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Nr. 284 44. Jahrg. Ausgabe A r. 145

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Sonnabend, den 18. Juni 1927

Erklärungen Vanderveldes.

Kategorisches Dementi gegen die antirussischen Einheitsfrontgerüchte.

Genf , 17. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Der Genfer Sonder­berichterstatter des So3. Pressedienst" hat den belgischen Außenminister Vandervelde , der an den Beratungen der Sechs mächtekonferenz teilgenommen hat, u. a. befragt, was von den Be­hauptungen über die angeblichen Vorbereitungen einer gegen Sowjetrußland gerichteten Einheitsfront zu halten sei. Darauf hat Vandervelde erwidert:

Behauptungen dieser Art stehen in direttem, schärfsten Widerspruch zu dem, was gesagt und an geregt worden ist. Der englische Außenminister Chamber­lain hat unumwunden erklärt, daß seine Regierung nicht daran

denke, die anderen Staaten Europas aufzufordern, etwa nun auch ihre Beziehungen zu Rußland abzubrechen. Der deutsche Außenminister Dr. Stresemann hat nicht minder unzweideutig darauf hingewiesen, daß es Deutsch­ lands Wunsch fei, seine Beziehungen zu Rußland aufrechtzuerhalten und auszubauen. Dazu bemerkte Chamberlain, er hoffe, Deutschland werde damit mehr Glüd haben als England. Briand hat betont, daß es sicherlich ein schwerer Irrtum wäre, irgendetwas zu tun, was die Cage verschärfen könnte und ich persönlich habe mich auf das allerdeutlich ste in gleichem Sinne ausgesprochen. Kurz, wir waren alle einer Ansicht, daß es geradezu verhängnis voll wäre für die friedliche Entwicklung Europas , wenn eine Re­gierung auf den Gedanken verfiele, etwa wieder jene Methoden zu empfehlen, die zur Zeit der Denitin- und Wrangel- Expeditionen gang und gäbe waren.

Die Gestaltung der zufünftigen Beziehungen zwischen Sowjet­rußland und den übrigen europäischen Kontinentalftaaten hängt von der Politik der Moskauer Regierung ab. Jedenfalls

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ist alles, was man über die angebliche Bildung einer Kampffront gegen Rußland geschrieben und gefagt hat, den Tatsachen schroff widersprechend."

Die Ratstagung geschlossen.

W. S. Genf , 17. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) An die öffentliche Debatte über die Danziger Frage schloß sich noch eine kurze ver trauliche Sigung des Rates, in der Finanzielles und Persönliches furz erledigt wurde. Damit ging die 45. Ratstagung formlos

zu Ende.

Stresemann und Chamberlain sind beide in Genf geblieben. Sie haben sich jedoch heute außerhalb des Rates abend, in Aussicht genommen. Boncour ist mittags nach Baris noch nicht wiedergesehen. Eine Besprechung ist für morgen, Sonn­zurückgefahren. Deutsch - französische Besprechungen haben des­halb nicht mehr stattgefunden. Die schwebenden Fragen werden auf dem gewöhnlichen diplomatischen Wege weiterbehandelt.

Lambert tritt zurück.

Das belgische Mitglied der Regierungskommiffion des Saar­Das belgische Mitglied der Regierungskommiffion des Saar­gebietes, Lambert, wird, wie dem Soz. Pressedienst" aus Genf gemeldet wird, in den nächsten Wochen zurüdtreten.

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Wie erinnerlich, hatte man schon auf der Märztagung bei der Behandlung der Saarfragen zu erreichen versucht, daß Lambert, Behandlung der Saarfragen zu erreichen versucht, daß Lambert, der sich bei der faarländischen Bevölkerung geringer Beliebtheit er­freut und wegen seiner franzöfifchen Einstellung auch in Belgien selbst kein besonderes Vertrauen genießt, durch ein neutraleres Mit­glied ersetzt werden würde. Das stieß damals aus formalen Grün­den auf Schwierigkeiten, doch wurde angedeutet, daß der Rücktritt Lamberts nur noch eine Frage der Zeit sei.

Theater um die Postgebühren.

Der Postminister zieht die Gebührenvorlage zurück

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die Wirtschaft drängt

sie ihm wieder auf!- Auch Erhöhung der Rundfunkgebühr?

Das, was sich gestern im Berwaltungsrat der Deutschen Reichs­post abgespielt hat, tann man nicht anders als ein Theater schlechtester Güte bezeichnen. Man bedenke, der Minister gibt mit großen Worten zu Beginn eine Erklärung ab, daß er auf die Gebührenerhöhung nicht verzichten könne; er droht mit der Entziehung von Industrieaufträgen, die eine Entlassung von Arbeitern zur Folge haben würde; er sagt, daß er anders für die Beamtenbesoldung teine Mittel habe, und als nach einer vierstündigen Debatte um die Frage Bertagung oder nicht die Ver­

wenn er diese Vorgänge als ganz unmöglich bezeichnete, und verlangte, daß wegen Einbringung einer neuen Vorlage die Initia­tive einzig und allein beim Reichspostminister liege. Auch wir sind dieser Meinung und finden sie in der Geschäftsordnung des Ver­waltungsrats bestätigt.

3wei Dinge aber haben sich bei dieser Spielerei klar und deutlich herausgestellt. Das eine ist

die Doppelzüngigkeit der Wirtschaft und der ihnen nahestehenden Parteien.

tagungsanträge abgelehnt wurden, also in demselben Augenblick, Die Wirtschaft war es, die in unzähligen Protesten, Kundgebungen

in dem die Mehrheit des Verwaltungsrats auf seiner Seite stand, verkündete er feierlich die

Zurückziehung der Vorlage namens der Deutschen Reichspoſt. Borher hatte der Postminister noch eine Borlage über die Er. höhung der Rundfunkgebühren von 2 auf 3 2. monatlich eingebracht eine Forderung, die fachlich nach feiner Richtung begründet, in der breiten Deffentlichkeit schärfften Protest auslösen muß. Was aus dieser Vorlage geworden ist, ob sie weiter zur Beratung steht oder ebenfalls als zurüdgezogen gilt, ist vorerst nicht recht zu erkennen.

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Was nun folgte, war noch übler als der erste Aft. Die Mehr­heit der Mitglieder des Verwaltungsrats hatten sich noch nicht von ihrer Ueberraschung erholt, als plößlich wie auf ein Signal der Zentrumsabgeordnete Allekotte sich erhob und dem Verwaltungs­rat eine neue Ueberraschung mit dem Antrag bereitete, dieser möge nunmehr von sich aus die Beschlüsse des Arbeitsausschusses ge nehmigen. Jeder fühlte, was schließlich offen ausgesprochen und dann auch zugegeben wurde, daß zwischen Herrn Allekotte und dem Minister eine Verständigung vorausgegangen war. In welchem Rahmen dies geschehen ist, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls tonnte sich niemand des Gefühls ermehren, daß hier ein

nicht ganz einwandfreies Spiel

getrieben wurde, mit dem Ziel, der Regierung eine Genug tuung für die im Reichstag erlittene Schlappe zu bieten. Tat­sächlich überboten sich nun auf einmal die Herren Wirtschafts­vertreter darin, dem getränkten Bostminister, offenbar zur größeren Ehre des Rechtsblocks, die zurückgezogene Gebührenvorlage mit allerhand süßen Worten förmlich aufzudrängen. Man äußerte fogar die Meinung, daß es einer Vorlage des Ministers gar nicht bedürfe. Wenn man seinen Wunsch kenne, genüge es vollkommen, und man könne die alte Boilage unverzüglich meiterberaten.

Benoffe Schumann Frankfurt ( Oder) hatte vollkommen recht,

und Eingaben gegen die Gebührenvorlage des Postministers Sturm gelaufen ist. Die Presse der Regierungsparteien und ganz besonders die der Deutschnationalen und des Zentrums hat in schärfster Tonart gegen die Vorlage mobilgemacht. Und auf der Tagung des Berwaltungsrats waren sowohl die Vertreter jener Großorganisationen der Wirtschaft als auch die Abgeordneten der Regierungsparteien nicht nur gegen die Bertagung der Vorlage, fie erklärten sich sogar bereit, die Portoerhöhung mit Haut und Haaren zu schlucken. Sie wollen das Geld der Rechtsregierung förmlich in die Taschen jagen.

Zum anderen aber hat sich diesmal unwiderleglich gezeigt, daß das Reichspostfinanzgesetz in dieser Form einfach nicht mehr aufrechtzuerhalten

ist. Man mag es aufheben oder ändern, dieser Kuddelmuddel darf aber nicht weiter bestehen bleiben.

Zum Schluß noch ein Wort über die Drohung des Ministers, durch Zurückziehung von Aufträgen Arbeiterentlaffungen unvermeidlich zu machen. Wir bedauern ausdrücklich, daß der Mi­nister glaubte, solche Erklärungen abgeben zu müssen. Dies sind die Methoden der Scharfmacherunternehmer,

die lediglich zu Gegenaktionen herausfordern, aber sonst feine Birkungen erzielen. Nochmals erklären wir, daß ein Anlaß zu einer Zurückziehung von Aufträgen absolut nicht vorliegt. Dem Reichs­postminister sind sowohl im Reichstag als auch im Verwaltungsrat Mittel und Wege gewiesen worden, wie er unter Jnan spruchnahme des Geldmarktes und seiner sehr starken Reserven die Tätigkeit seiner Behörde ungeschmälert aufrechterhalten kann. Dies gilt auch für die Frage der Besoldungserhöhung. Es ist erstaunlich, mit welcher Harinädigkeit der Minister jeder Erörterung über die heranziehung der Reserven aus dem Wege geht. Glaubt der Poſtminister eine Politif auf biegen oder brechen" treiben zu sollen, jo trägt er allein die Berantwortung für die Folgen, die das deutsche Bolt leider sehr bald zu spüren bekommen wird.

Vorwärts- Verlag 6.m.b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

Boftschecktonto: Berlin 37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Ballftr. 65; Diskonto- Gesellschaft, Devofitentasse Lindenstr. 3.

Der Nationalfeiertag.

Zur heutigen Beratung des sozialdemokratischen Antrags im Reichstag.

Bon Karl Severing .

A1

Am 24. Juni sind fünf Jahre verflossen, seit Walter Rathenau den Kugeln der Meuchelmörder zum Opfer fiel. Eine ungeheure Empörung ging an dem blutigen Johannistage des Jahres 1922 durch das Land. Knapp ein Jahr zuvor war Mathias Erzberger durch die Hand nationalistischer Mordbuben gefallen, und dieser Freveltat waren Drohungen der Art gefolgt, daß sie alle ,,, die Juden und Römlinge, die Novemberverbrecher und roten Despoten" erledigt werden würden. Allzu viele hatten diese Drohungen für alberne Schwägereien gehalten in Verkennung der Lat­sache, daß die seit Jahren betriebene Hetze gegen die Männer Menschen Mordpläne gegen die angeblichen Baterlands­des neuen Regimes in jungen verbitterten und fanatisierten zeigte der Mord in der Königsallee mit erschreckender Deut­verderber und Schädlinge" geradezu wecken mußte. Nun lichkeit, daß den Plänen die Verwirklichung, den Drohungen die Tat folgen sollte. Diese Erkenntnis war das Signal für die Erhebung der republikanischen Massen, die sich in machtvollen Demonstrationen zusammenfanden und von der Regierung ein entschiedenes Vorgehen gegen die Mordbuben und ihre Hintermänner, die in den nationalisti­fchen Organisationen saßen, verlangten. So fam das Re­publifichußgefez zustande, fo wurden die Behörden auf die Fährten der sogenannten Selbstschutz- Organisationen gelenkt, so wurden im Reiche diejenigen Beamten entfernt, die es an der gebotenen Wachsamkeit diesen Organisationen gegenüber hatten fehlen lassen.

M

In dieser Zeit besannen sich die Republikaner auch da­rauf, daß wir in einer Republik leben und daß es nun auch mohl nicht länger zu umgehen sei, dieser Republik auch äußer­lich die Achtung und Ehrung zu verschaffen, die in anderen republikanischen Staatswesen zu den einfachsten Selbstver ständlichkeiten gehören. Am 7. Juli 1922 beantragten Müller Franken, Marg und Petersen im Auftrage der sozialdemokratischen, demokratischen und Zentrumsfraktion des Reichstags, den Verfassungstag, den 11. August, zum Nationalfeiertag des deutschen Bolkes im Sinne des Artikels 139 der Reichsverfassung zu erklären. Zwar war schon einige Wochen früher die Reichsregierung mit einer entsprechender Vorlage an die Länderregierungen herangetreten, aber die Beratungen über diesen Entwurf waren ins Stoden geraten und darum war die Initiative des Reichstags nur zu be= grüßen.

Auch fie feiert nun bald ihr fünfjähriges Jubiläum. Aber wenn der Reichstag der 3. Wahlperiode nicht in einem kräf= tigen Tempo das Wollen seiner 1. Periode mit einem erfolg­reichen Vollbringen frönt, dann wird der Jubiläumstag ( 7. Juli) besonders freudiges Ereignis für die deutschen Re­publikaner bedeuten. Es soll hier nicht untersucht werden, gehen der Weimarer Koalition im Reichstag des Jahres 1922 auf welche Einzelgründe es zurückzuführen ist, daß das Vor­bisher nicht das geringste Ergebnis gezeitigt hat. Man muß zugeben, daß das Krisenjahr 1923, in dem Deutschlar nicht nur um seine Unabhängigkeit, sondern auch um die Substanz des Reiches kämpfte, für die Beratung und Einführung eines Feiertags nicht die freudigste Resonanz im Volke geboten hätte. Der 11. August 1923 war einer der trübsten Tage deutscher Geschichte. Die Mark war ins Bodenlofe gefunden, der Lebensmittelmangel aufs höchste gestiegen. Wilde For mationen undisziplinierter Landknechtsjünger provozierten neuen außenpolitischen Drud. Die Kommunisten trafen ihre Vorbereitungen zur Einführung der Arbeiter- und Bauern­regierung". Eine vom Reichspräsidenten Ebert im Staat­ lichen Schauspielhaus zu Ehren des Verfassungstages per­anstaltete Abendfeier mußte abgesagt werden. Das war sym bolisch für die Behandlung des Verfassungstages im Krisen­jahr 1923 überhaupt!

übriges getan, um die Lösung der Frage des Nationalfeier­Die Reichstagsauflösungen im Jahre 1924 haben ein tages zu verzögern, obgleich in jeder Periode Anregungen dazu aus dem Reichstage erfolgten. Daß Herr Schiele, des Reiches Innenminister im Jahre 1925, sie nicht aufgriff, ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß damals die Deutschnationalen noch nicht ihr Bekenntnis zur Republik und zu den republikanischen Symbolen abgelegt hatten.

Heute sind ja nun wohl alle Hindernisse aus dem Weg geräumt. Die deutschnationalen Mitglieder der Reichs­regierung, die sich mit den Richtlinien des Zentrums einverstanden erklärten, die der Verlängerung des Re­publitschuhgefeß es zustimmten, die ebenso den Kriegsgeräte Paragraphen zustimmen werden, fönnen unmöglich dagegen sein, daß nun endlich dem deut­ schen Volte sein Verfassungstag als Nationsfeiertag gegeben wird. Man sollte im Gegenteil meinen, daß Herr v. Keudell, der derzeitige Verfassungsminister des Reiches, mit Freuden Den Antrag unterstützen wird, den jetzt die sozialdemokratische

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