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Abendausgabe

Nr. 24144. Jahrgang Ausgabe B Nr. 119

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Vorwärts

Berliner Dolksblaff

10 Pfennig

Montag

23. Mai 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszett 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-293

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Eröffnung des Parteitags in Kiel .

Machtvolle Demonstration der Kieler Arbeiterschaft.

grüßung.

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Internationale Be­

Montag: Otto Wels erstattet den Bericht des Parteivorstandes.

Rote Fahnen in Kiel .

Bon Mag Barthel.

stehen in der großen, schönen Halle vereinigt, Kinderland liegt in harter Arbeiterhand; der Anfang ist da und das Ende wird fichtbar. Dazwischen die Vertreter der deutschen Arbeiter, aus­ländische Arbeiter sind erschienen. Posaunenstöße, Musit. Bon Kiel wird eine rote Fahne emporgerissen und schwingt sausend von der Ostsee bis an die Schweizer Grenze. Der Parteitag der Deutschen Sozial­demokratie ist eröffnet.

Kiel , 22. Mai. Die Stadt ist geschmückt mit vielen Fahnen. Man sieht Schwarzrotgold, man sieht die Fahnen der Stadt und dann in den Arbeiterbezirken und Empfangshaus: rote Fahnen. Der Parteitag steht vor der Eröffnung. Ein Streifzug durch die Stadt nach dem Hafen. Die Förde liegt im letzten Licht. Die Werften rauchen. Die großen Kräne stehen unbeweglich am Wasser. Wenig Schiffe, nur einige fleine Motorboote. Eine internationale Kundgebung für den Aufstieg der Endlos dehnt sich die Förde; sie ist abgeschlossen durch ein im Waffer liegendes Kriegsschiff, eine schwimmende Festung, graublau gegen die blauen Wälderhügel im Abend.

Biele Fahnen wehen aus den Häuserfronten, die Karl­Legien- Straße, in der das Gewerkschaftshaus liegt, ist eine geschmückte Gasse roter Fahnen. Auch die Flaggen der Re­ publik sind sichtbar. Torbogen aus Tannengrün, Begrüßungs­worte für die Delegierten. Viele Delegierten sind schon er­schienen; am Abend kommt die Hamburger Jugend und mar­fchiert unter dem Schuh ihrer Fahnen in die Quartiere. In Kiel schlug im November 1918 von den Kriegsschiffen die rote Fahne der Revolution empor. Die Kriegsschiffe find zum größten Teil abgeliefert, zerschrotet, sie tragen jezt feine roten Fahnen mehr. Es scheint, als seien die Gruppen der deutschen Arbeiter, die sich heute hier sammeln, Vortrupps von jener Armee, die Deutschland unter der roten Fahne er

ohern will.

Boran marschiert die Jugend. Sie marschiert am nächsten Morgen nach den Krusentoppeln, draußen an der Förde, nach den kleinen Hügeln über dem Wasser. Sie marschieren und singen, über die Billen der vornehmen Ge gend fällt gedämpftes Licht, in ihre abgeschlossene Ruhe hämmert plötzlich Marschmufit, hämmert Rhythmus, hämmert Tatt und Kampfbereitschaft.

Die Jugend hat sich an den Hügeln gesammelt, auf den Wiesen, an den Mulden, hinter den Kulissen des Laubwaldes. Unter ihr, auf der Förde, liegt ein Linienfchiff. Es steht mit der Spige gegen das offene Wasser. Vor den Hügeln des jenseitigen Fördeufers wieder die großen Kräne und die An­lagen der Werften.

Im Grünen haben die jungen Leute ihre roten Fahnen in die Erde gesteckt. Spiel und Tanz um die roten Fahnen in Erwartung der anmarschierenden Kameraden. Uuschul­diges Spiel, schön wie Tanz vieler Feuer um die große Licht­flamme des Kampfes. Ja, Spiel und Tanz. Aber es endet das Spiel, es endet der Tanz. Kleine Trupps rücken heran, ordnen sich, fingen. Was fingen sie auf den begrünten Hügeln über den Kriegsschiffen? Sie singen das Lied vom letzten Krieg: Vorwärts, du junge Garde des Pro Ietariats!"

Dann kommt die junge Garde des Proletariats. Man hört ihre Lieder, man sieht ihre Fahnen leuchten, man sieht ihre jungen Gesichter. Sammlung unter dem Wald roter Fahnen; fein Spiel mehr, fein Tanz. Paul Löbe spricht, Luise Schröder hat das Wort. Sie sprechen aber nur das aus, was im Herzen der Jugend brennt, fie sprechen nur das aus, wovon gesungen wird: Brüder, zur Sonne, aur Freiheit!" Borher ein Sprechchor: eine Mauer von Jungen und Mädchen, eine tötende Mauer. Im rhythmischen Auf und Ab der Worte, auf und ab wie Ebbe und Flut, ein Gedicht von Richard Dehmel . Das Kriegsschiff liegt immer noch still im Waffer, die Riesenkräne stehen noch immer gegen das Licht. Auflösung und Abmarsch der jungen Menschen in die Stadt, die sich gerüstet hat, um den Partei­tag der Sozialdemokratie zu eröffnen.

Rings um das Gewerkschaftshaus quellen die proleta­rischen Menschenströme. Man sieht Hafenarbeiter, Schiffer, Metallarbeiter, Straßenbahner, sehr viel Turner, sehr viel Jugend, Kinder und junge Mädchen, die ,, Roten Falken" mit ihren dreieckigen Wimpeln, auf denen ihre Worte zu lesen sind: Freude! Sonne! Quickborn !

Das Proletariat von Riel marschiert, die Turner, die Hafenarbeiter, die gewerkschaftlichen Ber­bände, die jungen Mädchen, die Kinder, alles marschiert und stößt singend durch die Straßen der Stadt nach der Messe­halle. Die Messehalle wird im Sturm genommen, im Sturm der roten Fahnen. Auf dem Podium brennen die Flammen der vielen Banner. Die Jugendlichen stehen in tiefen Reihen vor der roten Wand, vor der ein Bild von Karl Legien auf 3000 Menschen herabschaut, die sich zum Empfang der Delegierten versammelt haben.

Wer hat sich versammelt? Die ganz alten Parteigenossen, die 20 und 25 Jahre zur roten Fahne standen, 50jährige und 60jährige Männer und Frauen und ganz junge Genossen von den Turnern und den ,, Roten Falken", Jugend und Alter

Feierliche Eröffnung.

sozialistischen Bewegung.

F. Kl. Kiel, 23. Mai. ( Eig. Drahtber.)

heute nur auf eine internationale Bedeutung hingewiesen.

Wer die Rede des französischen Genossen Brade gehört und ihre Aufnahme durch den Parteitag erlebt hat, der wird für alle Zeit begriffen haben, was der Kampf der deutschen und der französischen Sozialisten um Macht und Einfluß in ihren Ländern für Europa und die ganze Menschheit bedeutet. Nicht minder wichtig aber waren die Erklärungen, die von den Genossen der slawischen Länder am Montag morgen ab­gegeben und vom Parteitag mit stürmischem Beifall aufge­nommen wurden. Zeigen sie doch, daß die schwierigen und heiklen Probleme der deutschpolnisen und deutschtschechischen

Zusammenarbeit nur im Geist des internationa= len Sozialismus gelöst werden können, daß der Wille, suchen, auf beiden Seiten vorhanden ist. eine Lösung auf dem Boden internationaler Demokratie zu

Stimme darüber, daß noch kein Parteitag eine glanzvollere Es gibt unter den Mitgliedern des Parteitages nur eine Eröffnung hatte, als dieser. Es ist nicht bloß der Flaggen­Es war eine Demonstration für den Aufstieg der sozia­schmuck der Stadt, das Gedröhn und Getön von den Tausen- listischen Bewegung, dem die prachtvolle Veranstaltung der den Marschierenden alles das, was auf die Sinne ein- Arbeiterschaft Schleswig- Holsteins den würdigen Rahmen gab! stürmt, wäre nichts ohne den Geist, der es beseelt. Kiel , 23. Mai. ( Eigener Drahtbericht.)

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nalen Zusammenhaltes, der stärker in Erscheinung tritt als

Am Sonntag wurde in Kiel , unter starfer Anteilnahme der

Bevölkerung, der Parteitag der SBD. feierlichst eröffnet. Am Tage zuvor war eine Veranstaltung des Vereins Arbeiterpresse Dorausgegangen, und am Vormittag des Eröffnungstages traten Juristen zu speziellen öffentlichen Tagungen zusammen. die fozialdemokratif en Kommunalpolitiker und

Dieser Geist ist, wie Eggerstädt in seiner eindrucks­vollen Begrüßungsrede richtig darstellte, der Geist des gegenseitigen Vertrauens zwischen Führern und Massen. Es ist aber auch der Geist des internatio­je auf einem anderen Parteitag seit Ende des Weltkrieges. unmöglich ist es, in kurzen Worten die Wirkung aller Reben au zusammenfassend zu schildern. Schon die Namen der politisch bedeutenden Persönlichkeiten allein, die das Wort haben, würde Zeile auf Beile füllen. Ueber die innerpolitische Be­deutung der Tagung wird ja noch mehr zu reden sein. So sei

in der Kieler Messehalle ab. Dort faßen Delegierte und Gäste Der Festakt der Eröffnung spielte sich nachmittags um 5 Uhr Kopf an Kopf, draußen sprachen zu gleicher Zeit Scheidemann und Severing zu einer taum übersehbaren Masse. Der eigent liche Festakt wurde eingeleitet mit einem Musikspiel des Städtischen

Wahlerfolg in Mecklenburg .

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Regierungsbildung bleibt schwierig.

14000 Stimmen, 2 Mandate gewonnen. Schwerin , 23. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die medlen-| jeder Anwendung der Vermögenssteuer bewahrt und die verhaßte burgischen Landtagswahlen haben folgendes Ergebnis gebracht Bodenwertsteuer verschwinden läßt. Wenn wirklich, womit aber ( 70 ländliche Stimmbezirke stehen noch aus, die jedoch an dem feineswegs gerechnet zu werden braucht, ein Wirtschaftsparteiler zur politischen Ergebnis nichts mehr ändern werden.) Bei einer Wahl- gegenwärtigen Regierung hinzugezogen rden sollte, würden die beteiligung von etwa 85 Pro3. wurden 307 700 Stimmen insgesamt ehemaligen Ritter davon keinen Rußen haben. Das Anwachsen abgegeben. Es erhielten:

Stimm. Mand.

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17477 25016

Gegenüber 1926

Sozialdemokraten 125 628 21( Gewinn 14224 Stimmen, 1 Mandat) Deutschnationale. 66380 11( Gewinn 3143 Sfimm., Berl.1 Mand.) Bölfische. 3( Berluft 8 713 Stimmen, 2 Mandale) Bolkspartei. 4.( Gew.1586 Stimmen, gl.Mandatsil.) wirtschaftspartei. 33496 6( Gew. 17 350 Stimmen, 3 Mandate) Demokraten 2( Gew. 240 Stimm., b.gl. Mandatsst.) Mieter 2( Gewinn 2671 Silmmen, 1 Mandat) Kommunisten 15678 3( Berl.2785 Stimm. b. gl. Mandatsst.) nationalsozialisten 5473 fein( Gewinn 866 Stimmen.)

8715 9858

der spießbürgerlichen, in den Kleinstädten nistenden Wirtschafts­partei, die sich verdoppelt hat, vollzog sich auf Kosten der Völkischen, die beinahe 10 000 Stimmen verloren haben und nur noch Trümmer ihrer einstigen, so übermütigen Macht sind.

Die Demokraten dürften sich behaupten; die bei ihnen hofpitierenden Mieter und Sparer stiegen von 7287 auf 9848. Die Kommunisten, die schon 1926 nur einen fläglichen Bruchteil der Arbeiterstimmen bekamen, verloren abermals 4000 Stimmen, fast ein Biertel ihres Bestandes. Die Deutsche Volks­ partei stagniert mit rund 23 000 Stimmen. Einen wirklichen und bedeutsamen Fortschritt haben nur die Sozialdemokraten gemacht. Allein in Rost od wuchsen sie um fast 3000 Stimmen, etwa 33% Proz. Aber auch auf dem flachen Lande sind sie ausge­zeichnet vorangekommen, in zahlreichen Bezirken haben sie hier die Mehrheit.

Es gewannen die Regierungsparteien( Demo­traten, Sozialdemokraten und Mieter) 17 135 Stimmen und zwei mandate, es gewannen die bisherigen Oppositionspartelen Bei einer Wahlbeteiligung von mehr als 70 Proz. find in 13 366 Stimmen, aber kein Mandat. Die Kommunisten reffen nur 771 Wahlbezirken, alle Städte inbegriffen, unberücksichtigt allein ihre Mandatszahl. Die Regierungsparteien erhalten noch 70 ländliche Gemeinden, rund 300 000( gegen 279 209 im Jahre 25 Mandate, die bisherigen Oppositionsparteien 1926) Stimmen abgegeben worden. Davon erhielt die Sozial. 24 Mandate, die Kommunisten geben wieder mit drei Mandate bemokratie den Löwenanteil: 121 106( 1926: 111 401). Nur den Ausschlag. Bisher war das Berhältnis 23 Mandate der Re- die Hälfte hiervon vermochte die zweitstärkste Partei der Deutsch­gierungsparteien, 24 Mandate der Oppofition, dazu 3 Kommuniffen. nationalen aufzubringen während die Bölkischen 17 231 statt der Cine fefte Mehrheitsbildung der bisherigen Regierungsparteien ift 26 160 des vergangenen Jahres mustern konnten. Die Wirt bei diesem Wahlergebnis wieder nicht möglich. Der Landtag wird schaftspartei, das Reservoir des Mischmaschs und der politi­voraussichtlich so schnell wie möglich einberufen werden. Die bisschen Untlarheit und Berdrossenheit, stieg von 16 146 auf 32 496; herigen Regierungsparteien werden sofort die Verhandlungen über fie trägt schon durch ihre bunte Zusammensehung den Keim des Zer­die Regierungsbildung aufnehmen. falls in fich.

Zwecklose Belästigung der mecklenburgischen Bevölkerung.

Schwerin , 23. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die Landtags wahlen in Mecklenburg- Schwerin , die am Sonntag ohne irgendwelche Ruhestörungen stattfanden, haben gezeigt, daß der Sturz der sozial­demokratisch- demokratischen Regierung Schröder- Asch, den die Rechts­parteien Arm in arm mit den Rommunisten besorgt hatten, eine völlig zwecklose Belästigung der Wähler gewesen ist. Das Kräfte verhältnis hat sich nicht verschoben. Aller Voraussicht nach bleibt die bisherige Lintstoalition bestehen. Die Deutsch nationalen aber werden, schwächer als bisher, einer stärfer ge. wordenen Sozialbemofratie gegenüberstehen. Der Groß­grundbesitz hat vergeblich auf eine Regierung gehofft, die ihn vor

Ueber die Verteilung der Mandate läßt sich infolge eines äußerst komplizierten Schlüffels noch nichts Genaues fagen. Die Sozialdemokratie wird 2 Sige gewinnen und dann 22 innehaben, während die Deutsch nationalen von 12 auf 11 zurüdgehen. Die gesamte Linte dürfte 25 Abgeordnete zählen, denen bei 2 Kommunisten eine wild zusammengelaufene Reaktion von 23 Abgeordneten gegenüberstehen würde. Eine stabile Mehr­heitsbildung wird so wie bisher schwierig sein.

Abgewehrt ist der beinahe landesverräterische Anschlag der Rechtsparteien auf Mecklenburgs Finanz- und Anleihepolitik und vernichtet wurde die Erwartung in den Mecklenburg - Wahlen Bei­spiel und Auftakt für schwarzweißrote Breußenwahlen zu gewinnen. Das fogenannte nationale Deutschland hat eine Enttäuschung erlebt, Mecklenburg hat den Zustand der verhüllten Leibeigenschaft und des Untertanen endgültig überwunden.