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Abendausgabe

Nr. 217 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 107

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10 Pfennig

9. Mai 1927

Vorwärts=

Berliner Dolksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Risse im Bürgerblock.

Deutschnationale Reaktionsplänc.

Der deutschtonservative Parteitag hat eine fleine monarchistische Demonstration veranstaltet. Es wird damit unterstrichen, daß die Mitglieder dieser Partei, zu denen der Führer der deutschnationalen Reichstagsfrattion, Graf West arp, gehört, Verfassungsfeinde sind. Der Stahlhelm hat sich bei seiner Demonstration in Berlin zu politischen 3ielen bekannt, die weder mit der Verfassung noch mit der Außenpolitik des Reichs verträglich find. Die Deutschnationale Bolfspartei, die stärkste Regierungspartei, hat ihre Sympathie mit dieser Demonstration und ihren Zielen ausgesprochen.

Graf Westarp hat in Rostoc eine Rede gehalten, die ein Bekenntnis zur Monarchie enthielt, und deren Hauptinhalt eine wüst demagogische Sebze gegen die Breußenregierung war, der er sozialdemokratische Mißwirtschaft" vorwarf.

Herr Stresemann, der Außenminister des Bürger­blocks, hat in einer Rede in Bad Deynhausen den Versuch unternommen, den Eindruck dieser Zusammenhänge vor dem Ausland abzusch wächen und die Angriffsrede des Justiz­ministers Hergt gegen Polen wiedergutzumachen. Die Deutschnationalen geben dem Bürgerblock das Ge­Die Deutschnationalen geben dem Bürgerblock das Ge­sicht, und Herr Stresemann darf die Entschuldigungsreden

halten.

Westarp erklärt sich.

Auf einer deutschnationalen Wahlversammlung in Ro stod sprach am Sonntag Graf Westarp . Er versicherte in seiner Rede, die Deutschnationalen hielten an der Wiederein. führung des Kaisertums feft. Er beklagte den Umstand, daß die restlose Lurchführung der reaktionären Pläne an der Stel fung der Sozialdemokratie in der preußischen Regierung und an

ihrer Stärke im Reichstag scheitere. Er führte aus:

Auch der Uebelstand, daß dem Reich gerade auf den beiden Gebieten der Justiz und der inneren Verwaltung, namentlich der Polizei, die die deutschnationalen Minister Hergt und v. Keudell zu verwalten hätten, eine eigene Haus= macht nicht oder doch nur in unzulänglichem Maße zur Ver­fügung stehe, daß es also in denjenigen Staaten, wo die Länderregierungen in Gegensatz zur Reichsregierung ständen, so gut wie machtlos fei, trete namentlich bei dem Kampfe der Linken gegen die vaterländische Bewegung nur zu oft verhängnisvoll hervor.

In Preußen selbst schreie die jetzige sozialdemo fratische Mißmirtschaft nachgerade zum Himmel.

Für das Reich erfordere die Rücksicht auf die Koalition, deren Kraft und Bestand im Interesse des Landes erhalten bleiben müsse, bei den nächsten Wahlen eine geschlossene Front. Die Deutschnationalen würden den nächsten Kampf, wie fie es stets getan hätten, gegen die Macht der Sozial­demokratie führen müssen, die sich seit der Revolution in der Außen- und Innenpolitik so verhängnisvoll ausgewirkt habe. Reine Rücksicht auf die Parteien der Mitte, darüber müsse man sich flar sein, würde uns hindern können, diefen Kampf auch gegen die jeßige preußische Regierung durchzu­fechten. Stehe dann im preußischen Wahlkampf das Zentrum auf der anderen Seite als im Reich, so müsse das die Stoßtraft des für die Koalition zu führenden Wahlkampfes lähmen und so den Erfolg einer sicheren über die Wahlen hinaus zu schaffenden Roalitionsmehrheit in Frage stellen.

Auch in anderen Ländern: Sachsen , Thüringen und Mecklenburg habe sich in der letzten Zeit immer deutlicher herausgestellt, daß weder eine Mitte, die mit Links regiere oder sich an Lints anlehne, noch eine solche, die nach dem Schlagworte bes Regierens mit wechselnden Mehrheiten der Option zwischen Rechts und Lints ausweichen wolle, regierungsfähig sei. Für das Reich wie für diese Länder selbst sei es gleich wichtig, die Linte so zu schwächen und die Deutschnationale Volkspartei so zu stärken, daß die Berbindung der Mitte mit lehterer, auch zahlemmäßig gesehen, der einzige Weg sei. den die Mitte gehen könne." Herr West arp läßt Richtlinien Richtlinien fein. Das Ziel der Deutschnationalen ist, die Mitte völlig unter ihre Botmäßigkeit zu bringen.

Stresemann muß einrenken.

Bad Deynhausen, 9. Mai. ( MTB.) Anläßlich der Tagung des Wahlkreisverbandes Westfalen der Deutschen Volkspartei am Sonn tag in Bad Oeynhausen sprach der Reichsaußenminister Dr. Strese mann in einer Diskussionsrebe auch über die außenpolitische Lage und führte dabei folgendes aus:

Der Temps" hat vor wenigen Tagen erklärt, daß der Außenminister, ebenso wie die Deutsche Bollspartei, im Reichstabinett in bezug auf ihre Anschauungen isoliert seien. Diese Behauptung des Temps" entspricht nicht den Tatsachen. In den Richtlinien, die zur Bildung der gegenwärtigen Regierung führten, haben die Parteien, die heute die Regierung bilben, sich zur Fortführung der bisherigen Außenpolitik entfchloffen. In dieser Fortführung der Außenpolitik sind mir feitens des Kabinetts teine Hindernisse bereitet worden. Benn Rundgebungen in Deutschland , die insbesondere an die Tradition der alten Armee anknüpfen, etwa mit einem 2b meichen von dieser Außenpolitit in Ber­bindung gebracht werden, so ist dies eine völlig falsche Darstellung. Die in Deutschland bestehenden Organisationen dieser Art flub

Stresemanns Abwehr.

Kriegerverein in Windjacken.

Der verpuffte Stahlhelmtag.

Hysterisches Geschrei der Kommunisten und einiger Ber­ liner Boulevardblätter hat dem ,, Stahlhelmtag" das Ansehen ein Ansehen, übes das wahrscheinlich niemand erstaunter ge­von etwas Grausigem, Furchtbarem, Gefährlichem bereitet, wesen ist, als die Masse der Stahlheimer selbst.

schließlich doch nur der psychologische Refleg der einseitigen deutschen Abrüftung. Sie würden ihre Bedeutung, vielleicht ihre Existenz, in dem Augenblick verlieren, in dem der deutschen Abrüftung die Abrüstung anderer Bölfer folgte. Wenn man sie anders ansieht, Bresse, verlaufen wie Kriegerverein stage zu ver­In Wirklichkeit ist der ,, große Tag", troß der Hugenberg­wenn man davon spricht, daß neben der Reichswehr in Deutschland laufen pflegen. Nur daß die Kriegervereinsmannen früher gewissermaßen noch ein heimliches schlafendes Heer be im schwarzen Gehrod und überalterten Zylinderhüten an­stände, das in einem Augenblid erwache und sich auf seine Nachbarn traten, diesmal aber in Windjacke und Müße, wie der Bund stürze, wo irgend jemand es erweckt, so sind das Märchen, der Frontsoldaten" sie vorschreibt. Und daß die kommu­würdig eines Jules Berne, aber nicht würdig ernsthafter Betrachtung. nistischen Reklamechefs für Stahlhelmzwede Ich darf doch auch darauf hinweisen, daß es die Regierungs - die Anhänger der Moskauer Diktatur auf die Straße lockten erklärung des neuen Rabinetts war, die offen davon gesprochen und dadurch den Anschein erweckten, als ob man den Krieger­hat, daß die Reichsregierung jede Politit der Re- vereinlern irgendwie eine ernsthafte Bedeutung in der Mil­banche a blehnt. Schließlich ist mein Name mit der Außen- lionenstadt Berlin beilegte. Die Tatsache, daß der Eisen­politit, die in den letzten Jahren geführt worden ist, derart verbahnausflugsverkehr am gestrigen Sonntag Re­bunden, daß ich selbstverständlich nicht Außenminister bleiben tordziffern aufwies, daß mehr als Millionen könnte, wenn an dieser grundsäßlichen Einstellung zur Außenpolitit Berliner gestern auf den Stadt-, Ring- und Vorortbahnen sich etwas änderte. Bisher sind aber auf dem Gebiete der Außen- befördert wurden, zeigt deutlicher als die aufgeregtesten Ueber­politik teine Borgänge zu verzeichnen, die als ein solches Abweichen schriften in der Sensationspresse, was man in Berlin von der zu bezeichnen sein würden. ganzen Veranstaltung hielt.

Politisch gesehen, hat der Stahlhelmtag allerdings einige unangenehme Begleiterscheinungen. In der ausländischen Presse, besonders in Frankreich , wird er als eine Demon­ſtration der Revanchefriger gewertet. Die französi schen Nationalisten saugen aus jeder Kundgebung deutscher Nationalisten Honig, wie es umgekehrt ebenso geschieht. Aber auch die wirkliche oder vermeintliche Angst der französischen Nationalisten ist aufgebauscht wie das Kraftmeiertum der Kommunisten.

Was die Erörterungen über die Frage eines Ost­Tocarno anbelangt, jo bemerke ich, daß unser Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn, insbesondere zu Bolen, geregelt ist durch diejenigen Abmachungen, die in Locarno selbst getroffen worden sind. Diese Abmachungen werden vielfach nur auf unser Berhältnis zu Frankreich und Belgien bezogen. Ihr Gesamtwert besteht aus diesen Abmachungen mit ihren starken Bindungen mit abgefchloffenen Schiedsvertrag, der jedenfalls eine ben westlichen Nachbarstaaten, anderseits aus dem mit Bolen friedliche Auseinandersetzung über Differe.zen zwischen beiden Weder die eine noch das andere fann an einer ruhigen Ländern gewährleistet. Diese Situation hat das neue Kabinett Beurteilung der Sachlage hindern. Die Kräfteverteilung in bei seiner Begründung vorgefunden und sie durch nochmaliges Deutschland ist nicht so, daß der Aufmarsch von 60 000 oder Aussprechen der Anerkennung der bestehenden Verträge be­fonbers unterstrichen. Die Frage unseres Verhältnisses Rot- Gold" in Berlin den Verfassungstag. Weit mehr gar 100 000 Kriegervereinlern die Welt erschüttern könnte. Bor zwei Jahren beging das Reichsbanner Schwarz­Bolen ergibt sich daher aus der hierdurch geschaffenen Grundlage." als hunderttausend Republikaner waren aus ganz Deutschland herbeigeeilt, um mit den Berlinern den Tag der Republik festlich zu begehen. Die ganze Stadt prangte West und Ost wurden von Republikanern entschädigungslos im schwarzrotgoldenen Flaggenschmuck. Alle die Gäste von in Privatquartier genommen, maffenherberge brauchte in Anspruch genommen zu teine einzige werden, und doch fonnten noch unzählige Quartiere, die ge­meldet wurden, zum Leidwesen der Gastgeber nicht belegt werden. bleibt allen unvergeßlich, die ihn als Teilnehmer oder Zu­Der Massenaufmarsch nach Treptow schauer erlebt haben.

zu

Die Sehnsucht nach dem Byzantinismus. Der deutschkonservative Parteitag hat wieder einmal seine un­wandelbare Treue zum angestammten Herrscherhause beschworen, nachdem der deutschnationale Reichstagsabgeordnete Everling eine fervile Rede auf Wilhelm den Landflüchtigen gehalten hatte, in der er sagte:

,, Es set eine speziell fonservative Aufgabe, auch für die Person des Kaisers einzutreten, selbst wider die beffere Ueberzeugung im Einzelfalle. Denn die Treue folle uns heilig sein.

Wir wollen den König von Preußen wieder haben, wir wollen die Monarchie wieder haben als unser Recht, wir wollen den Königsdienst wieder tun können als unsere Ehre."

Sie wollen die Monarchie, weil sie den Monarchismus wollen. Herr Everling möchte vor seinem König auf dem Bauche rutschen. Es wurde das folgende Telegramm an Wilhelm gesandt:

,, Seiner Majestät dem Kaiser und König. Haus Doorn . Euer Kaiserlichen und Königlichen Majestät erneuern die in Berlin versammelten fonservativen Männer und Frauen in Ehrerbietung das Gelöbnis unbeirrbarer Treue. D. Graf Seidlig Sandreczki."

Die Redner des deutschkonservativen Parteitags erneuerten mit dem Schwur auf Wilhelm zugleich die blöde antisemitische Hetze, die fie von jeher betrieben haben.

Preußen und die Reichsbahn. Eine wichtige Entscheidung des Staatsgerichtshofes.

Man erinnert sich jenes Konflikts zwischen der preußischen und der Reichsregierung im Sommer 1926, als Preußen unter Berufung auf frühere Abmachungen die Besetzung einer freigewor­denen Stelle im Berwaltungsrat der Reichsbahn für sich beanspruchte, während die Reichsregierung ohne Rückficht darauf diese Stelle dem gewesene Reichskanzler Dr. Luther übertrug. Der preußische Ministerpräsident hat damals ein sehr entschiedenes Schreiben an die Reichsregierung gerichtet und auch im Landtag verlesen. Damit war aber die Angelegenheit für Breußen nicht erledigt, fie wurde vielmehr vor den Staatsgerichts­hof gebracht. Dieser hat nun am vergangenen Sonnabend folgende Entscheidung getroffen:

Auf Grund der Ziffer 4 der am 25. März 1924 3mischen Preußen und dem Reich ausgetauschten Erklärungen hat Breußen geçenüber dem Reich das Recht, ein Mitglied des Berwaltungs­rates der Deutschen Reichsbahn- Gesellschaft zu bene.ten.

In der müdlichen Urteilsbegründung sagte Reichsgerichts präsident Simons am Schluß:

Diese Entscheidung des Staatsgerichtshofes befagt gleichzeitig, daß das Reich verpflichtet ist, den von Preußen Genannten zum Berwaltungsrat zu ernennen.

Ministerpräsident Braun hat schon seinerzeit im Landtag er. flärt, daß der Protest Breußens nicht gegen die Persönlich. teit Dr. Luthers gerichtet sei. Welche praftischen Folgerungen aus der Entscheidung des Staatsgerichtshofes gezogen werden, steht noch dahin. Es ist anzunehmen, daß diese Entscheidung nicht eine fofortige Wirkung haben, sondern erst bei einer fünftigen Neu­bejegung beachtet werden mird.

Was bedeutet demgegenüber die Stahlhelm- Parade? Haben die Berliner Monarchisten so geringen Wohnraum, daß sie die 60 000 Gäste aus dem Reich nicht aufnehmen konnten, daß fie Massenquartiere in Tanzfälen mieten und den Tag verkürzen mußten, weil diese Säle zum Teil wieder zurüdgezogen wurden? Der Stahlhelm- Bericht rühmt, daß drei Söhne des Erkaisers vor dem Reservehaupt­die Hohenzollern in Berlin und Potsdam nicht genügend mann Seldte als ihrem Führer" aufmarschiert seien. Haben Raum, um Tausende von Stahlhelmern bei sich unterzu­bringen?

Der Raum ist schon vorhanden. Aber, was der repu blikanischen Bewegung ihren Schwung gibt, die un­mittelbare Teilnahme und Opferbereitschaft jedes ein­zelnen, das fehlte bei diesem Kriegervereinstage vollständig. Die Abgetatelten von früher marschierten zwar in Bickel­haube und Ordenszier, aber ihre Wohnungen für den Land­árbeiter aus Ostpreußen oder den schwarzweißroten Kumpel aus dem Ruhrgebiet herzugeben, das wäre wider ihre Natur. Müze müde und hungrig auf dem ungewohnten Asphalt So trotteten die Kriegervereinler in Windjacke und Berlins , ohne daß die Militärmusik ihrer Kapellen fie über die Armseligkeit des Empfanges hinwegtäuschen konnte. Wenn an. einzelnen Stellen in Arbeitervierteln den vorbei­marschierenden Gruppen das Mißfallen über ihren Besuch in besonders lebhafter und aggressiver Form zum Bewußtsein gebracht wurde, so mag das die Stimmung der Arbeiter­bevölkerung gegen das provokatorische Auftreten des Stahl­helmführers richtig widerspiegeln, aber es war verschwendeter Kraftaufwand. Dies Objekt war nicht einmal die Ent­rüstung der Arbeiterschaft wert. Und wenn es wegen der Ansammlungen gelegentlich zu Zusammenstößen mit der Polizei kam, die, tagelang in Alarmbereitschaft, einen über­aus schweren Dienst hatte, so war das erst recht überflüssig. Um des Stahlhelms willen lohnt es sich nicht, das Verhältnis der Berliner Arbeiter zur Berliner Polizei gespannter zu machen, als es bei der Nervosität des großstädtischen Lebens ohnehin ist. Die große Masse der Sozialdemokraten hat das richtig erkannt und die Kommunisten ihren Unfug allein ver­richten lassen. Denn Kommunisten und Rechtsradikale ar­beiten einander in die Hand wie französische und deutsche Nationalisten. Die sozialdemokratische Bewegung geht an beiden mit Nichtachtung vorüber.

Paris , 9. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Auf Grund der aus Berlin vorliegenden Telegramme stellt die hiesige Bresse im großen und ganzen mit Befriedigung fest, daß der geftrige Stahlhelmtag