Tic. 216 ♦ 44. Jahrgang
3. Heilage ües vorwärts
Sonntag, S. Mai 1927
Gens, 6. Mai 1927. Die Tatsache der Abhaltung der Weöwirtschaftskunferenz bedeutet zwiefach eine Uebernahme von sozialistischen Gedankengängen durch die nichtsozialistische Welt. Erstens wird durch die Einbe- rufung dieser Konferenz durch den Völkerbund die Auffassung von der überragenden Bedeutung wirtschaftlicher Interessengegensätze für die Entfesselung von Kriegen anerkannt. Die Betonung dieses Fak- tors, als Wurzel der nach auhen oft verschleiert in Erscheinung tretenden nationalen Gegensätze, galt früher als eine Besonderheit der materialistischen Geschichtsauffassung der Sozialisten; heute hat sich die offizielle Welt diese Auffassung zu eigen gemacht. Zweitens wird durch den Zusammentritt der Weltwirtschaftskonferenz die Er. kenntnis zum Ausdruck gebracht, daß die fortschreitende Entwicklung von der Nationalwirtschaft zur Weltwirtschaft die Völker zu über- staatlichen Ordnungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeft zwingt. Seit das Losungswort„Proletarier aller Länder vereinigt Euch"' von Marx und Engels in die Welt gerufen wurde, ist für die So- zialiften die Ueberzeugung, daß der Weg zu einer besseren Gesell- fchaftsordnung nur über die internationale Solidarität der Arbeiter- klasse und mit deren Hilfe über die internationale Zusammenarbeit der Völker führt, Gemeingut. Wenn heute die Notwendigkeit wirt- schaftlicher Zusammenarbeit der Völker einen offiziellen Ausdruck findet, so dürfen wir dies als einen Fortschritt buchen. Wenn hier ein erster Versuch gemacht wird, auf diesem Gebiet ein Stückchen internationales Leben zu verwirklichen, so werden wir daran keine Illusionen knüpfen; aber die Arbefterschaft hat die Pflicht, nach Kräften an dieser Verwirklichung mitzuarbeiten, sie in ihrem Sinne zu beeinflussen, und sie hat dos Recht, die ihm gebührende Berück- fichtigung zu fordern, einmal, um ihrer Rolle als Träger der Wirt- fchaft willen, und zum zweiten, weil gerade sie die wirklichen Vor- kämpfer einer künstigen Weltwirts chaftsordnun? stellt, für die der Internationalismus kein opportunistisches Lippenbekenntnis, sondern weltanschaulich tief oerankerte Willenssache ist. * Eon findet die Idee der Weltwirtschaftskonferenz die Zuftim- mung der Sozialisten. Wie aber steht es mit der Praxis dieser Konferenz? Sie ist beherrscht von den Vertretern des kapitalistischen Unternehmertums und den Vertretern mehr oder minder reaktiv- närer Regierungen. Unter rund 149 Delegierten finden wir 18 Der- treter von Arbeiterorganisationen. Wenn wir die Schar der Sach- verständigen hinzurechnen, wird der Anteil der Vertreter sozialisti- scher Ideen noch geringer. Wie aber stehf e6 mit dem Internationalismus der Mehrheit der Delegierten? Sehr schwach. Die meisten Delegierten sind beherrscht von dem Wunsch, nationale Interessen auf einer internationalen Tribüne zu vertreten. Ihr Internationalismus qt ein Mittel für nationale Zwecke, aber er beruht nicht auf der Ueberzeugung, daß Internationalismus Selbstzweck, daß er der Weg zur Wohlfahrt der Nationen ist. Dieser Internationalismus ist keine Herzenssache,, sondern eine politische Methode oder auch nur eine gesellschaftliche Angelegenheit. Nur die kleine Schar der Arbeiterdelegierten repräsentiert stärkeren internationalen Willen. Zwar stehen auch die Gewerkschaftsführer in starken nationalen Bindungen, auch sie sind Vertreter ihrer Länder, verknüpft mit den Delegierten der anderen Kreise ihrer Nationalität, aber sie stehen doch zugleich in dem Verband einer Gesinnungsgemeinschaft, die quer durch die Nationen geht, sie sind die Glieder der Arbeiterinter- nationale. Diese Besonderheit der Stellung unserer Genossen auf dem internationalen Boden ist vor allem durch die gemeinsame Vor- konferenz der Sozialistischen Arbeiter-Inter - nationale und des Internationalen Gewerkschafts- b u n d e s am 2. Mai in Genf zum Ausdruck gekommen. Nach einer verhältnismäßig kurzen Aussprache, auf der einige Meinungsver- schiedenheiten mehr taktischer als prinzipieller Art geklärt wurden, wurde die Erklärung oeröfsentlicht, die von vornherein die Arbeiter- delegierten der verschiedenen Länder als eine Kruppe mit Gnheit- lichem Willen in Erscheinung treten ließ. Eine Gruppe, die nicht bei schönen Worten stehen bleiben will, sondern die zu Taten drängt. Sie will nicht dulden, daß man in Genf freihändlerisch redet und in Berlin , Paris , Warschau , London , Bern oder wo sonst immer protektionistisch handelt. Sie will, daß die internationale Sozial- Politik als Grundlage internationaler Wirtschaftspolitik anerkannt wird. Sie will, daß die internationalen Kartelle und Trusts des Großkapitals einer internationalen Kontrolle der Völker zum Schutz der Arbeiter und Verbraucher unterworfen werden. Sie will, daß dem Schauspiel der Weltwirtschatfskonserenz ernste Arbeit in einem ständigen Wirtschaftsorgan beim Völkerbund mit paritätischer Beteiligung der Arbeiterschaft folgen soll. Diesen Willen, dessen Einheit die Vorkonferenz zum Ausdruck brachte, auf der Welt-
wirtfchaftskonferenz mit Nachdruck allen anders gerichteten Inter - essen gegenüber zum Ausdruck zu bringen, das wird die Ausgabe der Genossen in allen Kommissionen und in allen Genfer Verhandlungen sein und sie werden sich in der energischen Vertretung der Richtlinien der Internationale durch keine nationalen Sonderbeziehungen hemmen lassen dürfen. * Von Mittwoch bis Sonnabend dauert die Generaldebatte, dann sollen die Kommissionen vierzehn Tage arbeiten, und erst nachher wird sich zeigen, ob dieser erste Anfang die Mühe lohnte. Was man bisher an Reden hörte, verdient die Bezeichnung Debatte nicht. Im wesentlichen trägt jeder Redner sein Sprüchlein unabhängig vom anderen vor. Man hört ein Sammelsurium von allgemeinen Redensarten, von nationalen Gesichtspunkten, von Unternehmer- Plädoyers und dazwischen vereinzelt die Stimmen der Arbeiterschaft. Es ist für den Geist der Kreise, die die Konferenz dirigieren, kenn- zeichnend, daß man den Reigen der Redner durch den schwedischen Delegierten Professor Cassel eröffnen ließ. Man kannte aus seinen Aufsätzen und aus seiner Rede auf der Berliner Maschinen- bautagung seine gewerkfchastsfeindliche Pointe. Cassel hat hier etwas vorsichtiger als in Berlin dosiert, er hat etwas mehr die„öko- nomische Abrüstung", den Kampf gegen Protektionismus und Mo- nopole in den Vordergrund gerückt, aber schließlich endet« er doch wieder mit der Begründung des allen Manchestermannes bei dem Rufe nach Lohndruck und Kampf gegen die Gewerkschaften, als dem Heilmittel gegen die Arbeitslosigkeit. Don der sozialen Bedeutung des Lohnniveaus hat Cassel ebensowenig zu sogen, wie er ohne Ahnung ist von dem Zusammenhang zwischen Lohndruck und Erhal- tung rückständiger Betriebe. Er weiß nichts von den amerikanischen Erfolgen der Selbstkostensenkung bei hohen Löhnen. Seine sehr theoretischen Ausführungen machten wenig Eindruck. Zwar gaben sie einigen Unternehmervertretern wie dem deutschen Redner Herrn von Siemens und dem Holländer Zimmermann das Stich- wort für wettere Angriffe auf die Sozialpolitik, aber im allgemeinen herrschte doch Erstaunen darüber, mit welcher Unbekümmertheit der alle schwedische Gelehrte, dessen Verdienste nur auf dem Gebiete der Währungstheorie liegen, Gedankengänge vortrug, die fett sechzig bis siebzig Jahren wissenschaftlich überwunden sind, und wie wenig er von der Entwicklung des Kopttalismus der freien Konkurrenz zum Kapitalismus der organisierten Gruppen in feiner Gelehrtenstube verspürt hat. Herr v. Siemens kam handelspolitisch über ein einerseits- andererseits kaum hinaus. Als Exportindustrieller sieht er die Not- wendigkeit der Abtragung von Zollbarrieren, aber mit einem Hinweis auf die Wichtigkeit des inneren Marktes läßt er auch dem agrarischen Hochschutzzöllnertum ein Türchen offen. Er singt das hohe Lied des Individualismus und benutzt die Genfer Tribüne zu offenem Angriff auf die Polttik des Reichsarbettsministers in bezug auf Regullerung des Arbettsmarktes, Tarifverbindlichkett und Mietenzwangswirtschaft. Arm in Arm mit Cassel sieht er in den angeblich so hohen Löhnen die Quelle alles Uebels; von monopolttifch so hoch geschraubten Unter- nehmergewinnen weiß er gut zu schweigen. Daß eine Wetterbildung der Wirtschaftsform eine ernsthafte und verantwortungsvolle Aufgabe fei, anerkennt Herr v. Siemens; aber keine Experimente, Vorsicht und noch einmal Vorsicht, das ist die Formel, mit der man das Bekenntnis zur Umbildung der Wirtschaftsform praktisch harmlos macht. Ein deutscher Unternehmer, nicht der Vertreter Deutschlands hat gesprochen! Handelspolitisch fanden der englische Präsident der inter - nationalen Handelskammer, R u n c i m a n, und der Schweizer Bankdirektor Dubais einge wirksame Formulierungen. Sie be- Witten vor allem das wirtschaftliche Bedürfnis nach lang- f r i st i g e n Handelsverträgen, die allein die Grundlage für den Aufbau langfristiger Geschäftsbeziehungen bilden können und Dubais ließ es an einigen deutlichen Hinweisen aus den verhängnisvollen Hochprotektionismus des neuen französischen Zolltarifs nicht fehlen. Unsere österreichische Genossin Freundlich vertrat eindrucksvoll den Standpunkt der organisierten Verbraucher und begründete vor allem die Forderung nach wirksamer Kontrolle der indu- striellen Kartelle und Truste auf nationaler und inter - nationaler Basis. Der Genosse Iouhaux, der Führer der fran- zösifchen Gewerkschaften, legte im Namen der gesamten Arbeiter- gruppe deren Willen zur internationalen Zusammenarbeit dar, er kennzeichnete die reaktionären Lohndruckbesttebungen gewisser Unter- nehmerkreis« mtt wissenschaftlicher Assistenz als eine Hemmung der Krisenüberwindung und gab schließlich den Wunsch, zu praktischer Arbeit zu gelangen, durch einen Antrag auf Einsetzung eines permamenten Wirtschaftsrates beim Völkerbund und
auf Abhallung regelmäßiger Konferenzen Ausdruck. Auf die Zu» sammenarbell des Wirtschaftsrates mit dem Internationalen Ar- b e i t s a m t wird in diesem Anttag besonderer Wert gelegt. » Viele andere Redner sprachen noch von allgemeinen und be- sonderen Dingen. Die Langeweile herrschte vor und das Auftreten der russischen Delegierten wird nicht um der Sache, aber um der erhofften Wwechskung willen für den letzten Diskussionstag mit einer gewissen Spannung erwartet. Nach dem Geiste dieser General- ausspräche wird man auch den Kommissionsarbeiten nur mit großer Skepsis entgegensehen können. Der einzige Kamps, der bei diesem mäßigen Auftakt einer internationalen Zusammenarbeft ausge- fochten werden dürfte, wird der Kampf um. das Organ für die praktische Fortführung von Einzelarbeiten sein. Starke Kräfte scheinen hier am Werk zu sein, die nichts Bestimmtes beschließen wollen, um praktisch den Schwerpunkt der Fortführung nach der internationalen Handelstam- m o r, der reinen Unternehmerorganisation, zu verlegen. Gegen die Tendenzen zur Ausschaltung des Bölkerbundes und im befände- ren zur Zurückdrängung der Vertreter der Arbe'tterschaft auf eine Statistenrolle werden unsere Genossen mit aller Kraft zu kämpfen haben. Die„Wirtschaft", das sind nicht die Unternehmer, so wenig internattonal, wie in jedem Lande. Die Arbeiterschaft wird sich dagegen wehren, Objekt oder Zuschauer bei internationalen Verein- barungen zu sein, sie beansprucht gleichberechtigte Mitwirkung und sie wird sich von einer Organisation, die diesen Anspruch nicht erfüllt, besser fernhalten, als ihr den falschen Anschein eines demokratischen Aufbaus zu verleihen. Don einem Jnternationalis- mus, der nur bestimmte Interessen vertritt, der aber die Massen der Völker, die Vorkämpfer eines wirklichen Internationalismus bei- feite drängt, wäre weder für den Wellfrieden, noch für den Wohl- stand der Völker etwas zu erwarten. Das muß nach dem Auftakt der Weltwirtschaftskonferenz gerade von denen, die ihrer Idee huldigen und die zur Verwirklichung drängen, unzweideuttg aus» gesprochen werden. Abschluß öer Justizöebatte. Der Etat vom Landtag bewilligt. Im wetteren Verlauf der gestrigen Landtagsaussproche über den Justizetat beschwerte sich Abg. Allcgoer(Z.) über die Schädigung des Gewerbes durch Gefängnisarbeit und fordert Be» schäftigung der Strafgefangenen in landwirtschaftlichen Betrieben. Abg. Dr. Falk(Dem.) führt die Vertrauenskrise der Justiz auf den schlechten Geist der Universitäten zurück. Im Rheinland käme politischer Mißbrauch des Richteramtes infolge der allen Kultur nicht vor. Den sozialdemokratischen An- trag aus direkten Einfluß des Ministeriums auf die Bestellung der Strafkammervorsttzenden lehnten die Demokraten mtt Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Richter ab. Unaufschiebbar sei die Reform des Ehe- und Ehescheidungsrechtes.(Sehr wahr!) Abg. Dr. Rosenfeld(Soz.): Wie Herr Dr. Falk in unserem Antrag eine Gefährdung der Un- abhängigkeit der Gerichte erblicken kann, ist mir unverständlich. Schon jetzt bedarf die Bestellung von Untersuchungsrichtern, De» auftragten in Gnadensachen und Schwurgerichtsoorsitzenden der Genehmigung des Justizministeriums. Wir fordern nichts weiter als die Ausdehnung dieses Gedankens auf die Strafkammer» Vorsitzenden, die im Mittelpunkt der Krittk stehen. Warum soll die Justizverwallung nicht oerhindern können, daß der Land- gerichtsrat D o b r i n g noch heute Strafrichter sst?(Sehr gut! bei den Soz.) Gegenüber dem Abg. Altegoer muß festgestellt werden, daß man unmöglich olle Gefangene landwirtschaftlich beschäftigen kann. Entscheidend darf nicht die Konkurrenzsurcht eines Standes fein, sondern welche Arbeit am messten zur Besserung des Gefangenen beitragen kann.(Sehr gut! links.) Tütenkleben erreicht jedenfalls den Besserungszweck am schlechtesten.(Sehr wahr! links.) Man muß die Gefangenen so beschästigen, daß ihnen nachher der Lebens- kämpf erleichtert wird. Auch müssen die Arbeitserträge im Interesse der Gefangenen sowie des Staates gesteigert weichen: Da, zu müssen die zueinander passenden Gefangenen durch den ganzen Staat hin- durch zweckmäßig zusammengelegt werden. Jedenfalls können wir den Anschauungen des Abg. Altegoer nur schärfsten Widerspruch entgegensetzen.(Beifall bei den Soz.) Ministerialrat Hasse: Ich muß bestätigen, daß der Zentrums- a n t r a g zur Frage der Gefangenenarbeit unmöglich und extrem rückschrittlich sst. Er schlägt allem ins Gesicht, was die Gefängnissachverständigen des Zentrums seit Iahren gefordert hoben. Wir würden den Zentrumsantrag auch dann nicht durch- führen können, wenn er angenommen würde. Wir müssen die Arbeitseinrichtungen der Strafanstalten auch maschinell modernisieren. Im übrigen hoffen wir mit dem neuen Strafvollzugsgesetz einen großen Schritt zur Humanität vorwärts zu tun.(Bravo links.) Abg. llüdicke(Dnat.) bespricht Beamtenwünsche. Damit schließt die Debatte. Der Iustizetat wird in der Einzel- beratung bewilligt. Die Abstimmungen finden am nächsten Donners- tag statt. Nächste Sitzung Montag, den 9. Mai. Tagesordnung: Zwetts Lesung des Etats für Handel und Gewerbe.
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