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Nr. 253 44. Jahrgang
1. Heilage ües Vorwärts
vleastag, ZI. Mo! 1927
Unter den staatlichen Neubildungen, die der Weltkrieg geschaffen hat, nehmen die zur Tschechoslowakei   vereinigten früheren österreichi- schen Länder eine für das deutsche   Volk besonders wichtige Po- sition ein. Einmal wegen ihrer Lage, an drei Grenzen von Deutsch  - land umschlossen, was einen lebhaften Grenzverkehr zur Folge hoben muß, und an der vierten Grenze an das deutsche   Oesterreich stoßend, dann aber auch wegen der Tatsache, daß es eine starke deutsche   Bevölkerung besitzt. Rechnet man dazu die Anziehungs- hast, die das fruchtbare Obsttäler und romantische Bergkuppen, malerische Städte und weltberühmt« cheilquellen aufweisende böhmische Gebiet von jeher auf den Deutschen   ausgeübt hat, so sind starke geschäftliche und persönliche Bindungen vorhanden, die es erklärlich machen, daß auch heute die tschechoslowakische Kolonie in Berlin   eine große Stärke hat. Reger visumverkehr. Die Konsulate sind die Zentren der meisten praktischen Be- Ziehungen zwischen Ausland und Heimat. Eine bequeme Lage der Bureauräume in der Stadt ist deshalb sehr erwünscht. Es ist nun interessant zu sehen, daß es im inneren Berlin   an Gebäuden fehlt, die Zugleich repräsentativ und bureautechnisch bequem sind. Die Straßen zwischen Linden und Leipziger Straße   sind alle dem Mer- kantilismus oerschrieben was das Kurfürstendamm  -Niertel jetzt immer energischer nochmacht. So ist denn auch da» heim der tschechoslowakischen Vertretung an der Peripherie zu finden: in einem Hause, das von drei Straßen begrenzt wird. Offiziell trägt es die Bezeichnung Rauch st raße 2, aber das Konsulat ist von der Hansemannstraße aus zugänglich, und die Hauptelngang-pforte zu dem Gebäude liegt in der Friedrich-Wilhelm-Straße. Trotz statt- licher Größe scheint die Raumoerteilung für den starken Verkehr nicht auszureichen: wohl kann der Besucher seine Wartezeit durch einen Spaziergang in den nahen Tiergarten sich verkürzen, ober bei schlechtem Wetter ist die Ueberfllllung sowohl für die Funktio- näre, wie für das Publikum nicht sehr angenehm. Es steht freilich zu hoffen, daß die Formalität der Visumerteilung bald fortfällt, und ihr Zweck, das Einströmen von arbeitslustigen Elementen zum Schaden der einheimischen Bevölkerung zu verhindern, durch andere Maßnahmen erreicht wird. Uebrigens besteht für den Grenzverkehr sowohl eine dauernde Erleichterung, als auch eine dem Touristen­verkehr dienende kurzfristige Erlaubnis, ohne lästige Formalitäten hin und her zu gehen. Die alten Beziehungen zwischen Berlin   und Böhmen   haben, im
Gegensatz zu der Auswanderung der Deutschpolen, keine allzugroßen Störungen durch den Krieg erlitten. Die Anzahl der in Verlin dauernd weilenden Angehörigen der Tschechoslowakei   kann auf lsooo Personen geschäht werden, und das Konsulatsgebiet, das sich von Königsberg   bis etwa Halle erstreckt, umfaßt deren wohl an ö0l)00. Alte Kolonien befinden sich z. B. in Landsberg   a. d. W., Fürstenberg a. d. O., Braunschweig   und Halle. Hauptsätzlich setzen sie sich aus Kaufleuten, Gewerbetreibenden, Handwerkern und technischen Arbeitern zusammen. Wichtig ist wegen seiner Tendenz sowohl wie durch die Mitarbeit den Tschechen und Deutschen   der Tschecho- slowakische wohttällgkeitsverein. Er zählt an 300 Mitglieder und erledigt seine laufenden Angelegenheiten in lätägigen Zusammen- tünften, die in Drehers Vierhallen stattfinden. Der Ehrenvor- sitzende ist der jeweilige Gesandte; der Vorsitzende ist Konsul Malek, dessen bewährte organisatorisch« Tatkraft dem Verein rasch eine feste Position verschafft hat. Daß der Derein auch den Zusammen- jchluß der Mitglieder fördern will, ist mit Dank zu begrüßen. Die schon früher bestehenden Vereine sowohl deutscher   als tschechischer Sprache haben sich weiter ent.vickelt; teilweise haben sie ein be- trächtliches Vercinsalter, blickt doch derTschecho-slawische Verein* auf ein Dasein von nahezu 60 Jahren zurück, da er 1867 nach demBruderkriege* begründet wurde, und konnte doch schon ein anderer Verein im Jahre 1922 das dreißigjährige Jubiläum feiern! Die offizielle Vertretung. Das Haus In der Rouchstraße, dos die tschechostowakische Der- hetung in eigenen Besitz genommen hat, ist schon erwähnt worden; es enthält die Konsulats- und Gesandtschaftsräume, auch die Privat- wchnung des Konsuls. Die Wohnung des Gesandten befindet sich aber in der Regentenstraß« in dem ehemaligen Heim der diplo- malischen Vertretung der Hansestädte. Dr. Frantisek Chvalkovsky  , der als außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister an der Spitze der Vertretung steht, bekleidet diesen Posten seit März dieses Jahres: er war vorher Gesandter in Tokio   und in Washington  und dann als Parlamentarier tätig. Den Konsulatsgeschäften steht seit 1921 der Konsul 1. Klasse Dr. Ladislav Mälek vor. Direktor des Pressedienstes ist Camilla Hoffmann. Die schöne Sitte, den Tag festlich zu begehen, an dem das neue freie Staatswesen geboren wurde, findet sich auch hier vor: Der 28. Oktober, Tag der Republik- gründung. ist Slaatsseiertag. Er hat ein Gegenstück in der Er- klärung des I. Mai zum offiziellen Feiertag. Wenn dann noch der 7. März als Geburtstag des Präsidenten Masaryk   gefeiert wird, so ist dies ein schöner Zug der Dankbarkeit, denn unstreitig hat der als Gelehrter wie als Mensch gleich geschätzte Masaryk für sein Land die
größte Arbeit geleistet. Diejenigen, die jetzt gegen ihn intrigieren, dienen ihrem Volke schlecht. Die nicht leicht zu erlernende tschechische Sprache hat ein Ein- dringen tschechischslowakischer Geistesarbeit in deutsche   Kreise er- schwert; im Gegensatz zu den nordischen Kulturgebietcn ist auch wenig übersetzt worden. Anders steht es mit Musik und Malerei, ihre Werke sprechen die allgemeinverständliche Sprache der Kunst. Die andere Sprache ist die der realen Dinge. Wer hätte nicht schon von böhmischem Obst, böhmischen Karpfen, böhmischem Kristall und vilsener Bier gehört? Wer hätte nicht im Kriege mit verlangenden Augen auf die nahe Korn- und Obstkammer geblickt, an deren Schätzen einzelne Glückliche sich laben durften! Und die Kurgäste, die ihr häusliches Wohlleben in Karlsbad   und Marienbad   abbüßen inüssen, wissen auch ein Loblied auf die Güte der ihnen noch ge- statteten Speisen zu singen. Dem Berliner   sind vor allem die Obst- lähne vertraut, auf denen die Aepfel und Birnen aus Böhmen  hergebracht werden. Neben den böhmischen Glas- und Kristall- erzeugnissen wahrt die Gablonzer Qualitätsware, wie Schalen, Gläser für Beleuchtungszwecke, den hohen Ruf dieser Industrie. Viele großen Betriebe der Tschechoslowakei   haben in Berlin   Nieder- lassungen, oder sind, wie dies bei der Braunkohle der Fall ist, mit deutschen Unternehmungen liiert. Ein solches Verhältnis besteht auch bei der Bank für auswärtigen Handel, die in Berlin   in der Friedrich-Ebert-Straße 22 domiziliert.
Die Reaktion, die die wirtschaftliche Depression der Nachkrieg». zeit benutzt hat, um reaktionäre, für das Volk verderbliche, für das Kapital vorteilhafte Umstellungen im Wirtschaftsleben vorzunehmen. ist auch in Böhmen   nicht untätig gewesen. Daß die tschechische und die deutschböhmisch« Sozialdemokratie einmütig gegen diesen Zu- stand kämpfen, ist ein Lichtblick in dieser reaktionslüstcrnen Zeit. Die deutsche Sozialdemokratie begrüßt dieses Zusammengehen, da» vor allem auch dazu dient, die unsinnige Völkerbefehdung aus der Welt zu schaffen. Mit dem Wunsche, daß die Berliner   Kolonie für immer solchem unfruchtbaren Streite fernbleiben möge, sei ihre Charakteristik geschlossen. Der vorsichtige Republikbeleiöiger. Am 2. Februar d. I. wurde vom Schöffengericht Charlotten- bürg der Magistratsangestcllte Herdert Cardinal von Wid- d e r n wegen Beschimpfung der Republik   an Stelle einer verwirkten Gefängnisstrafe von 29 Togen zu einer Geldstrafe in Höh« von 299 M. verurteilt. Er hatte am Wittenbergplatz von einem Omnibus herab den ReichsbannerleutenNieder mit Schwarzrotmostrich* zugerufen. Diese gelinde Strafe schien aber dem tapferen Herrn von Widdern   noch zu hoch. Deshalb legte er Berufung ein. Gestern sollte die Verhandlung in der zweiten In-
Die Brücke im Dschungel. Sitten- und Stimmungsbild aus dem Innern Mexikos  . 141 Traven. Copyright 1927, by B. Traven, Tamaulipas  (Mexiko  ). 10. Der Pumpmeister hat fein Suchen und Fischen mit dem Haken aufgegeben. Der Haken liegt verlassen auf der Brücke und der Pumpmeister steht nun auch bei den Gruppen in der Nähe der Pumpe. Er erzählt von einigen Todesfällen, die er erlebt hat. die aber in gar keiner Beziehung zu diesem Er- eignis stehen. Die Earza war die erste, der Kaffee angeboten wurde. Sie ist der respektierte Ehrengast der Pumpmeisterin. Und die Pumpmeisterin ist hier in dieser Dschungelsiedlung ungefähr dasselbe, was eine Baronin in einem armseligen Bergdörfchen in einem europäischen   Lande ist. Sie kann ein wenig lesen und ein wenig schreiben und ist deshalb eine hochgebildete Frau, die in die Schule gegangen ist. Ihre Kinder haben keine Läuse oder nur hin wieder ein paar und laufen nur selten nackt herum. Wenn sie auch nicht gerade immer ein Heind anhaben, so doch wenigstens eine Hose oder ein Räckchen. Das kann man nicht einmal von den Kindern Sleighs saaen. Die Frau Pumpmeisterin selbst hat vier verlchiedene Musseline- kleider und wenigstens drei Hemden. Mehr hat sie nicht, das weiß jeder, Hosen hat sie sogar vier, von denen zwei aber nicht mehr ganz für voll gerechnet werden können. Sie hat Ohrringe, echtes Gold. Auch hat sie einen spanischen Kamm fürs Haar, der mit Perlchen besetzt ist Diese Berlchen, weiß auch jeder, sind aber nicht echt. Der Pumpmeister hat einen Sonntagsanzug mit einer Jacke. Sie haben eine Ubr im Hause, ein Weckeruhr, ferner«inen Spiegel, sogar ein Messer, nicht zu reden von den beiden Gabeln, die sie haben. Und was das Größte ist, ein eifemes Bett mit Drahtmatratze. Wer hat das sonst noch? Vielleicht der Präsident in der Hauptstadt. Aber kein Wunder, der Vumpmeister gehört ja zur Eisenbahn. Da ist nichts in der Welt, das größer wäre. Und was die Pumpmeisterin sagt, ist mehr wert, als was der Priester sagt, bei dem nie weiß, was er meint und was er vielleicht hintennach beabsichtigen mag. Wenn man mit der Frau Pumpmeisterin gut befreundet ist, kann man die Königin von England leicht entbehren. Denn ob die Königin von England zwei Paar gelbseidene Strümpfe hat und drei
Taschentücher, von denen eines gestickte Kanten hat, das soll erst noch bewiesen werden. Und was die Leute so erzählen, darf man noch lange nicht immer glauben. In ein« Gruppe, die weiter ab von der Pumpe steht, ' kommt plötzlich Bewegung. Man hört schnelles Sprechen und Fragen. Der Junge war nicht da?"' ksingt mm eine Stimme deutlich heraus. Der Eseltreiber und der ihm begleitende Junge sind von Pacheco zurückgekommen. 'Nein er war nicht dort." Habt ihr denn überall herumgefragt." Ganz natürlich. Alles schlief und wir sind in jede Hütte gegangen, haben die Leute aufgeweckt und nach dem Kleinen gefragt." Habt ihr euch auch erkundigt, ob vielleicht der Kleine durchgekommen ist?" Auch das haben wir getan Es ist heute niemand aus Pacheco hier herum gewesen und auch niemand aus der hiesigen Gegend dort vorbei gekommen. Di« Hunde würden gelärmt haben, wenn da jemand in der Nacht durchgeritten wäre." Und auf dem Wege?" Auf dem Wege war keine frische Spur wir haben ab- geleuchtet. In der Richtung nach Pacheco sind die nicht geritten." Die redende Gruppe kommt näher heran, bis sie im Licht der Laterne steht. Das Gespräch ebbt ab, weil man nichts mehr zu fragen weiß. Die Garza steht auf von ihrem Sitz und sieht auf den Eseltreiber, der seine Augen verlegen von einem zum anderen wandern läßt. Er will jetzt etwas zur Garza sagen. Aber in diesem Augenblick setzt sie sich wieder. Sie weiß es schon. Und der Eseltreiber wendet sich langsam um und hat einen Ausdruck mi Gesicht, als ob er am Tode oder wenigstens am Verschwinden des Kleinen schuld wäre. Erst als er ganz aus dem Gesichtskreis der Frau heraus ist, sich zwischen eine Gruppe von Männern gemischt hat und«ine Zigarette raucht, fühlt er sich wieder wohler. Ich gehe zur Brücke, wo ein Indianer weiter mit der Stange tastet, während«in anderer dicht neben ihm auf der Brücke kniet und mit einer Laterne immer da ins Wasser leuchtet, wo der andere mit der Siange hineinfühlt. Da mit einem Male läßt der Mann die Stange auf dem Grund«, dreht sich um, sieht mich mit großen Augen an und sagt halblaut:Senjor, ich habe ihn. Da fühlen Sie selbst."
Seien Sie ganz ruhig, Perez," gebe ich zur Antwort, sonst haben wir gleich alle Leute hier und wir können nichts tun. Wir wollen erst durchaus sicher sein. Halten Sie die Stange ruhig an der Stelle" Ich trete nun dicht an seine Seite und nehme ihm die Stange behutsam ab. Ich taste am Grunde und fühle in der Tat etwas, das ein menschlicher oder tierischer Körper sein könnte. Vorsichtig, um den Grund nicht aufzurühren und den Körper vielleicht fortschwemmen zu lassen, hebe ich die Stange und führe sie leise suchend wieder nach unten, um das Gefühl voll in die Fingerspitzen zu lenken. Und wieder fühle ich den Körper. Na?" fragt Perez. Sicher bin ich noch nicht," erwidere ich. Ich taste nun weiter, ob dieser Fund auch die Ausdehnung eines menschlichen Körpers hat, denn bis jetzt haben wir ja nur einen Ballen, der die Brust oder der Unterleib fein kann oder der Oberschenkel. Aber der Fund hat keine Ausdehnung in der Länge, sondern die Ausdehnung geht gleichmäßig nach jeder Richtung und nach langem geduldigen Abfühlen komme ich zur Ueberzeugung, daß der vermeintliche Körper«in ver- fandeter Ballen Gras oder dünner Strauchast ist, der sich dort unten irgendwie festgehakt hat. Was immer es auch sein mag, der Körper eines Kindes ist es nicht. Perez sieht ein, daß er sich geirrt hatte. Er gibt jetzt auch aus, fetzt sich auf die Brücke und dreht sich eine Zigarette. Nach einer Weile gehen wir zur Pumpe und die Pump- Meisterin bietet uns Kaffee an, Bohnen und Tortillas; denn inzwischen waren die Männer an die Reihe gekommen. Kaffee trinken zu dürfen. Der Kaffee steht in den fünf Tassen ein- gegossen auf einem hölzernen Gegenstand, den die Pumv- Meisterin ihren Küchentisch nennt. Wer von den Männern Durst auf Kaffee empfindet, kommt heran und nimmt sich «ine Tasse, schüttet Zucker hinein und wenn er sie ganz oder halb ausgetrunken hat, stellt er sie wieder auf das Brett. damit ein anderer trinken kann. Auf Frijoles und Tortillas habe ich keinen Appetit, dagegen tut der Schluck Kaffee mir so wohl, daß die Pumpmeisterin mir das Behagen ansieht und lächelnd fragt:Mas?" Da ich sehe, daß drei volle Tassen unberührt dastehen und die Männer offenbar alle schon getrunken haben in der Zeit, während ich mit Perez an der Brücke fischte, kann ich dem Angebot nicht widerstehen, wofür mich die Pumpmeisterin dankbar anblickt, daß ich ihren Kaffee für so gut befinde. (Fortsetzung folgt.)