33ier c2Öotf)ßti �Lnderrepublik. Äas Zeltlager an der(Dftsee.
�Dissen und Bildung. Gespräch mit einem jungen Arbeiter. Don Hans Natonek . Ein junger Arbeiter kam zu mir, einer von jenen, die sich berufen suhlen und empor wollen. Daß er auch dichtet, weit besser dichtet als mancher begabte Gymnasiast, der unter literarischen Vorbildern aufgewachsen ist, mag nebensächlich sein. Weit wichtiger ist dies, daß er mit großen, fiebernden Augen ins Leben blickt und sich angesichts des geistigen Reichtums der Welt so grenzenlos ann und hilflos vorkommt. Er zittert nach Wissensnahrung, und doch find seine Hände zu ungeschickt, sie zu greifen. Mit zwanzig Iahren ist er erwacht, hat seine Augen ausgeschlagen und fühlt nun, wie dunkel es um ihn ist. Er fühlt, daß die anderen, die unter günstige- ren Bedingungen aufgewachsen sind, einen Riesenoorsprung haben, und muß daran verzweifeln, ihn je einzuholen. So, von Verzweiflung erfüllt, kam dieser junge Mensch zu mir. Es sei eine schreiende Ungerechtigkeit, so meinte er in jugendlichem Ungestüm, daß vielfach jene, die vielleicht gar nicht den besten Gebrauch davon zu machen vermögen, sich mit Wissen und Bildungs- fülle sättigen, weil sie von klein auf alle Möglichkeiten, alle Mittel und vor allem ungemessene Zeit hatten, an ihrer Bildung zu arbeiten. Es sei ähnlich wie mit dem Gelde: wer den besten, den geistigen Gebrauch davon zu machen oerstünde, der hat es nicht, und wer es hat, macht nicht diesen geistigen Gebrauch davon. Ja, er wolle auch Geld, unendlich viel Geld, aber nur, um alle großen Gedanken, die je gedacht, alle erhabenen Werke, die je geschaffen worden sind, in sich ausnehmen zu können. Was würde er mit dem fünften Teil des Wissensreichtums selbst eines unbegabten Hochschul- studenten, dessen Interessen über Korps und Kneipe nicht hinaus- reichen, beginnen! Hier reckte sich sein Selbstbewußtsein riesengroß. Er über- schätzte die Tiefe seiner Armut, ober auch die inneren Möglichkeiten der„Bildung". Bildung— das war für ihn das Zauberwort, bei dem alle Tore des Lebens aufsprangen. Dabei übersah er in der Blindheit seines ersten Sehens, daß er in seinem heißen Drang das erste Tor bereits eingerannt hotte. Denn wichtiger als Bildung ist der Hunger noch ihr. Einen Prunkkasten aus Glas mit Kostbarkeiten und Raritäten zu füllen, damit der Besitzer seine Freude daran habe, ist ohne Verdienst und Wert. Schade um den Reichtum an falschem Ort. Wie häufig aber ist Bildung nichts anderes als ein solcher Prunktasten. Zehn Bücher in einer Arbciterstube können einen höheren Bildungswert haben als die kostbarste Bibliothek, die mühelos errungen und erlesen ist und daher nur Prunktasten bleibt. Ein Arbeiter, der von seinen töv Mark Einkommen monatlich 5 Mark für gutes Theater oder wertvolle Bücher erübrigt, ist doppelt so viel wert, als der Mann der sogenanten gebildeten Stände, der bei IZQl) Mark Monatsverdienst 25 Mark für den gleichen Zweck aufwendet. Denn auch die Anstrengung, die es kostet, zu den Bildungsquellen zu gelangen, zählt mit. Bildung kann nicht anders einen Sinn erhalten, als wenn sie kämpfend erworben wird. Was mühelos in den Schoß fällt, ist Wissensplunder, angenehmer Luxus, im besten Fall Material und Voraussetzung für«ine gehobene Lebensstellung. Deshalb wiegen die zehn Bücher, durch die sich ein Tastender, ein Armer durchgekämpft hat, eine Bibliothek auf, in der ein Uebersättigter in der Fülle seiner Mußezeit blättert. Ich bemühte mich, ähnliches dem jungen Arbeiter begreiflich zu machen. Denn ich sah, wie ihn die ungeheure Bildungsquantität, an die er nicht heranzukommen wußte, zugleich mutlos und ver- bittert machte. Das ist ja das Typische bei allen denen, deren Bildungshunger so groß ist, wie ihre Wissensarmut, daß sie Wissen und Bildung gleichsetzen und daß ihnen die Quantität der Bücher und Kunstwerke, die sie nicht kennen, un- geheuer imponiert. Was sollte ich dem jungen Menschen raten? Vor allem schien es mir notwendig, sein Selbstvertrauen zu stärken und seinen riefen- haften Respekt vor dem Wissensmaterial einzudämmen: ihm klar- zumachen, daß es nicht auf den Besitz an„Bildung", sondern aus den Weg zur Bildung ankomme. Der Reichtum an Wissen, der nicht in das Fleisch und Blut einer Persönlichkeit eingeht, macht starr: aber Bildung— schon das Wort sagt es— ist kein Zustand, sondern ein ewiges Werden, ein Lorgang, der das Wesentliche im Menschen gestaltet und umbildet. Wissen ohne Persönlichkeit— was wäre das? Aber Persönlichkeit, auch wenn sie infolge unglück- sicher Umstände nicht an den offiziellen Tränken der Bildung ge- standen hat, daraus könnte etwas zu machen sein! Und mit einer solchen Persönlichkeit hatte ich es zu tun. Unberührtheit von aller zivilisatorischen Bildungsphrase und-lüge ist ein zartes Roh- Material, das man mit Büchern leicht totschmeißen kann. Also um Gottes Willen sich nur nicht dummlesen in dem rührenden Eifer, mit einem Anhieb nun alles nachholen zu wollen! Ich machte dem jungen Menschen begreiflich, daß sein Zu st and der Un- belesenheit wertvolle Bildungsmöglichkeiten in sich birgt. Denn jeder Gedanke, den er denkt, ist sein urtüm- lichster Besitz, die Art seines Sprechens und Betrachtens ist erstmalig und unverbildet von aller fremden Sprech- und Betrachtungsweise. Die großen, ewigen Bildungsquelleiu Empfinden, Denken, Mutter- spräche sind jedem normalen Menschen gegeben, und wohl dem Reichen, der sie sich rei» bewahrt hat und sich ihrer freudig bewußt wird. Sich bewußt werden, wie reich gebildet man ist. indem man sich dieses Besitzes freut und ihn gebraucht, das überhaupt ist Grund- läge und Ursprung aller Bildung. Viel zu sehr hat der Bildungstrieb diesen Ursprung verschüttet. Wir denken mit fremdem Geist und schauen mit fremden Augen und nennen es Bildung. Aber nur, was den Weg zu uns selbst irei macht, verdient diesen Ramen. Die Häufung von Wissen kann uns dazu oerhellen, ist aber so wenig wesentlich wie der Besitz von Geld für die Freiheit des Menschen. Sehen wir uns doch die Viel- »isierei näher an: nur dem souveränen Geist frommt sie, nur er baut aus Wissensschätzen neue Welten. Der Durchschnitt wird zum Sklaven des angehäuften Wissens, sein Gehirn zum Zettelkasten. Mich leitete, als ich all dies dem jungen Arbeiter klarzumachen suchte, die Absicht, ihm Mut und Selbstvertrauen einzuflößen, war mir aber unversehens dabei selbst klar geworden, daß er gor keinen Grund zur Mutlosigkeit habe. Er fühlt Dichtertum in sich rumoren. >— nun wohl, dann kann er gar nicht unbclesen genug sein Um so reiner wird sich sein Eigenstes offenbaren. Soll man einen solchen
Vier Wochen Kinderrepublik— ist das Scherz oder Spielerei? Keins von beiden, ein sehr ernster erzieherischer Gedanke verbirgt sich hinter diesem ersten Versuch, den die Reichsarbeitsgemein- schaft der Kinderfreunde gemeinsam mit dem Haupt- ausschuß für Arbeiterwohlfahrt durchzuführen gedenkt. Vier Wochen lang sollen 2000 Kinder in der Zeit der großen Ferien in einem Zeltlager an der Ostsee , umve't von Kiel , zusammenleben und ein Gemeinwesen bilden, das ganz auf die Selbsterziehung der Kinder eingestellt ist. Diese vier Wochen sollen zeigen, ob es der Erziehungsarbeit der Kinderfreunde gelingt, die Kinder nicht nur in eine die egoistischen Triebs zurückdrängende Gemeinschaft einzureihen, sondern darüber hinaus gemeinschafts- bildende Kräfte zu entwickeln. Dafür genügt nicht nur die freiwillige Eingliederung und Unterwerfung unter die selbstgegebenen Gesetze des Lagerlebens, sondern es kommt vor allem an auf die freudige Mitarbeit am Ganzen, die innerliche Bereitschaft für das gemein- same Werk sowie auf ein Höchstmaß von positiver Leistung am Aufbau dieses Gemeinwesens. Das Gefühl für soziale Berantwort- lichkeit, für freudig« Hingabe aller Kräfte im Dienste der Gemein- schaft soll entwickelt werden. Die Arbeit der Kindersreundc bewegt sich selbstverständlich von jeher in dieser Richtung. Sie kennt kein anderes Ziel, als in den Kindern den Geist der S o l i d a- r i t ä t zu wecken und sie mit starkem sozialistischen Gemeinschafts- willen zu erfüllen. Was in dieser Hinsicht in den einzelnen Gruppen bisher im Kleinen geleistet wurde, das soll nun im Großen in der Form dieses Zeltlagers, das Kindergruppen aus allen deutschen Gauen zusammenführt, versucht werden. Es ist deshalb selbstver- ständlich, daß an diesem Logerleben nur geschlossene Kinder- g r u p p e n teilnehmen können, die sich schon bisher im Sinne der hier angedeuteten Erziehungsgrundsötzs betätigt haben. Kinder, die noch nie einer Kindergruppe angehört haben, sondern ohne diese Voraussetzungen in das Lager geschickt werden, würden auf den Geist dieses Unternehmens innerlich nicht vorbereitet sein und sich kaum in das Ganze einfügen können. Dank der unermüdlichen Tätigkeit der Kinderfreunde sind im Laufe der letzten Jahre genug Kindergruppen eMstanden, aus die die hier angegebenen Voraus- setzungen zutreffen und die sich infolgedessen an dem Zeltlager be- teisigen können, ja geradezu daraus brennen, dies zu tun. Seit Wochen wird überall aus die Reise nach Kiel hingearbeitet. Freude und Erwartungen der Kinder sind sehr groß. Dazu kommt, daß der Aufenthalt im Zeltlager für die Kinder ja zugleich eine Ferien- erholung ist. Abgesehen von der erzieherischen Bedeutung des Unter- nehmens ist auch sein gesundheitlicher Wert sehr hoch einzuschätzen. 2000 Proletarierkinder werden vier Wochen lang der Großstadt mit ihren engen Wohnräumen und ihrem lärmenden Treiben entzogen! Vier Wochen Aufenthalt in frischer Luft an der See, vier Wochen lang Erholung und Entspannung! Wer weiß, was das für unsere armen lufthungrigen Großstadtkinder bedeutet, der wird schon von diesem Standpunkt aus dem Unternehmen von ganzem Herzen Erfolg wünschen. Es steckt schließlich auch ein Stück Romansik in dem ganzen Unternehmen, das die Phantasie der Kinder aufs Höchste anspannt. Das Leben im Zelt und im Freien in seiner Vielfältigkeit und Ungebundenheit, die Freiheit der Be- wegung und Betätigung, die trotz aller notwendigen Disziplin möglich ist, die Gesellschaft so vieler Kinder au? allen Teilen des Reiches, und nicht zuletzt das aktive Mittun in allen Dingen des Lagerlebens, dos gibt den Kindern ein Stück von jener erträumten Welt, die in
jungen Menschen, fast ein Naturkind, in Literatur eintauchen bis über die Ohren? Was wäre das Ergebnis? Im besten Fall ein Literat. Solchen Triumphes mag sich der Vildungseiser freuen: ich sehe keinen Gewinn darin, wenn man die Ueberührtheit, die aus ihre Art schöpferisch sein kann, mit dem bekannten Rüstzeug der Bildung ausstaffiert. Natürlich hat das hier Gesagte vor allem nur für den Bildungs- gang des Schöpferischen Geltung, der eine Ausnahme ist und sich in jedem Falle selbst seine Regel schafft. Er hat die Gabe, mit einem Minimum auszukommen, und je weniger er gelesen hat, um so mehr' muß er sich mit eigenem Denken be- helfen. Der schöpferisch« Kopf ohne zureichende Wissensgrund- lag« wird sich auf seine eigene Art durch die Denkergebnisse ver- gangener Perioden durcharbeiten: er wird originell sein, weil er ja von keinen Autoritäten und Denksystemen abhängt, ober auch unoriginell, weil er Resultate festhalten wird, von denen er nicht weiß, daß sie längst schon vorhanden sind. Er wird so das Glück genießen, daß die Welt durch sein Denken und Schaffen immer lichter wird, und es wird ihm- bittere Enttäuschung nicht erspart bleiben, wenn er erfährt, daß dieses Licht schon längst vor seinem Denken in der Welt war. Das ist nun einmal das Schicksal der Selbstdenker. Ist mein Freund, der junge Arbeiter, ein schöpferischer Mensch. wie es nach manchen Anzeichen zu hoffen ist, dann bedarf es kaum eines Bildungsplans. und wenn ihm genügend Zeit gelassen ist, sich ruhig zu entwickeln, ist alles getan. Denn der Begabte bildet sich, indem er sich entwickelt, und mag ihn auch jetzt das Bildungs- fieber noch so wild schütteln, mag er sich noch so tief in Bücher ver- graben— ein guter Instinkt wird ihn schon rechtzeitig vor der Ver- bildung bewahren. Arbetterkou�erte. Äonjert des Schndert-<�hors. I a scha H o r e n st e i« ist ja ein}Phr begabter Musiker und Dirigent, der sich auch als Orcheslcrleiter von Rang längst erwiesen hat. Aber ohne einer blöden Liedertoselci das Wort zu reden, möchre man ihm und seinem Schubert-Chor doch den Rat geben, in der Tiessinnigkeit seines Programms nicht bis an die äußerste Grenze zu gehen. Denn mit Ausnahme des„Rotgardisten, Marsches" und des„Gesangs der Hafenarbeiter"(bearbeitet von E r w i n L e n d v a i), die zu voller Mrkung gebracht wurden,
den modernen Industriestädten mehr und mehr verloren geht, und die sie sonst fast nur noch aus Büchern und Erzählungen kennen. Die Organisation des Lagers. die in der Hauptsache von unserer Kieler Kinderfreunde- und Ar- beiterwohlfahrtsgruppe geleistet wird, erfordert eine Unsumme Mühe und Arbeit. Große wetterfest«Zelte, die Sturm und Regen Trotz bieten, hat sich die Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinder- freunde in letzter Zeit beschafft, iind sie stehen bereits zur Der- fügung. Stroh und warme Decken für das Nachtlager müssen noch beschafft werden, damit die Kinder gut gebettet werden können. Der vorhandene Platz für das Lager muß für seinen Zweck vorbereitet und eingeteilt, die Unterbringung und Ordnung der Kinder muß vorbereitet werden,«in ausreichender Sanitäts-undGesund- heitsdienst muß zur Stelle sein, für Trinkwasser und Ka- nalisation, für Reinhaltung der Zelte und Straßen ist zu sorgen— kurzum auf tausend Dinge, und seien sie noch so nebensächlicher Natur, kommt es an, damit sich das Lagerleben äußerlich rcibungs- los vollzieht. Nicht zuletzt ist eine ausreichende und zweckmäßige Verpflegung der Kinder von größter Bedeutung. Die not» wendigen Kücheneinrichtungen und Eßgeräte müssen beschafft werden. Auch die Zusammenstellung der Gerichte wird nicht leicht sein, wen» man bedenkt, daß die Kinder aus ganz verschiedenen Gegenden kommen und infolgedessen an verschiedenartige Kost gewöhnt sind. Aber es wird alles getan werden, um es den Kindern an nichts fehlen zu lassen. Eine zweckmäßige Lagerordnung wird ge- wisse Grundsätze für das Leben im Lager aufstellen, auch die Zelt- einteilung vorschreiben, wobei neben den Mahlzeiten, Spie- len und Beschäftigungen auch genügend Ruhepausen vorgesehen sind. Die geistige Nahrung der Kinder wird ein« besondere Lagerbücherei liefern, außerdem sollen Film-, Lichtbild- und andere Veranstaltungen stattfinden. Verantwortliche erwachsene Leiter, Helfer und Helferinnen stehen selbstverständlich ausreichend zur Verfügung. Auf. je fünfzehn Kinder kommen ein bis zwei H e l s e r, die sich aber keineswegs als„Leiter" oder Aufsichtspersonen, sondern als Kamerad en der Kinder be- trachten. Denn das Lager soll eine Gemeinschaft der Kinder sein, sie sollen ihm Form, Inhalt und Leben geben. Nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung sollen die Kinder ihren eigenen Ordnungs- und Arbeitsdienst einrichten. Neben der Muße und dem Spiel werden ernste Pflichten und Aufgaben stehen. Von der erwachsenen Arbeiterschaft darf man erwarten, daß sie das Unternehmen in ideeller und auch finanzieller Hinsicht unterstützt. Von den Kindern wird, ein Tagessatz von 1 Mark erhoben, für den die volle Vcrpslegung gewährt wird. Aber auch dieser Betrag wird von manchen Eltern nicht aufgebracht werden können, zumal wenn es sich um Arbeitslose oder Kurzarbeiter handelt. Außerdem sind auch noch die Fahrgelder zu rechnen, die zwar ermäßigt sind, aber besonders für entfernter gelegene Gruppen erheblich ins Gewicht fallen. Die Arbeiterorganisationen sollten daher das Unternehmen durch Geldzuweisungen fördern, insbesondere in den einzelnen Orten, in denen Kindergruppen bestehen, durch Sammlungen und freiwillige Beiträge es vor allem den Kindern der Arbeitslosen ermöglichen, an dem Zeltlager teilzunehmen. Der Zweck dieses gemeinnützigen Un- ternehmens wird um so mehr erreicht werden, je mehr gerade die ärmsten und bedürftigsten Kinder daran teilnehmen können: denn wie hart trifft es die Kinderseele, wenn die Reise an die Ostsee mit Sehnsucht erträumt wird und dann unmöglich ist, weil die geringen Mittel hierfür nicht vorhanden sind.
lastete fast eine bleierne Schwere über dem ersten Teil des Kon- zertes. Die pessimistischen Untertöne dieser russischen Volksgcsange waren restlos da: es fehlte aber das feine, geheimnisvolle, mystische Flimmern in den Gegenstimmen, das bei russischen Chören wie ein beginnendes Morgenrot die düstere Nacht durchbricht. Die Grund- stimmung, auch in der Tongebung, war zu trocken und unfrei, um die Hörerschaft so recht zu überzeugen. Und der zweite der von Erwin Lendvai überaus kunstvoll revidierten Chöre� der aller- dings sehr schwere„An der Mutter Wolga", war in der Tonrein- heit und der Sicherheit der polyphonen Linie keineswegs tadellos. Die deutschen, meist neckischen und humorvollen Lieder dagegen wurden mit überlegener Meisterschaft hingelegt und von den Zu- Hörern mit stürmischem Jubel bedacht. Zu denken gab die Tatsache, daß auch ein so hochstehender Chor nicht mehr die Philharmonie zu füllen vermag. Schuld daran tragen natürlich das maßlos über- schätzte Radio, dos Kino und die schlecht« wirtschaftliche Lage. Sollte aber nicht noch ein vierter Grund im Hintergrunde lauern? Einige Männerchöre haben es in der letzten Zeit mit der Angliederung eines Jugend- oder Frauenchors versucht, durchweg mtt großem Glück. Abgesehen von der dadurch bedeutend erweiterten Propa- ganda wäre auch die Reichhaltigkeit und Farbigkeit der Vortrags- folge ohne die etwas gefährliche Ueberstreckung der Kraft gewähr- leistet. Je mehr dieser Gedanke in unserer Männerchorwclt sich durchringt, desto mehr norden jene zum Teil recht lächerlichen Feinde in die bescheidene Ecke gedrückt werden, wohin sie gehören. Der Solist des Abends, der ausgezeichnete Kontrabassist Lebe- recht Gödccke von den Philharmonikern, erircute die Hörer mit einigen erstaunlichen Eello-Jmitationen ä k Kussewigki. H. M.
„Die zeistige Versklavung durch das Konkordat." Ueber dieses Thema sprachen in einer öffentlichen Kundgebung auf Veranlassung der Vereinigung der Freunde von Religion und Dölkcrfrieden Bezirk Steglitz die Genossin Dr. W c g s ch c i d e r und der Genosse Pfarrer B l« i e r. Genossin Wegscheider behandelte mehr die politische Seite eines kommenden Konkordats. Sie führte u. o. aus, das ein Kon- kordot mit demokratischen Grundsätzen unvereinbar sei. Genosse Pfarrer Bleier unterstrich diese Ausführungen, indem er lebhaft bedauerte, daß so wenig der arbeitenden Bevölkerung der Ein- lodung zu dieser Kundgebung gefölgr sind. Die Teilnahmslosigkeit der Genossen, wenn sie auch Freidenker sind, wird sich bitter rächen. Es ist ein Trugschluß die Macht der Kirche zu unterschätzen: die Arbeiter bleiben uninteressiert, während die Gegner das Konkordat abschließen und somir die Schule der Kirche ausliefern. Der Leiter der Versammlung, Genosse Schönherr richtete ebenfalls einen Appell an die anwesenden Genossinen und Genossen den kulturellen Fragen mehr Beachtung zu schenken um dem Ansturm der Reaktion aus feistigem Gebiet abzuwehren.