Nr. 22444. Jahrg. Ausgabe A nr. 114
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Freitag, den 13. Mai 1927
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Preußens Notwehr gegen den Bürgerblock
Nachtsitzung im Landtag. - Otto Braun rechnet mit den Deutschnationalen ab.
Der preußische Ministerpräsident, Genoffe Otto| jeder Republikaner hinter die jetzige preußische Staatsregierung Braun, hat gestern im Landtag eine eindrucksvolle, wohl- ftellen.( Sehr wahr! bei den Soz.) Wir laffen feinen Zweifel begründete Anklagerede gegen die Benachteiligung Preußens darüber, daß die preußische Regierung die Außenpolitif des durch das Reich gehalten. Diese Anklagerede ist die beste Reiches wie bisher zu unterſtüßen hat. Antwort auf die Agitationsrede des deutschnationalen Parteiführers, Grafen West arp, der von himmelschreiender Mißwirtschaft der preußischen Regierung gesprochen hat.
Otto Braun hat als preußischer Ministerpräsident die Interessen des Landes Preußen wahrgenommen, er hat darüber hinaus die Wirtschaft des Bürgerblocks im Reiche be
leuchtet.
Den Anlaß zu dieser öffentlichen Auseinandersetzung hat die Benachteiligung der preußischen Grenzlandprovinzen beim Finanzausgleich gegeben. Die Regierung des Bürgerblocks im Reiche ist abhängig von den Stimmen der Bayerischen Volkspartei . Diese Stimmen sind erkauft worden durch eine Sonderbegünstigung Bayerns beim Finanzausgleich. Diese Begünstigung hat zu einer Herabsetzung der Reichszuschüsse für die Grenzgebiete auf 25 Millionen Mark geführt. Bei der Verteilung dieser 25 Millionen wird Bayern abermals begünstigt, es erhält mehr als Ostpreußen . Der ganze Handel vollzieht sich auf Kosten der preußischen Grenzprovingen.
Die Nußnießer des Handels sind finanziell die Bayern , politisch aber die Deutsch nationalen. Sie sind die Nugnießer der Bürgerblockpolitik, sie haben mit der Benach teiligung der preußischen Grenzprovinzen und der Preisgabe der preußischen Interessen ihre Stellung in der Reichsregierung erfauft.
Der Ministerpräsident hat über die Not der Ostprovin. zen gesprochen. Selbstverständlich ist ihnen nicht allein mit Geld zu helfen. Dazu ist notwendig die gegenseitige Verständi. gung mit Polen , die aber nicht auf Kosten Deutschlands oder Preußens erfolgen darf. Wir wollen feine Balfanisierung des Ostens und feine Irredenta. Nachdem die Provinz Grenzmark einmal geschaffen ist, muß die Staatsregierung nicht nur den Ver waltungsapparat aufrechterhalten, sondern auch die kulturellen und vor allem die sozialpolitischen Interessen dieses Landesteiles wahr nehmen. Dasselbe gilt für Ostpreußen und für die Provinz Schlesien .
Von den 25 Millionen, die das Reich für den Grenzfonds zur Verfügung gestellt hat, hat Preußen mur 15 Millionen erhalten. Die Summe reicht natürlich bei weitem nicht aus, und der Ministerpräsident hat die Forderung gestellt, vom Reiche aus eine andere Schlüsselung vorzunehmen. Wir unterstügen ihn darin, denn die Interessen Preußens dürfen nicht hinter denen der süddeutschen Staaten zurückſtehen.
3m Reichsrat haben allerdings deutschnationale Vertreter der preußischen Provinzen gegen die Interessen des deutschen Ostens gestimmt, wie Freiherr v. Gayl.
Abg. Schlange- Schöningen( Dnat.): Rein fonservativer Minister präsident der töniglichen Zeit hätte eine so minderwertige Rede ge halten, wie Herr Braun.( Unruhe bei den Soz.) Aber es fehlt ben bestregierenden Sozialdemokraten zum großen Revolutionär die Kraft zum großen Reformer, der Geift. Sie flammern fich ledig lich hysterisch an den Schutz der Republif.( Stürmisches Gelächter bei den Soz. Zurufe: Republitschuhgesetz!) Das öffent Der deutschnationale Provinzialvertreter für Ostpreußen , liche Gezänt zwischen dem Reich und Preußen ist ein Trauerspiel Freiherr v. Gay1, hat im Reichsrat gegen die Interessen für das deutsche Volt. Alle diefe Extravaganzen leistet sich Herr Breußens und Ostpreußens für den Finanzausgleich und die Braun, obwohl seine Mehrheit mehr auf der förperlichen Gesund Sicherung der deutschnationalen Stellung in der Reichsregie- heit der sozialdemokratischen Abgeordneten als auf ihrem Geistes zustand beruht.( Große Unruhe links.) Gegen die sozialdemokrarung gestimmt. tische Mißwirtschaft in Preußen zeugen drei Jahrhunderte preußischer Geschichte. Herr Braun wird bald eine Episode sein, die der Bergangenheit angehört.( Bravo rechts, 3ischen links.)
In den Grenzprovinzen herricht helle Empörung über diese Benachteiligung aus parteipofitischen Motiven. Ein Broteststurm hat sich erhoben, an dem die Deutschnationalen Ostpreußens lebhaften Anteil haben. Die deutschnationale Breffe flagt beweglich über die Not der Grenzmart. Es ist ein verlogenes Spiel, das die Deutschnationalen mit der Not der Grenzprovinzen treiben!
Die Deutschnationalen haben von jeher die Sorge um Breußen und seine Interessen im Munde geführt. Sie, die Erben der Konservativen, haben von jeher Preußen als ihre Domäne betrachtet. Sie haben noch vor acht Wochen im Landtage feierlich erklärt, daß sie bedingungslos für die berechtigten Interessen Preußens eintreten würden.
Sie haben gestern im Landtag sich gegen die berechtigten Beschwerden des preußischen Ministerpräsidenten gegen die
Abg. Dr. Heß( 3.): Die Stellung des Zentrums zwischen Otto Braun und Schlange- Schöningen ist durchaus normal.( Seiterfeit!) Beide sind meine Freunde, beide meine Gegner. Schlange- Schönin gen ist mein Freund( Heiterkeit!), denn er ist der Freund meiner Freunde im Reich, fiehe Blög", Kapitel 10.( Große Heiterkeit!) Otto Braun ist hier mein Freund, aber der Feind meiner Freunde im Reich. Diese Situation ist feineswegs fompli
ziert, fie birgt vielmehr alle Keime vernünftiger Verständigung in sich. Die Sozialdemokraten dürfen nur eins nicht übersehen: wie ungeheuer viel die Deutschnationalen in den letzten vier Monaten zugelernt haben.
Auf
Sie haben bei ihrem robusten Trakehner Einschlag noch nicht alles gelernt. Aber der politische Gesundungsprozeß zeigt sich doch deutlich, wenn das Organ des Herrn Hugenberg Herrn Hitler predigt, daß fritische Selbst zucht und Beschränkung auf das Mögliche die wichtigsten politischen Erfordernisse seien. der anderen Seite verstehe ich die Angriffe der Deutschnationalen gegen den preußischen Ministerpräsidenten nicht. Er hat mit tiefer Erregung die berechtigten 3ntereffen Preußens vertreten, und dafür sollten wir alle ihm danken; denn Preußen darf nicht schlechter fahren als die süddeutschen Staaten. Wir danken dem Ministerpräsidenten um so mehr, als wir schwere Sorge um die Zukunft der Länder haben. Darum sollten wir aus dieser Debatte jede Schärfe entfernen und rein sachlich zusammenarbeiten. ( Bravo ! im Zentrum.)
1
Abg. Dr. v. Campe( D. Bp.): Braun hat viel zu scharf ge sprochen. Warum muß denn jede Differenz auf offenem Markt aus getragen werden? Die Uebernahme von Ministerialdirektor Brecht und Dr. Jänide in den preußischen Staatsdienst war Brüstierung des Reiches.
eine
Es folgen die Abstimmungen zum Justizetat. Ein Antrag auf Aufhebung der Altersgrenze für Richter wird in namentlicher Abstimmung mit 193 gegen 154 Stimmen abgelehnt. Der Antrag auf Abschaffung der Todesstrafe wird abgelehnt gegen Go zialdemokraten, Kommunisten und Demokraten. Im übrigen wird nach den Beschlüssen des Hauptausschusses abgestimmt.
Die Fortsetzung der Debatte über den Etat des Ministerpräsidenten wird auf die Abendsigung vertagt.
Gegen 28 Uhr wird die Sigung wieder eröffnet und die Aussprache zum Haushalt des Staatsministeriums und des Minister präsidenten fortgesetzt.
Ministerpräsident Braun
mendet sich zunächst den Ausführungen des Abg. Schlange Schöningen zu und erklärt, daß noch weitere Kreise als bisher seiner oftpreußischen Politit zustimmen würden, wenn die deutschnationalen Blätter sich daran gewöhnen würden, feine Reden wiederzugeben, anstatt sie zu verheimlichen und dafür Schmähreden zu veröffentlichen. Er tenne den Charakter seiner Heimat Ost preußen besser als der Abg. Schlange, er verzichte aber darauf, die zahlreichen 3uschriften zu verlesen, die ihm, dem Ministerpräsidenten,
Eine Niederlage des Bürgerblocks.
Bürgerblodpolitik gestellt. Sie haben die Benachteiligung der Abbau der Krisenfürsorge vom Reichsrat abgelehnt!
Grenzprovinzen durch die Reichsregierung verteidigt. Sie haben allerdings Sorge um Preußen aber nicht um seine wirklichen Nöte und Interessen, sondern nur darum, daß sie nicht die Regierung in Preußen in der Hand haben. Sie haben gezeigt, daß sie um ihrer parteipolitischen Interessen willen rüdsichtslos über die preußischen Interessen hin wegschreiten. Sie haben Partei genommen für den bayerischen Partitularismus gegen die preußischen Interessen, weil sie mit Hilfe des bayerischen Partitularismus in der Reichsregierung figen.
Sie haben den Protest des preußischen Ministerpräsidenten bekämpft, weil sie in Preußen in die Regierung
wollen..
Die Landtagssigung murde bei dieser Sachlage zu einer großen Auseinandersetzung zwischen dem Genossen Otto Braun und den Deutschnationalen . Mit beißender Ironie fertigte Genosse Braun den deutschnationalen Redner Schlange- Schöningen ab, der die Fragen des Schutzes der Republik und der Perfonalpolitik des Bürger blods in die Debatte gezogen hatte. Die zweite ausgezeichnete Rede des preußischen Ministerpräsidenten zeigte in voller Schärfe die politische Konstellation: Preußen rteidigt den Geist der Reichsverfassung gegen die Deutschnationalen in der Reichsregierung.
Im weiteren Verlauf der Debatte über den Etat des Staatsministeriums nahm nach dem Ministerpräsidenten Braun das Wort
Abg. Krüger- Brandenburg( Soz.):
Wir billigen die Stellungnahme des Ministerpräsidenten gegenüber der Reichsregierung. Sit der bemokratische Grundfah richtig, baß die Regierung das Bollzugsorgan des Boltes ist, so muß fich
soziale Reaktion.
Der Reichsraf hat gestern die Verordnung des Reichsarbeitsministers Dr. Brauns über den Abbau der Krisenfürsorge abgelehnt
fekretär Weismann die Ablehnung der gesamten Verordnung, Namens der preußischen Regierung beantragte Staatsund namentliche Abstimmung darüber.
Die Verordnung wurde in namentlicher Abstimmung mif 4 gegen 26 Stimmen abgelehnt. Die Bertreter der preußischen Provinzen stimmten diesmal sämtlich mit dem Staatsministerium gegen die Aufhebung.
reaktionären Charakter der Berordnung des Arbeitsministers Der Beschluß des Reichsrates tennzeichnet den sozialdes Bürgerblods. Die Länder und Provinzen haben sich gegen diese Verordnung gewandt, weil sie mit Recht befürchten, losen ihnen zur Last fallen würden, während das Reich sich daß die aus der Krisenfürsorge herausgeworfenen Erwerbsder Verpflichtung entzieht, die ihm die Verfassung gegenüber den Erwerbslofen auferlegt.
Die Ablehnung der Berordnung im Reichsrat ist unter Führung Breußens erfolgt. Preußen hat einen sozialreaktionären Anschlag des Bürgerblocks im Reiche zunichte gemacht.
Rechtsblock und Getreidewucher.
Eine Geste, aber keine Aktion. Monatelang hat der Rechtsblock der immer skandalöseren Getreibeteuerung untätig zugesehen. Unsere Anträge auf Suspension des Roggenzolls wurden auf Kommando niedergestimmt. Jetzt ist
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Preußen gegen die
dem Herrn Reichsernährungsminister Bange geworden. Aber, unzulänglich wie alle Rechtsblockpolitit, wird jetzt versucht, dem drohen. den Sturm durch eine Gefte zuvorzukommen. Die Regierung hat Ausfuhr von Getreide vorfieht. Dazu wird bekanntgegeben: eine Vorlage gemacht, die die Aufhebung der Einfuhrscheine bei der
Die Getreidepreise sind in der letzten Zeit nicht unwesentlich geftiegen. Den Anlaß zu dieser Preisentwicklung haben die fteigenden Forderungen der Ueberfeegebiete gegeben, denen auf der anderen Seite ein starkes Einfuhrbedürfnis der europäischen Buschußländer gegenüberstand. Die Preissteigerung hat sich in stärkerem Maße auf Weizen als auf Roggen erstreckt. Während noch vor einigen Wochen auf den deutschen Märkten die Preisspanne zwischen Roggen und Weizen nur etwa 10 M. betrug, ist fie gegenwärtig auf rund 30 Mt. angewachsen. Wenn auch mengenmäßig nach wie vor feine Besorgnis für die Versorgung der deutschen Bevölkerung bis zum Einjegen der neuen Ernte besteht. so läßt doch das starke Einfuhrbedürfnis einiger europäischer Länder es zweckmäßig erscheinen, einer stärkeren Ausfuhr deutschen Brotgetreides rechtzeitg entgegenzutreten. Dies fann am zweckmäßigsten dadurch erreicht werden, daß bis zum Einsetzen der neuen Ernte, d. h. bis zum 31. Juli d. J., bei der Ausfuhr pon Roggen, Weizen, Spelz, Gerste und Hafer Einfuhrscheine nicht erteilt werden. Deshalb hat die Reichsregierung eine Borlage eingebracht, die bereits die 3 u stimmung des Reichsrats gefunden hat und in den nächsten Tagen im Reichstag erledigt werden soll."
Die Aufhebung der Einfuhrscheine bis zum 31. Juli ist eine Geste, nach der es scheinen soll, als ob etwas geschähe. Sie ist teine Aktion, die der unvermeidlichen schweren Brotteuerung vorzubeugen vermag. Der Reichstag wird der Rechtsblod. regierung die Antwort nicht schuldig bleiben.