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Sonntag S.Mai 1927

Unterhaltung unö AAssen

Seilage ües vorwärts

Mann unS Zrau im öoot. Vo« Lola Landau . Sie hielt mit dem Rudern plötzlich inne und blickte zu ihrem Manne hinüber. Eine glitzernd« Kette von Tropfen hing an den schmalen Hölzern, und mit fast schmerzlicher Spannung beobachtete der Mann, wie sie zitterten� sich zu schweren Kügelchen ballten und mit leisem Tönen hilflos aus das Wasser aufsprangen. Der See mit dm dunklen und hellen Streifen der Wellen lag in großer Unruhe. aber von dem blaßblauen, wolkenlosen Himmel strömte eine unend- liche Stille, und neben dem Boot unter dem Wasser trieben die Spiegelbilder der großen Bäume mit, in einem verschollenen Grün und in ihrem Schwanken wie von lautlosen Träumen geschüttelt. Die verwunschene Landschaft hatte auch die Menschen im Boot stumm gemacht. Schweigend zog die Frau die Ruder wieder an, während sie ihr« schlanken Füße in den braunen Sandalen kräftig von sich stemmte. Ihre festen gebräunten Hände freuten sich ihrer Gewalt über das Boot, das immer schneller hinglitt; ober in ihrem Gesicht, das wohl in seiner feste, Klarheit den Händen glich, wieder. holte sich diese kindliche Freude nicht, und obwohl sie schwieg, schienen sich hinter ihren Lippen unaufhörlich hartnäckige Worte zu bilden. Auch der Mann am Steuer sprach nicht: aber er schwieg wie einer, der von Worten zu Tode erschöpft ist. Er lag fast reglos, den Kopf auf den einen gebogenen Arm wie auf ein Kissen gestützt und sah aus halb geschlossenen Augen auf das Wasser. �oß das Boot treiben,' sag>e er plötzlich..Es ist so schön. ohne Ziel zu gleiten.' Die Frau ruderte heftiger, und es sah aus, als rissen sie die Bewegungen des Ruderns zu dem Manne hin und schleuderten sie im nächsten Augenblick wieder von ihm zurück. Warum treiben?' sagte sie zwischen zwei Stößen.Wollten wir nicht die Insel erreichen?' Ich will gar nichts,' rief der Mann.Ich bin der Stadt für kurze Zeit entronnen, um alles abzuoerfen. um endlich einmal ohne den Zwang der Stunde und die Kralle der Pflicht zu leben. Du aber kannst nicht leben ohne festes Gerüst. Du zirkelst den Tag ab, du stellst Ziele auf. Du hackst Holz aus dem lebendigen Tage!' Die Frau hob die Ruder mit einem Ruck so hoch aus dem Wasser, daß sie wie steile Lanzen in die Luft ragten.Du bist schwächlich an Körper und Seele. Du begreifft nicht die Lebensfreude, die in heftiger Bewegung liegt. Daß wir um auch hier nicht einmal be- greifen können!' Meine Lebensfreude ist nur von einer anderen Art,' sagt« der Mann, indem er sich aus seiner liegendm Stellung aufrichtete und die glänzenden Augen groß öffnete.Ich lasse mich, was du mir als Untreue vorwirfst, von einer neuen Landschaft, von neuen Menschen vollkommen aufsaugen. Ich lasse mich verbrennen bis auf das Skelett, und doch tauche ich verjüngt als anderer Mensch aus dem Erlebnis auf. Du aber bleibst immer dieselbe, dieselbe in deinem blauen Zimmer, dessen Farbe sich niemals ändert, dieselbe hier, un- erschüttert unter dem erschütternden Himmel Wollen wir die Insel erreichen?' schrie er plötzlich so laut, daß seine Stimme donnernd über den See rollt«.Nein, unsere gemeinsame Insel werden wir nie erreichen, es sei denn, sie käme selber zu ms herangeschwommen.' Das Boot war inzwischen an das Ufer getrieben worden. Aech- zend sanken die spitzen Halme des Schilfes, als der Kahn einen Weg hineinschnitt. Böses Zischeln brach aus kern grünen Labyrinth, in dem sie wie in einem dichten Netz gefangen lagen. Leise klang die Stimme der Frau, als sie sich vorbeugte.Ms wir die Stadt verließen, hatten wir nicht beide den Wunsch, uns hier wieder zu finden?' Der Mann schloß die Augen, als könnte er die Frau hinter den geschlossenen Lidern klarer sehen.Ich glaubte daran. Ich ent» behrte deine verwrene Leidenschaft. Aber ich sehnte mich furcht- barer nach meiner eigenen Liebe zu dir zurück. Ich dachte, von dieser Landschaft müßte sie wie ein Wunder auf uns herabkommen.' Laß mich aussteigen! Laß mich fortfahren für immer!' sagte die Frau und machte eine Bewegung, als wollte sie an das Land springen. Aber der Mann hielt sie mit seinem eigentümlich giän- zenden Blick zurück, und seit Iahren geübt, las sie alle seine Ge- danken aus diesem glitzernden Spiegel ab. Du denkst, wir kehren wieder zueinander zurück, weil wir uns schon zweimal vergeblich getrennt haben. Aber was bindet uns denn? Gemeinsame Sorgen, gemeinsamer Kummer! Die Freuden des Lebens trennen uns nur. Dies ist der trübe Rest, den man Ehe nennt. Rein, ich begnüge mich niemals!' Sie stieß die Ruder von sich, daß sie polternd auf den Boden fielen. In diesem Augenblick erscholl wunderbarer Gesang von einem unsichtbaren Boot, das vor der Schilfbucht an ihnen vorüber fuhr. Es klang, als ob aus dem See selber die leidenschaftliche trunken« . Melodie hochstteg und aus unterirdischen Strudeln über das Wasser brauste. Der Mann stand im Boote auf, klein gegen das hohe Schilf, das sein Haar streift«. Leicht schwankte er, als er über die Bretter des Kahnes zu seiner Frau hinüberging. Schweigend setzte er sich neben sie und lehnte seinen Kopf gegen ihre Stirn. So lausch- ten sie unbeweglich dem Gesang, der in wilden Schauern einer Liebesklage die Luft aufwühlle, der herrlichen Unruhe einer Seele über dem schwarz und Silber gefleckten See, und in Erinnerungen zurückgerissen fühlten sie beide das große Gespenst ihrer eigenen Liebe an ihnen vorüber streichen. Allmählich oerhallte der Gesang, leise zerrann er in dem seidigen Wispern des Schilfes. Aber die beiden Menschen im Boot blieben noch lange reglos, die Köpf« lauschend aneinander gelegt. So ruhten sie, Mann und Frau, in flüchttge Träum« gerettet, wie müde Schläfer in einem Sarge._ Ein Jubiläum öes Schreckens. Aus den Zestungen wollen die Nachrichten über Nawr- k-tastrophen nicht mehr verschwinden: ein elementares Ereignis löst in letzter Zell das andere ab. Die verschiedenen Erdbeben, von denen Japan heimgesucht worden ist, die Tornados, die über Amerika dahinrasen, und zuletzt die furchtbar« Ueberschwemmung im Strom- gebiet des Mississippi lassen des Zeitungslescr fast die Meinung auf- kommen, als sei gerade die Gegenwart besonders reich an solchen Katastrophen, die' menschlicher Gegenwehr zu spotten scheinen und im Siegeozug der eMfessellen Elemente ungeheure Opfer an Leben und Wohlstand fordern. Wir sind durch die Häufung solcher Er- «ignisse abgestumpft, s» daß wir kaum noch verhältnismäßig nahe zurückliegender Katastrophen gedenken, die, wie etwa der furchtbare Ausbruch des Bulkans Mont Pelee auf der Antilleninsel St. Mar- sinique vor 25 Jahren, das Entsetzen der ganzen Welt erregt haben. In diesen Tagen ist gerade ein Vierteljahrhundert vergangen, seil die Eruption des Moni Pelee erfolgt«, der ein« ganze Stadt unter

DieEroberimg" Serlins am S. Mai.

Mr grüßen Sk, verehrter Don Quichotte Seldte! Heul' treten Sie auf Wilhelms Schloßplatz an. Doch wer wie Sie sich höchste Ziele stellte, Der muß auch zeigen, daß er etwas kann. Sie haben viel geprahlt und viel gemeckert von wegen der verseuchten Reichshauptstadt. Mit Ruhm indessen sind Sie nicht bekleckert, well Ihre Weisheit eine Lücke hat. Ganz sicher schmerzt Sie die Erkenntnis tödlich, Die selbst Ihr Unverstand vielleicht entdeckt: wir sind hier nämlich leider ziemlich rötlich, Doch schwarzweißrötlich sind wir nicht besteckt!

Sie wollten nnsern Wasserkopf besiegeu, Erobern' wollten Sie dies Groß-Berlki! Da Zhre Kerls nicht mal Quartiere kriegen. So müssen schleunigst Sie von dannen ziehn! Sie sprachen von Berlins berohten Beesen Und dünkten sich ein großes Kirchenlicht. Ein solches sind Sie diesmal nicht gewesen: Uns imponieren Flegeleien nicht! Zwar dürfen Sie hier gern mal demonstrieren, Selbst Ihrem Stahlhelm wird das nicht verwehrt. Doch dann sagt Berolina:Abmarschieren! Kommando: weggetreten! Linksum kehrt!'

seinen Trümmern begrub und 30 000 Menschen als Opfer forderte, eine Zahl, die selbst für unsere durch die Erlebnisse der letzten dreizehn Jahre reichlich hochgeschraubten Begriffe ungeheuer anmutet. Die Insel Martinique nimmt im Kranz der Kleinen Antillen eine hervorragende Stellung ein. Sie ist, nächst Guadeloupe, die wichtigste Besitzung der Franzosen in Westindien und hatte, ob- gleich sie nur 988 Quadratkilometer groß ist, schon im Jahre 1888 mehr als 175 000 Einwohner, darunter 10 000 Weiße. Von der Oberfläche der Insel ist mehr als ein Drittel bebaut, ein anderes Drittel wird von Wald und Weide eingenommen, so daß nahezu 70 Proz. des Bodens nutzbar« Fläche darstellen. Die Haupt- beschäftigung der Einwohner ist die Zuckerrohrkultur. Außerdem werden Kaffee, Kakao, Baumwolle, Tabak, karibischer Kohl und Getreide gebaut. Die eigentliche Hauptstadt der Insel ist Fort J)e France ; den Mittelpunkt des Handels bildet jedoch St. Pierre. Dies« Stadt, die durch die erwähnte Katastrophe vollständig zerstört wurde, war im Jahre 1665 gegründet worden und zählte über 30 000 Ein- wohner. Mitten durch die Insel ziehen sich ein hohes Felsengebirge, aus dem sich trachytische Vulkane erheben, die dreigipfligen Pitons du Carbet, 1207 Meter, und der Mont Pelee , 1350 Meter hoch. Seinen Krater füllte bis zum Ausbruch der Katastrophe ein kleiner See. Einst erhob sich in jener Gegend, wo heute die Wellen des Atlan- tischen Ozeans und des Karibischen Meeres die Küsten der Antillen bespülen, ein mächtiges Gebirge, das sowohl mit Süd- wie mit Mittelamerita in Verbindung stand. Allmählich senkten sich seine Fundamente in die Tiefe und es trennte sich vom Festland. Seine Hochebenen und Spitzen blieben als Inseln über dem Meeresspiegel stehen: Kuba , Jamaika , Hatti, Portorico , St. Thomas und die im Süden gelegenen Inseln, wie �Curacao , zeigen dieselbe Zusammen­setzung wie die Gebirge des Festlandes. Auf dem geschwungenen Boden aber, den die Kleinen Antillen von Portorico bis Venezuela bilden, war die Senkung am tiefsten. Das alte Land verschwand hier völlig in der Tiefe, und auf dieser gewaltigen Druckspalte ent- faltete sich eine heftige vulkanische Tätigkeit. Die Feuerberge türmten neues Land auf, bildeten die Kette der Inseln, die mit St. Christopher im Norden beginnt und mit Grenada im Süden endete. Alle diese Inseln sind vulkanischen Ursprungs; ihre Bergspitzen, sowohl die kegelförmigen Pttons wie die sich sanft abdachenden Mornes, sind erloschene oder doch noch tätige Feuerberge. Alle dies« Inseln zeichnen sich durch große Fruchtbarkeit aus, die tropischen Gewächse gedeihen üppig auf dem zersetzten Lavaboden, aber es ist hier nicht gut wohnen, denn gerade dieser Landstrich ist dem Toben der Elemente ausgesetzt wie wenige auf Erden. Die Feuerberge sind, in erdgeschicht- lichem Sinne gesprochen, junge Vulkane, und jeden Augenblick können e, selbst nach jahrhundertelanger Ruhevause, in Tätigkeit treten. ußerdem aber haben heftige Erdbeben hier schon wiederholt großen Schaden angerichtet. Schon seit den ersten Tagen der Besiedlung Martinique wurde 1635 besiedelt haben widrige Naturereignisse, Erdbeben, Springfluten, Stürme und Vulkanausbrüche, die Insel heimgesucht. Ihre Annale« vermelden immer wieder folgenschwere Katastrophen; zum vorletzten Male wurde der Mont Pelee im Jahre 1857 unruhig, aber seitdem blieb er eine ganze Weile still. Um so plötzlicher kam über die Einwohner der Insel das Unglück. Schon in den ersten Tagen des April 1902 begann der Krater Rauch auszustoßen. Zu- nächst schien die Bevölkerung darüber keineswegs beunruhigt: erst in der Nacht vom 2. zum 3. Mai schien der Ausbruch heftiger ge» wovden zu sein; große Mengen Asche wurden ans die benachbarten

Felder geschleudert und die Bewohner einiger Ortschaften mußten in die Vorstädte von St. Pierre flüchten. Am Morgen des 5. Mai brach eine Flut Wasser und Schlamm aus dem schlafenden Kratersee, stürzte die Abhänge hinunter und ergoß sich ins Tal der Riviere Blanche. Zwei Zuckerfabriken wurden fortgeschwemmt, die darin arbeitenden Leute überrascht und getötet. Die Schlammasse, die die Gebäude dieser Fabriken bedeckte, war 1000 Meter lang, 200 Meter breit und 10 Meter hoch. Ihr Einströmen ins Meer hatte eine starke Flutbewegung zur Folge, die in St. Pierre eine furchtbare Panik hervorrief. In der Nacht vom 6. zum 7. Mai wütete ein furchtbares Gewitter im Norden der Insel, bei dem alle Bäche aus ihren Ufern traten und mehrere Ortschaften geräumt werden mußten. Währenddessen entstiegen schwor, z« Rauchsäulen dem Vulkan. In angstvoller Stimmung harrte die Bevölkerung des Kommenden, immer noch in der Hoffnung, das Schlimmste werde ihr erspart bleiben. Die Hoffnung war trügerisch. Am 8. Mai, dem Christi Himmelfahrtstag , wurde in den frühen Morgenstunden die unglück- liche Stadt von einer entsetzlichen Katastrophe heimgesucht. Donnerähnliches Grollen drang wie ein unheimlicher Trommel- wirbel stärker und immer betäubender aus dem Innern des Berges; den schwarzen Himmel durchfurchten grelle Blitze, ein blutroter Feuerschein entstieg dem Krater und beleuchtete das dem Untergang geweihte Land. Dann wurde es finstere Nacht. Heiße Asche ent- stieg dem Berg und tötete auf Meilen alles blühende Leben. Dann strömte die Lavamasse aus dem Krater, schlug mit schwindelnder Schnelligkeit auf das Tal hernieder und begrub ganz St. Pierre unter sich. Die Stadt brannte an allen Ecken und Enden, das Meer geriet in Bewegung, auf den Schiffen erhob sich ein Krachen und Bersten, die Masten wurden zerschmettert, die mächtigen Leiber der Fahr» zeuge zertrümmert, die Mannschaften verbrannt. Während die Schiffbrüchigen und Verzweifelten nach Rettung ausspähten, ging ein furchtbarer Regen weihglühender Lava auf die brennende Stadt nieder, Erde und Steine schlugen pfeifend und zischend ins Meer. Da plötzlich zuckte ein heller Blitz über dem Mont Pelee auf und erleuchtete für einen Augenblick seine zerhackten Kanten und Abhänge. Zugleich schlug der Wind um, so daß die traurigen Reste der Schiffs

auf der Reede von der Stätte des Unglücks und der Vernichtung fliehen und der erschütterten Menschheit die ersten Hiobsposten zu- tragen tonnten. Die ganze Stadt mit ihrer langen Front und ihren 30 000 Einwohnern war eine einzige Flammenmasse, di« wenigen Schiffe, die noch einigermaßen intakt geblieben waren, versuchten, den Unglücklichen ihren Beistand zu leihen: aber die Rettungsboote, die an der Mfte entlang fuhren, soweit wie es möglich war, fanden kein einziges lebendes Wesen. Die Katastrophe war ganz plötzlich «ingetreten. Zuerst hatte der Vulkan eine große Menge Gas aus- gestoßen, dessen furchtbarer Druck alles niederriß. Dadurch wurden schon die meisten Menschen getötet. Man fand später stehende Menschengruppen, eng aneinandergepreßt, die in dieser Stellung den Tod erlitten hatten, unter den Trümmern der Kathedrale eine Menge mit gefalteten Händen, die während des Betens getötet worden war. Eine Familie versandte eine Todesanzeige, in der sie das Hinscheiden von 32 Familienmitgliedern betrauert«. Von der Verwandtschaft eines reichen Kaufmannes in Fort de France waren sogcr 110 Personen ums Leben gekommen. Auch in anderen Teilen der Insel, die man wegen ihrer Naturschönheitendas süße Land der Wiederkehr' genannt hat, hatte die Katastrophe ihr furchtbares dem Ausmaß, wk in war.

Vtri l vUv> l Cl/( LJSAlf wie»" v 14 1 Ii| II Zerstörungswerk verübt, wenn auch nicht in d St. Pierre, dem völliger Untergang beschieden