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Nr. 204 44. Jahrg. Ausgabe A fr. 104

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Revolution und

Sonntag, den 1. Mai 1927

Vorwärts- Verlag G.m. b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

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Festtag der Arbeit.

Gegenrevolution

Von Karl Kautsky .

Die sozialistische Feier des 1. Mai ist eine inter nationale Heerschau über die zum Klaffentampf fähigen und bereiten Scharen des Proletariats; aber auch ein Ausblid auf die Positionen, die zu nehmen seine Aufgabe ist, sowie ein Ueberblick über das Terrain, auf dem sich die Operationen des Klaffenkampfes vollziehen.

Diefer Ueberblick zeigt uns zurzeit in den meisten Län­dern keine sehr erfreuliche Situation. In Schweden , Däne­mart, England mußte eine Arbeiterregierung einer bürger lichen weichen. In Frankreich ist wieder Poincaré am Ruder. In Deutschland selbst regiert der Befizbürgerblock mit deutsch­nationalen Ministern und von Litauen über Polen , Ru­ mänien , Ungarn , den Balkan bis Spanien zieht sich ein Gürtel reaktionärer Diktaturen, zusammengehalten durch Mussolini , den blutigen Banditenchef, der dem Grundsay huldigt: Halunken aller Länder, vereinigt euch gegen das arbeitende Volk!

Das ist die Situation, in der der 1. Mai dieses Jahres uns trifft. Da fühlt sich mancher versucht, die Feier des Böllerfrühlings mit einer Allerfeefenstimmung zu begehen.

Boltsmasse. Aber sie vermochte die Spaltung in den sozia listischen Reihen nicht zu überwinden. Die inneren Gegen säge nahmen bald die schroffsten Formen an, so daß der Re­gierung der Boltsbeauftragten nicht viel Zeit und Kraft zu positivem Schaffen blieb, die Revolution nicht so viel ein­zuheimsen vermochte, als bei einheitlichem Proletariat der Fall gewesen wäre.

Dabei stand die Revolution von 1918 vor Aufgaben von einer Ungeheuerlichkeit, wie teine andere vor ihr. War sie doch die Erbin der Verwüstungen des gräßlichsten Krieges, den die Welt noch gesehen. Und der militärische Zusammen­bruch hatte noch nicht den Frieden gebracht, sondern nur die Einstellung der militärischen Feindseligkeiten. Die wirtschaftlichen gingen zum guten Teil noch weiter und hinderten gar sehr jede Befferstellung der Massen. Die Fattoren der Gegenrevolution waren seit 1919 in Deutschland stärker als bei mancher der früheren Revolu­tionen. Daß es zur Gegenrevolution fam, ist nicht ver­wunderlich. Bemerkenswert ist dagegen folgendes:

Frühere Zeiten der Gegenrevolution waren gekennzeich­net durch völligen Stillstand alles politischen Lebens, durch eine Friedhofsruhe, nicht durchbrochen durch irgendeine Be wegung von Massen oder auch nur pon einzelnen, außer von behördlich dazu ermächtigten. Diesmal gehen die Bewegun­

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Massen, die den Regierungschef zur Macht emportrugen, neben der Staatsgewalt das Monopol der Bewaffnung er­rangen und die den Staat und seine Regierung zu ihren Gefangenen und ihrer Beute gemacht haben.

In den meisten anderen Ländern, wenigstens des mitt­leren und westlichen Europas , bewegt sich aber das politische Leben in großer Freiheit. Dort äußert sich die Gegenrevolu tion nicht darin, daß das Proletariat gefesselt und gefnebelt, sondern nur darin, daß sein Vormarsch zur Macht unter­brochen und es in die Defensive gedrängt ist, so daß es nicht neue Positionen zu erobern, sondern bereits eroberte zu ver­teidigen hat. Nicht immer erfolgreich. Siehe Achtſtundentag.

Das Proletariat von heute ist eben ganz anderer Art, als das von 1789 oder 1848. Es hat eine jahrzehntelange Schulung in Klaffenfämpfen hinter sich. Es ist nicht mehr eine zusammenhanglose Masse, die bloß von Augenblicks­impulsen getrieben wird, sondern zusammengeschlossen in machtvollen Dauerorganisationen, politischen Parteien und Gewerkschaften.

Doch noch heller erscheint die Gegenwart, wenn wir fie nicht bloß mit der Vergangenheit vergleichen, sondern auch der Zukunft gedenken, die sie in ihrem Schoße trägt. Nicht einer fernen, nebelhaften Zukunft, sondern der Zukunft, an deren Schwelle wir stehen, an der mir augenblicklich arbeiten. Allenthalben mehren sich die Zeichen, daß die Tage der Zeit Gelegenheit haben, uns zu zählen, ob in Frankreich , in England, in Holland , in Deutschland , überall zeigt sichs, daß die Maffen uns zuströmen.

Dazu ist jedoch troß der schon erwähnten Tatsachen nicht der gen der Massen weiter, selbst.in. einem Lande wie Unga Reaktion ihrem Ende entgegengehen. Wo wir in der letzten

mindeste Grund vorhanden.

Es ist richtig, die Revolution von 1918 war furglebig. Wir stehen schon seit Jahren in der Periode der Gegen revolution. Aber das ist nichts Außerordentliches. Es hat noch keine Revolution gegeben, der nicht eine Gegenrevolu tion folgte. Man erklärt dies oft damit, daß der Fortschritt der Gesellschaft fein gradliniger ist, sondern sich in Wellen­bewegungen vollzieht. Das ist jedoch nur ein Bild, keine Erklärung.

Die Gegenrevolution wurde bisher hauptsächlich durch zwei Fattoren hervorgerufen. Die Revolution war nie das Wert einer Klasse allein, sondern das Ergebnis des plöglichen Zusammenwirtens verschiedener Klassen zur Ab­werfung eines Drucks, der unerträglich geworden war. Nach­dem der Sieg über den gemeinsamen Gegner errungen, traten die Gegenfäße der Klassen, und innerhalb mancher Klasse auch noch Gegenfäße der Methoden in den Vorder grund, die Revolutionäre fielen über einander her, schwächten einander gegenseitig und wurden dann von der wieder­erstartten Reaktion nacheinander abgetan.

Zu diesem einen Moment der Gegenrevolution gefellte fich ein zweites, das noch stärfer wirksam wurde. Jede Re­volution wurde hervorgerufen durch einen entsetzlichen Not­stand im Staate, den die alte Regierung nicht bannen konnte, den ihre Politik in der Regel selbst hervorgerufen hatte. Aber niederreißen ist leichter als aufbauen. Die schuldtragende Regierung war mit einem Rud zu beseitigen. Nicht so leicht ging das mit dem Elend, das sie hinterlassen. Es bedurfte im besten Fall mehrerer Jahre, seiner Herr zu werden.

Jene revolutionären Elemente, die gehofft hatten, mit dem Sturz der Regierung fei alles getan, nun habe alle Not ein Ende, mußten bald sehen, daß sie sich getäuscht. Das Elend blieb zunächst, indes die durch die Revolution ent­feffelten Kämpfe immer wieder erneuerte Anstrengungen der Maffen erheischten. So wurde ein rasch wachsender Teil der Revolutionäre mut- und hoffnungslos. Ihre Widerstands fraft schwand.

Dies die Hauptursache, warum nach jeder Revolution fich bisher immer wieder die Gegenrevolution breit machen fonnte. Sie ist viel mehr ein Produkt der Entmütigung und Apathie der Revolutionäre, als der Ueberlegenheit der mili­tärischen Machtmittel der reaktionären Klassen. Diese Macht­mittel waren Anfangs der sechziger Jahre des vorigen Jahr­hunderts nicht geringer, als 1849, als die Reaktion einsette. Aber die Stimmung der Massen war seit 1860 eine ganz andere als 1849. An Stelle der Müdigkeit, ja oft Verzweif­lung, die dem Mißerfolg der Revolution folgte, war in dem Jahrzehnt der Gegenrevolution in den Massen wieder Kraft­bewußtsein und Kampfeslust getreten, und dem konnte die Reaktion trog ihrer ungebrochenen militärischen Machtmittel nicht widerstehen.

Auch bei der Revolution von 1918 und ihren Ausläufern treten dieselben zwei Faktoren in Wirksamkeit, die bei frühe­ren Revolutionen die Gegenrevolution unvermeidlich gemacht hatten. Ja, sie traten diesmal mit besonderer Intensität auf. Die Spaltung in den Reihen der Revolutionäre war schon vor der Revolution im Laufe des Krieges eingetreten. Der Umsturz felbst vollzog sich nach dem militärischen Zu sammenbruch durch eine gewaltige Erhebung der gesamten

sie auf die niederzuhalten. Nur in ist jene völlige Unterdrückung der Opposition gelungen, die bisher das Kennzeichen jeder Gegenrevolution gewesen; doch auch hier nur vermittelft einer Bewegung bewaffneter

Vor dem neuen Kriege?

Von Emile Vandervelde .

Es sind noch feine zehn Jahre her, daß man den letzten| neuen Formen. Das gefährliche Zusammengehen der Nationalisten Ranonenschuß des Weltkrieges abgefeuert hat, und schon beginnt man wieder vom nächsten Krieg" zu sprechen, nicht etwa in zwanzig Jahren, in zehn Jahren, sondern gleich, nicht in Nicaragua , in Merifo oder in China , sondern in Europa .

Chinas und der imperialistischen Mächte" droht jeden Augenblick fich zum Tragischen zu wenden. Der Völkerbund , der natürlich soviel taugt wie all diese zusammengesetzten Körperschaften, fühlt sich zum Handeln zu schwach und zu gespalten, und in der sogenannten Ab­rüftungstonferenz sind viele mehr darauf bedacht, Borwände zu finden, um nicht abzurüsten, als Formeln, die wenigstens eine Be­grenzung der Rüstungen ermöglichen.

Die Sowjetregierung erklärt fich bedroht und glaubt sich viel leicht bedroht. Italien und Südslawien rüsten. In Belgien oder in Frankreich stellt man als Anzeichen aggressiver Absichten das gewiß ungewöhnliche Anschwellen des Reichswehrhaushalts in Deutschland hin. Die Bureaus der Internationale von London und Amsterdam halten gemeinsame Zusammenfünfte ab; und nahezu überall veranstalten die sozialistischen Parteien öffentliche Bersamm- es lungen, in denen man auf die bevorstehende Gefahr hinweist und wo man die Arbeiter ermahnt, unverzüglich energische Maßnahmen zu ergreifen, um den Krieg zu verhindern, der auszu­brechen droht.

All das eröffnet uns für die Zukunft teine erfreulichen Aussichten. Folgt daraus, wie manche behaupten, daß wir vor einem neuen allgemeinen Kriege stehen? Ehrlich gesagt, lehne ich ab, das zu glauben, mindestens soweit es sich um Europa handelt. In den Jahren nach dem Deutsch - Französischen Krieg von 1870 hat es mehrfach Beunruhigungen gegeben. Dann haben sich die Dinge wieder gelegt. Die Gemüter haben sich beruhigt, verhältnismäßig beruhigt, und es bedurfte langer Zeit

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mehr als 40 Jahre, ehe

ein neuer Zusammenstoß materiell, finanziell und moralisch möglich wurde. Es ist ebenso nach den Napoleonischen Kriegen gewesen und im allgemeinen nach allen großen Kriegen, die nahezu gleichmäßig Sieger und Besiegte erschöpft zurücklassen. Präsident Masaryk , der unlängst durch Geni fam, hob mit Recht diesen Punkt hervor: Damit ein Brand ausbricht, bedarf es zündbaren Stoffes. Das alte europäische Haus hat 1914 gebrannt. Das ist ein Grund dafür, daß es nicht abermals während der Jahre brennt, die kommen. mehr noch als 1870 und nach 1815 bleibt ein großer Krieg für 30 Jahre, für 40 Jahre unwahrscheinlich, und bis dahin darf man hoffen, daß die Kräfte des Friedens endgültig die Oberhand ge­winnen werden über die Macht des Hasses."

Weit

Daß die gegenwärtige Situation in Europa mindestens in einem gewiffen Grade diese Beunruhigungen und diese vorbeugenden Maß­nahmen rechtfertigt, dem möchte ich nicht widersprechen. Aber um meine Auffassung ganz auszusprechen, so glaube ich doch, daß der Beffimismus der großen Deffentlichkeit geringer wäre, wenn es nicht in allen Ländern Leute und Barteien gäbe, die ein Intereffe daran haben, diesen Pessimismus zu schüren. Auf der anderen Seite frage ich mich, ob man in den Kreisen der äußersten Linfen, wo man gegen den Krieg agitiert, wo man es so hinstellt, als ob er unmittelbar vor dem Ausbruch stehe, wo man von der Mobilisierung des Proletariats für den Generalstreit spricht, nicht Gefahr läuft, das Spiel der militärparteien in ihrem Streben nach neuen Rüstungen zu spielen, wenn man einer an fich notwendigen Propaganda den Wenn folche Worte von einem Manne wie Masaryk kommen, Charakter eines übertriebenen Alarmrufes gibt. Es genügt in der verdienen fie Beachtung. Sie sind eine Antwort an diejenigen, die Tat, gewiffe nationalistische Zeitungen zu lesen, um sich darüber das Gespenst des Krieges an die Wand malen, um Rüstungen zu be­Rechenschaft zu geben, daß man auf die allgemeine Betreiben, die eines Tages den Krieg unvermeidbar machen würden. unruhigung fpetuliert, um mit Anträgen auf Militärfre- Aber sie sind auch ein Appell an die Arbeiter, sich dafür einzusetzen, dite zu kommen und die Opposition zu rechtfertigen, die man bei jedem daß ein unsicherer, schwankender, auf Ermüdung und Erschöpfung Borschlag auf Begrenzung der Rüstungen macht. Unter diesen Um beruhender Friede abgelöst wird durch einen wirklichen, ge­ständen ist es erforderlich, daß alle diejenigen, die die öffentliche wollten, eroberten Frieden, den sich die Völker erzwungen Meinung aufzuklären vermögen, sich bemühen, die Deffentlichkeit die haben. Dinge so sehen zu laffen wie sie sind, ohne die Gefahren der gegen­wärtigen Stunde zu unterschägen, aber auch nicht zu überschätzen. Wenn man die Bilanz der ersten Monate dieses Jahres 1927 zieht, muß man erkennen, daß man nicht viele Anlässe zur Freude findet. Die Angelegenheit mit Albanien dürfte schließ lich doch noch durch diplomatische Besprechungen ins Gleis fommen In bezug auf die deutsch französischen Beziehungen gibt es feit Thoiry eher einen Rüdfchritt als einen Fortschritt. Der alte Gegensatz zwischen England und Rußland erscheint wieder unter

Die Frage, die gegenwärtig in der Welt aufgeworfen wird, ist die folgende: Wer wird dem anderen überlegen sein, der Sozia lismus oder der Krieg? Wenn der Sozialismus stark genug wird, wird er den Krieg zu verhindern wissen. Wenn der Krieg vorher ausbricht, wird er den Sieg des Sozialismus nicht verhindern, aber die soziale Revolution wird sich dann erheben aus den Ruinen einer zusammengebrochenen Zivilisation. Wir wollen deshalb auf den Sozialismus feßen und gemeinsam den 1. Mai feiern zugunsten der Arbeit und des Friedens!