Nr. 286 44. Jahrg. Ausgabe A Nr. 146
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Sonntag, den 19. Juni 1927
Beilegung des Albanienkonfliktes?
Intervention der Mächte.- Ergebnis der Genfer Besprechungen. Belgrad , 18. Juni. ( BIB.) Das Blatt„ Politika" meldet, daß die südslawische Regierung von der Annahme des französi schen Antrages auf der Zusammenkunft zwischen Briand , albanischen Konflikt seitens der Mächte nochmals in Tirana im Sinne der Beilegung interveniert werden soll, offiziell in Kenntnis gesetzt worden sei. Gleichzeitig sei die südslawische Regierung ersucht worden, die Durchführung der infolge des endgültigen Abbruchs der Beziehungen zu Albanien , welche nach Abreise des albanischen Gesandten aus Belgrad erfolgte, vorgesehenen Maßnahmen nicht zu übereilen. Die füdslawische Regierung hat infolge dieser Anregung die Anordnung über die Sperrung der Grenze gegen Albanien vorläufig aufgehoben. Da die Interventionsmächte hoffen, daß die Beilegung des Konflikts möglich sei, wurden die südslawischen Konsuln, die Albanien bereits verlaffen haben, angewiesen, vorläufig in Orten in der Nähe der Grenze ihren Siz aufzuschlagen. Die Ausgleichsformel im Konflikt werde voraussichtlich in der Freilassung des Dolmetschers Dschuraskowitsch unter gleichzeitiger 3 urückziehung der von Albanien beanstandeten scharfen südslawischen Note bestehen.
mandatskommission eine Summe in das Budget cingestellt. Die Kommission wird über die Zweckmäßigkeit einer solchen Zulassung befragt werden. Der Rat wird im September darüber entscheiden. Der wichtige Bericht Stresemanns über die Wirtschaftstonferen3 gab im Rat Anlaß zu Kundgebungen zugunsten einer größeren Freiheit des Güteraustausches, denen die Regierungen werden Rechnung tragen müssen.
Man darf schließlich hoffen, daß binnen wenigen Tagen diskrete, aber wirksame Interventionen dem Konflikt zwischen Albanien und Jugoslawien ein Ende setzen werden.
Vandervelde über das Genfer Ergebnis. Brüssel , 18. Juni. ( LIB.) Bandervelde erklärte einem Ber.
treter der Belgischen Telegraphen- Agentur: Die Genfer Ratstagung ift trotz der peffimistischen Vorausfagungen wie gewöhnlich in der größten Ruhe verlaufen. Die Nähe der Septemberversammlung gestattete es, heifle Fragen zu vertagen. Gemisse Fragen, und zwar nicht die unwichtigsten, wurden abermals neben der Ratstagung behandelt, besonders bei der Konferenz der Sechs. Diese Sonderbesprechungen rufen gewiß einige Kritiken her vor, aber fie find zweifellos sehr nüglich gewefen. Die anfänglich ein wenig stürmische Atmosphäre erfuhr eine wirkliche Entspannung, und ich glaube fagen zu fönnen, daß die Delegierten Genf mit einem günstigeren Eindrud verlassen, als dem, der sie bei ihrer Ankunft beherrschte.
Die Locarno - Politik wird, wie das Schlußkommuniqué der sechs Mächte besagt, fortgesetzt. Die Frage der Festungen ist geregelt; die Verminderung der franzöfifchen Truppenbestände im Rhein land scheint nicht lange auf fich warten lassen zu sollen. Die Völkerbundsversammlung von 1926 hat im Hinblick auf den möglichen Eintritt einer deutschen Persönlichkeit in die Kolonial
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Die Ratstagung des Völkerbundes schloß Freitag mittag. Sigung auf, ohne davon Aufhebens zu machen. Borher noch Ihr Ende war formlos. Man hob die Tagung wie eine hatte es bei Teilnehmern und Zuschauern Aufsehen gegeben. Sizung auf, ohne davon Aufhebens zu machen. Borher noch hatte es bei Teilnehmern und Zuschauern Aufsehen gegeben. International fämpften geschulte Parlamentarier. Aristokrat gewordene Enkel eines englischen Industriemagnaten führte den Degen, der in Deutschlands öffentlichem Leben sich emporarbeitende Verbandssyndikus schlug mit dem Schwert. Es war beantragt, über das polnische Munitionslager in der verkehrsreichen Hafenstadt Danzig den Beschluß zu vertagen. Chamberlain war Ratsvorsitzender. Er mochte sein Weltreich, das seine Klasse wieder Ein Gleiches kann man nicht von Fragen sagen, die schwer- regiert, mit dem winzigen Freistaat von Böllerbunds Gnaden wiegenderer Art sind als die albanische Frage und Rußland be- pergleichen. Wie jedermann, hat auch Sir Austen den Antreffen. Man hat allerhand erzählt, was nicht der Wirklichkeit entspruch, pünktlich zu Mittag zu essen. Das war ihm so wichtig spricht. An den Erzählungen über eine Heilige Allianz der westlichen wie die Wohlfahrt von einigen zehntausend Menschen in einer Regierungen gegen die Sowjets ist kein wahres Wort. Alle schienen fernen östlichen Stadt. Der deutsche Außenminister wußte, er würde mit leeren Händen in die Reichshauptstadt zurüc im Gegenteil darin einer Meinung zu sein, daß die Stellung zu Rußland eine Angelegenheit jedes einzelnen Landes ist, und daß kommen. Dort tobt schon rechts die Presse und droht ihm jeder Versuch, gegen die Sowjets eine Einheitsfront zu bilden, nur die Opposition links. Es lag ihm daran, daß man altes deutdie Wirkung haben würde, die Stellung der Sowjets in Rußland fches Gebiet mit Achtung behandelt. Er setzte den Anspruch selbst zu festigen. In diesem Punkt hat es feine Meinungs- Danzigs , gegen den Bertagungsantrag debattieren zu dürfen, verschiedenheit gegeben zwischen denen, die einen Zusammenbruch als sein Sachverwalter mit Wucht durch. Der Engländer des Sowjetregimes wünschen und denjenigen, die im Gegensatz dazu lenkte ein; er habe nur der Gefahr eines allzu ausführlichen fürchten, daß der Sturz der Sowjets, falls er durch ein Eingreifen Eingebens auf die Sache vorbeugen wollen. Der Danziger von außen her hervorgerufen würde, die schlimmste Reattion be Staatspräsident brachte feine Einwände vor. Er ging auf den Grund der Sache, aber hielt sich an die Grenzen einer Bertagungsdebatte. Sir Austen bedauerte, dem geschickten Debatter Sahm Ungeschick zugetraut zu haben. Lächelnd gab er ihm zu verstehen, er habe seinen Einspruch trefflich vertreten, und unterbrach den Polen , der die Grenzen der Geschäftsordnungsdebatte ungehörig verlegte. Dann folgte eine stundenlange Debatte. Sie hat dann doch mit der Bertagung geendet.
wirken würde.
Das Schattendasein" des Völkerbundsrats. Paris , 18. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die in der Tat faum mehr zu überbietende Belanglosigkeit, die das Charakteristikum der abgelaufenen Session des Bölferbundsrats war, gibt der französischen Bresse Anlaß zu ungewöhnlich heftigen Kritiken. Sie stellt fest, daß der Rat durch die Besprechungen der Außenminister völlig an die Wand gedrückt worden sei, und daß er selbst nicht ganz frei von Schuld an diesem Prestigeverlust sei, da er nicht eine der ihm überwiesenen Streitfragen der Lösung entgegenzuführen vermocht habe. Obwohl es manchmal nur Fragen von sekundärer Bedeutung gewesen seien, mit denen er sich diesmal zu befassen gehabt habe, habe er doch nicht einmal die Zeit gefunden, fie gründlich zu diskutieren, sondern sich durch die übliche Verschleppungstaftit um längst fällige Entscheidungen herumgedrückt. Man werde sich daher nicht verwundern brauchen, daß der Rat mehr und mehr an Autorität verliere und allmählich zu einem Schattendasein herabfinke.
Kowerda und seine Gesinnungsfreunde.
Warschau , 18. Juni. ( DE.) Nach einer Moskauer Meldung der„ Ajencja Wschodnia" sah sich der polnische Gesandte in Mostau, Batet, btigt, wegen der Demonstrationen vor dem Gesandjahaftsgebäude die Sowjetregierung um polizei lichen Schaß zu ersuchen. Die„ Ajencja Wschodnia" dementiert die Meldung, daß die Sowjetregierung keinen neuen Gesandten nach Warschau zu entfenden beabsichtige. Möglicherweise würden jedoch Verzögerungen in der Ernennung eines neuen russischen Bertreters bis zur Klärung der Beziehungen zwischen Rußland und Bolen eintreten. Der Mörder des Gesandten Woikom, Komerda, erhält im Gefängnis Hunderte von Briefen von Gefinnungsgenossen und Landsleuten aus Polen und England.
Das Rätsel der Ermordung Turows. Mostau, 18. Juni. ( DE.) Das Moskauer Abendblatt Wet
schernaja Moskwa" veröffentlicht eine Unterredung mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Akademie, Kossola pow, der folgende Einzelheiten über die noch immer in tiefes, Dunkel gehüllte Ermordung des früheren stellvertretenden Leiters der Berliner Sowjethandelsvertretung, Turow, bei Moskau mitteilt. Turow sei wenige Tage vor seinem Tode mit seiner Familie von Moskau nach der Billenkolonie Dubrowka bei der Station Biza übergesiedelt. Am Mordtage fehrte er wie gewöhnlich am Abend aus Moskau zurück. Turow wählte nicht den sonst von den Bewohnern der Billenkolonie benutten Weg von der Eisenbahnstation, fondern einen fürzeren, der durch einen dichten Wald führt. Ungefähr auf der Hälfte des Weges wurde Turow durch drei Revolverschüsse getötet. Die Schüffe wurden von zahlreichen Fußgängern gehört. Ueber die Attentäter ist noch immer öffentlich nicht das Geringste bekannt.
Warburgs Rückkehr aus Rußland . New York , 18. Juni. ( WTB.) Der Bantier Felig Barburg, der eben von seiner flebenmonatigen Weltreise zu rückgekehrt ist, hob den zuvorkommenden Empfang, den er während seines Aufenthalts in Sowjetrußland gefunden habe, rühmend hervor und bemerkte, er habe dem Botschafter Schur man einen Berigt über feine russischen Eindrücke übergeben.
Moskau , 18. Juni. ( DE.) Der Prozeß gegen die Frau des befannten Sowjetagenten in China , Borodin , und die drei jomjetrusfi schen diplomatischen Kuriere, die von den Truppen Tichangjolins auf dem ruffischen Dampfer, Pamjatj Lenina" verhaftet wurden, begann am 17. Juni in Pefing. Als Verteidiger fungieren der Aelteste der Bekinger Anwaltschaft sowie zwei weitere be tannte chinesische Anwälte.
Wie eine Regierung Märtyrer schafft und sich selbst blamier Der französische kommunistische Abgeordnete Doriot war wegen mehrerer Reden, die er im Auftrage der kommunistischen Internationale vor einigen Wochen in Ranton, Hankau und Schanghai gehalten und in denen er u. a. auch die Loslösung Indo chinas vom franzöfifchen Protektorat propagiert hatte, von der Regierung in Abwesenheit strafrechtlich verfolgt worden. Außerdem war er wegen anderer politischer Delikte in der Zwischenzeit verurteilt worden. E sollte, nach den Erklärungen des Justizministers Barthou , beim etwaigen Wiederbetreten des französischen Bodens perhaftet werden. Ein großer Teil der französischen Linken, voran die Sozialisten, protestierte gegen diese Absicht. Doriot ist Wladiwostock nun, über Moskau und Berlin kommend, in Paris eingetroffen. Er hielt fich zunächst verborgen. Am Nachmittag fand in der Kammer eine große Debatie statt, in der Barthou zwar starfe Worte redete, aber schließlich nur einen juristischen Dreh" versprach, daß Doriot doch nicht verhaftet werden würde. Die Regierung erhielt zwar bei einer Abstimmung eine starte Mehrheit, doch schnitt ihr Justizminister persönlich sehr schlecht ab.
Doriot tauchte dann schon am Abend in einer öffentlichen Bersammlung der kommunistischen Partei als Redner auf. Sein überraschendes Wiederauftreten im politischen Leben der französischen Hauptstadt hat ungeheures Aufsehen erregt, zumal nach dem Abschluß der für die Regierung am Donnerstag fo fläglich verlaufenen Kommunistendebatte. Die kommunistische Partei veranstaltete für ihren Märtyrer" Doriot eine große Rundgebung.
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Es hat in den fünf öffentlichen Ratssigungen von Montag bis Freitag nur wenig spannende Augenblicke gegeben. Einmal brachen ökonomische Gesezmäßigkeiten durch die dicke Atmosphäre diplomatisch- politischer Händel. 3mei Nachbarstaaten der europäischen Mitte, Deutschland und Bel gien , gingen den anderen wirtschaftlich voran. Ihre Vertreter erklärten, ihre Regierungen hätten bereits Stellung zu der Weltwirtschaftskonferenz genommen; fie setzten sich für die Konferenzergebnisse ein. Mit ein ganz klein wenig Stolz über das Erreichte unterrichtete Stresemann den Rat von dem Beschluß des Reichskabinetts.( Dazu hätte er keine Veranlaffung gehabt, wenn er die neuesten Beschlüsse des Kabinetts gefannt hätte. Red. d. ,, V.") Er bekannte sich mit Wärme zur Internationale der kapitalistischen Wirtschaft. Aus dem Nationalliberalen wird der International= liberale. Aber seinem Glaubensbekenntnis war ein realpolitischer Schluß angehängt. Er ist theoretisch für die Freiheit des Handels: praktisch möchte er nicht die Zölle abbauen, sondern nur die Zolltariffchemen einfacher und übereinstimmender machen. Dem Industrialliberalismus Stresemanns hängt die Koalition mit den Agrariern wie der Klozz am Bein des Gefangenen. Auch Bandervelde sprach nicht für fich oder seine Partei allein; er vertritt einen Staat mit einer Burgfriedensregierung. Sein Staat ist ein Durchgangs- und Industrieland, mehr als die anderen. Uneingeschränkt konnte er deshalb die Unterstützung seiner Regierung für die Konferenzbeschlüsse zusagen. Aber aus ihm sprach zugleich der führer der sozialistischen Arbeiterschaft, in deren Köpfen das Bild eines wirtschaftlich und politisch geeinten Kontinents lebt. Deshalb auch sein zielficheres Bekenntnis zur Abrüstung, mit dem klaren Entweder: ihr rüstet mit einander ab, Oder: ihr rüstet auch gegeneinander auf.
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Die Geschäfte des Völkerbundsrats sind meist unanschauliche, juristisch kniffliche internationale Berwaltungsarbei!, Chamberlain leitete diese feit 1920-45. Ratstagung wie der Chef eines Außenminifteriums eine Ministerialdirektorenkonferenz abhält. Sir Austen ist zwar ein Mann des öffentlichen Lebens. Doch ist nur das Parlament die Stätte, wo der wahre Gentleman öffentlich wirkt, wo der eine Wohlerzogene mit dem anderen Wohlangezogenen die Klingen der Dialektif kreuzt. Das Volk, die Massen, sind ihm zum Regiertwerden da. Gar die Vertreter der lauten Oeffentlichfeit sind ihm persönlich zuwider. Nicht einmal hat er sie empfangen. Es machte ihm Spaß, einem hervorragenden fontinental- europäischen Journalisten, der zwanzig Yards vor ihm ihn beobachtend stand, zum Niederfißen zu zwingen. Er genießt die Macht. Er verzichtet, volfstümlich zu wirken.
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Es gab einen dramatischen Augenblick in den zehn Stunden öffentlicher Ratstagung. Es war ein Bösewicht hierher geladen. Er war zwar gefommen, wollte sich aber bort vor der Berantwortung brüden. Chamberlain nahm ihn