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Abendausgabe

Nr. 254 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 125

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10 Pfennig

Dienstag

31. Mai 1927

Vorwärts=

Berliner   Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Der Achtstundentag im Völkerbund.

Kongreßbeschluß für die Ratifizierung.

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Die Engländer gegen die Pflicht, alle Arbeitsabkommen zu ratifizieren.

Die heutige Vollversammlung des Weltverbandes der Völker| bundgesellschaften begann mit einer kurzen Diskussion über eine Entschließung, in der auf die allzu große Häufigkeit der Ratssitzungen des Bölkerbundes hingewiesen wurde. Jedoch lehnte die Versammlung den Vorschlag ab, statt vier nur drei Rats­fizungen im Jahre stattfinden zu lassen.

Man ging dann zur Besprechung der Fragen des Inter­nationalen Arbeitsamtes, der Wirtschafts- und sozialen Probleme über. Der Berichterstatter, der Bizepräsident des Belgischen   Senats, Genosse La Fontaine, betonte, daß die Völkerbundsligen ihre Vorschläge der Weltwirtschaftskonferenz unterbreitet habe. Aus den Beschlüssen der Konferenz sei zu ersehen, daß die von ihnen niedergelegten Gedankengänge nicht ohne Einfluß geblieben sind. Bei der Frage der Ratifikation des Washingtoner Ab fommens über die Arbeitszeit wies der griechische Delegierte darauf hin, daß zwar in seinem Lande die Ratifitation erfolgt sei, daß aber die Durchführung durch die Wirtschaftsdifferenzen ver­hindert werde. Der Vertreter Argentiniens   betonte, daß dort infolge der starken Einwanderung die Verhältnisse besonders tom­pliziert seien, und daß sein Land das Wirken des internationalen Arbeitsamtes in Genf   besonders schätze. Der Leiter des Amtes,

Wirth antwortet.

Er läßt sich vom Bürgerblok nicht den Mund verbieten.

Am Donnerstag soll das Kollegium des Zentrumspartei­vorstandes die Königsberger Rede von Joseph Wirth   hoch notpeinlich untersuchen. Was hat er gesagt? Wie hat er es gefagt? Wie hat er es gemeint?

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Sie werden die Köpfe zusammenstecken über Worte und Formulierungen aber sie müssen heute schon hören, was fie nicht hören wollen. Es war ganz eindeutig gemeint: Kampf dem Bürgerblod!

In der geschlossenen Reichsbannerversammlung in München  , die an Stelle der großen republikanischen Rund­gebung abgehalten wurde, sprach Wirth:

Ich gehe den Weg der demokratisch republika nischen Entwicklung weiter, unbeirrt um meine Parteizugehörig­feit. Ich kämpfe nicht um mein Mandat, obwohl ich glaube, man fönnte sich auch ein Mandat persönlich erkämpfen. Hätte ich der Reaktion in den letzten Monaten nur den kleinen Finger gereicht, ich hätte ein Ministerium in dem jezigen Kabinett haben können. Man hört es nicht gern in Berlin  , wenn ich sage, es wäre besser, wenn die Reaktio nären aus der Reichsregierung möglichst bald verschwinden. Nach meinem republikanischen Herzen sehne ich den Tag herbei, wo diese Regierung nicht mehr existiert.

Und aus diesem Saß soll mir nun sozusagen ein Parteiprozeß gemacht werden. Nehmen Sie es nicht tragisch, ich nehme es auch nicht tragisch. Das, was ich in Königsberg   gesagt habe, werde ich noch in sehr vielen Bersammlungen und noch viel deutlicher sagen. Man möchte uns spalten, man stellt uns hin als eine Gefahr für große kulturelle Strömungen. Man will sagen, die Religion sei in Gefahr. Es ist in Wirklichkeit nichts in Gefahr als die Reaktion. In Gefahr wäre die Sache der deutschen  Freiheit, wenn unsere Bewegung gehemmt oder unterdrückt würde." Da hat Herr Marr die Auskunft, die er haben wollte! Wird er nun im Auftrag der Deutschnationalen ein Aus­schlußverfahren gegen Wirth einleiten, weil er die Deutsch­nationalen Reaktionäre genannt und dem Besitzbürgerblod Kampf angesagt hat?

Wird er den reaktionären Charakter des Befizbürger­blocks unterstreichen?

Marr, der Kartellträger der Rechten gegen den Republikaner Birth! Glück zu zu der Metternichiade im Zentrum!

Reichsbannerdebatte in Bayern  . Das Verbot des Republikanertages vor dem Landtag. München  , 31. Mai.  ( WTB.) Im Plenum des Landtages wurde heute die deutschnationale Interpellation wegen der Ueberfälle auf Nationalsozialisten, die zum Berbot der Reichsbanner: tagung führten, ohne Zwischenfälle zu Ende geführt. Staats­minister Stützel tam noch auf die Ausführungen einzelner Redner

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Thomas, habe sich von den sozialen und wirtschaftlichen Zuständen des Landes durch eigenen Augenschein Gewißheit verschafft. In der Resolution, die Annahme fand, wurde gefordert, daß die Regierungen der einzelnen Länder von ihren Gesellschaften in dem Sinne beeinflußt werden sollen, daß sie zur Internationalen Arbeits­tonferenz Delegationen entsenden, und den Delegierten, die nicht Regierungsvertreter seien, die erforderlichen Erleichterungen ge­währten. Ferner sollen die nationalen Völkerbundsgesellschaften bei ihren Regierungen dahin wirken, daß sie die Arbeitsab tommen den Parlamenten oder den anderen zuständigen Be­hörden vorlegten. Ein weiterer Abschnitt der Resolution, der die Ratifitation aller Arbeitsabtommen verlangt, fiel der vorläufigen Bertagung anheim, weil verschiedene Dele­gierte, darunter der Führer der britischen Delegation darauf hinwiesen, daß die Verhältnisse in den verschiedenen Ländern noch nicht die gleichen seien, und daß sich nicht alle Arbeitsabkommen für alle Länder eigneten. In einer Resolution, die sich mit dem Washingtoner Arbeitszeitabkommen beschäftigte, werden diejenigen Gesellschaften, deren Regierungen das Abkommen noch nicht ratifiziert haben, aufgefordert, sich unablässig dafür ein zusetzen.

Drei Arbeiterkammern.

Graz  , Belgrad  , Serajewo.

r. bn. Mostar  ( Herzegowina), Ende Mai. Eine Reise nach dem Vorbalkan ließ mich ein Versäum­nis gutmachen, das ich alter Wiener   bisher zu meinen Lasten buchen mußte: endlich einmal habe ich in Graz   Station ge macht und die steiermärkischen Genossen besucht, die schon in Altösterreich eine vorbildliche Kerntruppe der Arbeiterbewe­gung gewesen sind und die seit dem Umsturz den Bürger­meister in der Person des Genossen Vinzenz Muchitsch stellen, obschon ihnen an der Mehrheit einige Stimmen fehlen. Jetzt eben wird die Kanalisation vollendet, die der ausge­dehnten Murstadt mit ihren bald 200 000 Einwohnern so lange gefehlt hat. Schon vor dem Krieg haben die Grazer   Genossen, vollständig aus eigenen Mitteln und ohne eine Schuld aufzu­nehmen, das schöne Haus ihrer Tageszeitung, des ,, Arbeiter­willen", für 500 000 Goldkronen( 418 000 Goldmark) gebaut. Nun aber steht daneben, äußerlich wohl angepaßt, in der Marienstraße der Palast der steirischen Arbeiter­fammer und auf anschließendem weiten Grundstück soll noch das eigene Saalgebäude der Partei errichtet werden - alles im Zusammenhang, eine Feste der Arbeiterbewegung mitten in Graz  , das unweit der oftsteirischen Reaktions­zentralen mit dem dahinter lauernden magyarischen Faschis­mus und Monarchismus liegt und von einem Vorstoß eher bedroht wäre als das rote Wien.

Die Arbeiterkammern in der Republik Deutschösterreich find eine Schöpfung der Revolution und ihres Sozial­ministers, unseres viel zu früh dahingegschiedenen Ferdi= nand Hanusch: Zwangsvertretungen mit gesetzlicher Bei­Südchina marschiert wieder vorwärts. tragspflicht der Arbeiter, deren Vertretung diese Kammern Militärische Intervention Japans   angekündigt. genau so ausüben wie die Handels-, Gewerbe- und Bauern­fammern für das Bürgertum. Die Tätigkeit der Arbeiter­London, 31. mai.( WIB.) Die Berichte über die Cage in fammern ist nicht nur eine statistische, gutachtliche und China   bringen insofern eine gewiffe Klarheit, als nunmehr in den schlichtende, auch die Förderung der Arbeiterbildung,-fultur englischen Berichten zu gegeben wird, daß die Südtruppen und wohlfahrt ist ihre Befugnis und Pflicht. So fördern sie, erhebliche Erfolge erzielt haben. Dies scheine in erster Linie selbstverständlich von unseren Genossen geleitet und ver­auf die Truppen Tschiangtaischets an der Eisenbahnlinie Nanting- waltet, sehr wesentlich die vielfache Tätigkeit all der Neben­finanju zuzutreffen. Die englischen Berichte geben zu, daß der arme des großen Stromes, die die unablässig rollende Haupt­tonzentrierte Vormarsch auf Hankau   infolge Uneinigkeit unter forge der politischen Bewegung begleiten. den Generälen zusammengebrochen ist. Infolge dieser Lage beabsichtigen die Japaner, Truppen von Tsingtau   nach Tsinanfu zu entfenden. Es sei das Ziel der japanischen Politit, fo berichtet der Daily Telegraph  ", den Vormarsch der Südchinesen über den Gelben Fluß zu verhindern.

Boykottstimmung gegen Japan  .

London  , 31. Mai.  ( EP.) Der nationale chinesische   Kommissar in Schanghai   hat dem japanischen Generalkonsul einen Protest wegen der Entsendung japanischer Truppen überreicht. In diesem Brotest erinnert er an die japanfeindliche Stimmung infolge von Truppenentsendungen bei früheren Gelegenheiten und befürchtet, daß fich eine derartige Stimmung wiederholen könnte. In Echanghai hat bereits unter den Chinesen eine japanfeindliche Bewegung ein­gesetzt, die nach Ansicht chinesischer Blätter zu einem Bontott japanischer Waren führen fann.

Ein Landaufstand gegen den Faschismus.

Sturmläuten des Geistlichen.

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Bon der italienischen Grenze wird uns berichtet: Vor einigen Tagen erschien einer der Mailänder faschistischen Gewerkschafts"-Führer mit drei Milizsoldaten in Inveruno ( Provinz Mailand) und forderte den Ortsgeistlichen Don Gal­biati auf, durch persönliche Einwirkung die Landarbeiter zum Eintritt in die sogenannten faschistischen Gewerkschaften zu be­wegen. Don Galbiati weigerte fich unter dem Hinweis darauf, daß das Gewerkschaftsgesetz niemanden zum Eintritt zwingt. Die vier Faschisten bedrohten nun den Geistlichen, der die Gloden läuten ließ, um seine Gemeindemitglieder um Hilfe zu rufen. Die Carabinieri erschienen als erste auf dem Blage, und nur mit Mühe konnte ein ernsthafter Zusammen Stoß vermieden werden. Der Pfarrer stellte sich den Behörden, die

ihn verhafteten.

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Das Interessanteste aber ist die Feststellung in dem Bericht des Sekretariats der faschistischen Gewerkschaften" in der Proving Mailand  , daß die Erhebung in Inveruno gegen den Faschismus einmütig und wie auf Signal vor sich Der Bericht vergißt, hinzuzufügen, daß gegangen sei. Inveruno am selben Abend der Schauplatz blutiger Ber­geltungsmaßnahmen war. Viele Arbeiter wurden ver= haftet und werden sich vor Gericht wegen Revolte zu ver­antworten haben.

zurück; er betonte, daß alle Staatsbürger auch in diesem Falle Genfer   Kämpfe um die Gewerkschaftsfreiheit

gleich behandelt würden und daß die amtliche Feststellung des Tat­bestandes der Vorkommnisse dem gerichtlichen Verfahren vorbehalten bleiben muß.

Die Arcos- Angestellten in Deutschland  . Vorläufige Aufenthaltsbewilligung.

Die Sowjetregierung hat die deutsche   Regierung gebeten, 120 Mitgliedern der Londoner Arcos- Gesellschaft Aufenthalts erlaubnis in Deutschland   zu geben. Dieser Bitte ist entsprochen morden, jedoch find die Aufenthaltsbewilligungen nur vorüber gehend bewilligt worden,

Die Strafe gegen Maßregelungen abgelehnt. Genf  , 31. Mai.  ( Eigener Drahtbericht.) In der Arbeitskonfe­renztommiffion für gewerkschaftliche Freiheit wurde heute vormittag ein Antrag des Genoffen Dr. Aandeler mit 18 gegen 16 Stimmen abgelehnt. Der Antrag besagte, daß Arbeitsverträge die Zugehörigkeit zu Gewerkschaften nicht verbieten dürften und daß Maßregelungen gegen Arbeiter wegen Zugehörigkeit zu einer Ge­werkschaft unter Strafe zu stellen feien. Ein von Arbeitgeberseite flammender Ergänzungsantrag, auch das Gegenteil gleich zu be handeln, war vorangehend mit 20 gegen 13 Stimmen abgelehnt worden

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In Wien   hat die Arbeiterkammer  , die natürlich die größte im Staate ist, von dem Hause eines früheren f. f. Mi­nifteriums Besiz ergriffen in Graz   hat sie nun ihr eigenes Haus, das ebenso zweckmäßig wie schön gestaltet ist und auch in einer gewissen ernsten Pracht vor Augen führt, daß die Arbeiterschaft eine Macht und ebenso willens wie bereit ist, felbst die Leitung der Staatsgeschäfte zu übernehmen, wenn die Boltsmehrheit sie damit beauftragt. Der große Sigungs­saal in seiner Höhe, Tageslichtfülle und seinem farbenfrohen Freskenschmuck ist schlechthin eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges. Muchitsch der Jüngere, auch schon Jahrzehnte in der Bewegung tätig, ist hier Präsident, und der Stolz, der aus seinen Worten beim Rundgang durchtönt, ich wohl be­greiflich.

lich liegt die Grenze Südslawiens, des Königreichs

Raum mehr als eine gute Schnellzugsstunde weiter süd­

der Serben, Kroaten   und Slowenen", wie sich der Staat selbst nennt. Von den politischen Verhältnissen ein andermal; für heute soviel, daß in Serbien   schon vor dem Weltkrieg die Arbeiterkammer gefeßlich eingeführt und nach der Angliede­rung der neuen Gebiete auch diesen zuteil geworden ist. Schon in Lubljana( Laibach  ), der ehemaligen Hauptstadt des ,, Herzog­tums" Krain   und jezigen des Teilgebiets Slowenien, hätten wir die Kammer besuchen können, doch führte uns der Weg nach gründlicher Aussprache mit den deutschen   und sloweni schen Genossen in Marburg  ( jezt Maribor  ) direkt in 16ftün­diger Schnellzugsfahrt, wenn auch mit zweistündiger Pause in Zagreb  ( Agram) direkt nach der Hauptstadt Belgrad  ( Beo­ grad  ). Dort war unser erster Weg eben zur Radnitschke Ramora", zumal dort auch die Parteizentrale ist. Dicht am Slamiaplay, auf dem sechs Straßen zusammenlaufen, in der Matenficvastraße was gewiß nichts mit dem deutschen  Reitergeneral Madensen zu tun hat, unter dessen Firma wohl auch die Eroberung Serbiens   nach den furchtbaren Nieder­lagen der Habsburgerarmeen im Kriegsbeginn ging, steht Einige der führenden Genossen waren gerade von Belgrad   ab­das sehr schlichte, ziemlich fleine und wenig geräumige Haus. wesend, so der im Ausland am meisten bekannte Dr. Topalo­mitsch, der als Nachfolger des holländischen Genossen de Roode, jetzt wieder Redakteur von Het Volk" in Amsterdam  , in das Arbeitsamt des Völkerbundes eingetreten ist; doch gaben uns die Genossen Meschedsky, Gollmayer und Prof. Diwac, Ge­neralsekretär der Partei, alle nur gewünschten Auskünfte. Die südslawischen Arbeiterkammern erhalten 3 vom Tau­send jedes Industriearbeiterlohnes, ihr Tätigkeitsbereich ist ähnlich dem in Deutschösterreich, aber bei der Schwäche

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der Arbeiterbewegung, besonders der politischen- worüber

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noch berichtet werden wird, ist ihre stüßende Kraft noch höher einzuschäzen. Freilich werden sie auch viel von Ar­beitslosen, deren es in dem industriearmen Staat 50 000 gibt, um Unterstüßung angegangen; dafür sind schon 40 Millionen Dinar( 1,2 Millionen Mart) angesammelt, doch die Re­gierung gestattet nicht ihre Auszahlung, gefeßlicher Zwang besteht nicht und den Kammern werden nur in großen 3wischenräumen und nach vieler Mühe geringe Beträge zur Berfügung gestellt, die im Nu verbraucht sind.

Wir haben auch die Rammer in der bosnischen   Haupt­stadt Serajewo besucht und hier ein würdiges und ansehn­liches Gebäude vorgefunden, darin auch den aus Altösterreich