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Berlin und der Städtetag.

Verhandlungen zum Ausgleich der Differenzen.

Den magistrat beschäftigte in seiner gestrigen Sitzung der Konflikt mit dem Preußischen Städtetag wegen des Finanzaus­gleichs. In der letzten Sigung der Stadtverordnetenversammlung war der bekannte Antrag der Demokraten, des Zentrums und der Sozialdemokraten zur Annahme gelangt, in dem gesagt wurde, daß

auch die Haltung des Städtetages zur Benachteiligung der Stadt Berlin bezüglich des Finanzausgleichs beigetragen habe, und daß Berlin sich mit den preußischen und deutschen Gemeinden in Not­gemeinschaft verbunden fühle, aber in einer Vereinigung nicht ferner mitarbeiten könne, die ihr kein Verständnis und feine Ge­rechtigkeit zuteil werden lasse. Der Magistrat hat sich gestern dieser von der Stadtverordnetenversammlung ausgesprochenen Rücktritts­androhung nicht angeschlossen, sondern auf Grund des Tagungs­

berichtes des Preußischen und Deutschen Städtetages in Koblenz beschlossen, auf dem Verhandlungswege einen Ausgleich der zutage getretenen Differenzen herbeizuführen. Wer diese Vechand­lungen führen wird, steht zurzeit noch nicht fest, ebensowenig der Termin dieser Besprechungen. In Kreisen der städtischen Körper­schaften steht man auf dem Standpunkt, daß sich eine Einigung auf dem Verhandlungswege und durch gegenseitige Aussprache her­beiführen lassen wird, und daß man auf diese Art und Weise die Interessen der Reichshauptstadt bezüglich des Finanzausgleichs beffer

vertreten fönne als durch die schroffe Form des Austritts.

Auf die Möglichkeit dieser Lösung wurde im Bormäris" bereits gestern hingewiesen.

Die Freibäder öffnen.

Müggelsee und Wannsee bereits am 15. Mai. Freibades Müggelsee statt. Vom Bahnhof Rahnsdorf bis zu Am 15. Mai findet die Eröffnung des vollständig renovierten dem dem Freibad vorgelagerten Hochwald ist ein neuer Brome: nadenweg gebaut. Ein zweiter Promenadenweg mit Radfahrer: weg mit einer Breite von 8 Metern beginnt in Friedrichshagen am Wasserwert, wo die Straßenbahnlinie 84 ihren Endpunkt hat und erstreckt sich bis zur Rahnsdorfer Wassermühle. Das Freibad selber hat einen Volkspart und einen Autopart erhalten. Das neueingerichtete Freibad Müggelsee verspricht eine besondere Sehenswürdigkeit für Berlin zu werden und wird auch seine An­ziehungskraft auf den Ausflugsverkehr ausüben. Gleichfalls am 15. Mai wird das Freibad Wannsee , das man wohl als das Volksbad der Berliner bezeichnen darf, eröffnet. Auch hier sind eine Reihe baulicher Veränderungen, sehr zum Vorteil der Anlage, vor­genommen worden. So hat man auch hier einen Promenaden­meg neu angelegt. Gleichzeitig ist ein Autoweg gebaut, der aller­dings noch nicht ganz vollendet ist. In Anbetracht der Volkstüm­lichkeit des Freibades Wannsee hat man hier besondere Eingänge für Kinderwagen eingerichtet. Die Umkleidekabinen sind erweitert. Es ist ein neues Kabinenfeld gebaut, und auch besondere Stände für Fahrräder sind eingerichtet.

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Alte Berliner Ortsnamen.

Es ist jedenfalls eine verdienstliche Sache, wie Hermann Bazig in seiner Einleitung zu seinem Buch Alte Ortsnamen im Westen Groß- Berlins"( Verlag von Karl Curtius, Berlin ) ausführt, wenn er es unternimmt, kurz vor dem Auslöschen des alten historischen Berlin noch einmal einen Blick zu tun auf die alten Ortsnamen der großen Stadt. Diese Namen, deren viele unsere Väter noch gekannt haben, find die letzten Reste einer Bergangenheit, aus der zu guter Letzt doch das Denken und Fühlen der Gegenwart gewachsen ist. Einige Zitate aus dem fleinen handlichen Büchlein, das jedem zu emp. fehlen ist, der sich für Berlins Geschichte interessiert, mögen den Fleiß aufzeigen, den der Herausgeber beim Sammeln der alten Ortsnamen aufgewendet hat.

Vor allem der Name Berlin selbst, der sich aus der slawischen Bezeichnung das Wehr" herleitet. So viele Deutungen der Name schon erfahren hat, so scheint diese doch die richtigste zu sein: ein Wehr, das das rechte zum Barnim gehörende Spreeufer mit dem linten in Teltow gelegenen verbindet. Kölln, die alte Bezeichnung der Schwesterstadt, aus der der neue Name Neukölln" abgeleitet worden ist, wird von H. Bazig dahin erklärt, daß sie sich von dem lateinischen Wort Colonia herleitet. Für die Entstehung des Namens Colonia gewinnt man eine auf breiterer Grundlage ruhende Er­flärung, wenn man die anderen Koln genannten Orte vergleicht. Der Name Colonia bedeutet im Mittelalter Colonenhaus, Wohnort der Coloni, wie die Halb- oder Ganzfreien hießen. Es ist dabei inter­effant, zu beachten, daß also ursprünglich das alte Fischerdorf Kölln ein Bestandteil Berlins war, erst durch die Markgrafen Johann I. und Otto III. bald nach 1230 zur Stadt gemacht, und heute wieder mit dem Mutterort zusammengeschmolzen.

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Wir erwähnen einige noch bekannte und gebräuchliche Bezeich­mungen, die sich aus grauer Vorzeit erhalten haben. Die Tempelhofer Blanke Hölle" ist der entstellte Name für, Blante heller". ,, Damm" hieß bereits im 16. Jahrhundert der jetzige Kur­ fürstendamm . Grunewald " nannte Joachim II. sein neu zu erbauendes Jagdhaus 1342, um seine Umgebung von der Kiefernheide zu unterscheiden, nach dem damals wohl mehr als jetzt Den See umschließenden Laubwald. Heerstraße", 1591 Herr­Straße genannt, ist die alte Weglinie, welche die Verbindung des Westens der Mark mit dem neu zu besetzenden oder den schon besetzten Gebieten des Ostens bildete. Es war der Weg, der nach Potsdam führte, die jetzige Berliner - Potsdamer Straße und Pots damer Chauffee in Zehlendorf . Stegliß", die Endung ist slawisch, der erste Bestandteil des Wortes stegel aber deutsch . Beim Entwurf des Steglizer Wappens im Jahre 1887 ging das Heroldsamt von steg aus; genauer entspricht mnd. stegel, hochdeutsch ſtigila( wonach auch ein Ort Stieglitz heißt), eine Vorrichtung zum Uebersteigen einer Hecke oder eines Baunes, auch eine auf- bzw. abwärtsführende Treppe. Im Munde der umwohnenden Slawen erhielten deutsche Gründungen, deren zweiter Namensbestandteil dorp war, statt dieses Wortes oft die Endung iz. Diese kleine Ausleje möge genügen, um das Buch allen Berlinern wärmstens zu empfehlen.

Eine neue Polizeiberufsschule.

leitenden Ideen sein. Staat und Wirtschaft, die grundlegenden Faktoren alles gesellschaftlichen Lebens, sollen beim Unterricht die hervorragendsten Fächer werden. Der Polizeibeamte stehe im Mittel­punkt des wirktschaftlichen Lebens und müsse deshalb all den viel­gestaltigen Erscheinungen des öffentlichen Lebens mit dem richtigen Verständnis gegenübertreten fönnen. Den von Chorgesängen um­rahmten Ansprachen schloß sich ein Rundgang durch die Räume an.

Arbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde Gr.- Berlin Sonntag, 15. Mai 1927:

Kinderfreunde- Maitag

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auf der großen Spielwiese im Volkspark Neukölln, Tempelhofer Feld. Gesang, Spiel und Tanz. Beginn um 11 Uhr vormittags. Ansprache: Kurt Löwenstein . Gemeinsames Mittagessen( Bons für 20 Pfg erhältlich bei den Helfern). Treffpunkte der Kreise werden noch bekanntgegeben.

Ertrunken oder ertränkt?

Zwei Jahre Gefängnis für eine Kindestötung.

Als der 18jährigen Frieda K. nach einer trostlosen Jugend nun endlich Lebensfreude winkte, geschah das Unglück; sie wurde Mutter und tötete ihr Kind. Ihre eigene Mutter hatte sie, kaum zwei Jahre hatte sie feine frohe Kindheit. Als sie, die Vierzehnjährige, in alt, verloren. Bei der Tante, bei der sie mit ihrem Vater lebte, alt, verloren. Bei der Tante, bei der sie mit ihrem Vater lebte, Stellung zu gehen gezwungen war bei der bloßen Erinnerung

daran fließen ihr noch jetzt die Tränen, so einsam und traurig fühlte sie sich damals da kümmerte sich ihr Vater überhaupt nicht um sie; die Tante besuchte sie zwar, ihr Vertrauen besaß sie jedoch nicht.

Dann lernte sie im Juli v. J. in Treptow den St. kennen; er stand vor der Scheidung mit seiner Frau. An der 18jährigen Frieda fand er Gefallen; er führte sie bei seinen Eltern ein, nahm sie aus stelle; sie kochte ihm das Essen, er versprach ihr die Heirat. Als dann ihrer Stellung, mietete ihr ein Zimmer in der Nähe seiner Arbeits­feine Frau von ihm zog, führte Frieda ihm die Wirtschaft; ganz intim wurde das Verhältnis jedoch erst im Dezember. Frieda hatte aber vor ihrem Freund ein Geheimnis, das sie sorgsam hütete: ihre fönne; sie wäre dann wieder ohne Heim, herumgestoßen unter Schwangerschaft. Sie fürchtete, daß er ihr seine Liebe entziehen Bruder ihrer Schulfreundin Gewalt angetan haben. Bald wußte sie, fremden Leuten. Am 28. März desselben Jahres soll ihr der daß sie Mutter sein würde. Sie hatte niemand, dem sie sich an­vertrauen konnte. So verbarg sie ihr Geheimnis vor der ganzen Welt; sie versuchte, an das Kommende nicht zu denken. Am 22. De­zember fam das Kind. Ohne Hilfe und Rat stand sie da. Das Kind blieb nicht am Leben. Hatte sie es getötet? Sie bestritt es anfangs: das Kind sei im Bade ertrunten, als sie von einer Ohnmacht be­fallen worden sei. Dann war sie geständig, es ertränkt zu haben. Gestern vor dem Landgericht II, wo sie sich zu verant­worten hatte, glaubte sie mit Bestimmtheit nicht sagen zu fönnen, nach der Niederkunft hatte sie aber den Arzt, der sie wegen der ob sie das Kind ertränkt hätte, oder ob es ertrunken ist. 3wei Wochen Folgen der Geburt aufgesucht hatte, auf den Korb gemiesen, in dem die Leiche des Kindes versteckt war. Die erst Achtzehnjährige wäre das Unglück ein halbes Jahr früher passiert, so hätte sie sich vor dem Jugendgericht zu verantworten gehabt saß da mit großen fragenden Augen und weinte unaufhörlich. 27 Tage hat sie in Untersuchungshaft verbracht. Jeht wohnt sie bereits als Verlobte bei ihrem Freund, der nun von seiner Frau geschieden ist. Er hätte sie auch mit dem Kinde lieb behalten, behauptet er. Ja, menn sie das hätte ahnen können! Das Gericht verurteilte die Angeklagte zur gefeßlich zulässigen Mindeststrafe von zwei Jahren Ge­fängnis unter Anrechnung der 27 Tage Untersuchungshaft. Nach Verbüßung eines Jahres soll ihr für den Rest der Strafe Be währungsfrist zugebilligt werden.

Der Großschulmeister".

Auf eine beträchtliche Leichtgläubigkeit spekulierte ein Schwindler, der es auf die Groß- Berliner Schulwarte abgesehen hatte. Er ver­rechnete sich auch nicht, bis er nach zwei Monaten endlich an den Schulen erhielten Besuch von einem Manne, der angeblich im Be­Unrechten fam. Die Schulwarte von Gemeinde- und auch höheren griffe stand, in Ostpreußen ihr Kollege zu werden. Bisher war er, wie er erzählte ,,, Großschulmeister des Herzogs von Hessen " gewesen. Das klang zwar etwas ungewöhnlich, aber man hegte doch kein Mißtrauen und glaubte dem Manne auch, daß es ihm nach dem Abbau jetzt mit vieler Mühe gelungen sei, in Ostpreußen durchaus begreiflich, daß der Besucher in den Jahren nach dem Ab­als Schulwart wieder anzukommen. Die Kollegen" fanden es auch gelassen hatte, nach und nach aufgezehrt habe, mit dem Rest nur bau jeine geringen Ersparnisse, die ihm die Inflation noch übrig noch bis Berlin gekommen sei und hier jetzt Hilfe in Anspruch nehmen müsse, um sein Ziel erreichen zu fönnen. Der frühere Großschul­meister" fand überall milde Herzen und offene Hände. Unter 2 bis 5 M. erhielt er nirgends. In den Doppelschulen besuchte er gleich beide Schulwarte. Im Verlaufe von zwei Monaten hatte er so schon einen großen Teil von Groß- Berlin abgegrast, aber doch noch nicht das ganze Stadtgebiet. Da geriet er endlich an einen Schul­wart, den der absonderliche Titel doch stubig machte. Der Vor­fichtige holte einen Schupowachtmeister, um den Erzählungen etwas mehr auf den Grund zu kommen. Als der Großschulmeister" das merkte, versuchte er zu entschlüpfen. Er wurde jedoch ergriffen und von der Kriminalpolizei als ein 42 Jahre alter Seemann Walter Johannsen aus Hamburg festgestellt. Der hatte Lust bekommen, sich einmal etwas länger das Land anzusehen. Sich die Mittel dazu durch Arbeit zu verschaffen, erschien ihm nach dem langen Aufent­halt auf See etwas zu beschwerlich. Deshalb schlug er den be­quemeren Weg ein, der außerdem auch mehr einbrachte. Es machte ihm Freude, daß es ihm gelungen war, die Landratten hochzu­nehmen".

Funkwinkel.Z

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Die neuen Räume in der Polizeiberufsschule ,, Mitte " in der Hannoverschen Straße 28/30 wurden gestern durch einen Geheimer Justizrat Prof. Dr. Heilfron erörterte in den fleinen Festaft, an dem zahlreiche höhere Polizeibeamte teilnahmen, Rechtsfragen des Tages" nodymals Einzelfragen des Nachbarrechts, feierlich eingeweiht. Bolizeipräsident Genosse 3örgiebel Aufwertungsprobleme und einiges andere Aktuelle aus verwandten stizzierte in einer kurzen Ansprache die Bedeutung der neuen Schule Gebieten. Dr. Hellmuth Falkenfeld sprach in dem Zyklus der größten Polizeigruppe Berlin , die ihre bisher auf die ver- Sokrates und feine Bedeutung für die Gegenwart" über Sofrates, schiedenen Bezirke verteilten 60 Schultlassen nunmehr endlich den Denker". Er zeigte in flarer Darlegung der fokratischen Lebens­habe zusammenlegen können. Er dankte allen, die zur Erreichung philosophie ihren Busammenhang mit der kantischen wie der mejjia­dieses Zieles beigetragen haben und schilderte weiterhin Aufgaben nischen Ideenwelt. Prof. Dr. Seligmann fündigte den und Ziele der neuen Schule, die im Dienste der Ausbildung der Sommerfeldzug der Stadt Berlin gegen die Mücken an und Polizei stehe und denen helfen will, die erst Bolizeibeamte werden gab einen Ueberblick über die für diesen Kampf zur Verfügung wollen. Der Unterricht solle auf den praktischen Bolizeidienst gestellt stehenden Hilfsmittel. Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn er dabei sein und die Männer, die an ihm teilnehmen, sollen in erzieherischer nochmals eindringlich hervorgehoben hätte, daß das Ueberhand Arbeit zu wahrhaften Staatsbürgern herangebildet werden. Der nehmen der Mückenplage nicht nur eine Unannehmlichkeit, sondern heutige Polizeibeamte müsse ein rechter wahrer Volts eine schwere gesundheitliche Gefahr bedeute, gegen die nicht energisch polizist sein. Auch die Lehrer müssen die Republit be= genug eingeschritten werden kann. Auf Gesundheitsstörungen jahen, sich jedoch von jeder Parteipolitit fernhalten. Mehr noch infolge mangelhafter Bahnpflege" wies Dr. med. Frig Salomon als bisher müffen die wirtschaftlichen Dinge in ihrer Bielgestaltigkeit hin. Er betonte die Notwendigkeit der Zahnpflege von frühester berücksichtigt werden. Mit dem Wunsche, daß die Schule den Be- Jugend an, da schlechte Zähne die unmittelbare und mittelbare amten eine willkommene Rüstung für ihren schweren Beruf werde Quelle schwerster Krankheiten sein könne. Im Rahmen der und zum Wohle der Bevölkerung und des Vaterlandes dienen möge, Unterhaltungsstunde der Jugendbühne las Grete Nebelung übergab der Polizeipräsident die Räume dem Schulleiter, Polizei Fisch recht durchschnittlich zwei schöne Grimm- Märchen. Das chulrat Kämmerer. Dieser versicherte, daß er alle Kräfte daran Orchesterkonzert am Abend zeigte die Funkkapelle unter dem Diri setzen werde, das zu erhalten, was mit der neuen Schule geschaffen genten der Berliner Staatsoper, Selma Meyrowiß, wieder von der wurde. Das Haus folle eine Stätte wahrer ernster Berufsschularbeit besten Seite. Hedwig Francillo- Kaufmann war der Beranstaltung werden. Staatsbürgerliche Bildung, soziale Gesinnung sollen die eine würde Solistin. Lef.

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Der Unfug der Meineidsverfahren.

Ein begrüßenswerter Freispruch.

Die Eheleute S. lebten seit 1920 getrennt; der Ehemann vers fehrte mit einer Witwe E. Der Ehefrau gelang es zwar, durch ein Detektivbureau, das einen Siebzehnjährigen mit der Beobachtung des Herrn B. betraute, dessen Besuche bei der Witwe festzustellen; die Ehescheidungsflage und Widerklage der Eheleute wurde jedoch abgewiesen, da eine Versöhnung stattgefunden hatte. Der eheliche Friede währte aber nur wenige Tage; Herr S. fand den Weg in die Wohnung der Witwe zurück; Frau B. bemühte sich um neue Beweise für das ehebrecherische Verhalten ihres Gatten. Auf An­raten ihres Anwaltes beschloß sie, die Nachbarn der Frau E. aus­zuforschen.

Und wirklich, eines Tages flopfte es bei den Eheleuten S., die unter der Witwe wohnten. Sie bestätigten der Frau B. gegen­über, daß sie ihren Mann von den Besuchen bei Frau E. her fennen. Frau S. versprach auch, fernerhin aufzupassen. Am Kar­freitag 25 Uhr morgens hörte sie plötzlich Krachen" in der oberen Wohnung; bald darauf wurde die Wohntür auf- und zu­geschlossen und aus der Haustür sah sie einen Herrn fommen, in dem sie nach Gang, Figur und Geficht Herrn B. zu erkennen glaubte. Von ihrer Wahrnehmung teilte fie sofort ihrem Mann mit, der Frau B. am selben Tage telephonisch anrief. Am Abend desselben Tages glaubte Frau E. wieder Herrn B. über den Hof gehen zu sehen. Frau B. hatte unterdes eine neue Chefcheidungs­flage angestrengt, die jedoch in der ersten Instanz abschlägig be­schieden worden war. Für die Berufungsverhandlung war err S. von Herrn B. als Beuge dafür genannt worden, daß er die Witwe E. schon seit langem nicht mehr befuche. S. hatte aber zur Verhandlung seine Frau mitgenommen. Auf seine Veranlassung wurde auch sie vernommen und fie bezeugte unter Eid ihre Wahrnehmungen am Karfreitag. Das Gericht sprach die Ehescheidung aus und erklärte den Ehemann B. für den schuldigen Teil. In der Begründung hieß es, daß die Ent­scheidung selbst unter Ausschaltung der Aussage der Frau S. nicht anders ausgefallen wäre. Der Ehemann B. erstattete trog­dem gegen Frau S. Strafanzeige wegen Meineids. Die Staats­anwaltschaft erhob Anklage wegen fahrlässigen Falscheids. Das Schöffengericht erklärte sich jedoch für nicht zuständig und gab die Sache an das Schwurgericht" weiter; es war der Ansicht, daß ein Meineid vorliege; die Gerichtsverhandlung hatte nämlich ergeben, daß Herr B. an dem fraglichen Morgen und Abend unmöglich in der Wohnung der Witwe gewesen sein fonnte.

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So stand Frau S. nun vor dem Landgericht II unter der Anklage des Meineides. Sie machte den Eindruck einer Frau, die mit bestem Wissen und Gewissen ihre Aussage im Ehescheidungs­prozeß gemacht hatte. Allerdings mußte sie sich geirrt haben, etwa so, wie sich auch jeder andere Mensch hätte irren fönnen. Trotzdem beantragte der Staatsanwalt ein Jahr 3uchthaus. Das Gericht sprach die Aegeflagte frei. Wenn irgendein Fall, so ist gerade dieser geeignet, den Unfug der Meineids­verfahren schlaglichtartig zu beleuchten. Eine Zeugin erfüllt ihre Bürgerpflicht, befundet, was sie gesehen zu haben glaubt. Es liegen gar feine Gründe vor, anzunehmen, daß sie etwa bewußt oder fahrlässig die Unwahrheit gesagt habe; trotzdem wird gegen fie die Anklage wegen fahrlässigen Falscheides, ja wegen Mein­eides erhoben. Diese Erfahrungen werden es gewissenhaften Leuten unmöglich machen, irgend welche Aussagen zu beschwören. Irren ist menschlich, selbst Richter sind dem Irrtum unterworfen. Aus dieser Erkenntnis heraus sollte man mit Meineidverfahren etwas sparsamer sein.

Der Zigeuner Herzberg.

des ganzen Treibens des endlich verhafteten Zigeuners Herzberg Die Ermittlungen, die die Mordinspektion A. zur Aufklärung immer noch fortjent, erstrecken si fich auf viele Gegenden. Anfangs handelte es sich immer nur um Gerede, das unter den Zigeunern, selbst über die Verbrechen Herzbergs umging. Erst nach und nach fristallisierten sich bei den Nachforschungen die Tatsachen heraus. Jetzt wird auch allen anderen Andeutungen sorgfältig nachgegangen, so z. B. den Schießereien mit Gendarmen und Förstern in Bommern , bei denen ein Zigeuner stets entfam. Im Hannoverschen soll Herzberg, der ein großer Mann von zwei Zentnern Gewicht ist. einen anderen Zigeuner, der ihn nur aus Erzählungen fannte, auf einem Pferdemarkt ohne weiteres erschossen haben, als er ihn mit Tommerly" anredete und ihn fragte, woher er den Mut habe, hier in die Stadt hineinzugehen. Herzberg selbst trägt am Körper ver­fchiedene Schußnarben, ebenso seine Frau, die öfter Seite an Seite mit ihm im Feuerfampf gestanden hat. Ob er seine Mutter bei dem Zusammenstoß mit Bolizeibeamten auf der Chauffee bei Dortmund absichtlich erschossen hat, weil er sich von ihr verraten glaubte, oder ob er sie beim Feuern auf die Beamten versehentlich in den Ha!> getroffen hat, ist noch nicht festgestellt. Die Beamten tamen danials nicht mehr zum Schuß. Herzberg jagte sofort davon, und dabei fie!, wie wir schon mitteilten, die Leiche seiner Mutter aus dem Wagen. Während seines achtjährigen Aufenthaltes im Zuchthaus hat der Schwerverbrecher in Wutanfällen wiederholt nicht nur Mitgefangene, sondern auch Aufseher tätlich angegriffen. Aus diesem Grunde saß er während der meisten Zeit in Einzelhaft. Der Mann der Peruanerin.

Einen recht romantischen Hintergrund hatte die erste Ehe des 37 Jahre alten Selterwasserfabrikanten Wilhelm Sch., der sich vor dem Schöffengericht Lichtenberg wegen Bigamie zu verani worten hatte. Der Angeklagte war im Jahre 1919 auf einem Dampfer Matrose und kam so nach Südamerika , wo er in Lima , der Hauptstadt Berus , an Land ging und hier in einem Bordell die etwas ältliche Rosa Merzedas Marschello fennen und lieben lernte. Schon nach ganz kurzer Zeit verheiratete er sich mit der Dame, es fand eine prächtige Hochzeit mit firchlicher Trauung statt; aber. der fühle Deutsche hielt es an der Seite der leidenschaftlichen Peru­anerin nicht lange aus, und unter dem Vorwand, in feiner Heimat eine Erbschaft antreten zu müssen, fuhr er nach Deutschland , um nicht mehr wiederzukommen. Hier ging er, ohne von der ersten Frau geschieden zu sein, eine neue Ehe ein. Sch., der geständig war, wurde zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Doch wurde ihm bei Zahlung einer Buße von 500 Mart eine dreijährige Be­währungsfrist erteilt.

Volksgemeinschaft" auf dem Lande.

Man schreibt uns: In Willendorf bei Strausberg ereignete fich vor einiger Zeit ein Fall, der so recht ein Schlaglicht auf die Berhältnisse auf dem Lande wirft. Ein dort wohnender Guts meier wurde von der dortigen Gutsverwaltung aus fleinlichen Anlässen heraus entlassen. Er mußte auch die Gutswohnung räumen. Angeboten wurde ihm mit seiner Familie dafür ein Raum, der 2 mal 4 Quadratmeter groß ist, trotzdem damals in Wilkendorf zwei Wohnungen leer standen. Mehrere Eingaben beim zuständigen Landratsamt führten leider zu feinem Ergebnis. Der 64 Jahre alte Mann fand nun glück­licherweise in dem Willendorfer Forstbetrieb, der einem anderen Be­fizzer gehört, neue Beschäftigung. Anfang März erlitt er einen eraschlag. Die Leiche wurde auf einen Wagen geladen und nach Hause gebracht. In der kleinen Kammer fonnte der Verstorbene nicht untergebracht werden. Man wandte sich deshalb an den Guts­pächter, der zugleich Gutsvorstand ist, mit der Bitte um einen Unter­funftsraum für die Leiche. Es wurde die Antwort erteilt: ,, Es ginge ihm nichts an, die Familie solle den Verstorbenen unterbringen." Der Tote mußte nun den ganzen Nachmittag über auf dem Wagen vor seiner elenden Behausung bleiben, bis sich ein jüngerer Gutsarbeiter aufraffte und bei dern Amtsvorsteher die Herausgabe des Sprißenhausschlüssels, der bis­her verweigert wurde, durchsehte. Nun konnte man endlich die Leiche im Spritzenhaus aufbahren, was man sonst nur mit unbekannten und heimatlofen Toten macht. So geschehen im Jahre 1927 tura vor den Toren Berlins .