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Nr. 25744. Jahrg.

Ausgabe

nr. 131

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

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Donnerstag, den 2. Juni 1927

Wirth setzt seinen Kampf fort.

Republikanerkundgebung in Koblenz .

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Sollmann über die soziale Republik .

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Ketteler und Kolping.

Aus den Anfängen chriftlicher Sozialpolitit. Von August Erdmann.

Koblenz , 1. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Das in Roblenz, den Staat eingliebern tann, wie man den proletarisierten 3u Pfingsten finden zwei große Rundgebungen fatho sehr schwache Reichsbanner Schwarz- Rot- Gold hatte für Mittwoch Menschen, die herabsinken zu einem Dasein, dessen sich jeder Mensch lischer Arbeiter statt. In Koblenz tagt der Vierte tatho­abend eine Versammlung mit Birth und Sollmann erbarmen müßte, helfen fann. Es ist das Berdienst der organi- lische Arbeiterkongreß und in Wien der Zweite als Rednern einberufen. Die Zentrumspreffe brachte einen gegen fierten Arbeiter, über sich hinauszudenken und zu höheren Ein- internationale Gefellenvereinsfongreß. Im Wirth sehr unfreundlichen Begrüßungsartikel; in den Streisen der heiten zu streben, zu höheren nationalen und zu höheren tonti- Mittelpunkt der Koblenzer Tagung wird der Bischof Wilhelm Zentrumspartei wurde gegen die Versammlung passive Resinentalen, ja weltwirtschaftlichen Einheiten. Emanuel v. Ketteler stehen, deffen Todestag sich um diese stenz geübt. Trotzdem hatte die Kundgebung einen massen= haften Besuch und die Redner wurden jubelnd begrüßt. Beit zum fünfzigsten Male jährt; in Wien wird das Andenken an den Gesellenvater Adolf Kolping die Gedanken und Sollmann Gemüter seiner Getreuen bewegen. In der katholischen Presse wird auf die Bedeutung der beiden Tage, insbesondere auf dieser Gelegenheit zu ehren gilt. Die ,, West deutsche Ar= das foziale Wirken der beiden Männer hingewiesen, die es bei beiter 3eitung" füllt ihre ganze Nummer 22 vom 28. Mai mit Auffäßen über und Erinnerungen an Ketteler aus. Dabei zeigt sich eins: die übertriebenen Lobpreisungen, die früher, namentlich auf Ratholifentagen, wo es galt, die Bolksfeele zum Kochen zu bringen, dem Mainzer Bischof ge­fpendet wurden, sind auf ein halbwegs erträgliches Maß her

führte u. a. aus: Die Versammlung gelte nicht der Agitation für

eine Bartei, sondern sei ein Zeugnis der Tatsache, daß sich auch in Zentrum und die Sozialisten zusammenfinden. Außenpolitisch sagte er, daß Frankreich den Rechtsturs nicht als Vorwand geçen eine Räumung der Rheinlande nehmen solle. Der Kampf gegen die Deutschnationalen sei eine innerdeutsche Angelegenheit, und wir verbäten uns die Unterſtügung durch den französischen Ministerpräsidenten Poincaré . Allerdings sei richtig, daß, je eher

Zum Zentrum sagt Birth: Wo bleiben die mit den Deutsch­rationalen vereinbarten Richtlinien? Ich scheue die Aus­sprache nicht. Worum geht es denn? Die Rechtsparteien wollen bei dem nächsten Wahlkampf das Zentrum mit den Deutschynatio­jemanden, um ihre politischen Pläne verdecken zu können. Die nalen in derselben Kampffront sehen. Die Rechtsparteien brauchen Partei aber, der ich in den bittersten Jahren gedient habe, ist mir au gut, um sie als Dedmantel der Reaktion gebrauchen zu lassen. Wenn ein Konflikt zwischen meiner Bartei und mir aus­bricht, so sage ich, ich fann einer Regierung nicht mit Vertrauen dienen, wo ein deutschnationaler Reattio: när im Reichsjustizministerium und einer im Reichs. Ministersessel innehaben. Mögen meine

die Deutschnationalen aus der Reichsregierung hinausfämen, desto Freunde um die Einhaltung der politischen Linie ringen, ich fann( 1902) hörte man einen Arbeitersekretär aus Freiburg sagen,

rascher die Befreiung der Rheinlande käme.

Wirth

setzte sich unter ständigen begeisterten Ovationen der Ver­jammlung mit der Zentrumspartei auseinander. Er sagte u. a.: Ich kann nicht hin- und herschwenten wie ein Pendel und fann auch nicht anders, wenn meine politischen Freunde andere Wege gehen als ich. Man muß da aber nicht gleich aus dem Häuschen geraten. Das Reichsbanner will teine neue politische Partei gründen. Davon haben wir genug. Wir wollen aber als Feuerbrände in den politischen Parteien wirken und Leben in die alten parteipolitischen Friedhöfe bringen.

Wie kann der junge republikanische Staat bestehen, wenn er nicht Diener hat, die leidenschaftlich für die republikanische Idee arbeiten.

Hätte auf dem Kieler Parteitag der Radikalismus gefiegt, so wäre das deutsche Republikanertum auseinandergefallen. Glücklicher weise ist das nicht der Fall. Zu einer Gruppe von fatholischen Geistlichen im Saale gewandt, fagte Joseph Birth: Spottet doch nicht über Karl Marg. Sein Berdienst ist es, die kapitalistische Entwicklung der Gegenwart vorausgeahnt und teilweise voraus­gesehen zu haben. Unser Problem und auch das Problem der katho­ lischen Kirche ist: wie man das enterbte Proletariat in

mich nicht zu einem Aufmarsch mit dem Grafen Bestarp zur Ber­fügung stellen. Den in Königsberg gebrauchten Ausdruck ,, Ge= sinnungslumperei" habe ich aus der deutschnatio. nalen Bresse entnommen. Jegt haben mich die Deutsch nationalen beim Zentrum denunziert und die Barteihäupter haben pariert. Ich beneide sie nicht um diesen Gehorsam. Mich werden sie nicht auf diesem Wege finden. Das Zentrum hat sich Jahre lang dort hingestellt, wo es am gefährlichsten war. Da würde ich werben für das Zentrum und für den Staat. Jetzt scheint es zu heißen: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr fann gehen." Wenn man das will, mag man mir das offen sagen. Wenn die Zentrumspartei nicht ertragen fann, daß ich die Reaktion betämpfe, so nehme ich meinen Hut und meinen Wander. st ab und gehe dorthin, wohin mich dann meine Pflicht ruft. ( Minutenlange Beifallsstürme.)

Ich werde meine Ueberzeugung nicht verleugnen. Man muß aber im Zentrum wissen, daß die Republikaner nicht in eine Ecke sich zurückziehen, wenn ein Parteihäuptling irgendwo die Stirn runzelt. Birth schloß mit einem starten Bekenntnis zum sozialen Bolts staat.

Nach der Versammlung ordneten sich die Teilnehmer zu einem großen Fackelzug, der sich zu dem Hotel bewegte, wo Wirth ab­gestiegen ift.

Englische Erklärung über Aegypten .

Es will die Armee in der Hand behalten.

London , 1. Juni( Eigener Drahtbericht). Der britische Außenminifter Chamberlain gab am Mittwoch im Unterhaus eine Erklärung über die Situation in Aegypten ab. Er stellte darin fest, die ägyptische Armee sei felt beträchtlicher Zeit Gegenftand der Aufmerksamkeit einer gewiffen Gruppe ägyptischer Politiker ge­wesen, deren Abficht sei, die Stärke der ägyptischen Armee zu ver­größern und zu einer Waffe für eine bestimmte politische Partei" umzuwandeln. Angesichts der Bedeutung des Suezkanals für Großbritannien und der Pflicht der britischen Regierung, die Ausländer in Aegypten zu schützen, sei dieses Bestreben von aller­größtem Intereffe. Großbritannien tönne nicht gestatten, daß die Lage dort durch die Anwesenheit eines möglichen Feindes noch weiter tompliziert wird. Die Vorschläge des Armeeausschusses des ägyptischen Parlaments gingen darauf hinaus, das Amt des Ober­tommandierenden der Armee, welches gegenwärtig der britische Generalinspektor inne hätte, an das ägyptische Kriegs­minifterium zu übertragen. Dies würde aber bedeuten, daß die jeweils an der Macht befindliche Partei unbeschränkte Gewalt über die Armee befißen würde. Großbritannien sei zu Berhandlungen

bereit.

Die von Baghlul geführte ägyptische Unabhängigkeits partei betreibt seit vielen Monaten eine Armeereform. Sie wollte die Macht der etwa 200 britischen Offiziere, die die Armee fest in der Hand haben, erschüttern; die Stärke der ge­samten Armee, die heute etwa 10 000 Mann zählt, auf das Doppelte erhöhen; die veralteten Waffen durch moderne zu ersehen; neue leichte und schwere Artillerie, sowie Panzer­autos, Tants, Telephon und Radio einführen; Luftstreitkräfte schaffen. Der Sirdar, der englische Oberkommandierende, follte durch einen Aegypter ersetzt werden. Im Interesse der nationalen Freiheitsbewegung wurde die Aufrüstung betrieben.

Die Baghlultisten hatten jetzt durchgesetzt, daß ein ihren Wünschen entsprechender Gesezentwurf in der Kammer be­raten wird. Der Heeresausschuß hatte sich gerade geeinigt, als England diplomatisch und demonstrativ eingriff. 3wei Kriegsschiffe wurden nach Alexandria , eins nach Port Said , gelegt und in einer Note der Einspruch Englands gegen die ägyptischen Armeereformpläne eingelegt.

daß Ketteler als der Erste" die sozialen Gefahren erkannt und wirksame Borschläge zu ihrer Abwendung gemacht habe, die heute noch als Richtschnur dienen", daß dieser Bischof drei Jahrzehnte vor dem Auftreten der Sozialdemokratie die Arbeiterfrage aufrollte und praktisch für die Arbeiter tätig war". 1905, ebenfalls auf dem Katholikentage, verkündete war". 1905, ebenfalls auf dem Katholikentage, verkündete ein christlicher Gewerkschaftssekretär aus Düsseldorf : Ehe es in unserm deutschen Vaterlande eine Sozialdemokratie gab, hat es einen katholischen Bischof, Freiherrn v. Ketteler, ge­geben, der die Fahne der christlichen Sozialpolitik aufpflanzte." Und ein Jahr vorher hatte ein Straßburger Gymnasialpro­feffor verkündet, daß Ketteler an der Spize der ganzen sozia­len Bewegung unserer Zeit gestanden habe- anderer Ber­zückungen, wie das Wort des fatholischen Geschichtsforschers Janssen vom ,, Millenniummenschen"( Jahrtausendmenschen Ketteler gar nicht zu gedenken.

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So etwas hört und liest man heutzutage nicht mehr. Immer noch wird, so auch jetzt in der Westdeutschen Arbeiter­Beitung", Bischof Ketteler verehrt und gepriesen, aber feiner der sieben großen Aufsätze des M.- Gladbacher Blattes geht in dieser Beziehung über das zulässige Maß hinaus. Im Jahre 1890 erschien die aus dem Jahre 1864 stammende Schrift Rettelers: Die Arbeiterfrage und das Christentum" in vierter Auflage. Windthorst gab dazu ein Geleitwort, morin er bemerkte, daß Ketteler zuerst den Mut hatte, die Fahne einer christlichen Sozialreform aufzu­pflanzen". Johannes Mumbauer bemerkt in seinem Beitrag zu der Ketteler- Nummer der Westdeutschen Arbeiter- Zei­tung", das sei nicht richtig, wohl aber habe Ketteler als erster die Sache aus dem vielgestaltigen Leben heraus im Geiste praktischen Christentums angepackt. Und noch bezeichnender ist dies: Bor drei Jahren hat Friz Bigener, Geschichtslehrer in Gießen , ein großes Wert über Retteler herausgegeben, morin es heißt, Ketteler habe ,, nicht einen einzigen Gedanken felbständig hervorgebracht". Hierzu bemerkt Mumbauer, das fei ,, zwar ziemlich übertrieben", aber man fönne es in ge= wissem Sinne gelten lassen, ohne der Bedeutung seines ( Kettelers) Schrifttum damit Abbruch zu tun". Antlänge an dieses Urteil finden sich in manchem der übrigen Auffäße, so daß, was es von fatholischer Seite an Ketteler zu loben gibt, Aegypten ist seit 1882 von England besetzt. Bis zum heute wohl im wesentlichen darin besteht, was der Mainzer Weltkrieg blieb es dennoch ein Teil des türkischen Reiches. Bischof, als in Deutschland die soziale Frage auftauchte, mit Nach Kriegsausbruch erklärte es England 1914 zum Pro- Eifer alles aufsuchte und aufgriff, was andere vorgedacht, tettorat. 1922 fam es dem Freiheitsstreben der erwachen- menn es ihm nur als geeignet erschien, die Kirche und den den Völker dadurch entgegen, daß es Aegypten als so u- katholischen Boltsteil empfänglich zu machen für die Teilnahme perän erklärte. Das Land hat seitdem eigene diplomatische an einer Bewegung, für deren Bedeutung der westfälische Vertretungen, aber seine Außenpolitik blieb dennoch fon- Junker, der er im Grunde immer geblieben ist, mehr Ber­trolliert. Mitglied des Völkerbundes hat es noch nicht wer- ständnis entwickelte als die gesamte liberale Intelligenz seiner den dürfen. Die Armee ist in englischer Hand. England Beit. behielt sich in vier Punkten vor, die Sicherheit der Ver­fehrswege des britischen Reiches, die Verteidigung Aegyptens gegen fremde Angriffe und Einmischungen selber zu regeln und die jüdische und christliche Minderheit gegen die Moham­medaner zu schüzen". Auch wurde der heute gemeinsam mit Aegypten verwaltete Sudan abgetrennt. Vom Mittelmeer im Norden, vom Sudan im Süden und vom Roten Meere im Often blieb Aegypten von den starken Armen der britischen Zivilisation umflammert.

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Chamberlain begründet seinen diplomatischen Schritt mit englischen Bertragsrechten" und englischen Sicherheits­interessen. Daneben versucht er die Aegypter gegenein­ander auszuspielen. Die Armee dürfe nicht das Spielzeug einer Partei gegen die andere werden. Sie müsse unabhängig von wechselnden Parlamentskonstellationen un­beirrt ihre Pflicht tum und in der Hand ihrer Offiziere bleiben. Chamberlain redet im Unterhaus als wäre er Geßler im Reichstag

Im übrigen bleibt ihm der immerhin ansehnliche Ruhm, den auch sein fritisch angelegter Biograph Bigener zuerteilt: Das Geheimnis feiner bischöflichen Erfolge, auch seiner lite= rarischen, liegt in der Energie seines Geistes, in der Wucht seines Wollens, nicht in der Kraft feines Dentens oder in verfeinerter Geiftigkeit.... Dieser Bischof gehörte zu den einfachen, ursprünglichen Naturen, deren Verstand den praf­tischen Fragen, die das Leben ihnen vorlegt, rasch auf den Grund zu sehen vermag, die mit mächtigem Willen ihren ge­funden Menschenverstand zwingen, alle seine Kräfte für einen Zwed herzugeben.

Eine solche einfache, ursprüngliche Natur, wenn auch von anderer Art und anderem Format, war auch Adolf Rol­pin g, der rheinische Schusterjunge, dann Priester und Ge­fellenvereinspräses. Ihm und der internationalen Gesellen­Dereinstagung widmet der Abgeordnete André( Stuttgart ) in der Zentrumspresse einen Auffah, worin es heißt: die Größe der Bersönlichkeit des Gefellenvaters Kolping jei mie