Nr. 236 44. Jahrg. Ausgabe A nr. 120
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Freitag, den 20. Mai 1927
Die Erklärung über die ,, Arcos"-Haussuchung verschoben.- Schwerer Konflikt in der englischen Regierung.
Condon, 19. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Am Donnerstag| alle derartigen Meldungen, die zunächst in einem Teil der follte der Innenminifter 30 ynfon Hids eine Erklärung über Londoner Bresse verbreitet wurden, haben sich inzwischen als den Fall Arcos" abgeben. Aber zum großen Erstaunen der Ab- Enten erwiesen. geordneten, die sich ungewöhnlich vollzählig eingefunden hatten, weigerte sich der Innenminister, die versprochene Aufklärung zu geben. Er vertröstete das Parlament auf tommenden Dienstag Als Grund für diese Verzögerung führte Joynion Hids an, die ans den vorgefundenen Dokumenten sich ergebenden Informationen feien solcher Art, daß es der Regierung bisher nicht möglich gewesen wäre, ihre Prüfung zu beenden oder die Konsequenzen, die fich daraus ergeben, zu ziehen.
In den Kreifen der Opposition ist man der Auffaffung, daß der wahre Grund der Verzögerung in schweren Meinungsverfchiedenheiten innerhalb der Regierung zu suchen ist. Das Kabinett foll nach diesen Informationen nicht nur hinsichtlich der Berechtigung des ganzen Abenteuers der Untersuchung und der Beurteilung der zutage geförderten, der Oeffentlichkeit aber vorenthaltenen Dokumente, sondern auch bezüglich der Fortsetzung oder des Abbruches der diplomatischen Beziehungen mit Rußland geteilter Meinung sein. Während der rechte Flügel des Kabinetts angeblich ganz unabhängig vom Wert oder Unwert der Dokumente den Augenblick für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen für günstig erachtet, heißt es von dem linken Flügel des Kabinetts", daß er eine möglichst geräuschlofe Liquidation des gesamten Abenfeuers wünscht,
Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß die Haus suchung in der Russischen Handelsvertretung überhaupt feine Ergebnisse gehabt hat, so ist durch die flägliche Haltung der englischen Regierung und vor allem des verantwortlichen Innenministers in der gestrigen Unterhausfizung jeder Zweifel darüber beseitigt. Wenn nach vollen acht Lagen der Polizeiminister noch immer nicht in der Lage ist, auch nur ein belastendes Dofument vorzuweisen, so fann man fast sicher sein, daß er nach weiteren fünf Tagen dazu genau so wenig imftande sein wird. Bei einem so gewagten und gefährlichen Unternehmen mit unabsehbaren politischen und wirtschaftlichen Rückwirkungen fonnte nur ein durch greifender Erfolg also zum Beispiel die Entdeckung eines geheimen Waffenlagers oder tonkreter Butschdokumente diese Aktion zur Not nachträglich rechtfertigen. Aber
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Die Deutschen in Ostoberschlesien schutzlos.
Telegraphischer Appell an Pilsudski. aftowi, 19. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Alle deutschen Abgeordneten der Wojewodschaft Schlesien haben den polnischen Ministerpräsidenten Pilsudski telegraphisch um eine Audien3 ersucht. Die deutschen Abgeordneten wollen nachweisen, daß die von ihnen vertretenen Bevölkerungsschichten in Ostoberschlesien völlig schuhlos und jeder Willkür von polnischer Seite preisgegeben find.
Die Juni- Seffion des Völkerbundrates.
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Unter Chamberlains Vorsit. Keine wichtige Tagesordnung.
Genf , 19. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die Tagesordnung der Juni- Session des Völkerbundrats, die am 13. Juni beginnt und deren Vorsiz Außenminister Chamberlain führt, ist zwar sehr reichhaltig, enthält aber teine Punkte von größerer zwar sehr reichhaltig, enthält aber feine Punkte von größerer politischer Tragweite. Außer den Berichten der ständigen Kommissionen, der Borbereitenden Abrüftungskommissionen der Wirtschaftskonferenz ist die Frage der Kontrolle der deutschen 3ipilfliegerei hervorzuheben. Während der deutschen 3ivilfliegerei hervorzuheben. Während bisher von Deutschland periodische Berzeichnisse einzusenden waren, sieht der neue Investigationsplan nur eine Kontrolle von Fall zu Fall vor.
Sozialdemokraten und Sowjetvertreter. Zusammenkünfte ohne offiziellen Charakter in Genf . Genf , 19. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Wie anzunehmen war, Find einzelne Vertreter der sozialdemokratischen Gruppe und der Somjetdelegation auf der Wirtschaftskonferenz in der letzten Woche miteinander in Fühlung getreten, und gestern tam es, mie wir vernehmen, durch Bermittlung einer außerhalb der Dele. gation stehenden Persönlichkeit zu einer 3usammenkunft führender Bertreter der beiden Gruppen. Die Aussprache hatte jeboch rein persönlichen Charakter. Für die sozialdemokratische Delegiertengruppe besteht ein Beschluß, teine offiziellen Berhandlungen irgendwelcher Art mit der Sowjetdelegation zu suchen.
Bei einiger Ueberlegung hätten sich allerdings die scharf macherischen Minister sagen müssen, daß es höchst unwahr fcheinlich sei, daß schwerwiegendes Material, wenn es überhaupt existiert, sich in den Räumen der nicht erterri torialen Handelsvertretung befinde, sondern daß es nur in den Räumen der Sowjetbotschaft aufbewahrt sein könnte, die die diplomatische Immunität genießen. Joŋnson Hicks scheint aber auf irgendwelche Erzählungen eines Spigels oder gar eines Spaßmachers topflos herein. gefallen zu sein. Hätte die Sowjetregierung das fonfervative Kabinett bis auf die Knochen blamieren wollen, so hätte sie nicht besser handeln können, als es jene ,, Gewährsmänner" dieses faschistenfreundlichen Innenministers getan haben.
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Die Nachricht, daß schwere Meinungsverschie= denheiten innerhalb des englischen Kabinetts wegen dieser Frage entstanden sind, ist durchaus plausibel. Auch nach unseren Informationen ist der Außenminister Chamber lain über diese katastrophale Aftion empört, die hinter feinem Rücken erfolgt sein soll. Es ist also wahrscheinlich, daß er und die gemäßigten Mitglieder des Kabinetts, darunter der Ministerpräsident Baldwin, es ablehnen, das Rabinett noch tiefer in ein Abenteuer hineintreiben zu lassen, das schon jetzt eine moralische Katastrophe nicht nur für die konservative Partei , sondern für England überhaupt bedeutet. Die Scharfmacher dagegen- Hicks, Churchill , Birkenhead usw. versuchen mit der typischen Mentalität hemmungsloser Hasardeure, dieses verlorene Spiel weiterzutreiben.
Welcher Flügel auch die Oberhand in diesem Ringen innerhalb des Rabinetts behalten mag, eine Krise erscheint unvermeidlich. Die Arbeiterklasse kann sich jedenfalls nur darüber freuen, daß die englische Reaktion, gerade in dem Augenblick in dem sie sich anschickt, die elementaren Rechte des Proletariats zu beschneiden, eine solche Blamage erlitten hat. Am meisten wird sich aber darüber die Sowjetregie rung freuen, die zu dem unverdienten Glück eines moralischen Erfolges unverhofft gelangt ist.
Die neue Regierung Seipel gewählt. Programmerklärung
Mit 90 gegen 70 Stimmen.
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und Debatte im Nationalrat. Wien , 19. Mai .( Eigener Drahtbericht.) ( Eigener Drahtbericht.) Im Nationalrat wurde am Donnerstag gemäß dem Vorschlag des Hauptausschusses die neue Regierung Seipel mit 90 gegen 70 Stimmen gewählt.
u.
Um 2 Uhr nachmittags gab die Regierung nach vorausgegan gener Bereidigung ihre Programmerklärung ab. Im wesentlichen führte der Bundeskanzler aus, daß die drei bürgerlichen Regierungsparteien sich zum Zwecke des Wiederaufbaues geeinigt und alles Trennende zurückgestellt hätten. Darauf fündigte er eine Reihe von Gesetzesvorlagen an, a. eine neue 3olltarifnovelle. Hinsichtlich der Außenpolitik erklärte er, daß Dester reich traditionell gute Beziehungen zu allen Nachbarstaaten habe. Auf Antrag der Sozialdemokraten wurde sofort in die Aussprache eingetreten. Der Sozialdemokrat Glödet ſtellte im Berlaufe der Debatte feft, daß das neue Kabinett eine rein fleritale Regierung sei. Das ergebe sich schon aus der Erklärung des Bundeskanzlers. Das Trennende, das von den Regierungsparteien zurückgestellt werde, seien die Kultur- und Schulfragen. Der fleritale Charakter des Kabinetts stehe im schärfsten Widerspruch zu der überwiegenden Mehrheit des Volkes in Desterreich.
Man weiß nur nicht genau, welche. London , 19. Mai .( Eigener Drahtbericht.) Aus Schanghai wird gemeldet, daß der Angriff auf Santa u unmittelbar bevorsteht. Es handelt sich hierbei vermutlich um die Truppen des Generals upeifu, ohne daß sich das aus den vorliegenden Meldungen mit Bestimmtheit ergibt. Die gegen die Hantauer Regierung marschierenden Truppen sollen sich bereits in unmittelbarer Nähe, wenige Kilometer von Hantau befinden. In Hantau selbst ist der Kriegszustand crttört reden.( hiangfallhet hat feinen zum Gloden gefcirenca Bormarf gegen die Nordtruppen wieder aufgenommen.
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Bei der dritten Beratung des preußischen Staatshaus halts haben verschiedentlich Abgeordnete der Rechtsparteien, u. a. die Abgeordneten v. Richter und v. Winterfeld, preußischen Regierung den sogenannten Wehrorganisationen der Meinung Ausdruck gegeben, daß die Wachsamkeit der gegenüber um deswillen unbegründet sei, als niemand an einen gewaltsamen Umsturz denke und die Republik gesichert sei. Man kann dieser Auffassung insofern zu stimmen, als in der Tat die vielen ,, paterländischen" Verbände zurzeit noch nicht in der Lage sind, das Staatsgefüge ernstlich zu erschüttern. Die Rivalitäten in den einzelnen Verbänden, Eitelkeiten der sogenannten Führer, Mitgliederflucht und Geldmangel haben die Aktionskraft der Wehrorganisationen der Rechten in den letzten Jahren empfindlich geschwächt. Es ist eben unmöglich, Mitglieder und Geldgeber dauernd am Band zu halten, wenn die vor vielen Jahren schon gegebenen Versprechungen, das Reich vom äußeren Druck und die Länder von der Mißwirtschaft" der ,, marristischen" Regierungen zu befreien", auch nicht die leiseste Aussicht auf Erfüllung zeigen. Aufmärsche und Paraden von der Art des Stahlhelmtages find bestenfalls geeignet, den außenpolitischen Drud zu verlängern und die Polizeiorgane in erhöhte Diensttätigkeit zu setzen, aber selbst der Schall aller Stahlhelmtrompeten wird die Mauern der deutschen Republik nicht ins Wanken bringen. Auch in ihrer Sprache sind die Verbände bescheidener gewor den, und wo sie gelegentlich den Mund noch sehr voll nehmen, da fällt auch ihren einfältigsten Anhängern ein, daß es leere Töpfe find, die am lautesten flappern.
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Dieser Rückgang der ,, vaterländischen Organisationen" erflärt sich aus ihrer Erfolglosigkeit, aus der Unmöglichkeit ihrer Betätigung im staatlichen Leben. Als fie im Jahre 1923, angefacht von der Stimmung, die der Ruhreinbruch im deutschen Bolte erzeugt hatte, Höhepunkte ihrer Mitgliederzahl und eines gewissen gesellschaftlichen Einflusses erreicht hatten, da glaubten sie unverhüllt mit ihren Plänen auf Errichtung einer Diktatur hervortreten zu können, glaubten fie, der Reichsregierung Ziele und Wege der inneren und äußeren Politik weisen zu müssen bis die Polizei nach allzu lauten Renommiſtereien der diversen Bundesführer ( manchmal recht unsanft) daran erinnerte, daß einstweilen noch die verfassungsmäßigen Regierungen den Kurs der der Innen- und Außenpolitik bestimmten. Es war possierlich, zu beobachten, wie die tapferen Stahlhelmleute nach jedem polizeilichen Einschreiten ihre Bezirksverbände beschworen, streng alle gesetzlichen Vorschriften zu beachten und der Polizei keinen Anlaß zur Auflösung eines Ortsvereins zu geben -dieselben Leute, die noch wenige Tage vorher die WilhelmStraße im Sturm zu nehmen gelobt hatten. Aller Drohlärm hatte nicht vermocht, die Polizei von der Durchführung der gebotenen gesetzlichen Maßnahmen abzuhalten die ,, Baterländischen" blieben auf Soldatenspielen und Revolutionsdrohungen beschränkt. Aber da man mit Ererzitien und Paraden die Mitglieder nur eine Weile unterhalten, und mit Drohungen auch nur für eine kurze Zeitspanne die Deffentlichfeit in Spannung und Erwartung bringen konnte, erlosch allmählich das Interesse der Mitglieder und der Geldgeber an den Organisationen
Nun soll sie der neue Weg" gum Ziele führen; sie wollen in den Staat eindringen, den Staat von innen heraus erobern. So sagen es die Bundesführer, so will es selbst Herr Ehrhardt. Mit dem kühnen Husarenritt der Militärevolte war es nichts, nun soll es mit Nachtmärschen versucht werden. Aber auch der neue Weg ist lang, auch auf ihm wird es viel Steine und wenig Brot geben Wegepolizei wachsam und bestrebt bleibt, das Betreten verbotenen Gebäudes zu verhindern.
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wenn die
Im Augenblick hat darum die Republik in der Tat um ihren Bestand nicht zu fürchten. Bedenklich für die innenund außenpolitische Entwicklung Deutschlands könnten die Wehrorganisationen erst wieder werden, wenn ihnen eine neue Betätigungsmöglichkeit eingeräumt würde. Ich denke dabei zunächst an einen vermehrten außenpoliti= schen Druck der Interalliierten. Einen Ruhreinmarsch werden wir ja wohl nie wieder erleben, denn auch Frankreich dürfte inzwischen eingesehen haben, daß man nur dann aus der Wirtschaft eines Landes etwas herausholen fann, wenn man sie nicht vorher erdrosselt. Aber trotz Lo carno und Bölkerbund haben die Interalliierten das Recht", uns der Böswilligkeit zu bezichtigen, wenn unsere wirtschaftliche Lage es nicht gestatten sollte, die Berpflichtungen aus dem Dames- Abkommen bis aufs Tipfelchen über dem i zu erfüllen. Nur dann, wenn wider alles menschliche Gefühl und wider alle europäische Bernunft in einem solchen Falle über uns geue Repressalien verhängt würden, fönnte eine neue nationalistische Welle die vaterländischen Organisationen wieder beleben und ihrem Auftreten im Lande den gewünsch= ten Resonanzboden verschaffen,
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