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Nr. 272 44. Jahrg Ausgabe A nr. 139

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Der Bormärts" mit ber illuftrier­ten Gonntagsbeilage Bolt und Zeit" sowie den Beilagen Unterhaltung und Wissen". Aus der Filmwelt, Frauenstimme", Der Rinder

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Sozialdemokrat Berlin "

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Döngoff 292-297.

Sonnabend, den 11. Juni 1927

Ernste Niederlage Poincarés.

Die Zündholzvorlage abgelehnt.

Billigung der Maßnahmen gegen Kommunisten. In der Nachmittagssigung fand die Interpellationsdebatte gegen die vom Justizminifter Barthou angeordneten und vom Innen­minister Sarraut in einer Rede in Constantine begründeten Maßnahmen gegen zahlreiche tommunistische Führer ihren Abschluß.

Paris , 10. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Das Ministerium| tommiffion der Kammer gefaßte Beschluß, die Beratung der 3011­Poincaré, dessen Prestige bereits in den letzten beiden Wochen tarifnovelle nicht auf die Tagesordnung der nächsten Sigungen schwere Einbuße erlift, hat am Freitag den ersten zu fehen, bedeutet eine unzweideutig gegen die Regierung gerichtete schweren Stoß erhalten. Mit 281 gegen 243 Stimmen kundgebung, da dadurch die von dem Handelsminister Bokanowiti hat die Kammer die von ihm betriebene Beräußerung des geforderte fofortige Distuffion und Verabschiedung des Zolltarifs bis ftaatlichen 3ündholz monopols an den Schweden - zur Herbstfeffion hinausgeschoben wird. fruft abgelehnt. Es ist das erftemal feit seiner Konffituierung, daß das Ministerium der nationalen Einheit in die Minderheit ge­rafen ist, und wenn es darüber auch nicht sofort zur Krise gekommen ist, so nur deshalb, weil Poincaré mit Rüdficht auf die Unstimmig feiten innerhalb des kabinetts selbst es nicht gewagt hat, in der Zündholzmonopolangelegenheit die Bertrauensfrage zu stellen. Die Schwächung, die die Position der Regierung durch diese Niederlage erlitten hat, ist darum nicht minder groß und in den Wandelgängen der Kammer hörte man vielfach der Auffaffung Aus­druck geben, daß das Ministerium Poincaré diesen Prestigeverluft nicht lange überleben wird. Gerade im Hinblick auf die Möglichkeit einer krije ist es von besonderer Bedeutung, daß sich die gesamte Linte, von den kommunisten bis in die Reihen der Loucheur- Gruppe hinein, zum ersten Male wieder auf gemeinsamer Plattform zusammengefunden hat.

Der Sozialist U hry sprach sich in einer längeren Rede gegen die Berfolgungen der Kommunistischen Partei aus, die nur ein Wahlmanöver der Regierung darstellten und im übrigen ledig lich den Kommunisten nüßten. Er ironisierte die Wandlungsfähig feit zahlreicher Politifer sowohl unter den Ministern, wie auch unter den Kommunisten, von denen manche, die sich heute besonders antimilitaristisch gebärdeten, wie Cachin und Baillant- Couturier, antimilitaristisch gebärdeten, wie Cachin und Baillant- Couturier, während des Krieges glühende Patrioten gewesen seien.

Schließlich wurde mit 370 gegen 148 Sfimmen, aljo auch gegen die Stimmen einiger bürgerlicher Radikalen, ein Vertrauensvotum

Auch der am Freitag nachmittag von der Geschäftsordnungs. für die Regierung angenommen.

Der Perlachprozeß.

Urteilsverkündung erst nächsten Freitag. München , 10. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) In dem Münchener Beleidigungsprozeß des Pfarrers Hell wurde am Freitag nach Erklärungen und Gegenerklärungen der einzelnen Par­teien die Verhandlung geschloffen. Die Urteilsverfündung ist auf Freitag, den 17. Juni, vormittags 9 Uhr, angefeht.

Pfarrer Hell erklärt.

Am Schluß der Plädoyers verlas der Bertreter des Pfarrers Hell eine Erklärung des Pfarrers, daß er sich zwar in feiner Weise mitschuldig an dem Tode der zwölf Berlacher fühle, daß er aber selbstverständlich als Mensch und Geistlicher herzlich bedauere, daß bei den Unruhen der Rätezeit auch Perlacher Bürger ums Leben gekommen seien.

gezeigt haben. Gestern abend jedoch läßt sich die Streuz- Zeitung mie folgt nernehmen:

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

Beftfchedtouts: Berlin 37 536

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Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Ballfir. 65: Diskonto- Gesellschaft. Devofitentaffe Sindenfte. 3.

Zwanzig!

Die Geiselerschießungen in Moskau . 3wanzig politische Gefangene sind vorgestern in Mostau erschoffen worden. Das war die erste Antwort auf die Er­mordung Wojtows und die anderen Attentate, die in der legten Zeit in Rußland verübt worden sind.

na hme dar. Sie sind nicht das Produft einer geordneten Die Erfchießungen stellen eine politische Maß­Rechtspflege, die die Höhe der Strafe nach der Schwere der Tat bemißt. Die Urteile sind von der staatlichen politischen Verwaltung, der GPU. , die sie fällte und vollstrecken ließ, selber politisch begründet worden. Angesichts des Uebergangs zum terroristischen und zerstörenden Kampf von seiten der monarchistischen Weißgardisten, die von jenseits der Grenze nach Anweisung und mit Mitteln der ausländischen Geheim­dienste vorgehen"- mit diesen Worten beginnt die Begrün­dung, die der offiziellen Mitteilung vorangestellt wird. Der Entschluß ist demnach auf die neuesten Ereignisse zurückzu­führen, an denen die Erschhoffenen nicht beteiligt fein fonnten, weil sie zu der Zeit, in der sie sich vollzogen, bereits im Ge­fängnis faßen. Man wird also den Tatbestand am richtigsten charakterisieren, wenn man sagt, daß zwanzig Gefangene zum 3wed der Abschreckung als Geifeln erschossen worden sind.

Sinne der russischen Geseze schuldig gemacht hatten, ungeklärt. Dabei bleibt die Frage, inwieweit sich die Getöteten im Gegen drei wird die Beschuldigung erhoben, daß sie an der. Organisierung von Attentaten beteiligt gewesen fein sollen, einem vierten wird vorgeworfen, Terroristen in feiner Wohnung Unterkunft gewährt zu haben, bei allen anderen ging die Anklage entweder allgemein auf tonter revolutionäre Tätigteit oder auf Spionage. nach den eigenen Angaben der GPU. befanden sich also unter den zwanzig Hingerichteten nur drei, die, wenn ihre Schuld er­wiesen war, unter Umständen auch nach europäischen Gesehen zum Tode verurteilt werden konnten. Ob sie wirklich schuldig waren und ob die näheren Umstände so lagen, daß auch außer­halb Rußland Todesurteile möglich waren, entzieht sich jeder Nachprüfung.

In der Frage der Berifizierung" ber Entfestigungs­arbeiten im Often will man in Genf unter allen Umständen zu positiven Ergebnissen kommen. Nachdem die Gegenseite den deut­ichen Borschlag einer neutralen Kommission abgelehnt hat, muß man die Befürchtung hegen, daß man auf deutscher Seite, um eine Völkerbunds- Investigation zu vermeiden, sich zu einer er= neuten Nachprüfung durch die beglaubigten Militär­Ganz besonders bedenklich erscheinen uns die Ber­Attachés bereitfindet. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, so wird urteilungen wegen Spionage, oder auf deutsch , wegen man wenigstens unter allen Umständen eine schriftliche Zu- Landesverrats. Wir denken dabei an die Seuche der ficherung verlangen müssen, daß diese Kontrolle auch end Landesverratsprozesse in Deutschland und daran, was alles gültig die lehte ist, und daß gleichzeitig alle anderen noch durch eine weitherzige Auslegung der Geseze unter den schwebenden Entwaffnungsfragen erledigt(!) sind. Begriff des Landesverrats gebracht werden tann... Indes hätte es wenig Ginn, sich mit den Moskauer Hin­richtungen juristisch auseinanderzusehen. Sie sind, wie schon gesagt, politische Maßnahmen, Maßnahmen eines Staats­wesens, das sich für berechtigt hält, legte Mittel der Notwehr zu gebrauchen, weil es sich in höchster Gefahr glaubt. Durch die Erschießungen von Moskau und ihre Begründung hat sich Rußland selbst als wieder im Zustand des Bürger­friegs befindlich erklärt.

Was uns vor drei Tagen als parteiegoistisches Zusammenspiel mit dem Landesfeind ausgelegt wurde, das ist heute politische Weisheit geworden. Während wir nur empfahlen, sich die Hal­tung in der Kontrollfrage noch einmal zu überlegen, findet sich die Die Verteidigung bemerkte dazu, daß dies die erste Kund- Kreuz- Zeitung" bereits mit einer Konzession ab, die wir mit gebung des Bedauerns sei, zu der sich Pfarrer Hell inner­feinem Worte erwähnten. Statt, um sich des nationalen Jargons halb acht Jahren durchgerungen habe. zu bedienen, durch eine mannhafte Sprache die deutsche Delegation in ihrem schweren Kampfe um die wenigen uns noch ge­bliebenen Bertragsrechte zu unterstützen, stößt ihr die Zeitung den Dolch schwächlicher Berzichtsbereitschaft in den Rüden!

Sie machen mobil.

Die Deutschnationalen vertrauen nicht auf die Festigkeit des Bürgerblocks.

Die Deutschnationalen machen in ihren Organi­fationen bereits mobil für den fommenden Wahl tampf. Sie rechnen nicht mit Bestimmtheit darauf, daß der Bürgerblod bis zum Winter zusammenhält, und bereiten fich auf alle Fälle vor. Der Hauptgeschäftsführer der deutsch­nationalen Volkspartei schickt der Aufforderung zur organi­satorischen Vorbereitung des Wahlkampfes folgende Begrün­dung voran:

Bon allergrößter Bedeutung, wie noch nie seit Bestehen der Partei, wird der tommende Wahlkampf sein, der vielleicht schon im tommenden Frühjahr, spätestens aber im Herbst 1928 stattfindet. Unsere Aufgabe muß es sein, für die Ent. scheidungsschlacht voll gerüstet zu sein. Schon jezt ist mit den Borbereitungen zu beginnen. Berlieren wir die tom­mende Wahlschlacht, so bedeutet das nicht allein eine Niederlage für unsere Partei, sondern eine Bernichtung jeder nationalen Bewegung ( Berbot aller nationalen Organisationen, weitere Verseuchung der Beamtenschaft, Zerstörung der Reichswehr , Vernichtung der nationalen Wirtschaft, vor allem der Landwirtschaft)."

Die Deutschnationalen tun recht daran, auf den kommen­

Auf dem Wege nach Genf .

Kreuz

Die deutsche Delegation hat sich am Freitag abend nach Genf begeben. Ihr gehört an: der Reichsaußenminister, der Staats­fekretär des Auswärtigen Amtes, Ministerialbirektor Gaus und der Breffechef der Reichsregierung, Ministerialdirektor 3echlin.

Zaleski erwartet keine Komplikationen. Paris , 10. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Briand hat am Freitag den polnischen Außenminifter 3alesti, der sich auf der Durchreise nach Genf in Paris aufhält, empfangen. Die Aussprache hatte außer der durch das Warschauer Attentat erzeugten ruffisch­polnischen Spannung vor allem auch die Frage der deutschen Oft feftungen bzw. die Kontrolle ihrer Zerstörungen zum Gegen­stand. Zaleski hat nach Schluß der Unterredung den Journalisten erklärt, daß nach seiner Auffaffung aus der Ermordung des russischen Gesandten diplomatische komplikationen nicht zu be. fürchten feien. Die polnische Regierung treffe nicht nur feinerlei Verantwortung für die unjelige Tat, sondern sie habe auch Rußland gegenüber keinen Zweifel an ihrem guten Willen zur Beilegung der Spannung gelassen.

Denn darüber fann es doch nur ein Urteil geben, daß folche Massenerschießungen nach summarischen Verfahren von einem Staat unter normalen Verhältnissen nicht vor= genommen werden dürfen. Ein Staat, der ohne äußerste Not fo handelt, wie der russische soeben gehandelt hat, wird von allen menschlich Gefimmten als ein bar barischer bezeichnet

werden.

Will man also die Moskauer Ereignisse in einem Sinn auslegen, der für die russische Regierung der günstigste ist, so wird man zu dem Ergebnis tommen daß sich Rußland faſt zehn Jahre nach der bolschewistischen Revolution immer nody im Zustande des Bürgerkriegs befindet.

Allerdings steht diese Auffassung in fraffem Gegensatz zu den wiederholten Erklärungen der russischen Regierung, daß die Zustände in ihrem Lande vollkommen gefestigt seien. Wäre das richtig und es hat lange Zeit den Anschein gehabt, als ob es richtig wäre dann wären die Moskauer Massen­erschießungen allerdings eine Unmenschlichkeit ohne Sinn und Berſtand.

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Terror ist jedoch niemals ein Zeichen von Stärke. Indem die russische Regierung zu ihm zurückkehrt, zeigt sie aller Welt, daß sie sich schwa ch fühlt. Dadurch wird sie ihre Feinde in England und in der übrigen Welt nur in dem Glauben be­stärken, daß der Abbruch der Beziehungen zu ihr ein geeig­netes Mittel ist, die Zustände in ihrem Lande noch weiter zu zum Zusammenbruch zu bringen.

den Wahlkampf mit Besorgnis zu bliden. Er wird zur Ab- Deutschland kann den Dawes- Plan erfüllen! verwirren und schließlich das herrschende Regierungssystem

rechnung werden.

Schon umgefallen.

Ein nationaler Dolchstok.

Bor drei Tagen wiesen wir darauf hin, daß angesichts einer möglichen Völkerbundstontrolle die Reichsregierung sich hüten müffe, bie Abwehr einer Inspektion der zerstörten Befestigungen auf die Spitze zu treiben. Es handele sich um eine Nebenfrage, die nicht zu einer Haupf und Staatsaktion aufgebauscht werden dürfe. Darauf rüdte die Rechtspresse hörbar von uns ab. Die Sozial bemotratie follte mieber einmal ihre nationale Südgratiofigteit

So erscheinen die Moskauer Massenhinrichtungen, wenn man vom rein Menschlichen ganz absieht, als ein un geheurer politischer Fehler.

Paris , 10. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die Reparationsfom­mission fündigt an, daß der Anfang nächster Woche zu erwartende Bericht des Generalagenten für die Reparationszahlungen u. a. auch ein Exposé über die wirtschaftliche und finanzielle Situation Deutsch - Die Absichten der englischen Ronservativen gehen ja in der lands und feine Zahlungsfähigkeit enthalten wird. Parter Gilbert Tat nicht auf Krieg mit militärischen Mitteln, sondern viel­tomme darin zu dem Schluß, daß Deutschland in der Lage sei, den mehr darauf, Rußland moralisch, politisch und wirtschaftlich Dawes- Plan auch in Zukunft zu erfüllen, nachdem die als Garantie zu isolieren und dadurch zur Kapitulation zu zwingen. Eng­für die Erfüllung desselben verpfändeten Einnahmen( Eisenbahn, land weiß aus dem letzten Krieg, und wir wiffen es auch, Industrie- Obligationen, Zölle und Verbrauchssteuern) schon im Laufe welch ein furchtbares Rampfmittel die Blodabe ist. Sie arbei des Jahres mehr als 2,5 milliarden Mart abgeworfen hätten, während tet nicht mit dem roten Tod, sondern mit bem weißen, sie Deutschland erst im Jahre 1929 zur vollen Reparationszahlung verbringt Hungersnot und wirtschaftliche Berrüttung, bér bie pflichtet fei Atria Serrüttung aller übrigen Berhältniffe folgt.