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fir. 24744.Jahrgang

Beilage des Vorwärts

Hilferdings Schlußwort.

Nach Wiederaufnahme der Verhandlungen wird ein Schluß dürfen das Wort Diktatur nicht im Sinne von Friedrich Engels antrag angenommen. Das Schlußwort erhielt Hilferding :

Es ist die große Kraft der Demokratie, daß sie dort, wo sie historische Tradition geworden ist und wo das Proletariat zu ihrem Schutz bereit ist, zu einer Selbstverständlichkeit wird. Der Faschismus hat nur dort fiegen fönnen, wo es vorher nicht wesentliche Ansätze zur Demokratie gegeben hat. Also es wird bei uns gar nicht so ein­fach sein, die Grundlage der Demokratie wegzunehmen, selbst, wenn die Bourgeoisie das wollte. Gewiß fann es auch im demokratischen System bei schweren sozialen Krisen vorübergehend eine Suspen­dierung demokratischer Reste geben. Aber z. B. in England und auch in Frankreich feit 1870 find die Grundlagen der Demo­tratie niemals in Frage gestellt gewesen. So müssen wir auch in Deutschland die Tradition schaffen, damit jeder Angriff auf die Demokratie als Hochverrat am Bolte, der mit allen Mitteln abgewehrt werden muß, gilt und deshalb von vornherein den Herrschenden als Unmöglichkeit erscheinen muß.( Sehr gut.) Aufhäuser hat meine Analyse anerkannt, aber nicht die Konsequenzen. Es gibt Partei­genossen, zu denen Aufhäuser zu gehören viel zu klug ist, für die diese Konsequenzen vor der Analyse feststehen. Aber er begeht einen anderen Fehler: für ihn ist der Uebergang von der theoretischen Be­trachtung zur Politit oft viel zu einfach. Aber der Weg von der Theorie zur Politik ist nicht so einfach. Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik ist genau so kompliziert, wie etwa das der theoretischen Physik zur Technik. Das 3entrum ist z. B. ein Aus­schnitt aus der gesamten Gesellschaft. Natürlich müssen mir gegenüber einer solchen Partei anders sprechen als gegenüber Der Deutschen Volkspartei , der fast reinen Vertretung der großen Industrieintereffen. Aber deswegen gibt es noch lange feine Oppo­firion erster und zweiter Güte.

Wir wollten teinen Ringfampf um die Probleme der Oppo­fifion veranstalten. Auch ich habe mit Severing versprochen, die Opposition zu verstärken.( Große Heiterfeit.) 3ch muß ja schon dabei sein, um die Meinungsverschiedenheiten zwischen Löbe und Severing auszuräumen.( Erneute Heiterfeit..) Aber die gesamte Frattion will vollständig einmütig stärkste Opposition und noch nie hat jemand erklärt, daß er auf das Zentrum oder sonstwem besondere Rücksicht nehmen wolle. Benn freilich Berlin , Sachsen und Stettin vom Parteitag besondere Parteiarbeit gegen das Zentrum fordert, dann muß ich ihnen doch unfreundlich sagen: Kämpft erst gegen Kommunisten und Deutschnavionale, die paar Zentrumsstimmen, die es da gibt, holt ihr noch später. Denn aus dem Rheinland und Westfalen find solche Anträge nicht gefommen. Dort weiß man besser, wie man zur christlichen Arbeiterschaft sprechen muß. Der Antrag Aafhäuser und Tony Sender ist in der Formulierung total ver­unglückt. Beide hätten lieber ihre heutige Rede als Antrag formu lieten sollen.( Heiterkeit.) Auch die Gegensätze über die Koali­tionspolitik sind auf diesem Parteitag gar nicht besonders groß. 1er Koalition unter feinen Umständen will und wer fie unter effen Umständen will, scheidet als unpolitisch aus. Die Frage des Eintritts in eine Regierung ist eine der schwierigsten taftischen Fragen, die die Fraktionen überhaupt zu entscheiden haben. Soalitionspolitik ist auch feine Suspendierung des Klassenkampfes, ten politisther Brugfrieden. Es gibt teine schwereren Kämpfe, als das tägliche Ringen in einer Koalitionsregierung zur Durchsetzung ies fozialistischen Standpunktes. Als wir in die Koalition mit Etrejemann gingen, stand Deutschlands Einheit und die Rettung aus der Inflation auf Spiel. Es war die letzte Minute, das politische und soziale Chaos abzuwehren. Wir wußten, daß diese Politik schwere Opfer tosten würde. Aber ich glaube noch heute, wir mußten fie machen mit Rücksicht auf die Zukunft. Hoffentlich tehrt dieser 3wang zur Koalition nicht wieder, aber festlegen fönnen wir uns nicht laffen.( Sehr wahr!) Den Unterschied zwischen Sozialdemokratie und bürgerlicher Demokratie will Aufhäuser von mir gelernt haben. Er stammt wohl von Karl Marg. Aber wir

Köpfe vom Parteitag.

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Bon Mag Nierich( Kassel ).

Benn Genosse Brade, Paris spricht, glaubt man nicht, daß er Franzose und auch nicht, daß er Wissenschaftler ist. Brake ist aber Franzose, und er ist Wissenschaftler! Sein Galliertum ist zwar nicht ganz echt". Sein Name ist eigentlich Desrousseaug. Der Bater war von französisch- flämischer Abstammung. Dessen Iyrischen Gedichte( in Dialekt) find in Frankreich gut bekannt. Die Baterstadt Lille fezte dem Volksdichter ein Denkmal. Die Mutter hieß Brake . So nannte sich auch der Sohn, der studieren konnte und Philologe wurde. Heute ist Genosse Brake Profeffor für griechische Philologie an der Sorbonne. Zugleich ist er ein be­deutender Führer der franzöfifchen Bruderpartei, Delegierter zur Grefutive der Internationale und Mitglied des Internationalen Bureaus. Seit 43 Jahren steht Brake im Lager der Sozialisten. Jetzt ist er 65 Jahre. Und noch elastisch und noch nicht ganz weiß. Ein kleiner, beweglicher Mann. Wenn er beim Reden in Leidenschaft kommt, springt aus dem flämisch- blauen Auge Feuer. Dann ist Brafe ganz Gallier in Betonung und Geste, in Wort und Bewegung. In der Eröffnungssigung spricht er deutsch mit falscher Betonung, doch mit echter Wärme. Und als er die deutsche und internationale Sozialdemokratie hoch leben läßt, ist das Feuer des Romanen aus der inneren Glut heraus mächtig entfacht. Troß der 65 Jahre, trotz des Philologengeistes.

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Der Italiener Modigliani spricht in der feierlichen Er­öffnungsfizung französisch. Er sieht aus wie ein bejahrter deutscher Arzt der Borkriegsjahre. Jurist ist er. Und einer der einfluß reichsten Führer der italienischen Bruderpartei, die ja heut in alle inde zerstoben ist. Als er vor dem Faschismus fliehen mußte, ging er nach Paris .

1872 in Livorno geboren. Nach der Studienzeit Sozialiſt. Advokat in der Baterstadt. 1898 zu 6 Monaten Gefängnis und 2 Jahren Verbannung verurteilt. Die Verbannungsstrafe wird nicht durchgeführt. Nach dem Kriege ſteht er neben Turati in der Partei im Vordergrund. Der Faschismus siegte. Modigliani wird brutal verfolgt. Etwa dreizehnmal gemein verprügelt. Im April 1926 plündern die Schwarzhemden sein Bureau. Er muß weichen! Ein Kopf, der trog unverkennbarer Züge der Gutmütigkeit die Rampinatur verrät. Ein hoher, haarlofer Borderkopf, der sich wie eine Halbfugel über den Augen wölbt. Schmale, schwarze Augen, blasse Gesichtsfarbe. Von den Augenrändern ziehen sich Sorgen falten herab, die vom Emigrantenschicksal berichten. Wenn er spricht, belebt sich das Gesicht. Dann glätten sich die Falten. In flug abgewogener Rede, die zum Schluß temperamentvoll wird, geißelt er die Methoden des Faschismus. Ohne Demokratie tein Menichen­tum, phne freies Menschentum tein freier Staat, ohne Demokratie tein Sozialismus! Es lebe unfere Solidarität!

Karl Renner ist Jurist und 57 Jahre alt. Ursprünglich war er Staatsbibliothekar. Seit 1907 Abgeordneter des Kreises Wiener Neustadt , zugleich Obmann des Verbandes österreichischer Konsum­

gebrauchen und können uns nicht Kommunisten nennen, weil Marg und Engels das kommunistische Manifest geschrieben haben.

Soziale Demokratie ist nichts anderes als Sozialismus. Demofcatie aber bleibt auch, wenn wir in den Sozialismus hinübergehen. Es ändert sich nur der gesellschaftliche Inhalt. Die Demokratie für etwas Bürgerliches hinzustellen, heißt, ihren Wert für das Proletariat in Fragen ziehen, und das ist die größte Gefahr für ganz Europa .

Freitag, 27. Mai 1927

Die Resolution des Parteivorstandes( Hilfer­ ding ) wird gegen wenige Stimme sächsischer Delegierter bei Stimm­enthaltung zahlreicher Berliner Delegierter angenommen.

Ungenommen wird auch ein Antrag Hamburg auf Ein­fegung einer Kommiffion zur Prüfung der Wege zum Einheitsstaat. Gesetzgebungsgegenständen werden der Fraktion überwiesen. Die Anträge zum Militäretat und zu verschiedenen anderen

Zum Schluß wird ein Antrag Stuttgart , der der Reichstags­fraktion Dank und Vertrauen ausspricht, einstimmig angenommen ( Heiterkeit.)

Hierauf vertagt sich der Parteitag nach neunstündiger Sitzungs­dauer auf Freitag vormittag 9 Uhr.

Wahlgesehänderung in Baden.

die Splitterparteien.

Ich will schließen ohne Polemit. Ich danke im Namen des Vermehrung der Wahlkreise.- Maßnahmen gegen ganzen Parteitages den Kieler Genossen, daß sie uns ermöglicht haben, in die Kinderaugen zu schauen, die Zukunft der Arbeiter­bewegung, die Zukunft des Sozialismus. Möglichst bald Jollen überall Rote Falten mit uns marschieren. ( Lebhafter Beifall.) Sie eröffnen der Jugend ein unermeßliches Reich der Zukunft und werben uns tüchtige Weggenossen. Auch wir haben in unserer Jugend viel über Sozialismus diskutiert, aber wir haben nie den großen Respekt vor der Bewegung verloren. Wenn man die Jugend nur ihren Trieben überläßt und nicht vom Alter her Richtungen hineinträgt und die Jugend politisch ausnutzt, dann wird auch die jezige Jugend den Respekt vor der Bewegung haben. Ich denke an die Schilderungen von Marg und Engels aus der Frühzeit des englischen Kapitalismus . Damals mußten die jungen Burschen und Mädels zehn, zwölf und vierzehn Stunden an der Maschine als wärter stehen. Die Generationen der Arbeiterbewegung folgen einander, und der große Kampf der Ar­beiter hat es möglich gemacht, daß wir heute die Roten Falken vor uns gesehen haben. Darum Respekt vor der Arbeiterbewegung. Sie ist die Verwirklichung der Sittlichkeit und Humanität, und wir brauchen feinen Schulmeister, der uns erst ethische Grundsätze bei­bringt.( Stürmischer Beifall.)

Und ein letztes Wort an unsere Vertrauensmänner. Was haben unsere Funktionäre leisten müssen, als die Spaltung da war, als alles drunter und drüber ging, als um jede Arbeiterfeele gerungen wurde. Was haben sie gelitten in der fürchterlichen Zeit der Inflation, wo jeder häusliche Herd ein Herd des Aufruhrs war.

Heute dürfen wir Ihnen fagen: Eure Arbeit ist leichter ge­worden, mit den Reften des Kommunismus wird euer Kraft­bewußtsein leicht aufräumen. Dann aber muß die Partei zu dem großen Kämpfen gerüstet sein in Preußen wie im Reiche. Sorgt für die Geschlossenheit der Partei!

Die Parteitagsdebatte hat die Gegensäge als viel fleiner erwiesen, als man vorher erwartet hatte. Jetzt schließt die Reihen, verteidigt jeden Schritt der Partei und rüstet zur Entscheidung. Jetzt gilt es nicht, Fehler zu suchen, jetzt gilt es für die Partei einzutreten. Wir sind stolz auf unsere Jugend, stolz auf unsere Bertrauensmänner, stolz darauf, daß wir das schwerste überwunden haben und schreiten einem Sieg entgegen, wie Ihr ihn erwartet und die Arbeiterklasse ihn braucht.( Stürmischer, langanhaltender, oft wiederholter Beifall.)

tamen, tragen wir in der Abendausgabe nach.) ( Die Redner, die vor dem Schlußwort Hilferding noch zu Wort

Die Abstimmung.

Zur Abstimmung erflärt Dr. Kurt Rosenfeld - Berlin , daß nach der Abstimmung über die Resolution Aufhäuser- Toni Sender seine Freunde sich der Stimme bei Annahme der Parteivorstands- Reso­lution enthalten würden.( Löbe: Ich habe niemanden zu einer solchen Erklärung beauftragt!)

Die Resolution Aufhäuser- Toni Sender wird mit 83 gegen 255 Stimmen abgelehnt. Ein fächsischer Delegierter bemerkt, daß für die Resolution neun Stimmen zu wenig gezählt seien.( Widerspruch.)

vereine. Nach dem Umsturz in Desterreich war er von 1918 bis 1920 Staatskanzler. Er ist nicht nur österreichischer Parteiführer, sondern auch einer der Führer der Internationale, sizt im Vorstand der Internationalen Genossenschaftsallianz und ist Präsident der internationalen Bereinigung für sozialen Fortschritt in Basel . Aeußerlich sieht man ihm taum den Desterreicher an. Die großen Dhren, der Spizbart, den ein Handwerksmeister von der Wasser­tante tragen fönnte, find gar nicht ,, weanerisch". Der Kopf iſt fahl. Eine Gelehrtenhornbrille auf der feinen Nase. Wenn aber Renner spricht, ist er ganz der Eestreicher". In breiter, jovialer, aber scharf durchdachter Rede weiß er seine Hörer zu bannen: Ein hohes Gut ist uns in Desterreich die Meinungsfreiheit, ein höheres aber die Einheit des Handelns!" Bald spürt man, daß dieser Mann ein sozialistischer Akademiker, aber auch ein flar= denkender Praktiker ist.

Otto Wels feiert mit seinem Kollegen Hermann Müller zusam­men diesmal fein fünfundzwanzigjähriges Parteitagsjubiläum. Im Schlußwort zum Vorstandsbericht sagte er von sich, er sei einer der Sanftmütigsten im Parteivorstand. Darob große Heiterfeit. Wels lachte mit!

Wels ist 54 Jahre alt. Trotzdem ist das volle Haupthaar fast noch ganz schwarz. Er war Tapezierer, wanderte in Deutschland in jungen Jahren herum. Später ist er Angestellter seines Verbandes, dann Parteisekretär. Mit 39 Jahren tommt er in den Parteivor: stand. 1918 steht er in vorderster Reihe. Er wird Kommandant von Berlin . Die Spartakisten verhaften ihn eines Tages und drohen mit Erschießung.

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Am Vorstandstisch ragt Wels nicht nur durch seine törperliche Größe heraus. Sein gefund- rotes Gesicht wird von tiefen Furchen durchzogen ist aber noch jung- beweglich. Wenn der breite und männlich- kräftige Mund spricht, dann bekommt das Gesicht etwas Gespanntes. Er ist einer der weitblickendsten Organisatoren und wohl der volkstümlich durchschlagkräftigste Redner der SPD . Wenn etwas totzuschlagen ist, dann führt der Sanftmütige" Schlag auf Schlag. Wenn es aufzubauen gilt, dann schafft emsig er mit Hand und Hirn.

Otto Braun . Preußischer Ministerpräsident. Bor Jahren trug er noch einen flotten Schnurr- und Spitbart. Jetzt sind Kopf und Gesicht glattrasiert.

Geboren 1872 in Königsberg . Als Angestellter, Redakteur und Parteisekretär hauptsächlich in landwirtschaftlichen Bezirken tätig. Ein Kenner des Landes, der Landarbeiter, der Agrarwirt­schaft. Ein Freund des Waldes, der Bäume und Tiere. Ein Mann, der ohne ein Stüd Natur nicht leben kann. Ein verschlossener Mensch, kantig und herb.

Das Wort hat der Genosse Otto Braun . Das Plenum wird still, alles sieht auf die Tribüne. Braun spricht nicht laut. Er betont nicht viel, er liebt kein Pathos. Seine Stimme liegt hoch. Aber man hört ihn. Die Worte sind immer angriffsluftig. Der Sieb ist die beste Parade! Das ist seine Barole. So hat er es immer gehalten so steht er noch jetzt als preußischer Ministerpräsident, als begehaßter Mann der Reaktion gegenüber, so spricht er derb und unnachsichtig zu den Deutschnatio­

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gierung legte dieser Tage dem Landtag einen Entwurf eines Ge­Karlsruhe, 25. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die badische Res setzes über eine Aenderung des badischen Landtags­wahlgesetzes vor. Nach dem Entwurfe soll das Land Baden in 22 Wahlkreise eingeteilt werden gegen bisher sieben; Wahl­freisverbände sollen nicht mehr gebildet werden. Für jeden Wahl­freis müssen von der einzelnen Partei oder Wählergruppe min­destens zwei Bewerber vorgeschlagen werden. Gewählt sind Bewerber, die in einem Wahlkreis 10 000 Stimmen erhalten haben. Die hiernach in den Wahlkreisen unberücksichtigt gebliebenen Stimmen werden für jede Partei oder Wählergruppe für das ganze Land zusammengezählt. Diese Stimmen werden den nicht gewählten Bewerbern in der Reihenfolge der in einem Wahlkreis errichteten Höchststimmenzahl gutgeschrieben. Bewerber, die hierdurch die Stimmenzahl 10 000 oder einen Rest von 7500 Stimmen erreichen, gelten gleichfalls als gewählt.

Die Vorlage ist als eine Reaktion auf die letzten Landtagswahlen im Herbst 1925 zu betrachten. Die damalige schlechte Wahlbeteiligung von etwa 50 Proz. veranlaßte Regierung und Parteien zu einer Untersuchung der Ursachen dieser Bahlflauheit der badischen Wähler. Man glaubte nun, eine der Ursachen darin zu finden, daß durch den bisherigen Wahlmodus mit Wahlkreisen die Bindung zwischen Wähler und Abgeordnete zu lose sei, daß es deshalb nötig wäre, den Abgeordneten enger an die Wähler zu binden. Deshalb soll nun die Zahl der Wahlkreise von sieben auf zweiundzwanzig vermehrt werden. Auch durch den Wegfall der Landesliste soll dieser Zweck erreicht werden. Durch die neue Wahlrechtsvorlage geht jedoch wie bei dem bisherigen System feine Stimme verloren. Ob freilich durch die Aenderung des Wahlgesetzes der beabsichtigte 3weck erreicht wird, muß dahin­gestellt bleiben, denn auch bei den Gemeindewahlen im letzten Jahre, wo doch die Bindung zwischen Wählern und zu Wählenden die denkbar engste ist, betrug die Wahlbeteiligung faum 50 Proz. Ein weiterer Zweck der Vorlage ist, die weitere 3ersplitte= rung in fleine und kleinste Gruppen zu verhin= dern; die Zahl der Wahlvorschläge bei den letzten Wahlen betrug zweiundzwanzig. Die Vorlage der Regierung enthält hierüber zwar noch feine bestimmten Vorschläge, sie überläßt dem Landtag zu bestimmen, welche Mindeststimmenzahl zur Erlangung eines Sizes für eine Partei oder Gruppe nötig sein soll. Im großen und ganzen dürfte der Landtag der Vorlage zustimmen.

Meinungsverschiedenheiten bestehen nur über die Einteilung und Festlegung der Wahlkreise. Das Zentrum hat hier in einem wahlgeometrischen Vorschlage bereits einen Vorstoß unternommen, der aber fast einmütige Ablehnung bei den übrigen Parteien erfuhr; denn der Vorschlag war zu deutlich und durch­fichtig auf die Parteiinteressen des Zentrums zugeschnitten. Der Verfassungsausschuß des Landtags hat bereits mit der Beratung der Vorlage begonnen.

nalen. Wie eine Eiche steht er fest in Wetter und Sturm. Der Mund eng, die Lippen schmal, die Nase scharf gebogen. Tiefliegende, dunkle Augen mit starken Augenwulsten.

Seine Diskussionsrede in Kiel ging gegen Rosenfeld und die Sachsen . Trotz Schärfe in der Sache, blieb er sich in seiner politischen Linie treu: Es gilt, die gewonnenen Machtpositionen zu halten, neue zu erobern!

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Knut Hamsun als Lyriker. Zwischen der epischen und lyrischen Kunst bestehen so große Wesensunterschiede, daß wir die Bereinigung einer Meisterschaft in beiden Kunstgattungen nur ganz felten erleben und selbst in solchen Einzelfällen etwa bei Goethe, Novalis , Höl­ derlin ein Ueberwiegen des lyrischen Elements finden. In der epischen Dichtung tritt das gedankliche Moment, die Entwicklung und logische Begründung einer Handlung und die Charakterisierung von Personen in den Vordergrund. Die künstlerische Beherrschung dieser Schaffensbedingungen jezt natürlich eine ganz anders geartete Per­sönlichkeit voraus als die wesentlich auf Gefühlen, Stimmungen und Augenblickseindrücken beruhende lyrische Dichtung. Es ist deshalb verständlich und beinahe selbstverständlich, daß alle großen Erzähler feine überragenden und besonders eigenartigen Leistungen als Lyriker vollbringen.

Das gilt auch für Knut Hamsun , den bedeutendsten lebenden norwegischen Romandichter, dessen Werte internationale Geltung erlangt haben. Die verhältnismäßig fleine Auslese seines lyrischen Schaffens wird uns soeben in einer im ganzen sehr feinen Ueber­tragung von Heinrich Goebel unter dem Titel ,, Der wilde Chor" in einem fostbaren Bande( I. M. Spaeth- Verlag, Berlin ) vorgelegt. In einem als eine Art Schlußwort auszugsweise mitgeteilten Briefe an den Ueberseher erklärt der Dichter selbst es als eine Unverschämt­heit gegen die Leser, Entwürfe und lose poetische Stizzen als fertige Gedichte herauszugeben", und fügt hinzu, daß ich eine Menge Berse liegen habe, die nicht herausgegeben werden fönnen, bevor die Form verbessert ist". Ein Dichter, der solche Worte schreibt, verlangt für feine Verse den strengsten kritischen Maßstab. Als Ergänzung und Begrenzung des literarischen Gesamtbildes von Knut Hamsun ist uns auch sein Gedichtband" Der wilde Chor" willkommen. Aber die Ursprünglichkeit und Eigenart der Empfindung, den Rausch und die Innigkeit und die eigentliche verskünstlerische Selbständigkeit des großen Lyrikers wird man in diesen Gedichten kaum finden. Sicher ist ihr Urheber eine poetische Persönlichkeit von fultiviertem Ge­schmac, ein Dichter, der eine flare Anschauung in sprachlich voll­endeter Form wiederzugeben weiß man vermißt nur meistens das mitreisende, heiße innere Erleben und hat mehr den Eindruck einer unterhaltenden Spielerei mit Borstellungen und zarten Seelenregun­gen, die größeren Vorbildern abgelauscht sind. An einigen Stellen freilich schwingen sich auch diese immer anmutigen und flangvollen Berse zu Bildern von erhabener Größe und stürmischer Elementar gewalt auf, aus denen uns das Rauschen des weiten Nordlandes entgegenströmt. Dann erkennen wir den Dichter, dessen starkes Künstlertum uns in seinem gesamten Schaffen so zwingend lebendig mird.

B3.

Die Piscator- Bühne hat für die nächite Spielzeit das Theater am Nollendorfplaz gepachtet. Die Eröffnung erfolgt am 1. September.