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Nr. 21$ 44. Jahrgang
7. Heilage öes Vorwärts
Dienstag, 10. Mai 1927
Eine Museumsruine.
Berlin   foMe allen Fremden, die es auffuchei� ein freundliches cSesicht zeigen. Wer aber auf dem Lehrter Bahnhof   eintrifft, steht Arau Berolina durchaus nicht von der besten Seite. Da steht unmittel- bor neben der.Ankunftseite' des Lehrter Bahnhofs die Ruin« des ehemaligenK o l o n i a l m u f e u m s". Lange wird es nicht mehr tauern, bis man auch von ihr sagen kann,.und des Himmels Wol- ken schauen hoch hinein'. Gerade auf der dem Bahnhos zugekehrten Seite ist der Putz fast ganz abgefallen, die rohen Ziegel. mauern liegen bloß. Di« wenigen erhaltenen Fensterscheiben sind undurchsichtig vor Staub und Schmutz. Allerdings stich es nicht mehr gar zu viele, denn im Erdgeschoß sind alle z e r t r ü m. meri, und man hat ungehinderten Einblick in den Saal des ehe- maligen.Familienvarietäs, der anscheinend zu einer Schuttablade. stelle sür die Umgegend geworden ist. Seit 1924 sind die einzigen Bewohner der Räume das.Cafö Usambara', in dem, wie in dem berühmten Wirtshaus an der Lahn:kehren alle Fuhrleut an', und die in den unterirdischen Räumen hausende.Großdestillation' des gleichen Inhabers. Beide Gaststätten unterscheiden sich eigent- lich nur durch ihr« Lage voneinander, trotzdem das Caft in dem ver- wahrlosten Riesensaal noch immer als eine Art von.Traditions- kompagnie' ein Dutzend überalterter Kllchenstücke in einem Glas- schrank hegt. Eigentümer des Gebäudes ist die Reichsbahn: es mutet sonderbar an, daß sie für die riesigen Räume des Museums, die. nachdem sie eine Holzbearbeitungsfirma beherbergten, in drei Iahren keinen Mieter gefunden hat. Es ist aber begreiflich, daß sich wohl jede Firma scheut,«in grenzenlos verwahrlostes
Gebäude zu beziehen. Schließstch ist es»och als Glück zu be- zeichnen und beweist allerlei für die Gutartigkeit des.fünften Standes' von Berlin  , daß die zum Teil so leicht zugänglichen Räume des oerlasienen Riesenbaus nicht zu einem Schlupfwinkel des Großstadtabschaumes geworden sind! Was nicht ist, kann aber noch werden, wenn sich nicht bald die Baupolizei oder eine andere Aufsichtsbehörde der Museumsruine erbarmt!
�uwelenräuber Sanöowfki. Zuchthaus in Deutschland   und dann in Amerika  . Eigentlich war es ein« Bagatellsache, die da vor der Berufungs  - instanz Charlottenburg   verhandelt wurde. Im November v. I. dringt ein Fassadenkletterer in ein« Dilla im Grunewald  «in, bricht sämtliche Behältnisse auf und erbeutet für 3000 bis 4000 M. Wertsachen. Der Bestohlene setzt ein« Belohnung auf die Wiedererlangung seiner Juwelen aus: die Polizei recherchiert und findet die Wertsachen bei einem Pfandleiher. Sie stellt fest, daß ein Mann, namens Landowskaga, sie hier versetzt hat. Die Spur führt zu einem gewissen Sandowsti. Mit diesem Sandowsti hat es aber folgendes Bewanbtnte: Er war im März v. I. in Berlin   eingetroffen, hatte sich in einer bescheidenen Pension eingemietet. Er oerkehrte mit einem netten
Mädchen und schien keine Not zu leiden. DerBraut" zeigte er verschiedentlich Juwelen. Im Krankenhaus aber, in dem er sich ambulatorisch behandeln ließ, hatte er sich durch irgend etwas ver- dächtig gemacht. Die Kriminalpolizei nahm bei ihm eine Haus- suchung vor und fand bei dieser Gelegenheit Juwelen in Höhe von 800000 Mark. Er sei Kaufmann, erklärte Sandowski, Flüchtling aus Rußland  , woher auch die Juwelen stammen: aus Zollgründen wurden sie vorläufig beschlagnahmt. Eine Zeit darauf stellte aber die Polizei zu ihrer Ueberraschung fest, daß der Ein- brecher in der Grunewaldvilla niemand anders war als eben der- selbe Sandowsti mit den Juwelen im Werte von 800 000 Mark. Jetzt schien auch der Ursprung dieser Wertsachen ver- dächtig. Man setzt« sich mit der Kriminalpolizei in der ganzen Welt in Verbindung und siehe da: Sandowski entpuppte sich als Iuwelenräuber ersten Ranges. Sein erster mißlungener Streich geht auf das Jahr 1919 zurück. Er nahm eine Stellung als Schlächter an und war acht Tage später mit Juwelen im Werte von SOO 000 Mark verschwunden. Er wurde jedoch gefaßt, die Schmuckfachen wurden ihm abgenommen. Er erhilt dafür dann 7 Jahre Sing-Sing. Als er im Jahre 1920 auszubrechen versuchte, bekam er noch Iii Jahre Zuchthaus dazu diktiert. Dann gelang es ihm aber doch, aus dem Gefängnis herauszukommen, und im November 1925 erkletterte er das Haus eines gewissen Mister Taylor, wobei er die Juwelen im Werte von 800 000 Mark erbeutete. Es sind die gleichen, die bei ihm in Berlin   gefunden wurden. Als sie hier beschlagnahmt worden waren, blieb ihm nichts anderes übrig, als in die Villa im Grunewald einzubrechen. Die erst« Instanz hatte ihn zu 1/4 Iahren Zuchthaus verurteilt. Sowohl er wie der Staatsanwalt hatten aber Berufung eingelegt. In der Zwischenzeit ist aber der Gemütszustand Sandow- skis auf dem Nullpunkt angelangt. Die Vereinigten Staaten   hatten nämlich einen Austieferungsantrag gestellt. Deshalb versuchte er nun, den Geistestranken zu markieren.(Er behauptet plötzlich, Amerika oerlange aus politischen Gründen sein« Auslieferung, da er ein amerikanisches Gasverfahren kenne, das er dem deutschen   Reichs- wehrministerium angeboten habe.) In der gestrigen Verhandlung war er äußerst wortkarg. Zu seinen Personalien gab er an, in Riga   geboren zu sein, und nacheinander Schlächter, Koch und See- mann gewesen zu sein. Das Verbrechen habe nicht er begangen, die Juwelen habe er von einem gewissen Hans im Grunewald   erworben. Der Gerichtsarzt Dr. Bürger erklärte den Angeklagten für geistig gesund. Der Staatsanwalt plädierte auf eine Zuchthausstrafe von 2 Iahren und 3 Monaten: der Verteidiger Dr. Harry Pinkus versuchte, das Gericht von der Unschuld seines Klienten zu über- zeugen. Das Gericht verurteilte jedoch den Angeklagten zu 2 Iahren Zuchthau» und 3 Iahren Ehrverlust. Nu» kam» er nicht früher als in 2 Jahren nach Amerika   ausgeliefert werde». Zwei Ostpreuhensonderzüge zu Pfiugsteu. Wie die Reichsbahndirektion Berlin   mitteilt, wird am 2. und 3. Juni je«in Sonderzug mit 60 Proz. Fahrpreis- ermäßigung nach Marienburg   Königsberg   Insterburg   verkehren. Beide Züge fahren ab Bahnhof Friedrich. straße 19,22 Uhr. Näheres über die genauen Fahrzeiten, Beginn des Fahrkartenverkaufs usw. wird in den nächsten Tagen durch Anschläge auf den Bahnhöfen und auch in der Presse bekanntgegeben werden.; Wettere Sonderzüge auch nach den anderen Gegenden sind nicht vorgesehen. Die Einwauderung in die Vereinigten Staaten  . Das amerikanische Generalkonsulat teilt amtlich mit, daß von Montag, den 16. Mai 1927, 9 Uhr vormittags an, wieder Bormertungen für Einwanderungsvisen noch den Pep- einigten Staaten von Nord-Amerika   von Perjonen, die im Gebiete des jetzigen Deutschen   Reichs geboren sind, auf allen amerikanische» Konsulaten in Deutschland   angenommen werden. Neue Ret- gistrierungsformulare, auf denen die Anträge eingereicht werden müssen, sind bei allen amerikanischen   Konsulaten sowie bei den meisten Schiffahrtsgesellschaften von Donnerstag, den 12. Mai 1927, 9 Uhr vormittags, an erhältlich. Es werden nur Anträge auf neuen Formularen angenommen. Registrierungsanträae, die unter die österreichische, estnische, lettische, litauische, polnische, russische, un- garische, rumämsche, jugoslawische oder tschechoslowakische Quote fallen, werden bis auf wetteres nicht angenommen, da die Vor- merkungslisten für diese Quoten geschlossen sind.
Gif. Das Weib, das den Mord beging. 40s Roman von Arth Reck-ZIlalleczeweu. Ja, in dieser beinahe bräutlichen Feierlichkeit hat man nun die Spießrutengasse der Reporter und der Neugierigen zu passieren. Da klapsten wohl die Verschlüsse der Kameras, und da sind diese Iustizräte und Syndizi der Landgerichts- direktoren mit Blutdruckgraden von einhundertundzwanzig bis einhundertundachtzig, und kritische Bemerkungen über ihre mutmaßlichen weiblichen Reize und Grinsen und Referendar- zoten. Und da man wohl so eine Kokottenschönheit mit Blick und Busen erwartet hat und nur so etwas wle eine magere kleine Heilige zu sehen bekommt, mit großen, ein wenig fiebrig glänzenden Augen: so ist man mit einem Male ganz still und oerlegen und macht Platz und läßt sie unbehelligt hmdurch. Es ist nun schon zwölf Uhr, als sie vor dem Unter- suchungsrichter erscheint. Da wäre also wieder das Zimmer unseres liebenkleinen Wütenden" mit bronchitischer Zentralheizung und dem Par- süm uralten Tabakgestanks und der sorgfältig geheimgehalte- nen großen Sensation im Nebenzimmer. Da sitzen nun auf» gereiht der mit dem Erlaß des Haftbefehls betraut gewesene Staatsanwalt und der Gerichtsarzt und der Kriminalkom  - missar Kerschlach. Und da steht nun die Gattin Robbys, die gewesene Sekretärin des Obersten Miramon und Insassin des Hauses derConfeckoration of good works" gegenüber einer geschlossenen Front von Makellosigkeit und Würde. Im Gegensatz zu gestern ist es ein merkwürdiges, ein beinähe unheimliches Piano, mit dem derkleine Wütende' sein heutiges Verhör beginnt, und man hört ordentlich das Kreischen der seelischen Westinghouse-Bremsen, die er anzieht: Sie bleiben dabei, die Witwe Grandjean getötet und beraubt zu haben?" Ich habe es getan. Ich wollte es nicht tun. Aber ich habe es doch getan." Derkleine Wütende" winkt wie ein Operninspizient, der tm Tannhäuser   das Versinken des Venusberges anordnet. Ein Uniformierter erhebt sich, verschwindet im Nebenraum, er- scheint nach ein paar Sekunden wieder mit jemand, der vor fünf- #chu Minuten dorthin verbracht worden ist mit aller Heim- lichkeit: vor der kleinen Sif, gestützt auf irgendein altes, nach Kampfer duftendes Weiblein, steht die Witwe Grandjean. Eine erschreckend gealterte, eine zur Mumie«ingetrocknete Witwe Grandjean mit einem blöden Greisenlächeln und so
einer alten Base, die die etwas unzulänglich gewordene Zeugin hieher hat führen müssen.. alles gut und schön, und trotzdem das Weib, das man erwürgt hat in der Burgstraße neben dem verfallenen HotelNeldener", m dem zu des jungen Bismarcks Zeiten der brandenburgische Landadel abstieg... Die kleine Sif ist nicht gespenstergläubig, die New« Eis taumelt nicht zurück und wird nicht bleich. Die kleine Sif steht und starrt und murmelt nur leise vor sich hin. daß sie es trotzdem getan habe, trotzdem... trotzdem... Schweigen ist eine Weile im Raum und dann das afthma- tische Keuchen einer Rangierniaschine draußen und dann wieder Schweigen. Was haben Sie zu sagen?" fragt der Richter die kleine Sif. Derkleine Wütende" wendet sich, da eine Antwort nicht erfolgt, an die Witwe Grandjean, stellt fest, daß sie nach dem Ueberfall an dem bewußten Oktoberabend zwar ein« Viertel- stunde lang bewußtlos gewesen sei, daß sie dann aber die Attentäterin genau beschrieben habe. Daß man sie jetzt der Untersuchungsgefangenen Bruckner gegenüberstelle und daß sie sagen müsse, ob die Gefangene da identisch sei mit der Atten- täterin... Die Witwe Grandjean, immer gestützt auf die Alte im Kapotthut, wird dicht vor die kleine Sif geführt, von ihrer Begleiterin leise instruiert, starrt die kleine Sif an, murmelt ein paar Worte. Die Alte im Kapotthut übersetzt diese Worte dahin, daß die in Frage kommende Person viel jünger und wohl auch größer gewesen sei, und daß jedenfalls die Witwe Grandjean die ihr gegenüberstehende Untersuchungsgefangene Bruckner nicht kenne. Ein brauner vorzeitiger Schmetter- ling... ein sogenannterRotmantel". der hier eigentlich nichts zu suchen hat, wird von dem Referendar Thörpolt beobachtet, wie er ganz nutzlos gegen die Fensterscheiben fliegt bei dieser denkwürdigen Aussage der Witwe Grand- jean. Oh, eigentlich kommt es keinem der Anwesenden, wenn man absieht von der kleinen Sif selbst... eigentlich kommt es keinem besonders überraschend, das Resultat dieser Kon- frontation. Perdächtig ist einem alten Praktiker wie dem kleinen Wütenden' von vornherein die Hartnäckigkeit ge- wesen, mit der die kleine Sif in einem Falle, wo doch das Weiterleben der Ueberfallenen durch die Zeitungen allgemein bekannt geworden sein muß, sich des Mordes bezichtigt.. auffallend bei so einer nach Amerika   durchgebrannten Frauensperson, der das Geld für die Rückreise fehlte. Es wird nach dieser Konfrontation vollends klar, daß der junge Kollege von der Staatsanwaltschaft einen argen Bock geschossen hat, al, er aus die Selbstbezichtigung der ersten besten Hysterlkerrn
einen Haftbefehl erließ. Und wenn man hier unter Zu- ziehung dieses Kollegen eine höchst beschleunigte Untersuchung durchführt, so geschieht es, weil man die ohnehin alarmierte Oeffentlichkeit mit der Blamage der Staatsanwaltschaft nicht länger füttern, weil man die Angelegenheit möglichst rasch aus der Well schaffen will. Und klar ist das eine, daß alles Weitere eigentlich nur noch in Formalitäten und einer schleu- nigen EntHaftung bestehen kann, und dunkel ist nur das eine, was denn ja auch die Oeffentlichkeit so aufregt in diesen Tagen: die Hartnäckigkeit, mit der die kleine Sif festhäll an ihrer Schuld. Und so läuft es denn nun ein wenig leer, das Räderwerk der Rechtspflege, soweit es sich nach dieser Konfrontation über- Haupt noch zu drehen hat. Derkleine Wütende" wendet sich an den Kriminalkommissar Kerschlach, der Kriminalkommissar Kerschlach verliest das Protokoll der allerersten Vernehmung, wonach damals die Witwe Grandjean die Attentäterin als ein Meter und fünfundsiebenzig Zentimeter groß geschildert habe. Der Gerichtsarzt Dr. Vonneilich, um sein Gutachten ge- beten, sagt aus, daß die Witwe Granlstean durch Auswirkung des seelischen Schocks in ihrer Merkfähigkeit zwar erheblich nachgelassen, daß aber dieser Prozeß viel später eingesetzt habe, und daß ihre volle Zurechnungsfähigkeit bei der ersten Vernehmung außer allem Zweifel sei. Und dann übernimmt der junge übereisige Kollege von der Staatsanwaltschaft einen letzten Vorstoß und richtet seinerseits ein paar Fragen an den Kriminalkommissar Kerschlach. Und dann antwortete der Kriminalkommissar Kerschlach, daß der Parteienverkehr im Geschäftslokal der Witwe Grandjean außerordentlich rege gewesen sei, und daß die gewonnenen Fingerabdrücke einen Schluß auf die Identität der Untersuchungsgefangenen mit der Täterin nicht zuließen. Und dann erftattet noch der Doktor Vonneilich seinen Bericht und spricht vonClavus  " undGlobus hystericus" und tranfitorifchen Bewußtseinsstörungen" und endet mit der Diagnose der typischen hysterischen Fabuliersucht. Da klappt der junge Kollege von der Staatsanwaltschaft resigniert seine Akten zu. Und dann hört man eine Weile draußen das große schreckliche Berlin   grollen. Und dann begibt sich der Gerichts diener, um die etwas peinliche Pause auszufüllen, an die Tür und steckt den Kopf heraus und ersucht die draußen Wartenden um etwas mehr Ruhe. Derkleine Wütende" aber wendet sich nunmehr an die Untersuchungsgefangene Bruckner, derkleine Wütende" fragt, ob sie das, was hier eben verlesen sei, verstanden habe, der kleine Wütende" will wissen, was sie dazu sagen wolle. (Fortsetzung folgt.)