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Abendausgabe

Nr. 225 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 111

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13. Mai 1927

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Berliner Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Die Haussuchung bei den Sowjets.

Großes Polizeiaufgebot bei der Londoner Sowjet- Handelsvertretung.- Völlige Unklarheit über die Gründe.

London , 13. Mai. ( WEB.) Ueber die Hausfuchung in den Bureauräumen der Allrussischen Cooperativen Gesellschaften in der Londoner City meldet Reuter noch die folgenden Einzelheiten: Kurz vor 4 Uhr fraf ein aus verschiedenen Stadtbezirken zufammen­gezogenes startes Polizeiaufgebot vor dem Gebäude ein. Der größere Teil der Polizeibeamten drang in die Räume ein, während der Rest vor den Türen Aufstellung nahm und nie­manden herein- oder herausließ.

Um 9,30 Uhr abends wurde einer Reihe Angestellter gestattet, das Gebäude zu verlassen. Einer von diesen, ein Engländer, erklärte, es feien ihnen die Taschen ausgeleert und jedes Schriftstück geprüft worden. Die Angestellten hätten über vier Stunden ohne Speise und Trant in einem Zimmer auf ihre Durchsuchung warten müssen. Jede Abteilung des Hauses sei gründlich durchsucht worden einschließlich der Bureaus der Ruffischen Handels­delegation, die augenscheinlich das Hauptziel der Durchsuchung ge­wesen seien. Die Polizei habe auf der Oeffnung aller Schränke und Schreibtische bestanden.

Die Durchsuchung der Arkos" war um Mitternacht noch in vollem Gange. Duhende von Polizisten und Geheimpolizisten be­treten und verlassen dauernd das Gebäude, vor dem noch immer eine große Zahl Neugieriger steht. Jnnerhalb des Gebäudes herrscht fieberhafte Tätigkeit. Von Zeit zu Zeit fommen, von Polizeibeamten begleitet, Mitglieder der Arkos" die hell erleuchtete Treppe herunter und verschwinden in einem Zimmer, wo sie anscheinend verhört werden. Wie verlaufet, werden sämtliche Safes, Schränke und Tische geöffnet und die darin befindlichen Dokumente beschlagnahmt und unterfucht.

Die Razzia erregt überall ungeheures Aufsehen. Die Geffentlichkeit ist noch völlig im Dunkeln gelassen London , 13. Mai. ( BTB.) Daily Herald" schreibt in einem fung als eine dirette Beleidigung der russischen Regierung und berührt, wenn die vorliegenden Informationen zutreffen, die Stellung nicht nur der russischen Handesvertretung in England, sondern auch die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Denn Herr Khinchuf, dessen Bureau durchjucy wurde, ist ein Diplomat, der ordnungsmäßig beim Königlichen Hof beglaubigt und formell vom Foreign Office anerkannt ist, also eine

Leitartikel: Das Borgehen der Polizei erscheint bei der ersten Brü­

Person, die alle Borrechte diplomatischer Immunität genießt. Daher ist sein Bureau immun gegen Durchsuchung oder Betreten. Wenn sich die Aktion der Regierung gegen irgendein anderes Land unter ähnlichen Umständen gerichtet hätte, so würde sie gleichbedeu­tend mit Abbruch aller Beziehungen sein. Das Land ist im Dunkel über die Gründe, die die Regierung bewogen haben. Wir wissen nicht, welches Ziel sie verfolgte, als sie diese Razzia anordnete. Wir sehen nur die ernsten Möglichkeiten, die durch diese Aktion geschaffen werden.

Vergeblicher Protestversuch.

London , 13. Mai. ( WTB.) Aus russischen Kreisen wird mit­geteilt, daß der Sowjetgeschäftsträger Rosengolz gestern ver. geblich versuchte, bei Chamberlain wegen des russischen Arcos­Gebäudes zu protestieren. Er wird sich heute wieder um eine Unter­redung bemühen.

Der Innenminister fragt bei der Polizei, was los ist. London , 12. Mai. ( WTB.) In den Abendstunden setzte sich der Staatssekretär des Innern mit den Leitern der die Durchsuchung vornehmenden Polizei in Verbindung. Es verlautet, daß die Haus­fuchung auf Grund einer von den städtischen Polizeibehörden eingeholfen Ermächtigung erfolgte.

Arthur Henderson wird am Freitag an den Staatssekretär des Innern die Anfrage richten, ob es Tatsache sei, daß mit seiner Er­mächtigung eine Haussuchung auf dem Grundstüd des Arkos, oder der russischen Handelsdelegation, oder beider Behörden erfolgt ist, und, wenn dies der Fall ist, ob er die Gründe angeben und dem Haufe eingehende Aufklärungen geben könne.

Ein konservativer Rückzug. Die Regierung fündigt eine Einschränkung des englischen Gewerkschaftsgesetzes an.

Condon, 13. mai.( WTB.) Im Unterhaus teilte der Ober­ftaatsanwalt mit, die Regierung beabsichtige, einen Abände. rungsantrag einzubringen, der vorsieht, daß Personen, die nur fireiten und feine attive Teilnahme an der Organisierung oder Entfachung eines Generalftreites haben, nicht unter die von der Vorlage vorgesehenen Strafen fallen follen.

Stresemann korrigiert Hergt.

Deutsch - polnische Bereinigung der Beuthener Rede.

Ueber die Besprechung, die zwischen dem Außenminister Dr. Stresemann und dem polnischen Gesandten Dr. Olschowski im Anschluß an die Mitteilungen des polnischen Außenministers 3alesti über die Beuthener Rundgebung stattgefunden hat, wird von beiden Seiten folgendes bekanntgegeben:

Der polnische Gesandte Dr. Olschowski suchte am 11. Mai den Reichsaußenminister Dr. Stresemann auf und erklärte ihm, daß trok der starken Erregung der öffentlichen Meinung in Polen aus Anlaß der Tagung in Beuthen

die polnische Regierung nicht beabsichtige, durch irgendwelche Intervention in dieser Angelegenheit die gemeinsamen Aufgaben beider Regierungen zu erschweren,

eine wirtschaftliche Berständigung zwischen beiden Ländern zu schaffen. Davon ausgehend sehe sich der polnische Außenminister 3alesti genötigt, darauf hinzuweisen, daß Kundgebungen, wie sie in Beuthen erfolgt seien, in Widerspruch mit dem Geiste der 3vischen Minister Stresemann und Minister Zaleski in Genf geführten Gespräche ständen und die Bestrebungen beider Minister wesentlich erschwerten, die Grundlage für eine wirtschaftliche Verständigung zu schaffen:

Schließlich gab der Gesandte dem Gedanken Ausdrud, daß, falls die grundsägliche Richtung der deutschen Politit feine Aenderung er­fahren habe, der polnische Außenminister den Wunsch hege, damit rechnen zu dürfen,

gen anläßlich der Tagung in Beuthen beunruhigt fühle, so sei das teilweise auf entstellte und übertriebene Pressenachrichten, teilweise auf Mißverständnisse dessen, was gesagt worden ist, zurückzuführen. Je mehr der Wille der verantwortlichen Regierungen darauf gerichtet sei, eine Politik friedlicher Verständigung zu führen, um so weniger dürfte den Kundgebungen, die auf der einen oder anderen Seite stattfänden, eine übertriebene Bedeutung beigemeffen werden.

Die deutsche Regierung habe ihrerseits wiederholt Mitteilungen über Rundgebungen in Polen erhalten, ohne dagegen Beschwerde einzulegen. Es sei flar, daß beide Regierungen Sorge tragen müßten, um Störungen ihrer gemeinsamen Bestrebungen zu be­

gegnen.

Großer Krach an der Börse. Kursrückgänge bis zu 30 Prozent.-

Schließung der

Börse erwogen. Nachdem gestern die Großbanten die Kürzung der Börsen­gelder um 25 Proz. angekündigt haben und nach dem 15. Juni noch stärkere Einschränkungen zu erwarten find, fam es heute zu dem mit fast mathematischer Sicherheit vorauszusehenden großen rach Die Bestürzung in den Spetulantenfreifen war so groß, daß offenbar schon in den ersten Stunden des Börsenverkehrs die schwersten Kurseinbrüche erfolgten. So fiel der Kurs der 3. G. Farbenaftien von 317 auf 295 Proz. Der Börsenvorstand prüfte daraufhin fofort die Frage, ob die Börse zu schließen sei. Man tam jedoch zu dem Beschluß; den Verkehr weiter stattfinden zu laffen, jedoch mit der Einschränkung, daß bei Kursrüdgängen über ein gewiffes Ausmaß die Kurse nicht mehr notiert werden follen. Die Panitverkäufe find allgemein. Von der Provinz, wie von den Depositenbanken wird sehr stark verkauft. Die Börsen­besucher wollen von sich aus eine Profeftfundgebung durchführen, indem sie heute zunächst teinerlei Geschäfte mehr abschließen. Man muß sich allerdings fragen, gegen men diefe Protefie gerichtet jein sollen. Der heutige schwarze Freitag war von jedem Spetulanten zu erwarten, und es bedurfte nur noch des Beschlusses der Groß­banten, um ihn endgültig herbeizuführen.

daß Nofmendiges unternommen werde, um in Zukunft einer etwaigen Störung diefer gemeinsamen Bestrebungen zu begegnen. Minister Dr. Stresemann hat darauf erwidert, daß die deutsche Politif Bolen gegenüber feine enderung erfahren habe. Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland seien durch die in Locarno getroffenen Abmachungen geregelt, die im Wege des Ausgleichs oder Schiedsverfahrens eine friedliche Erledi gung von Differenzen zwischen Deutschland und Polen gewähr leisteten. Diefe Grundlage unferes Verhältnisses zu Polen sei durch die Erklärungen der heutigen Reichsregierung ausdrüdlich be­ftäfigt. Wenn der Herr polnische Außenminister sich durch Rundgebun. 10 bis 30 Pro3 vereinzelt weit darüber hinaus.

Die Jefffehung der Kurse zeigte durchweg Rüdgänge von

Tagung der Angestellten.

Zum dritten Verbandstag des Zentralverbandes der Angestellten.

In einer Zeit wiedererstarkten Reaktion hält der Zentral­verband der Angestellten seinen dritten Verbandstag Dom 15. bis 17. Mai in Köln ab. Er ist eine Kampf­anfage an die Reaktion in zweifacher Richtung. Der erste Verhandlungstag wird im Zeichen einer großen Kund­gebung der Angestellten für Republit, Sozialpolitik und Gewerkschaft stehen. Als Redner sind vorgesehen: Albert Thomas , Direktor des Internationalen Arbeits­amtes, Philipp Scheidemann , Wilhelm Sollmann , Clara Bohm Schuch und der Vorsitzende des Zentral­verbandes der Angestellten, Otto Urban.

Die weiteren Tage sind dem organisatorischenr Ausbau gewidmet. Eine ft ärtere 3entralisation soll die Kampffähigkeit der Organisation erhöhen; durch einen großzügigen Ausbau der Unter ftüßungseinrichtungen soll die Widerstandsfähigkeit der Mitglieder gestärkt werden.

Unter den freigewerkschaftlichen Angestelltenverbänden, die sich im AfA- Bund zusammengeschlossen haben, ist der Zentralverband der Angestellten nicht nur die größte Organi fation, er blickt auch auf eine jahrzehntealte freigewerkschaft­liche Vergangenheit zurüd. Für seine Vorläufer, dem Zentral­verband der Handlungsgehilfen und dem Verband der Bureauangestellten war das Bündnis mit den freien Arbeiter organisationen seit ihrer Gründung eine Selbstverständlichkeit. Sie gehörten deshalb ursprünglich der Generalfommission der Gewerkschaften und später dem Allgemeinen Deutschen Ge werkschaftsbund an.

Ein Bekenntnis zu gewerkschaftlichen Kampfesmethoden und für ein Bündnis mit den Arbeitern galt in der damaligen Zeit bei den bürgerlichen Angestelltenverbänden als verstiegener Utopismus. Die bürgerlichen Angestellten­verbände, groß an Zahl aber vollständig machtlos- nach der letzten amtlichen Erhebung vor dem Kriege zählten die An­geftelitenverbände 756 271 Mitglieder lehnten solche Ge­dankengänge rundweg ab. Noch kurz vor dem Kriege erklärte beispielsweise der Borsigende einer großen Angestelltenorgani­fation, des Vereins für Handlungskommis von 1858, auf einer Tagung, daß Angestellte und Arbeiter fulturell, sozial und wirtschaftlich verschiedene Interessen hätten, dagegen Angestellte und Brinzipale gemeinsame wirtschaftliche und fulturelle Interessen besäßen.

Es ist charakteristisch für den grundlegenden Wandel der Angestelltenbewegung nach dem Kriege, daß alle Richtungen ein Bündnis mit den ihnen nahestehenden Arbeiterorganisationen eingegangen sind und sich zu gewerkschaftlichen Kampfesmethoden bekennen. Eindringlicher fonnte durch die Entwicklung nicht der Nachweis für die Richtigkeit der vom Zentralverband der Angestellten vertretenen Auffassungen erbracht werden.

Ebenso finnfällig tritt das in der Entwicklung der tarif vertraglichen Regelung der Arbeitsbedingungen für die Angestellten in die Erscheinung. In beispiellofem Umfang wurden dem Tarifvertrag neue Gebiete erschlossen; auch hier waren die Vorläufer des Zentralverbandes der Angestellten die einzigen Angestelltenorganisationen, die Pionierarbeit geleistet hatten.

Parallel mit dieser Entwicklung verlief der Ausbau des Angestelltenschutes. Man muß es gerade den Angestellten wieder sagen, daß auch ihre wichtigsten sozial­politischen Fortschritte das Wert der sozialdemokra tischen Volfsbeauftragten find: Tarifvertrags­schluß, um nur einige zu nennen. Der Achtstundentag ist durch ordnung, Achtstundentag, Sonntagsruhe, Sieben- Uhr- Laden­die bürgerlichen Parteien beseitigt worden; sie wollen den Angestellten auch wieder die Sonntagsruhe und den Sieben- Uhr Ladenschluß nehmen. Die bür gerlichen Parteien haben die sozialdemokratischen Anträge auf Berbesserung des Angestelltenkündigungsschutzgesetzes a b gelehnt; sie haben die Bürgerblodregierung gebildet, da mit auch Schluß gemacht wird mit dem weiteren Ausbau des Angestelltenschuhes.

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Der Geschäftsbericht des Zentralverbandes der An­gestellten gibt interessante Dokumente darüber wider, wie gerade das Kündigungsschutzgesetz für Angestellte und die Entschließungen des Reichstages für weitere Schutz­maßnahmen den Anlaß gaben, daß am 12. November die Unternehmer im Reichstage eine Sigung mit den bürgerlichen Parteien hatten, damit endlich die Wirtschaft in Ruhe" gelassen werde! Das sind eindringliche politische Lehren für die Angestellten.

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Mit der gleichen elementaren Gewalt muß sich aber auch den Angestellten die Erkenntnis von der Notwendigkeit eines stärkeren 3usammenschlusses auf freige wertschaftlicher Grundlage aufdrängen. Er ist die wichtigste Waffe im Tagestampfe für den sozialen Auf­stieg. Die Stärte der Unternehmer beruht auf der gemertschaftlichen Schwäche der Angestellten. In den ersten Nachkriegsjahren hatten die freien An­geftelltenverbände, insbesondere der Zentralverband der An­geftelten, einen starten Zuftrom. Aus wenigen Beh= tausenden wurde ein Heer, das nach Hundert tausenden zählte. Es fehlten zunächst die organisa torischen Einrichtungen für eine ausreichende Verwaltung. Dazu tam ein Uebermaß anderer Arbeit. Als Folge der