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Nr. 216 44.Iahrgang Sonntag, S.Mal 1927

Da hat man in der Wochenendausstellung eine wunderschöne kleine Kolonie hingebaut, lauter Wochenendhäuser, eines immer schöner als das ander«. Und dasWocheneriddors" 'st sicher zum Clou der Ausstellung geworden, an den großen Be- suchstagen schieben sich die Menschen in dichtenSchlangen' durch die engen Räume, und immer wieder hört man Gesprächsfetzen, Zahlen und Vergleiche, die beweisen, wie die Idee des Häuschen» im eigenen Garten die Besucher beschäftigt. Aber dann, wenn alle Möglichkeiten durchdacht und abgewandelt sind, dann scheiden die meisten doch mit wehmütigem Abschiedsblick von dem blanken Wochenenddorf, und der bekümmerte Ausspruch des einen Besuchers: Eijentlich sollte hier über der janzen Kolonie eene Inschrift sind: Die meisten können's nicht'.' Die preise! Man soll eines nicht vergessen: DieWochenendhäuser' hier sollen ja kein Ersatz für die Stadtwohnung sein, sie sollen nur neben der Stadtwohnung das Wochenendquartier darstellen. Sie sind nicht als Dauerwohnungen gedacht, und so läuft die Aus- gäbe für das.Läuschen im Garten' noch neben der gewöhnlichen Wohnungsmiete. Nun sind die meisten Firmen frellich in der Zah- lunysweiseentgegenkommend", denn sie sind schon zu der Erkennt- nis bereit, daß heut die wenigsten Leute einige tausend Mark glatt auf den Tisch des Hauses legen können, und man kann also sein Wochenendhäuschen auchauf Teilstrecke' beziehen. Doch selbst diese Belastung wird für die meisten Arbeitnehmer zu schwer sein. Ganz zu schtveigsn von denWochenendpalästen', die 3000 bis 7000 Mark kosten, auch die kleinen, auf ganz einfache Bedürfnisse zugeschnittenen Häuschen sind für die Mehrzahl wohl unerschwinglich. Im allge- meinen wird ein viertel Anzahlung verlangt, der Rest ist dann, mit einer Verzinsung von etwa S?L Proz. in längstens Z4 Monatsraten zu tilgen. So ist eines der hübschesten kleinen Modelle, die Mischer- Hütte'(Std. 13), für 1725 Mark zu erwerben wirklich preiswert für den schmucken Bau mit großer Veranda. Die Anzahlung ist auch verhältnismäßig gering, 350 Mark, aber die 24 Monatsraten betragen inklusive Zinsen und Spesen je 67 Mark! Unerschwinglich für die Mehrzahl der Bewunderer--- Das im Vergleich zu dem überbauten Raum(von denMiniaturen" wird noch zu reden sein) billigste Wochenendhaus ist das der fUeingiirli,«verein«. Es kostet nur 1000 Mark und selbst hier beträgt, bei einer Anzahlung von 250 Mark, die einzelneTeilstrecke" 35 Mark, und neben der Wohnungsmiete sind selbst diese 35 Mark schwer genug zu er- schwingen--- Das sind, wie gesogt, die Neinsten brauch- baren Typen. Die anderen sind nicht unter etwa 3000 Mark zu haben, und sind somtt für fast alle ihre BewundererSchlösser, die im Monde liegen'.

Allerlei Häufer. Die Hauptkontingent der Häuser zerfällt in zwei große Gruppen: Holzhäuser und vetonhäuser. und jede Gruppe presst die Vorzüge ihres Systems. Sie sind ein- und doppelwandig ausgeführt, oft auch mit Isotherm, Torf, Tekton oder einer anderen Isolierung ver- sehen, um die Nachteile der geringen Wandstärke gegenüber dem Ziegelbau möglichst auszugleichen. Nur die billigsten Modelle sind einwandig ausgeführt. Neben diesenNormalbauten" aber stehen Bauweisen, die wir hier noch nicht gewohnt sind z. B. das Haus aus Pappe, das dieKapag" auf Stand 41 ausstellt. Das Bau- Material ist die sogenannteBaudoppelwelle', eine wasserfest und möglichst feuersicher imprägnierte Pappe, die nach einem besonderen Verfahren m der Längs- und in der Diagonalrichtung gewellt ist. DieBaudoppelwelle'platten werden einfach auf die Latten des Holzfachwerks genagelt, sie können sogar verputzt werden, und dann sieht niemand dem Hause mehr seinen eigenartigen Baustoff an. In Oesterreich ist dieBaudoppelwelle' schon seit zehn Iahren in Gebrauch, jetzt ist auch bei Weimar schon eine kleine Kolonie dieser Papphäuser' entstanden, wohlgemerkt: Dauerwohnungen, Ein- famllienhäuser, die sich allen düsteren Prophezeiungen der Nach- barschost zum Trotz gegen Feuer wie gegen Wasser famos gehalten haben. Dabei ist dasPapphaus' recht billig, denn auch das Wochenendhäuschen, das 40 Quadratmeter überbaute Fläche hat,

kostet 2000 Mark und ist so wohl das billigste in seiner Größe. Von der Pappe zum Stahl! Das Stahlhaus, das auf Stand 21 desWochenendhauses' aufgestellt ist, ist nun freilich erheblich teurer in der Anschafsung. 2900 Mark kostet das Haus, das 37 Quadrat- meter überbauter Grundfläche bedeckt, freilich wirkt es auch schon auf den, der die Einzelheiten des Materials nicht kennt, vielsolider", denn es hat Doppelfenster, und man fühlt sich in ihm einigermaßen zugsicher'. Es ist auch mehr als Kleinwohnhaus wie als Wochen- endhaus gedacht, frellich muß dann die innere Raumgestaltung noch einmal gründlichüberholt' werden, und da zwar Wände, aber keine Jnnentüren in dem Wochenendhaus vorgesehen sind, und man doch schließlich bei einem Dauerwohnhaus nicht immer mit offenen Tür- Nischen hausen will, kommen für Türen, Ofen, Maschine dann noch einige hundert Mark dazu. Das Haus ist eigentlich auch einFach- werkbau', denn die 3 Millimeter starken Stahlplatten der Außen- wände werden auf eine Eisenkonstruktion montiert, ober nicht aus­genietet oder angeschraubt, sondern sie werden, damit sie sich den Temperaturschwankungen anpassen können, durch eine besondere Konstruktion angeklemmt. Hinter der Stahlwand liegt eine Luft- schicht zur Isolierung, dann Tektondielen, und zuletzt werden die Innenwände verputzt. Die Außenwände sind mit Rostschutzfarbe und dann noch mit doppeltein Oelanstrich versehen. In England und Amerika ist diese Bauweise schon weit länger in Gebrauch, und sie soll sich dort durchaus bewährt haben, auch m Deutschland besteht in Beucha bei Leipzig jetzt schon eine Stahlhauskolonie, deren Häuser von den Siedlern aus Grund der guten Bewährung des von dem Vorsitzenden der Kolonie bewohnten Stahlhauses bestellt wurden. Der Preis dieser Siedlungshäuser ist mit 12 500 Mark ungefähr 3500 Mark billiger als der eines gleichartigen Steinhauses, natürlich find die Formen aber durchaus typisiert, und nur in der Innen- einteilung der Räume ist dem persönlichen Geschmack Spielraum gelassen. Dann ist da noch ein Wochenendhaus, das eigentlich aber gar keinHaus' ist, das ist das Hausboot, das auf einem kleineu Bassin verankert ist, einHaus", das nicht einmal gepachteten Gniaü und Boden braucht,.. Freilich ist das Boot selbst, das bedeutend weniger Rauni bietet als die beide» vorher geschilderten Hänser. auch keineswegs billig, denn es kostet 2850 Mark! Dafür hat es nur einen allseitig umbauten Wohnraum von 5,05 X 2,30 Meter, es ist also eines der kleinsten.Läufer" der Wochenendkolonie. Dazu kommt die außerordentlich geringe lichte Höhe der Räume, die nur 1,90 Meter beträgt und dabei sieht der Prospekt eine Velegschost von 6 Bewohnern vor! DerPalast" unter den Wochenendhäusern ist zweifellos dashaus Andreas", das die bayerischeHaus- und Hallenbaugesellschast" auf Stand 26 zeigt. Es hat 10,75 X 6,55 Meter Ausmaß und ist ein schöner solider Holzbau, aber-- aber-- es kostet auchnur" 7000 Mark, versteht sich ohne Möbel usw. Daneben wirken alle anderen Holzbauten fast billig, auch der preis- gekrönteKleine Ehristoph". ein vollkommen zerlegbares solides Holzhaus, das aber immerhin auch schon etwa 3000 Mark kostet!

Gif.

Das Weib, das den Mord beging. Zhf Roman von Fritz Reck-ZNalleczewen. Und zu gar nichts nützt dem Staatsanwalt Alexander Bruckner der Hinweis auf die Tatsache, daß sein Bruder Robby in eine eigentlich nicht standesgemäße Familie gehei- ratet, daß es sich somit, in den Jargon des Korps Neo-Borussia übersetzt, umein kleines Mädel" gehandelt habe... zu nichts nützt es ihm, zu gar nichts! Alles prallt ab an der Fest- stellung des alten Herrn, daß der Staatsanwalt Alexander Bruckner selbst ein Teil des Staates sei, daß auf ihm ein Teil der Autorität dieses Staates beruhe. Daß er, der alte Herr sich Mühe geben wolle, dieses Mal die Angelegenheit wieder einzurenken, daß es aber fern von Madrid , nämlich in Lyck in Ostpreußen unter dem vierundfünfzigsten Grad nördlicher Breite das größte Landgericht des Staates gäbe, wo der Herr Staatsanwalt den Bersuchungen der Großstadt nicht in dem gleichen unerwünschten Maße ausgesetzt sein werde... Da endet mit dem Dergrollen des Wintergewitters draußen auch diese Unterredung, und da verläßt denn der Schwager Lex als gebrochener Mann das Zimmer seines Vorgesetzten. Unaufhaltsam aber drehen fich in dieser Nacht neben den gut geölten der preußischen Rechtspflege die Räder der Ber - liner Rotationspressen. Weswegen die klein« Sif, die bei ihrem Verschwinden eine Angelegenheit von sieben Zeilen ge» welen war. nun zu einem dreispaltigen Artikel angewachsen ist, weswegen die illustrierten Blätter in der letzten Nacht bei der alten Aufwartefrau am Schlesischen Bahnhof sich ihr Bild besorgt haben: ja, sie werden gleich zu nennen sein, die Gründe für die Eintagsberühmtheit der Damen Sif Bruckner und Wilhelmine Grandjean. In dieser Nacht jedenfalls, in der die kleine Sif seltsam friedlich schläft, hat bei demkleinen Wütenden" ununter- krochen das Telephon geläutet: Daily Mail, Corriere della Sera , Wiener Journal... von den Korrespondenten der Wellblätter angefangen bis zu jenem des Reichsboten, dessen Lektüre bekanntlich Sündenvergebung und ungehinderten Eintritt ins Paradies gewährleistet: alle erbitten sie eine Unterredung mit dem Untersuchungsrichter über den Fall Bruckner. Und wenn man hineinschauen könnte in die Tele- phonkabinen des Exzelsiorhotels: man würde einen alten guten Äekannten dort finden, der noch um ein Uhr nachts Ort und Stunde der heutigen Vernehmung zu erfahren sucht... Und während an diesem kalten blau-goldenen Februar-

morgen Automobil auf Automobil vorfährt vor der Fassade des Moabiter Kriminalgerichts und Herren mit und ohne Bügelfalte und sitzungsfreie Reichstagsabgeordnete mit und ohne Tantiemenprozent« und berühmte Verteidiger mit allen Namen der großen und kleinen Propheten, da findet in dem sorgfältig abgesperrten Zimmer deskleinen Wütenden" un- mittelbar vor der Fortsetzung des Verhörs eine sehr ernsthafte und für das Schicksal der Gefangenen außerordentlich bedeu- tungsvolle Unterredung statt. Die aber, die sich eingefunden haben zu dieser Unter- redung, sind die gleichen Perfonen, mit denen sie begonnen hat. diese in der Strafrechtpflege nun ziemlich bekannte Ge- schichte der kleinen Sif: der Onkel Ministerialrat ist da, und wenn er auch heute keinen Hausordenzum Halse heraus" trägt, so weiß derkleine Wütende" doch durchaus, was er einem Zeugen dieser Stellung schuldig ist, und läßt ihm den sonst für prominente Sachverständige bestimmten Lutherstuhl hereintragen. Dann steht da noch der gestern vom Blitz ge- streifte und heute ein wenig blasse Schwager Lex, dann ist endlich als unwesentliches Anhängsel des Familienchefs sämt- licher Bruckners Robby erschienen. Und während in der Zelle Nr. 376 die kleine Sif von der Wärterin angefahren wird, weil sie ihre Bettdecke nicht richtig gefaltet hat, während sie mit Wasser ihr Haar zurechtstreicht und im Spiegel eine verhärmte... ach, eine um so viele Jahre gealterte Sif erblickt: da schlägt derkleine Wütende" mit der flachen Hand auf das gestern aufgenommene Protokoll und erklärt, daß er hier einfach vor einem Rätsel stünde, und daß er zwecks Rätsellöiung die Herren als nahe Verwandte noch einmal zu dieser Besprechung habe bitten- lassen, die er als gewissermaßen außeramtlich« Ergänzung ihrer schon fixierten Zeugenaussagen aufzufassen ersuche... Und wenn es auch nicht meine Mission sein kann, jetzt schon das denkleinen Wütenden" beschäftigende Rätsel zu lösen, so erklären doch, während Robby hoffnungslos in den Wintertag hinausstarrt, die übrigen Bruckners, daß eine Scheidungsklage längst«ingereicht sei: daß sie also die In- sinuation einer Verwandtschaft mit der kleinen Sif eigentlich zurückweisen müßten, daß sie aber im Sinne ihrer früheren Aussagen nochmals die, wohl auf hysterischer Basis zu suchende Fabuliersucht der kleinen Sif erwähnen müßten. Daß sie außerdem als kleines Kind vom Mädchen einmal fallen ge- lassen worden sei, und daß sie als Braut einmal nachweislich zehn Mohrenköpfe nacheinander verzehrt und in der Pots- damer Straße einmal einen Polizeileutnant mitSchutz- mann" angeredet habe... Da knurrt derkleine Wütende", daß diese Fabüliersucht dem Staate durch die Kosten des Rücktransports von Buenos Aires soundso viel hunderttausende Papiermart getostet habe,

zum Donnerwetter ja... Und dann bittet er die Herren, zunächst abzutreten, und ordnet an, daß die sonstigen, heute noch einmal geladenen Zeugen im Nebenzimmer bereitzu- halten seien. Und während draußen vor der Tür der Gang voll ist von Neugierigen und Journalisten und dienstfreien Referendaren, und während an Zelle 376 die telephonische Weisung ergeht, daß die Untersuchungsgefangene Bruckner vorzuführen sei, da sind es drei in dieser Sache schon vor Wochen vernommene Personen, die der Gerichtsdiener Palleske II unter dem Auf- gebot einer für diesen Ort ungewöhnlichen Geheimniskrämerei in das Nebenzimmer des Untersuchungsrichters eintreten läßt: wenn man von dem Gerichtsarzt Dr. Vonneilich absieht, so muß angesichts der zweiten Persönlichkeit an jene auf die Er- mordung der Witwe Grandjean folgende Nacht erinnert werden, in welcher Nacht die kleine Sif an den Tatort zurück- geschlichen ist und im Treppenhause sich in den Schatten ge- duckt hat vor einem Manne, der sie beinahe gestreift hat in ihrem Verstecke. Und wenn auch die Wichtigkeit dieses zweiten Zeugen, des damals mit der Erhebung des allerersten Tat- bestandes betraut gewesenen Kriminalkommissars Kerschlach nicht zu unterschätzen ist, so darf noch weniger unterschätzt werden die Wichtigkeit der dritten Person, die, gestützt auf irgendein ältliches Weiblein in Kapotthut, ins Nebenzimmer geleitet wird und von Schals und Schleiern verhüllt ist wie das Schicksal. Und vielleicht auch ein Stück Schicksal darstellt in dieser Stunde... Es ist eine merkwürdige und eigentlich erfreuliche Der- fassung, in der um die gleiche Minute die Untersuchungsge- fangene Bruckner aus ihrer Zelle über den von Neugierigen vollgestopften Gang ihrem Richter zugeführt wird. Zum ersten Male seit Monaten... ja, zum ersten Mole seit jenem Tage, an dem sie Hündchen Binky tötete, hat sie friedlich und tief geschlafen, und wenn sie in aller Frühe dieses bitterkalten Tages erwacht ist, so geschieht das doch in einem Frieden, der ihr unbekannt ist feit so langer, langer Zeit. Da­liegend und ein wenig klappernd vor Frost in der Stille ihres Gefängnisses sieht sie an diesem Morgen ihr Leben mit einer fast graphisch darstellbaren Klarheit vor sich: hier ist ein großes tiefes Loch im Leben, das ist die Schuld. Hier aber ist dafür ein großer, großer Berg, das ist die Strafe und das Leiden. Berg wälzt sich über den Abgrund, füllt ihn aus. Da ist alles gut. Und wenn man noch ein gutes Wort hört aus Klein-Robbys Munde, dann wird die Strafe nicht gar so schlimm, dann wird alles, alles erträglich sein. Und darauf allein kommt es jetzt an, daß man wahrhaft ist und sauber und einen großen Berg von Buße sich aufbaut... ja, sieh, kleine Sif, alles wird noch gut werden... (Fortsetzung folgt.)