vorortverkehrs. Der Worte dar- über sind genug gewechselt, ober leider scheint die Tat immer nm' fern zu sein. Zu wenig Züge, zu teuer der Fahrpreis: wer soll st da draußen vergraben, wenn Berlin die Arbeitsstätte ist. «- Als Ausgangspunkt für friedliche Ausflüge ist Trebbin günstig gelegen: man geht den gewundenen Weg vom Bahnhof bis zur Kirche, dann rechts über die Ruthe und hat Berge vor sich, die ein fröhliches längeres oder kürzeres Wandern bieten. In der Nähe der Försterei Priedel hat sich eine Landhauskolonie aufgetan. Die Gegend ist schön— die Verbindung fehlt.
Gefälschte Zigaretten und Sanöerolen. 150 000 Zigaretten beschlagnahmt. In dem Verdacht, Zigaretten bekannter Marken zu fälschen und bei ihrem Vertrieb gefälschte Banderolen zu benutzen, stand schon seit % Iahren eine Fabrik in der Alexanderstraße, die seit vielen Jahren besteht. Visher war ihr aber nicht beizukommen. Am Dienstag endlich gelang es, sie zu überführen. Ein Kriminalbeamter der Fahndungsinspektion H. sah, wie gegen 5 Uhr nachmittags ein Wagen aus den Hof fuhr. Nach IM Stunden kam das Fuhrwerk wieder heraus und jagte in scharfem Trabe nach der Schönhauser Straße zu. Der Beamte verfolgte es mtt einem Auto und rief den Führer wiederholt, aber ohne Erfolg an. In der Höhe des Psesfer- berges überholte er es dann, fiel dem Pferd in die Zügel und brachte es zum Stehen. Der Wagen war beladen mit 1S2<)l)<1 Zigaretten, die den Marken �I u n o" und„M o s l e m" nach- gemacht sind und mit gefälschten Banderolen versehen waren. Nach diesen Feststellungen eilt« der Beamte in die Fabrik zurück und nahm deren Inhaber, einen Kaufmann E-, und seinen
Maschinenführer fest. Ein griechischer Tabakmischer, der in dem Betriebe arbeitete, hatte d'e Flucht ergriffen und ist noch nicht ermittell. In der Fabrik, die geschlosien wurde, fand man Stempel und alles andere Material, dos zu den Fälschungen diente. Alles wurde beschlagnahmt. Der Fuhrwerksbesitzer, der selbst auch den Kutscher spielte, wurde festgestellt als«in Armenvorsteher aus dem Bezirk Prenzlauer Berg . Er sollte die Ladung nach einer Garage in Weißensee bringen, von wo aus sie in den Kleinhandel gebracht werden sollte. Wagen und Ladung wurden nach dem Polizei» Präsidium gebracht und sichergestellt. Wie schon früher, so wurde also auch jetzt wieder ein Zusammenhang zwischen den Fälschungen der Zigaretten und der Banderolen festgestellt. Republikanischer Tag In Moabit . Am Sonntag um Mi Uhr findet die Kundgebung und Fahnenweihe im Kleinen Tiergarten statt. Um 5 Uhr beginnt die„Republikanische Feier" im Ulap unter Mitwirkung erster Künstler. Die Republikaner Berlins werden die Kundgehung und Feier im Ulap(Eintritt 40 Pf.) zu einer wuchtigen Demonstration für die soz ale Republik gestalten.
Senkung üer Sautoftenpreise! Eine Konferenz des Magistrats mit Handel und Produzenten. In Verfolg der Kundgebung des Berliner Magistrats gegen die Preissteigerung auf dem Berliner Baustoffmarkt fand am gestrigen Freitag nachmittag im Berliner Stadthaus eine Konferenz zwischen dem Baukommissar der Stadt Berlin , Stadtbaurat Dr. Wagner, und Vertretern des Verbandes der Baugeschäfte von Berlin , des Baustoffhandels, der Ziegel-, Kalk- und Sandsteinproduzenten, sowie der Gewerkschaften und des Oberpräsidiums statt. Stadtbaurot Dr. Wagner wies bei dieser Gelegenheit auf die sehr ernste Lage des Baustoffmarttes hind und machte besonders darauf aufmerksam, daß der Preis für 1000 Steine vor dem Kriege 16 Mark, im vergangenen Jahre 24 bis 26 Märk betragen habe, in der letzten Zeit aber bis zu 37 Mark gesttegen sei. Bei dieser Preisstellung wäre der Mogistrat nicht in der Lage, die beabsichtigten Bauvorhaben auszuführen,' sondern müsse entweder sein Bauprogramm einschränken oder andere Maßnahmen ergreifen, die nicht im Interesse des Handels und der Produzenten liegen würden. Von den Vertretern der Gewerkschaften wurde betont, daß die Lohnfrage kein Grund für die Steigerung der Baustoffpreise sein könne. Im vergangenen Jahre habe eine L o h n c e d u k t i o n um 5 Pf. für die Stunde stattgefunden, und erst jetzt kürzlich seien die Löhne um 6 Pf. wieder erhöht worden, so daß nur gegenüber dem Vorjahre eine Differenz von einem Pfennig für die Stunde vorhanden sei, die keineswegs die Steige- rung der Baustoffpreise von 26 bis 37 Mark rechtfertigen könne. Die Vertreter des Handels äußerten sich z u n ä ch st aus- weichend, und die Ziegelproduzenten glaubten, ihre Preise mit der Lohnerhöhung sowie mit der Tatsache rechtfertigen zu können, daß vom November bis Anfang April über zwei Millionen Steine zu einem Durchschnittssatz von 34 Mark pro Tausend geliefert worden seien. Auf die Frage, wie hoch sich die Kapazität der Brandenbur- gischen Ziegelindustrie stelle, wurde betont, daß man in der Lage sei, bi« zu einer Milliarde Steine zu produzieren, und daß im ver- gangenen Jahre die Betriebe nur zu SO bis 60 Proz. ausgenutzt
Gif. Das Weib, das den Mord beging. Roman von Zrih Reck Malleczewen. Der andere, der Schmallippige, lächelt, streift seine Zi- garrenasche ab, nötigt mit einer überschlanken, blaugcäderten Hand, ohne ein Wort zu sagen, die kleine Sis zum Niedersitzen und erklärt nach dieser vertrauenerweckenden, chevalereskcn Gebärde, daß die Republik einen Obersten dieses Namens nicht in ihren Diensten habe... Da sitzt sie in dem heißen, mit dicken Teppichen ausge- legten Raum, hört das infame Ticken einer unsichtbaren Uhr, hlt, wie ihr die Schweißperlen auf die Stirne treten, sieht vic Inschriften der Kartotheken: A bis Be... Bi bis Co.. r n bis Gr... aus diesem dritten Fache dort in der oberen he wird der Schatten der in Berlin erwürgten Witwe ( andjean steigen, sich auf sie stürzen, sie drosseln, bis sie s gesagt hat... hier, vor dusem schrcck'ichen Menschen .'Ihr Paß?" �_ Unerträglich freundlich beinahe ist diese Stimme, un- erträglich diese Lässigkeit, mit der er in ihrem Paß herum- iittert, ihn zuklappt, ihn beiseite legt, aus einen Knopf drückt„ .Erzählen Sie also! Sie bemerkt gar nicht, daß hinter ihr jemand den Raum betri t, sie erzählt tapfer, ohne dem andern ins Gesicht zu s'ben daraus los: Manchouria... Fahrt durch die Stadt... Oberst Miramon... Villa am unteren La P-ata... Der andere hat, während sie krzählt, in irgendeinem Fache der Seitenwand herumgewühlt, legt ahr einen dicken Tand mit Photographien vor: Gesichter en face und on profil, Herrschaften mit übergroßen Kiefern und fliehen- den Stirnen und angewachsenen Ohrlappen und einem Grinsen, das sich bemüht, den Zweck des Photogramms illu- sorisch zu machen: Taschendiebe, Opiumhändler, Bankdefrau- danten, Lustmörder... auf der dritten Seite dieses Albums in einem simplen Sträflingskittel mit genauer Größenangabe und ein paar geheimnisvollen Chiffren prangt der Oberst Miramon mit den traurigen Augen...
„Mit diesem da sind Sie gereist?" Die kleine Sis nickt stumm. Der andere lächelt wieder sein verruchtes Lächeln, die Hand ladet sie ein. weiter zu erzählen. Oh, die Kriminalpolizei von Buenos Aires hat nicht die geringste Veranlassung, sich über den Kokainhändler Agostino Gomez aufzuregen, der ihr seit zehn Iahren ausgezeichnete Spitzeldienste leistet, der sich diesmal als Oberst Miramon einen kleinen Scherz mit diesem blonden Geschöpf da erlaubt zu haben scheint... o nein, jede Kriminalpolizei hat ihre Miramons und muß sie um ihrer sonstigen Meriten willen gewähren lassen. Ja, es ist also verständlich, wenn der Schmalippige da von der Identifizierung des Obersten Miramon keine Notiz nimmt und einfach schweigt, es ist aber ebenso selbstverständ- lich, daß am Schluß ihrer Erzählung die kleine Sis dieses Schweigen nicht mehr ertragen kann, daß sie das tun muß, was in ihrer Lage alle Schuldigen tun: pathetisch oder schluchzend ihre Unschuld beteuern... Es iff zu betonen, daß auch dieser Ausbruch den anderen unberührt läßt: die beiden vorhin eingetretenen Uniformier- ten fassen die klein« Sif an, dann werden von den Fingern. die die Witwe Grandjean erwürgt haben, schöne saubere Ab- drücke genommen. Dann wird man, während Ismael P. Hobson leist und eifrig mit dem Amerikaner spricht, in ein anderes Stockwerk geführt, au knee und en prokil photo- graphiert, eingereiht in die großen Listen des internationalen Verbrechertums, nach einer Viertelstunde wieder in das Zimmer des Dünnlippigen gebracht.— Und nun hat er wieder ihren Paß, diesen schrecklichen Paß in der Hand, den ihr der Oberst Miramon besorgte.„Und Ihr Name ist wirklich Anita Thesiger?" Da geschieht es, daß sie, statt einfach„ja" zu sagen, sich für Anita Thesiger die Seele aus dem Leibe schwört, ihr leibliches und irdisches Wohl verpfändet. „Sie lügen sehr viel," sagt sehr ruhig der Dünnlippige, „Sie können jetzt gehen." „Ich habe es nicht getan... nichts, nichts habe ich getan.■ Es ist zu verzeichnen, daß sie mit diesem unter heftigem Schluchzen vorgebrachten Bekenntnis in Begleitung von Ismael P. Hobson die Polizeiwache verläßt, ohne daß vor- erst sich jemand dafür zu interessieren scheint, was sie nicht getan zu haben behauptet. Am Abend des gleichen Tages wird sie zu einer sehr
ernsthaften Unterredung in Ismael P. Hobsons Office ge- rufen. Und siehe: nun ist es nicht der chevaleresk« Hobson von heut« früh, nun ist es ein anderer, ein schrecklich donnern» der Hobson , der ihr auf den Kopf zusagt, daß sie ihm partout nichts vormachen könne, daß mit ihrem Passe etwas nicht in Ordnung sei, daß er jedes ihrer Worte als steche Lüge be- trachten werde, daß er ihr aber dennoch Gelegenheit geben werde, wieder ein anständiger Mensch zu werden. Worauf Ismael P. Hobson urplötzlich am Boden liegt, in Gebets- krämpfen sich windet und Gott mit vernehmlicher Stimme um die Errettung der Sifschen Seele anfleht. Die Nein« Sif steht, da ja alles nun schon ganz gleich- gültig ist, mit ernstem und zerknirschtem Gesicht dabei. Sie ändert diese Miene nicht, als Ismael P. Hobson ihr nach Be- endigung seiner Gebete eröffnet, daß man gewillt sei, ich: ein bescheidenes Amt in diesem Hause zu übertragen, sie hält ganz still, als die Oberschwester Mary herbeigerufen wird und ihr ihre zukünftigen Pflichten ins Ohr brüllt... es ist lediglich zu bemerken, daß ich am Schlüsse dieser Szene lächerlicher- weise aus dem Zimmer der Witwe Grandjean jene schwarze Spruchtafel einfällt, auf der in Silberdruck„Mit Gott " stand. Und wenn sie nun auch beinach wieder in all ihrer Stumpfheit mit ihrem albernen Loichkramps kämpfen muß, so hat sie mit Gottes Hilfe doch Tränen aufrichtiger Zer- knirfchung im Auge, verspricht das Blaue vom Himmel her- unterholen zu wollen, läßt sich ich neben dem von Hobson gelegenes Zimmer anweisen und hat für heute endlich ihre Ruch.— Nun also, sichtbarlich waltet dieser Gott üchr diesen Wochen, die nun folgen! Aufgestanchn um vier Uhr... ja keine Minute später, kleine Sif: die alte Steppenstute Mary, der man direkt unter- stellt ist, hat eine Stimme, die weher tut, als Prügel! Ausge- standen, Tee für die Pflegerinnen gekocht, die Schutzbefohle- nen des Hauses chr„Conkederation of good works" geweckt! Da diese Damen dem Erwachen zu so früher Stunch einigen Widerstand entgegensetzen, da sie andererseits verant- wortlich ist für die Befolgung der Hausordnung, so muß sie es sich gefallen lassen, daß undenkbare Scheltworte aller Sprachen sich über sie beim Wecken ergießen, daß sie in dieser frühen Stunde schon kotchsudelt ist, als habe sie eine Kloake gereinigt... (Fortsetzung folgt.)