Abendausgabe
Nr. 213 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 105
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Vorwärts
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Berliner Volksblaff
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Freitag
6. Mai 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Antistreikgesetz wird durchgepeitscht! Tarifrecht und Klaſſenjuſtiz.
Das englische Unterhaus nimmt Baldwins Ausnahmegesetz in zweiter Lesung an! Condon, 6. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Am Donnerstag| bedingungen in ihrer eigenen Industrie zu verbessern, furz vor Mitternacht wurde im Unterhaus die zweite Lesung die Freiheit haben sollten, zu streifen, selbst wenn dadurch etwa ein über das Gewerkschaftsgesetz beendet, indem ein Antrag auf Druck auf die Regierung und die Boltsgemeinschaft ausgeübt werde. Schluß der Debatte mit 388 gegen 168 Stimmen angenommen wurde. Am Mittwoch beginnt die Einzelberatung. Der Antrag der Arbeiterpartei, das Gesetz abzulehnen, wurde mit 386 gegen 171 Stimmen verworfen. Die Stimmen der Liberalen waren geteilt; fieben erklärten sich für und neunzehn gegen die Regierungsvorlage.
Am Ende der zweiten Lesung wurden außerordentlich zahlreiche Abänderungsanträge eingebracht. Es find über 200 Abänderungsanträge der Arbeiterpartei, ebenso werden auch von liberaler Seite viele erwartet, hierzu dürften noch Anträge der Regierung und einzelner fonservativer Mitglieder tommen.
Thomas hatte als letzter Redner der Arbeiterpartei gegen die Gewerkschaftsvorlage gesprochen. Er erklärte, das Gesetz laufe den besten Intereffen des Landes zuwider. Es würde die Aufgabe der Gewerkschaftsführer, welche Streits durch Berhandlungen abwendeten, schwieriger gestalten und die Handelsfreiheit der Arbeiter lähmen. Generalftaatsanwalt Instip erklärte, in dem Gefeh komme der Grundfah zum Ausdrud, daß teine Gemeinschaft weiter bestehen fönne, wenn sie eine stärkere Macht als sie selbst duldete. Das Gesetz
Die Sabotage der Verfassung und des Tarifrechts. Bei der Beratung des Reichshaushaltsplans für 1927 Tentte der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Aufhäuser die Aufmerksamkeit auf zwei bezeichnende Strafrechtsvorgänge in Königsberg und Düsseldorf , die den Unternehmern neue ungeahnte Perspektiven in ihrem Kampf gegen den verhaßten Tarifvertrag eröffnen.
Bisher führten die Unternehmer diesen Kampf im juristiErft Propaganda aufgeben, dann verhandeln. London , 6. Mai. ( WTB.) Im Unterhaus fragte der Arbeiter- schen Gewande auf dem Gebiete des Zivilrechts. Eine Fülle juristischer Spitfindigkeiten wurde aufgeboten, um dem abgeordnete Wedgwood den Premierminister, ob er eine Mittei Tarifvertrag den Garaus zu machen. Man erlebte die wunlung erhalten habe, daß die Sowjetregierung es für wünschenswert dersamsten Dinge. und möglich erachtet, durch Berhandlungen die augenblicklich gespannten englisch - russischen Beziehungen zu beseitigen, und ob die britische Regierung eine Erwiderung auf ein solches Angebot gefandt habe oder zu machen beabsichtige. Locker Lampson erwiderte, die Antwort auf den ersten Teil der Anfrage laute verneinend; was den zweiten Teil betreffe, so sei feine Veränderung in dieser Hinsicht seit der Antwort auf eine ähnliche Frage am 8. Dezember letzten Jahres eingetreten. Wedgwood fragte, ob Locker Lampson die Rede Ryfows über dieses Thema, in der er ein Augebot gemacht habe, gefehen habe. Loder Lampson erwiderte„ Ja, aber bevor die Sowjetregierung wirklich zeigt, daß sie bereit ist, die Propaganda gegen England einzustellen, hat es meiner Ansicht nach keinen Wert, zu versuchen, in Berhandlungen einzutreten."( Beifall auf
Deutschnationale gegen Republikschuh.
Hergt und Kendell machen Schwierigkeiten. Das Kabinett kann sich nicht einigen.
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verschulden weichen mußte."
republikanischer Staatsmänner
Am Donnerstag fand in der Reichskanzlei zwischen dem Reichstanzler und dem zuständigen deutschnationalen Reffortminister, d. h. dem Reichsjuffizminister Her gt und dem Reichs- Eine scharfe und berechtigte Kritik der Personalpolitik des innenminister v. eudell, eine Besprechung über die Ber Bürgerblocks, die deutlicher zeigt, was ist, als die Versuche der längerung des Republikschuhgesetzes statt. ,, Germania ", den Bürgerblod gesundzubeten.
Es stellte sich hierbei heraus wie wir von unterrichteter Seite
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Bolksbeauftragten gehört zu den großen sozialpolitischen ErDie Tarifvertragsverordnung der sozialdemokratischen rungenschaften auf dem Gebiete des kollektiven Arbeitsrechts. Ihre beiden wichtigsten Rechtswirkungen sind die Unab bingbarkeit und die Allgemeinverbindlichteitserklärung von Tarifverträgen. Durch die Unabbingbarkeit sollte der Vorkriegszustand beseitigt werden, der es dem Unternehmer ermöglichte, unter Ausnutzung der Notlage des Arbeitnehmers mit diesem im einzelnen Arbeitsvertrag schlechtere Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, als fie der Tarifvertrag vorsah. Das geltende Tarifrecht bestimmt deshalb, daß die Tarifbestimmungen automatisch in die einzelnen Arbeitsverträge übergehen. Abweichende Bereinbarungen sind nur zugunsten des Arbeitnehmers zulässig oder wenn der Tarifvertrag sie ausdrücklich zuläßt. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages dehnt diese Rechtswirtungen auch auf die Außenseiter der Tarifbeteiligten aus, erhebt also den Tarifvertrag gleichfam zum Range eines Gesetzes. Es handelt sich hier um eine Teileinlösung des Artikels 157 der Reichsverfassung, der bestimmt, daß die Arbeitstraft unter dem besonde= ren Schuhe des Reiches steht.
erfahren, daß die von den Deutschnationalen zu erwartenden und Die bulgarische Regierung deckt die Polizei. fehr einfach. Es handelt sich um einen Reichstarifver
von ihren Miniffern gegen eine Verlängerung des ganzen Gesetzes gemachten Schwierigkeiten doch größer find, als man in Regierungstreifen anfänglich angenommen hatte.
Infolgedessen dürfte erst nach dem wiederzusammentritt des Reichstags ein Beschluß des kabinetfs herbeigeführt werden, obwohl die Mehrzahl der Minister für eine Verlängerung des ganzen Gesetzes um zwei Jahre einfriff.
Unruhe im Zentrum.
Tie Berliner Organisation gegen Beschwichtigungsversuche.
Das Berliner Zentrum", das Mitteilungsblatt
der Berliner Zentrumsorganisation, ist mit dem Bürgerblock ebensowenig zufrieden wie mit der Verteidigung des Bürgerblocks in der Zentrumspresse. Mit deutlicher Spize gegen die „ Germania " schreibt das Mitteilungsblatt unter der Ueberschrift: Ernste Dinge, flare Worte:
,, Es ist nicht einzusehen, warum man diese Dinge nur immer andeutungsweise und überaus vorsichtig behandelt. Die Zentrumswähler haben ein Anrecht darauf, den wirklichen Gang der politischen Ereignisse, ihren praktischen Einfluß auf Festigung und Ausbau des heutigen Staatswesens, der Republit, tennen zu lernen.
Der deutschnationale Innenminister hat den Demokraten Dr. Brecht furzerhand durch den deutschnationalen, auf dem rechten Flügel stehenden Herrn v. Kamete ersetzt, der jego als Hüter der republikanischen Verfassung im Reichsinnenministerium fizt. Soviel glauben wir auf Grund einiger Kenntnisse verantwortungsbewußt fagen zu können, daß Herr v. Kameke weder republitanischer Gesinnung ist, noch sich je praktisch republikfreundlich gezeigt hat. Es ist festzustellen, daß auf einem verantwortungsvollen Posten der Republik , in der Leitung der Berfassungsabteilung des Reichsinnenministeriums heute kein Republikaner fit.
Die Ernennung des Nichtrepublikaners v. Ramete zum Ministerialbirektor der Verfassungsabteilung im bewußt republikanisch sein sollenden Reichsinnenminifterium, der Abbau des zuverlässigften Berfassungsmannes in derselben Abteilung, ist eine solche tolle Angelegenheit, die mancher Politiker- jofern er Republikaner im Herzen ist ebensowenig zu verstehen mag, wie der einfache republikanische Mann aus dem Bolt. Der gesunde Menschenverstand hat das sehr schnell zufammen, die Dinge brauchen nicht fünstlich tompliziert gemacht und vernebelt zu werden.
Bei der Verabschiedung des Ministerialdirektors Dr. Brecht und feiner Ersetzung durch Herrn v. Kameke liegt der Kern aber so, daß ein zuverlässiger Vertrauensmann der Republik einem deutsch nationalen Parteifreund des deutschnationalen Innenministers v. Reudell, daß der bewußte Wille zur Macht der republitanischen Staatsform innerlich notwendig bedingten republiffeindlichen Kräften durch Mit
Der Ministerpräsident für die Polizeimaßnahmen. Sofia , 6. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die aus Bulgarien ausgewiesenen Rechtsanwälte Dr. Rosenfeld und Richter Wien legten vor ihrer am Donnerstag abend erfolgten Abreise aus Sofia sowohl bei dem bulgarischen Ministerpräsiden ten, wie bei dem deutschen Gesandten gegen ihre Ausweisung schriftliche Beschwerde ein. Der Ministerpräsident aber lehnte es trotz der anerkennenswerten Vermittlung des deutschen Gesandten ab, die Polizeimaßnahmen gegen die beiden ausgewiesenen Rechtsanwälte aufzuheben. Es bestätigt sich damit, daß die Polizei nicht ohne Anordnung der Regierung gehandelt hat.
Das Urteil in dem Prozeß gegen das Zentralfomitee der
tommunistischen illegalen Organisation wurde bereits am Donnerstag gefällt. Es lautete gegen den als Führer angeklagten Kommuniſten Sawlow auf 12½ Jahre Zuchthaus und eine hohe Geldstrafe. Die übrigen Angeklagten wurden freigesprochen. In elf Tagen beginnt ein neuer Prozeß gegen die sogenannten Jungfommunisten.
Sofortige Freilassung der Verhafteten verlangt. Paris , 6. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die Sowjet- Regierung hat dem Gesandten der Regierung von Pefing in Moskau eine Note übermittelt, in der sie die sofortige Freilassung der in Pefing in Haft gehaltenen Ruffen verlangt. Unter ihnen befindet sich auch Frau Borodin . Falls der Forderung auf Haftentlaffung nicht sofort entsprochen werden sollte, werde Mostau entsprechende ffrenge Gegenmaßnahmen ergreifen. London , Paris , Rom , Tokio und Washington drohen nicht mehr.
Eine hiesige
Condon, 6. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Agentur meldet aus Amerika , daß England, Frankreich , 3talien und Japan fich dem amerikanischen Standpunkt angeschlossen hätten und nunmehr wegen der Vorgänge in Nanking rung ergreifen wollen. Die Meldung flingt an fich wahrscheinlich: ebenfalls feine Maßnahmen mehr gegen die Kanton- Regiefie muß vorläufig jedoch mit Vorbehalt aufgenommen werden. Kuomintangleute auf Holländisch - Borneo erschossen. Batavia, 5. Mai. ( BTB.) Einer telegraphischen Meldung aus Bandjernasin( Borneo ) zufolge tam es im Bezirk von Sama rinda anläßlich polizeilicher aussuchungen bei Chinesen, wobei Schriftstüde beschlagnahmt und verschiedene Chinesen verhaftet wurden, zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen der Polizei und Kuomintang- Anhängern, die die Verhafteten zu befreien versuchten. Die Polizei und die militärische Eskorte machte Don der Waffe Gebrauch. 3wölf Chinesen wurden getötet und etwa 25 verwundet. Zwei Kuomintangführer wurden festgenommen. Europäer sollen bei dem Gefecht nicht zu Schaden gekommen sein.
War es schon ein tolles Spiel mit Worten, wenn in der Zivilrechtsprechung der Fall eintrat, daß die unzulässige Berschlechterung der Tarifbestimmungen durch den Arbeitsvertrag als Bereinbarung zugunsten des Arbeitnehmers erklärt murde, weil angeblich sonst Arbeitslosigkeit eingetreten wäre, so wird diese Weisheit durch die Staatsanwälte und Strafrichter in Königsberg und Düsseldorf weit in den Schatten gestellt. Der Tatbestand in den beiden vorliegenden Fällen ist trag der Internationalen Artisten loge, der für allgemein verbindlich erklärt worden ist. Die Unternehmer dürfen also nur Arbeitsverträge unter Einhal tung der Tarifbestimmungen abschließen. Würde hier der allgemeine Grundsatz gelten, daß Unkenntnis über ein Gesetz nicht vor Strafe schüßt, so.hätten die beiden Staatsanwälte vielleicht Anlaß gehabt, gegen die Unternehmer wegen Mißachtung eines Gesezes, nämlich des allgemein verbindlich erflärten Tarifvertrages, einzuschreiten. Das um so mehr, weil die Verfassung den besonderen Schutz der Arbeitskraft vorschreibt.
Die Staatsanwälte und Strafrichter hatten wichtigeres zu tun. Auf Antrag der Unternehmer sind sie gegen die Arbeitnehmer eingeschritten, weil diese ihr gutes Recht forderten! Das Tarifschiedsgericht erklärte die Ansprüche der klagenden Arbeitnehmer für berechtigt. Und nun sezt etwas selbst im Lande der ausgeprägtesten Klassenjustiz bisher noch nicht Dagewesenes ein: nachdem die Unternehmer auf dem Zivilrechtswege ihr Unrecht attestiert bekommen haben, erfolgt auf Anzeige der Unternehmer die Einleitung eines Strafper= fahrens gegen die Arbeitnehmer wegen Be trugs! Dieser Betrug besteht nach Meinung des Amtsge= richts Königsberg darin, daß die Angeklagten bei Abschluß des Engagementsvertrages mit dem Arbeitgeber diesen in den Glauben versetzten und in ihm bis zum letzten Tage des Engagements beließen, daß fie Ansprüche auf Vergütungen für Sonderleistungen gemäߧ 8 des Tarifvertrages bei zweibis dreimaligem Auftreten nicht erheben würden, dann aber doch mit Erfolg geltend machten.
Weil also der Unternehmer in rechtswidriger Weise Arbeitsbedingungen vereinbarte, die von den Arbeitnehmern mit Erfolg angefochten wurden, sind die Arbeitnehmer des Betrugs überführt! Sie wurden durch Strafbefehl zu je 150 M. Geldstrafe bzw. 30 Tagen Gefäng nis perurteilt. Die Anklage stützt sich auf§ 263 des Der gesunde Menschenverstand würde sagen: der UnterStrafgesetzbuchs. Danach ist wegen Betrugs zu bestrafen, menn sich jemand rechtswidrig Vermögensvorteile verschafft. nehmer hat unter Mißachtung des geltenden Tarifrechts, also in rechtswidriger Weise, schlechtere Arbeitsbedingungen vereinbart und sich dadurch einen Bermögensvorteil verschafft. Das Amtsgericht Königsberg verurteilt dagegen die Arbeitnehmer. Ein derartiges Urteil ist eine Schande für unsere Rechtsprechung, die schnellstens beseitigt werden muß.
Das Amtsgericht Düsseldorf begründete seinen Eröffnungsbeschluß damit, daß der Angeklagte mit der Ausftellungsleitung einen von dem Tarifeinheitsvertrag abweichenden Vertrag abschloß, obwohl ihm hierbei bekannt war, daß diese Abänderungen für die Gesolei- Leitung tarifwidrig waren und nicht bindend sein konnten. Hier ist allerdings inzwischen Freisprechung erfolgt. Daß ein solches Ver