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N-.«o. 1. Seilage öes Vorwärts

Mittwoch, 11. Mal 1H27

Vom Wasser begraben!

Um Warthe und Netze sind 30000 Morgen Land überschwemmt.

Mi vrandinlmrglschi Londwirtslhaft-kammer hatte Vertreter von Berliner Rettungen zur Besichtigung der Ucdeifchwenummgs» gebiete an der Warthe und an der Rehe«ingeladen. Warthebruch und Netzebruch werden alljährlich im Frühlina von Ueberjchwemmunaen heimgesucht. In diesem Jahr sind die Niederungen um Warth« und Netze in so weitem Umsange unter Wasser gesetzt, daß für die Bevölkerung schlimmster Schaden zu erwarten ist. Die auhergewöhnlich großen Ueberschwemmungen haben hier seit der zweiten Halste des Krieges sich ziemlich in jedem Jahr wiederholt, so daß schwere Wassersnöte fast schon zur Regel geworden sind. Eine Fortdauer dieser Schädigungen wäre für Ackerbau und Viehzucht, die in den meistbetrossenen®e. genden schon merklich heruntergekommen sind, nicht mehr zu er- tragen. Immer dringender fordern daher die in ihrer Arbeit und ihrem Erwerb bedrohten Bruchbewohner durchgreifende Abhilfe- maßnahmen. Wasser, so weit öas �uge reicht! Wenn man, mit der Eisenbahn von Berlin kommend, bei Küstrin die Oder überschreitet und in das Gebiet ihres Nebenflusses Warthe eintrstt, zeigen sich bald die Bilder der Ueberschwemmung. Sie mehre» sich aus der Weiterfahrt nach Landsberg a. d. W. und lassen den Schaden ahnen, den diese ausgedehnten Ueberflutungen dem Landstrich bringen. Schwer leidet der Kreis Landsberg a. d. TD. und der ostwärts anschließende Kreis Friedeberg i. d. N* zu denen Marthebruch und Netzebnich gehören. Dort sind S0 000 Mor- gen Land samt vielen wegen so überschwemmt, daß manche Einzel- gehösle von jedem verkehr abgeschnitten sind. In tiefer gelegenen Stellen steht da» Wasser bis eineinhalb Meter hoch aus Wiesen und Steckern, und nicht obzuseben ist, wann diese Flut sich verlaufen haben wird. Mit oufsteiaendem Grundwasser, das den Boden durch. näßt und die Bewirtschaftung erschwert, haben die Bruchbewohner stets, aber in neueier Zeit immer mehr, zu kämpfen gehabt. Selbst in den Sommermonaten sieht man Gehöfte, die vom Wasser be- drängt bleiben. In den Frühsahrsmonaten kommt dazu das Hoch- wasier der Flüsie, das die Wasserschäden aufs äußerste steigert. Ein besonders gefährdete! Punkt ist immer die Einmündung der Netze in die Warthe, weil hier die sich stauenden Wasser der Warth« in die Netze hineingedrängt werden und diesen sonst ziemlich harmlosen Nebenfluß au « seinen Ufern drängen. Von der Jakobsbrücke, auf der man die Netze an ihrer Einmündung überschreitet, schweift der

Gif. Das Weib, das den Mord beging. Roman von 5 ritz Reck-Malleczewen. Die kleine Sif ist so perplex, daß sie gar nichts verstanden hat. So verwirrt von dem Erscheinen der Witwe Grandjean ist die klein« Sis, daß sie im Augenblick gar nicht darauf kommt, das fortgeworfene Perlenkollier genau zu beschreiben und auf diese Weis« ihre Täterschaft nachzuweisen. Die kleine Sif ist nicht einmal imstande, sich ein wenig zu freuen über die Tatsache, daß sie nun doch keine Mörderin ist. Im Hirn der kleinen Sif erhält sich im Augenblick mit aller Hart- näckigkeit nur ein einziger Gedanke: daß sie eigentlich es ja doch getan hat, daß die Witwe Grandjean ja nur durch einen Zufall am Leben geblieben ist, und daß man trog allem büßen muß, wenn man zurück will zu seinem Frieden. Da steht sie denn da mit hilflos am Leibe herabhängenden Armen. Ich habe es trotzdem getan/ sagt schließlich ganz leise die kleine Sif. Da aber geschieht es, daß der Hohepriester fein Gewand zerreißt, und daß im Tempel der Vorlchng klafft, und daß derkleine Wütende" ohne Anwendung seiner Westinghouse- Bremsen sie anfährt: daß sie eine schlimme, eine verlogene hysterische Person sei, daß sie sich wichtig machen, daß sie sich mit ihren Schwindeleien eine kostenlose Ueberfahrt nach Europa habe verschaffen wollen... Und da, als sie zu Ende ist, diese väterliche Ermahnung, die Wort für Wort noch zwei Etagen tiefer im Keller gehört wird, da ist es eine schreckliche Klarheit, die sich aufbaut vor der kleinen Sif: daß alles Leid und alle Qual umsonst gewesen ist, daß sie beschmutzt ist von einer häßlichen Alberei des Lebens, daß sie beschmutzt und lächerlich weitergehen soll samt ihrer Schuld. Und nun ist es an ihr, aufzuschreien in ihrer Not, und nun ist es die große Empörung, die über sie ge- kommen ist... ach, was wissen sie denn, diese schmissebe- deckten Klötze und Stöcke ringsum von dieser Wut, die ge» boren ist aus dem guten, dem anständigen Bedürfnis nach Sauberkeit und aus dem sinnlosen Leiden der Kreatur:Und trotzdem habe ich es getan! Und wenn es nicht so geworden ist. so ist das mein Verdienst nicht. Und weil es nicht mein Verdienst ist, so ist es meine Schuld. Und weil es meine Schuld ist, so muß ich mein Recht haben. Mein Recht... ja. sagt doch, was ihr wollt!" Dagestanden mit blitzenden Augen und geballten Fäusten Und einem heiligen Zorn, der schließlich erstickt in krampf- hastem. wütenden Schluchzen.

Blick über die weite Wasserfläche, unter der das Land begraben liegt. Die Trostlosigkeit dieses Bildes kann auch durch die helle Frühlingssonne, die lachend das alles bejcheint, nicht gemildert werden. Der Schaöen für öle Lanöwirtschaft. Acht Wochen schon steht so das Wasser auf Wiesen und Aeckernl Die A ck e r b e st e l l u n g wird verzögert, und niemand weiß, ob er in diesem Jahr noch eine Ernte haben wird. Wenn die Wasser- Massen sich noch im Mai oder im Juni verlaufen, muß immer noch drei bis vier Wochen gewartet werden, ehe auf dem überschwemmt gewesenen Land«in Gespann gehen kann. Gibt es inzwischen ein paar starke Gewitterregen, so steigt das Wasser von neuem und alle Hoffnung auf diesjährigen Ertrag aus dem Ackerbau ist ver- nichtet. Nicht weniger wird durch die Ueberschwemmungen die

Hinaus!" schreit derkleine Wütende" und springt auf und oerhakt sich mit seiner Robe an der Tischecke, daß es einen Ruck gibt und einen wirklichen Riß in der schwarzen Toga vom Saum bis zu den Hüften. Da müssen die an- deren, der Zeuge Kerschlach und der Doktor Vonneilich, der Referendar Thörpolt und Gerichtsdiener Krause II... da haben sie allesamt plötzlich gerade mal was unter dem Tisch zu suchen und fangen merkwürdig zu zittern an mit ihren Rücken und haben rote Köpfe, als sie nach einer Weile wieder auftauchen. Da wird, geschüttelt von einem Weinkrampf, die kleine Sif aus dem Saale geführt. Da liegt sie auf ihrer Pritsche und sieht den roten Sonnenfleck nicht, den der grimmig kalte Tag hineinschickt in die Zelle Nr. 376. Das Schluchzen ober dauert volle zwei Stunden an... oh, so entsetzlich ist dieses Schluchzen, daß es die Wärterin selbst erbarmt, und daß dieses alte Weib an dem Lager der kleinen Sif fitzt und tut, was sie noch nie getan hat, und das blonde Haar mit der dicken weißen Strähne streicht. Menschcnweib zu Menschcnweib, und Schwester zu Schwester. Die kleine Sif aber merkt es nicht. Sondern ist einge- schlafen in tiefer Erschöpfung. Schläft und sieht nun ein merkwürdiges Bild: sieht einen Vfahl und daran einen schönen nackten Knaben hängen, und Pfeile haben den Iünglingskörper durchbohrt... in der Hüfte lange gefiederte Pfeile, kurze dicke Pfeile in der mage- ren Brust. Und Tiere ziehen heran, ein langer, langer Zug: Oechslein mit zerstriemtem Fell und alte blinde müde Pferde mit tiefen eiternden Wunden im Rücken und hinkende fromme Esel mit gebrochenem Rückgrat. Und neigen sich in die Knie vor dem Marterpfahl, ein jedes eine kleine Welle, und ziehen weiter. Und verhüllte Menschenkinder kommen... ratlose Mütter mit toten Kindern im Arm, und alte Dirnen mit stumpfem Blick, und die verlorenen Söhne aus der weihnachtlichen Vorstadtkirche Santa Semana in Varracas el Norte und beschmutzte kleine Sifs ein langer, langer Zug von Menschenleid. Und neigen sich alle eine kleine Weile stumm vor dem Pfahl und ziehen weiter. Und liegen bleibt auf den Knien nur ein verhülltes Weib, das hebt die gefalteten Hände empor zu dem Gefesselten in unfaßbarem Schmerz. Da zerfallen plötzlich die Schleier, und da sieht sie, daß sie es selbst ist, die da liegt. Und dann zerfallen auch die Stricke des Gefesselten, und da ist der magere schöne Knabe vornüber ge- funken in ihre Arme. Und sie hält ibn auf ihren Knien, wie ein anderes schmerzliches Weib den Sohn. Da wacht sie auf und liegt im Untersuchungsgefängnis Moabit in der Zelle Nr. 376, die nun schon bitter last ist. i

Viehzucht geschädigt. Die Wiesen werden verschlammt, so daß sie ein Futter liefern, das dem Vieh Verdauungsstörungen und Krankheiten bringt. Den ärgsten Schaden hat die Viehzucht von der gefürchteten Leberegelseuche, deren Verbreitung unter dem Vieh durch Futter von Ueberschwemmungsland begünstigt wird. Bis vor dem Kriege gehörte das Netzebruch zu den besten Viehzucht- gebieten, aber die großen Ueberschwemmungen und unaufhörlichen Wassersnöte des letzten Jahrzehnts haben hier die Viehzucht her- untergebracht. Das kranke Vieh siecht In den Ställen hin, und oft fehlen die Mittel, aus nicht überschwemmten Gebieten gutes Futter zu kaufen. Selbst Besitzer, die man früher zu den Wohlhabenden zählen konnte, sind in Schwierigkelten geraten. Schon mancher hat, weil der geschmälert« Ertrag seiner Arbeit nicht mehr die Kosten des Lebensunterhaltes deckte, seinen Hof aufgeben müssen. Wie soll geholfen weröen l Gegen diese Not rufen die Bruchbewohner nach Hilfe. Die Zu- nähme der Wasserschäden wird aus reichlichen Niederschlägen, aus starken Abholzungen in den Zuflußgebieten und aus Bersandung der Warthe und Oder erklärt. Die preußische Regierung weiß, wie es da draußen aussieht. Sie beabsichtigt auch, dem Landtag ein Gesetz zum Schutz des Warthe - und Netzebruches vorzulegen. Durch» greifende Maßnahmen werden geplant und die Vorentwürfe sind fertig. Für die Netzeniederung von Driesen bis Zantoch und für das Warthebruch von Schwerin bis Küstrin soll eine geordnete Wasserwirtschost geschaffen werden. Gedacht wird an Herstellung eines großen Randkanals für die Netzeniedcmng, Ausbau der Dor- flutkanäle und Houptgräben, Verbesserung der Eindeichung, um Hochwasser abzuhalten, Anlegung von Schöpfwerken, um das hinter den Deichen sich sammelnde Wasser hinauszuschaffen. Aber mit den Beteiligten und den zu Beteiligenden verhandelt man noch, und in einigen Bezirken fehlt es auch noch an Deichverbänden. So lang« diese Träger des Unternehmens nicht da sind, gibt der Staat kein Geld. Die Gesamttosten sind auf 8 Millionen veranschlagt. * Zu hoffen ist, daß olle Schwierigkeiten bald überwunden wer» den. Eine Wassersnot, wie sie in diesem Jahr wieder über Warthe » bruch und Netzebruch gekommen ist, darf sich nicht nochmals wieder» holen. Nicht nur die Niederungen um Warthe und Netze, die un- mittelbar betrosfen werden, leiden schwersten Schaden. Auch das Wohl des Volksganzen fordert es, daß in diesem frucht- baren Landstrich nicht immer wieder der Ertrag von Ackerbau und Viehzucht geschmälert oder vernichtet wird.

�Uich eine Folge ües Finanzausgleichs. Keine Berufs- und Fachschulausbildung. Wenig erbaulich ist die Auskunft, die von der Verwaltung der Berufs- und Fachschule über die üble Auswirkung des Finanzaus- gleichs erteilt wurde. Die bestehende außerordentliche Raumnot wird mit den beschränkten Mitteln der Stadt noch immer nicht behoben werden können. Die Folge liegt klar auf der Hand. Die Haustöchter und weiblichen Hausangestellten können nicht beschult werden. Der Hauswirtschaftsunterricht kann nicht in dem nötigen llmjange erweitert werden. Die durch Ortsgesetz vorge« sehen« Stunde für Leibesübungen kann nur in be» jchränktcm Umfange stattsinden und von der seitens der Landwirt« fchaftskammer und der städtischen Gütcrverwaltung gewünschten Landwirtschaftsschule kann überhaupt keine Rede sein. Die höheren Fachschulen können nicht so mit Lehrmitteln versehen werden, wie es der Stand der Technik und des Kunst» gewerbes erfordert. Die Laboratorien veralten immer mehr. Die Werkstätten zur Ausbildung der Qualität»» a r b e i t e r sind einfach ungenügend. Die früher vorbildlichen Fach- und Berussschulen von Berlin werden von auswärtigen Schulen überflügelt werden. Handel, Gewerbe und Industrie werden diefe Not des Berliner Haushalts in naher Frist zu spüren bekommen und unser Nachwuchs wird für den Lebenskampf ungenügend gerüstet sein. Es ist nur dringend zu hassen, daß auch hier die Stadt bald in der Lag« ist, ihre zwangsläufig ausgeschobenen Absichten aufzu- greifen und durchzuführen.

Leb, weiß nicht wie lang, Sterb, weiß nicht wann, Fahr, weiß nicht wohin, Weiß nicht, was ich so fröhlich bin. Altes Lied. Die Enliasjungsformalitäten aber für frei geworden« Untersuchungsgefangene find kurz. Sie wickeln sich um f» rascher ab, je mehr die Staatskasse zu befürchten hat, nutzlos einen Untersuchungsgefangenen zu füttern. i Da wird sie also auf irgendeiner Hintertreppe in ein Bureau geführt, in dem hinter einer Holzgalerie und vor einem offenen Kassenschrank ein gelbsstchtiger Mensch feines Amtes waltet und den zur Entlassung Kommenden ihre Hab- seligkeiten und ein Merkblatt des Vereins zur Versorgung entlassener Gefangener aushändigt. Habseligkeiten hat die kleine Sif nicht mitgebracht in dieses Haus, o nein. Und das Merkblatt jenes in seiner Wirk- samkeit durchaus nicht zu unterschätzenden Vereins hat sie dann sogar noch in der Hand, als sie eine halbe Stunde später das Haus verläßt. Und als ihr, die für diesen Bureau» menschen da offenbar geistig außerstande ist, den Entlassungs- beschluß in seiner Tragweite zu begreifen... als ihr dann eröffnet wird, daß von der Familie ihres Mannes hier die gleich auszuhändigende Geldsumme deponiert sei, daß sie über soundso viel Zehntausende zu quittieren habe, daß sie aber im übrigen gehen könne, wohin sie wolle: ssiche, da hört dieser von außergewöhnlichen Schicksalen doch wohl unberührt ge». bliebene alt« Rechnungsrat von ihr nur immer wieder ine halblaut gemurmelten Worte, daß sie es trotzdem getan habe, daß sie es eigentlich habe tun wollen und daß sie ihr Recht verlange... Worauf er kopfschüttelnd die Quittung der kleinen Sif heftet und in seinem Journal den einschlägigen Vermerk macht und ihr bedeutet, daß sie nunmehr fortgehen solle. Und die kleine Sif geht. Da ist ein langer Korridor mit römischen, nach der Wilsnacker Straße sich öffnenden Rund- bogenfenstern, da erhebt sich von einer der hier für den Parteienverkehr stehenden rohrgeflochtenen Bänke in Pelz und Gummigaloschen ein Mann... ja und plötzlich steht die kleine Sif dem Schwager Lex gegenüber. Der Schwager Lex, lebenstüchtig im Gegensatz zu seinem Bruder Robby und gewohnt» den Lebensnotwendigkeiten ohne Umschweife zu begegnen, eröffnet ihr, daß sie nach dem Vorgefallenen selbstverständlich die Familie eine Scheidungs- klage habe einreichen müssen: daß sie sich fortan nicht mehr dem Haufe Bruckner zuzählen dürfe, daß er aber, in Anbe- tracht der besonderen Umstände, sich oerpflichtet fühle... (Fortsetzung folgt.)