Nr. 25t ♦ 44. Jahrgang
1. Seilage ües vorwärts
Sonntag, 24. Mal 7427
Durch We weite holsteinische Ebene saust der Zug. Rechts und links vom Bahndamm leuchten grüne Matten, die— oft von niedrigen Hecken durchzogen, meist jedoch nur durch Wassergräben abgeteilt— saftige Weideplätze bieten für stark« schwarzweiß« Rinder, für grasend« Pferde und langhaarige Schafe. Fruchtbares Marschland, aus dem die Bauerngehöste nur vereinzelt und Dorf. gemeinden nur in erheblichen Entfernungen voneinander zu sehen sind, dehnt sich in die Weite. Der Zug führt hinaus bis an die neugczogene deutsch -dänische (Brenz «. Von N i e b ü l l aus, nördlich von Husum , geht der Schienenweg nach Ton de rn, das trotz seiner deutschen Ab- siimmung doch zu Dänemark geschlagen wurde. Neuerdings zweigt
sich aber in Niebüll ein weiteres Gleis ab und führt näher der Westküste bis nach ftlanxbüll, einem kleinen Ort« gerade gegenüber der Insel Sylt , der räumlich größten deutschen Nordseeinsel, deren Hauptort das Städtchen Westerland ist. Diese Insel und ihr Hauptort haben vor dem Krieg« und in letzter Zeit in erhöhtem Maße den Fremdenverkehr aus sich gelenkt. Allerdings war dieser Verkehr bis heute ein sehr umständlicher. Denn wer etwa in den drei Monaten des Badebetriebes als Sommerfrischler au» dem Bim-enlande kam, um aus dem Eilande Pidder Lüngs zu verweilen, der mußte mühselig« Fahrten überstehen. Er mußte entweder in Hamburg den Seeweg über Helgoland nach Hörnum — an der Südspitze des langgestreckten Sylt— oder den Landweg nach Tondern�Hoyerschleuse wählen, und dort ebensall» ein Schiff be
steigen, das ihn bei günstiger Flut durch das Wattenmeer bringen sollt«. Tondern wie Hoyerjchleuse liegen aber jetzt auf dänischem Gebiete. Deutsche Reisende mußten also die dänische Grenze passieren, die dänische Staatsbahn benutzen, unter Umständen Pah. und Zollschwierigkeiten überstehen, um endlich durch die unbeständigen wasserstandsverhältnisse des Wattenmeeres aus die deutsche Zusei zu gelangen. Von nun an wird das anders sein. Der Vertrag mit Dänemark über die vorläufige Regelung dieses Verkehrs läuft am 31. Mai ab. Dann beginnt ein« neue Art des Verkehrs nach der Znsel Sylt , die gleichzeitig ausgehört haben wird, als Znsel zu existieren. Am 1. Juni 1327 wird die Znsel Sylt zur Halbinsel umge- wandelt sein. Denn cm diesem Tag« wird der neue Eisenbahn - dämm dem öffentlichen Verkehr übergeben, der in jahrelanger Arbeit mitten durch das Wattenmeer hindurch getrieben ist. Auf Sylt ist man daran, Ehrenpforten zu errichten und Stadt wie Dorf «in festlich Gewand zu geben. Der Präsident der deutschen Republik, der in diesen Tagen die Provinz Schleswig-Holstein besucht, soll bei der Einweihung dem Damme auch nach außen den Charakter aufdrücken, der ihm innewohnt: den eines Kultur Werkes von ganz großen Ausmaßen! - Schon lange vor dem Kriege war der Plan aufgetaucht und tu seinen Einzelheiten vorbereitet, aber erst noch dem Kriege gab die neue Grenzziehung den letzten Anstoß zu seiner Ausführung. Da» zwischen dem Festlande und den Inseln gelegene Wattenmeer wird gekennzeichnet durch eine große Anzahl von Sandbänken (Watten), die nur spärlich vom Wasser bedeckt sind. Aber sie werden durchzogen von einer Reihe von mehr oder weniger tiefen Rinnen, die ihrer Natur nach als.Tiefs' bezeichnet werden. ?m Zahre 1321 begann man mit dem van der Festlandstrecke von Niebüll nach klanxbüll. um von dort ms Wattenmeer vorzustoßen. Aber nur langsam ging diese Arbeit vonstatten. Mit Pfahlrosten und Spundwänden, die mühsam vorgetrieben werden mußten, wurde zunächst oersucht, das Wasier abzudämmen. Aber die Flut riß oft ganze Reihen der«ingerammten Pfähl« fort, so daß immer wieder von neuem begonnen werden mußte. Schließlich brachte man zu Schiff die notwendigen Arbeits- Materialien noch Sylt hinüber und begann auch von dort die Arbeit, um das Meer zu überwältigen, heute steh», nach fast vierjährigem
Die Brücke im Dschungel. Sitten- und Stimmungsbild aus dem Innern Mexikos . 13� von B. Traven . Copyright 1927, dy B. Traven, Tamaulipas (Mexiko ). Der Küchenofen ist eine große Kiste, die mit Erde ans- gefüllt ist und auf vier Pfählen ruht in einer Höhe, daß sie recht handlich für die Frau ist. Auf dieser Erde in der Kiste brennt ein offenes Holzfeuer, dessen Flammen durch einige rohe Steine zusammengehalten werden, damit die Hitze dicht an die Blechkanne kommt, die unmittelbar auf dem brennen- den Holze steht. In einem irdenen Topfe, der neben der Kanne aus dem Feuer steht, sind schwarze Bohnen zum Kochen aufgestellt für den Fall, daß jemand Hunger bekommen sollte. Ein Blech steht bereit, auf dem die Pumpmeisterin Tortillas anzuwärmen gedenkt. Der Schilfkorb in dem sie Tortillas, die vom letzten Mahle übrig geblieben sind, aufbewahrt, hängt an einem Draht, der an einem der Stämme befestigt Ist, die das Gras des Daches halten. ' Die Garza ist zu ihrer eigenen Hütte gegangen. Was sie dort sucht oder erwartet, weiß sie selbst nicht zu sagen. Sie kommt jetzt wieder über die Brücke zurück, die Laterne an der herunterhängenden Hand tragend. Ein« Weile sieht sie den Tauchenden zu, dann geht sie weiter zur Pumpe, völlig gedankenlos und in einer Weife, als ginge sie das alles, was hier geschieht, nichts an. Manuel sitzt stumpf und brütend auf einer Bank. Als er die Garza plötzlich vor sich sieht, blickt er sie groß mit leeren Augen an wie ein« Fremde. Dann, als ob ihm etwas einfiele, steht er rasch aus. geht über die Drücke und wanden auf dem sandigen Wege, der auf der anderen Seite durch den Dschungel zu fernen Dörfern führt, in die Nacht hinaus. Der Pumpmeister wirft unermüdlich seinen schweren eisernen Haken hinaus in den Fluß und zieht ihn sorgfältig ein, manchmal leer, manchmal mit einer Last Wasserpflanzen und Gestrüpp beladen. Die Tauchenden fangen an, müde zu werden, immer seltener tauchen sie unter und immer länger müssen sie sich an die Drückenpfeiler klammern ober in der Näk)« des Ufers, wo das Wasier weniger tief ist und sie stehen können, zum Aus- ruhen aufhalten. Da das Wasier nun auch immer kühler wird, fangen sie auch noch an zu frieren. Der weißbaarige Alte muß aufgeben. Und bald schwimmen auch die jüngeren ans
Ufer, holen sich ihre Hosen, Hemden und Sandalen und laufen zu den Feuern, die ebenfalls Zeichen von Müdigkeit zeigen und lange nicht mehr so lodernd und lebhaft brennen wie ein« Stunde bevor. Denn die Burschen und Männer müsien immer weiter in den finsteren Dschungel kriechen, um das notwendige Holz heranzuschleppen. Schließlich fallen die Feuer gänzllch zusammen, und sind bald nur noch Gluthaufen. Di« flammenden Aeste und Scheite, die auf der Brücke als Fackeln dienten, sind nur noch funken- sprühende Keulen, die ausgedient haben und wertlos ins Wasier geschleudert oder in die Gluthaufen am Ufer geworfen werden. An der Pumpe ist ein« der Laternen ausgegangen und ein Junge läuft mit der Laterne zu den Hütten, um Petroleum zu borgen. Zwei der Taucher stehen an einem Gluthaufen auf dieser Seite und rauchen. Sie haben sich nicht angekleidet, sondern das Hemd nur um die Hüften gewickelt um wieder bereit zu fein, sobald sie gerufen werden sollten. Denn es kann ja jemand einen neuen Gedanken haben. Die Leute alle, insbesondere die Männer, die im Fluß getaucht haben, halten nun die Geschichte, die die Garza erzählte, für wahrscheinlich und dennoch glaubt niemand, daß der Junge im Wasier ist. Sie haben keinen anderen Gegen- beweis, als allein nur den, daß ein Mensch, auch wenn er nur ein Junge ist, nicht so leicht und geräuschlos stirbt. Der Tod ist ein so großer Vorgang, daß er nie schweigeich sein kann. Da ist immer Geschrei damit verknüpft, oder Schießen, oder Stechen, oder Sturz vom Pferde, oder Krach eines gefällten Baumes, oder das Plätschern und Kreischen eines ins Wasier Gefallenen, oder das Herumwälzen des an den Blattern Erkrankten. Daß der Tod inmitten von sechzig oder mehr Menschen, die sich zum Tanze versammelt haben, so ganz still erscheinen könne, ohne daß sich auch nur die Luft bewegt, das begreift keiner von diesen Leuten. Man hat auch nur alles das getan, um der Mutter zu zeigen, daß sie nicht allein auf der Welt ist, und daß man das einzige Hemd, das man hat, hergeben nürde, könnte man ihr damit den Sohn zurückbringen. Nun beginnen einige Männer mif einer langen Stange, die sie sich geschaffen haben, dadurch, daß sie zwei dünn« Stämme mit Bast zusammenbanden, den Grund des Flusies an der ganzen Brücke entlang abzutasten, weil jemand den Gedanken hatte, man könne mit einer Stange den Körper deutlich fühlen, fall» er überhaupt im Wasier fei.
Das Bild hat sich völlig verändert. An den glimmenden, verlöschenden Feuern sitzen oder stehen die braunen Gestalten herum, rauchend und redend. Sie sind so ungewiß beleuchtet, daß man nur bewegende Schatten sieht. Ein erregtes Gespräch hebt an, daß plötzlich abbricht, als habe es die Nacht verschlungen, um bei einer anderen Gruppe auszubrechen, als sei es unterirdisch hin- übergekrochen. Dann hört man nur halblautes Reden, aber sieht heftige und eindringliche Gesten. Auf der Brücke sitzen andere, kauern oder halten die Beine über den Rand der Brücke und schaukeln mit den Füßen. Andere wieder, die nichts Besseres zu tun haben, wehen die verglimmenden Aeste durch die schwarze Luft und zeichnen funkelnd« Figuren. Irgendwo in einem Winkel der Nacht wird auf der Mund- Harmonika gespielt. Aus einem anderen Winkel der Finster- nis hört man das Kichern eines Mädchens und das hastige, unterdrückte und erregte Sprechen eines Mannes. Dann wieder von einem anderen Winkel ein hartes, abweisendes und beinahe schimpfendes Hin- und Herreden eines Paares, das sich verkrochen hat. Bon ferner her das unternehmende lustige Pfeifen eines Burschen, der in der Stimmung eines Siegers zu sein scheint. Auf dem Pumpplatze haben sich wieder Gruppen gebildet, die meist mit langen Pausen sprechen, weil schon alles zwan- zigmal gesagt worden ist. Die Frauen und Mädchen sitzen herum oder gehen, ohne sich jedoch vorzudrängen, zur Küche der Pumpmeisterin, wo sie heißen Kaffee in kleinen Emaille- tasten erhalten. Der Kaffee ist schwarz und jedesmal, wenn die Frau eine Tasse hinreicht, deutet sie auf eine Konserven- büchse, die mit Zucker gefüllt ist und neben der eine kleiner Löffel liegt. Die Pumpmeisterin hat nur fünf Tasten, alle verschieden in Form und Farbe und mit diesen fünf Tasten versorgt sie alle Frauen mit Kaffee. Aber der Kaffee ist bald all« und die Pumpmeisterin beeilt sich, frischen zu kochen. Niemand trinkt mehr als«ine kleine Taste, manche der Frauen trinken die Tasse mir halb und reichen die andere Hälfte ihrer Nachbarin: denn die Nacht ist nun recht hübsch kühl geworden und jedem wird ein Schluck heißer Kaffee wohltun. Auf der Drücke sind ewige der Männer immer noch damit beschäftigt, die Längsseiten der Drücke Schritt für Schritt mit der Stange abzutasten. Jetzt krähen die Hähne zum ersten Male in der Nacht. Also ist e» elf Uhr.(Fortsetzung folgt.)