Abendausgabe
Nr. 209 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 103
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10 Pfennig
Mittwoch
4. Mai 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Polizei und Stahlhelmtag.
Kommunistische Gegenfundgebungen verboten.- Die Vorbereitungen der Polizei.
Am 3. Mai 1927 hat der Polizeipräsident an die Kommunistische Partei Deutschlands , Bezirk Berlin- Branden burg- Laufig und an den Roten Frontkämpferbund , Gau Berlin- Brandenburg- Laufiz, folgendes Schreiben gerichtet:
„ Hiermit verbiete ich die von der Kommunistischen Partei Deutschlands und dem Roten Frontfämpferbund für den 7. und 8. Mai 1927 in Berlin zum Stahlhelm tag geplanten Gegen fundgebungen( Bersammlungen und Umzüge) unter freiem Himmel auf Grund des Artikels 123 Abs. 2 der Reichsverfassung wegen unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit Für etwa von außerhalb nach Berlin kommende Mitglieder der genannten Bereinigungen weise ich ferner darauf hin, daß auch der geschlossene Abmarsch von den Bahnhöfen verboten ist und daß gegen etwa fich bildende Züge eingeschritten wird."
wäre noch verbrecherischer. Daß es rechtzeitig verhindert wird, ist durchaus zu billigen. Wer trotzdem den Weisungen der kommunistischen Drahtzieher folgt und der geheimnisvollen ,, führenden Korona" nachläuft, tut das auf eigene Rechnung und Gefahr!
Sozialdemokraten bleiben dem Trubel fern. Sie haben am 1. Mai gezeigt, wie bei jeden Wahlen, daß Berlin republikanisch und sozialistisch ist und bleibt. Troß des Stahlhelms und trotz der Kommunisten!
Was der Polizeipräsident sagt. Polizeipräsident 3örrgiebel wird morgen einen Aufruf an die Berliner Bevölkerung veröffentlichen, daß sie gegenüber den Veranstaltungen des Stahlhelmbundes ihre volle Ruhe bewahre. Der Polizeipräsident teilt uns weiter mit, daß an Ueber dieses Verbot werden die Kommunisten in ihren ein Verbot des Stahlhelmtages nicht gedacht Bersammlungen und ihrer Presse zwar in der üblichen Weise werden konnte; Aufgabe der Polizei sei es, allen Staatsbürgern lärmen und allen Haß gegen den sozialdemokratischen Polizei- den Gebrauch ihrer verfassungsmäßigen Rechte zu sichern. Durch präsidenten ausschütten. Im Grunde ihres Herzens aber werden die Kundgebungen des Stahlhelms und der Kommunisten sei ziemfie heilfroh sein, daß ihre für sie nicht ungefährliche Beunruhigung hervorgerufen worden. Zu einer solchen bestehe lichen Gegenfundgebungen verboten sind. jedoch te in Anla B, wenn nur die Bevölkerung ihre Ruhe bewahre. Wenn sie nicht ein frivoles Spiel mit der Ge- Die Leitung des Stahlhelmbundes habe sich gegenüber dem Polizeisundheit und dem Leben ihrer Mitläufer spielen präsidenten und dem Minister des Innern verpflichtet, alles zu tun, mollen, werden sie schleunigst abblasen müssen. Sie werden um einen reibungslosen Verlauf zu sichern. fich auch nicht über Unterdrückung und dergleichen beflagen Die Polizei habe nach) langen und genauen Vorbereitungen alle dürfen, denn in Berlin demonstrierte niemand so oft auf Borkehrungen bis ins fleinste hinein getroffen. Der Luftgarten Straßen und Plägen, als gerade die KPD . und ihr Anhängsel, werbe in weitem Umfange abgesperrt und nur für die Teilnehmer der Thälmann- Bund. Erst für Donnerstag rufen sie wieder der Stahlhelmkundgebung zugänglich sein. Die Züge der Stahlzu Kundgebungen an fünf verschiedenen Blägen auf. Es soll helmer werden zum größten Teil auch auf ihren Wegen von und gegen Stahlhelm und für die chinesische Revolution, für Ein- zu den Bahnhöfen polizeilich begleitet werden. heitsfront"( mit Spigeln!) und gegen den Bürgerblock Der gefamte Kraftwagenpart der Polizei, soweit er nicht für die demonstriert werden. Weitere kommunistische Demonstrationen Reserven beansprucht sei, werde benutzt, um starte Polizeistreifen sind bereits angekündigt. ständig die Straßen durchfahren zu laffen, damit sie überall eingreifen können. Es sei auch vorgesehen, daß etwa ankommende cuswärtige Kommunisten und Rote Frontfämpfer nur zu geringem Teile nach Berlin hereinfönnen. Wenn die Kommunisten nach dem inzwischen erfolgten Verbotihrer Gegenfundgebung etwa versuchen sollten, eine andere Taktik einzuschlagen, wie etwa durch Aufgebot von Massen an verschiedenen Stellen, die Polizei dort festzuhalten, um an anderer Stelle Zusammenstöße herbeizuführen, so sei man auch darauf gerüstet und werde auch jedes fleine Feuer, wo immer es zu glimmen beginne, rechtzeitig erstiden, damit nicht ein größerer Brand entstehe.
Nehmen sie selbst so die Straßen und Plätze für sich mehr a's genug in Anspruch, dürfen sie nicht Klage führen, wenn auch für andere die verfassungsmäßige Freiheit für öffentliche Rundgebungen gesichert wird. Noch leben wir in der deutschen Republit, nicht in Sowjetrußland. Hier gelten noch andere Gesetze, als dort, wo feine Sozialdemokratie und feine andere Partei geduldet wird, als die kommunistische. Daß die Kommunisten bei ihrem inneren Zerfall noch die Möglichkeit haben sollten, durch einen von ihnen veranstalteten Krawall den Ausnahmezustand und dann die Herrschaft des Faschismus heraufzubeschwören, daran hat bei uns niemand ein Interesse, außer den Hazardspielern, die den mitteldeutschen Putsch und den Hamburger Aufst and inszenierten. Dies Spiel in Berlin zu treiben,
Eröffnung der Weltwirtschaftskonferenz. Theunis Begrüßungsrede. Genf . 4. Mai.( WIB.) Die Weltwirtschaftskonferenz wurde heute vormittag 11,25 Uhr mit einer längeren Ansprache des Präsidenten Theunis eröffnet, in der er das einzigartige internationale Gremium von Vertretern des gesamten Wirtschaftswesens begrüßte, ein Gremium, von dem man mit seinen Berfrefern aus 47 Ländern einschließlich der Vereinigten Staaten , Rußland und der Türkei wohl fagen fönne, daß es bis heute noch teine derartige Bersammlung zur Prüfung des gesamten Weltwirtschaftsprogramms gegeben habe. Im ersten Teil seiner Rede gab der Präsident eine allgemein gehaltene Umschreibung des Programms der Weltwirtschaftskonferenz und im zweiten Teil eine Reihe von Vorschlägen für das Arbeitsverfahren der Konferenz, wobei er vor Ueber flürzung, aber auch vor Berfchleppung der Arbeiten warnte und der Hoffnung Ausdrud gab, daß die Ergebnisse der ersten Weltwirtfchaftskonferenz den Boden für den Erfolg weiterer Wirtschaftsfonferenzen vorbereiten wird.
Der Andrang zu der Eröffnungssigung war bei weitem nicht so start wie bei den Hauptfizungen der letzten Völkerbundsversammlungen. Trogdem war die Kontrolle an den Zugängen zum Reformationssaal wiederum sehr streng. Der Reformationsfaal war gegen 11 Uhr fast voll befeßi, nur die Bänke für die russische Delegation find leer. Der Reformationsfaal bietet heute ein vollkommen neues Bild, da unter den Delegierten nur ganz wenige von den Völkerbundstagungen her bekannte Köpfe zu sehen find. Die Bänke der deutschen Delegation befinden sich dicht am Eingang rechts neben der Rednertribüne.
Der Ueberfall auf den Konsul. Berurteilt mit Bewährungsfrist und Haftentlassung. Sönigsberg i. pr., 4. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Der natio walsozialistische Hauslehrer Boris Lechel, ein ehemaliger Balti. humer, der am 9. April d. 3. abends 11 Uhr den russischen Ronful Cantor in Rönigsberg überfiel, beleidigte und mit einem Stod niederschlug, wurde heute vom Rönigsberger Schöffen gericht zu 3 Monaten und 1 Woche Gefängnis verurteilt. Bewährungsfrist auf drei Jahre und sofortige Haftentlaffung wurden zugebilligt. Der Staatsanwalt hatte 9 Monate und 3 Wochen Gejängnis ohne Bewährungsfrist beantragt.
Gegenüber gewiffen Behauptungen der Rechtspresse erklärt der Polizeipräsident, daß von irgendwelchen größeren funden bei kommunisten in der näheren oder weiteren umgebung Berlins nichts befannt ist.
Die Unruhe im Zentrum. Kritische Stimmen.
Der Kampf um den Staat.
Das Konkordat und die kirchlichen Herrschaftsansprüche. Bon Alwin Saenger .
Im Deutschen Reichstag werden sich voraussichtlich noch während der laufenden Gefeßgebungsperiode politische Kämpfe ersten Ranges abspielen, die um die Verwirklichung des verfassungsrechtlich festgesetzten Grundsatzes der Trennung von Kirche und Staat gehen. Es gilt das Endziel einer geschichtlichen Auseinandersetzung von Jahrhunderten zu verwirklichen, die Souveränität des Staates auf allen Gebieten menschlichen Lebens zu stabilisieren.
Das Problem führt in die ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung zurück. Bei den ersten Christen, die wegen ihrer Berneinung des römischen Staatsgedankens als Feinde des Menschengeschlechts" gescholten wurden, trat der Gedanke auf, die Kirche gegenüber dem Staat, der sie verfolgte, höher zu bewerten. Eine Unterbrechung in der Fortbildung des Gedantens von der Herrschaft der Kirche über den Staat trat vorübergehend in dem Augenblick ein, als die christliche Kirche in den Zeiten drohender kirchlicher Zersplitterung in Konstantin den staatlichen Halt für die Ausbreitung des Christentums erkannte.
In Deutschland setzte die Verwirklichung des kirchlichen Gedankens der Suprematie über den Staat ein, als mit der Bertrümmerung der fränkischen Reichseinheit und dem Sinfen der königlichen Macht die deutschen Könige die zentrale päpstliche Hierarchie gegen die verstörende Tendenz der partikularen, dynastischen Bestrebungen auszunuzen verfuchten. Noch in der Monarchie der Karolinger bestimmten die Könige die Gefeße für die Kirche Dem Papsttum aber gelang die Durchsehung seiner Ansprüche auf eine Welthegemonie um so leichter, da schwächlichen Persönlichkeiten wie Heinrich IV. , Männer im Format Gregors VII. und Innozenz III. gegenüberstanden.
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Wie der heilige Augustin einst den Staat als ein Organ der Sünde und des Bösen bezeichnet hatte, so erklärten auch die großen Päpste des Mittelalters den„ Teufel als die Ahnfrau der Fürsten " und den Staat als ein Produkt menschlichen Hochmuts" und eben aus dieser kirchlichen Auffassung heraus begründeten sie die Pflicht des Staates, der Kirche auf allen Lebensgebieten zu gehorchen. Aber die Geschichte blieb nicht in den naiven Vorstellungen des Mittelalters stehen. Die Emanzipation der Antike aus den Fesseln der Scholastik, die Entwicklung mensch= lichen Könnens und die Fortschritte des menschlichen Geistes, die Kräfte des Wirtschaftslebens und einer neuen gesellschaftlichen Struktur zerstörten die Allgemeingültigkeit der Vorstellung von dem irdischen Gottesstaat" und dem PatriWaffenmonium des römischen Papstes. Die Machtfülle des Staates wuchs von dem Augenblick an, da die 3ersplitterung der Kirchen begann. Der Ausgang des 18. Jahrhunderts zeigt uns den Triumph staatlicher Toleranz gegenüber der großen Gewissensfrage religiöser Ueberzeugung. Auch die politische Reaktion, die im Anfang des vorigen Jahrhunderts die konservativen Kräfte der römisch- katholischen Kirche zu nüßen suchte und es so Pius IX. mit ermöglichte, seinen berühmten Syllabus errorun" zu verkünden, fonnte die Befreiung des Staates aus der kirchlichen Gewalt nicht mehr aufhalten. In dem k at hpder Gedanke der Alleinherrschaft des Staates durchgeführt und derischen Bayern wurde unter strenggläubigen Monarchen der Gedanke der Alleinherrschaft des Staates durchgeführt und Allgemeine preußische Landrecht (§ 28 ff., li chem Recht proflamiert. In Preußen bekannte sich das der Vorrang weltlichen Rechts vor firth§ 117 ff.) zu der Idee der Souveränität des Staates gegenüber der Kirche.
Das Zentrum hat, in der Zeit, in der es sich sozial und gut republikanisch gab, auch aus protestantischen Kreisen einigen Buzug erhalten. So schloß sich ihm auch der Herausgeber der " Süddeutschen Konservativen Korrespondenz", Adam Röder, ist. Aber er und manche andere, die denselben Weg gegangen an, der heute Mitglied der Reichstagsfraktion der Zentrums sind, fühlen sich, feit die Rechtsschwenkung des Reichszentrums eingetreten ist, nicht mehr recht an ihrem Plaze. Herr Röder der sich eine katholisch- konfervative Partei( Wallraf, Spahn, träumt jetzt in seiner Korrespondenz von einer Entwicklung bei Leicht) bildet, während sich das Zentrum als wahrhaft christliche, demokratische und soziale Mittelpartei" konstituiert. Bon einer solchen Entwicklung vermögen wir einstweilen noch nichts zu entdecken.
zuschrift eines nicht genannten„ Politikers und Publizisten", Der Abg. Adam Röder veröffentlicht dann weiter eine in der es u. a. heißt:
... Was mich aber viel mehr beschwert, und hier stimme ich völlig mit Ihnen überein, das ist die Leichtigkeit, mit der das Zentrum sich der chauvinistisch- reattionären Rechten angeschlossen hat und darüber völlig vergißt, daß es gelobt hat, das soziale Moment unentwegt festzuhalten. Das hat mir, offen gestanden, einen so peinlichen Einbrud gemacht, daß ich mich ernstlich frage, ob ich meine Arbeit, bie doch auf eine Sammlung der Mittelparteien hinauslief, nicht aufgeben foll. Wenn das Zentrum mit solcher Leichtigkeit seinen Charakter einer Mittelpartei in den einer Rechtspartei verändern fann, fo verstößt das doch irgendwie gegen Treu und Glauben. Jedenfalls fühle ich mich innerlich lahmgelegt Ich werde nun erst noch die weitere Entwicklung abwarten. Gibt das Zentrum wegen Konkordat und Reichsschulgesetz seinen inneren Charakter als foziale Partei mehr und mehr auf, fo kommt der Moment, wo ich nicht mehr mitfann.
Die Kreise, um die es sich hier handelt, sind dem Zentrum gewiß nicht so wichtig wie die chriftlichen Arbeiterkreise, in benen fich gleichfalls eine starte Unruhe bemerkbar macht. Aber vielleicht ist es ihm doch nicht ganz gleichgül g, wenn er sich auch Sympathien verscherzt, die es in Kreisen der Intellektuellen erworben hatte.
ihren früheren firchenpolitischen Lebensgrundsätzen dem Der Kirche gelang es nicht mehr, auch nur einen Teil pon ihren früheren firchenpolitischen Lebensgrundsägen dem modernen Staate gegenüber dauernd durchzuführen. Unverbrüchlich aber hat fie bis zu dieser Stunde an dem Gedanten des Borrangs firchlicher Gewalt por Gedankens auf einzelnen Gebieten zeigt, bemüht sie sich, alte eine Gelegenheit zu einer nur teilweisen Berwirklichung dieses Staatsgewalt festgehalten, und wo immer sich Machtpofitionen neu zu erkämpfen.
Der Beispiele gibt es unzählige. Noch das päpstliche Breve vom 12. Februar 1803(!) stellt dem bayerischen Kurfürften den päpstlichen Bann in Aussicht, wenn er nicht bereit sei,„ der Kirche Gehorsam zu Teiſten". Der deutsche Jesuit Franz Bernz, General des Jesuitenordens und Profeffor des Kirchenrechts an der päpstlichen Universität in Rom. ftellt in seinem berühmten Bert Jus Decretalium"( 1898 bis 1905) den Grundsatz auf:
fraft welcher die Zivilgewalt der Kirche wahrhaft untertan und Der Staat ist der Jurisdiktionsgemalt der Kirche unterworfen, zum Gehorsam verpflichtet ist. Diese Unterordnung ist indirekt, aber eigenen Gebietes nichts tun darf, was nach dem Urteil der Kirche nicht bloß negativ. indem die Zivilgewalt auch innerhalb ihres dieser zum Schaden gereicht, sondern positiv, so daß der Staat auf Befehl der Kirche zum Nugen und Vorteil der Kirche beitragen
muß.
Der Kirche tommt das Recht zu, eine authentische Auslegung des Rontordats zu geben und diesem firchlichen Urteil hat sich der Staat zu fügen; denn wer die aberste gefeßgebende Gewalt befigt, hat auch die höchste Interpretationsbefugnis. Nun aber befizt die Kirche in bezug auf die Dinge, die den Inhalt des Konkordats ausmachen, die oberste gesetzgebende Gewalt.