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Nr. 133.

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8. Jahrg.

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Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: Beuth- Straße 2.

Haltet den Dieb!

Donnerstag, den 11. Juni 1891.

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Expedition: Beuth- Straße 3.

schätzt worden, und der Steuerfiskus hatte das Nachsehen. ist von frecher Hand entblößt und den Augen der Menge Das ist ein Zeichen von Heißhunger, von kecker Gewinnsucht, schnöde preisgegeben. Es ist ein Stück von ihm. Der Bochumer Steuerprozeß giebt wieder einmal von unbeschreiblichem Geschick, das Glück zu forrigiren, aber Die Arbeiterklasse sieht ihr Urtheil über das Ethos des Gelegenheit festzustellen, weß Geistes unsere Bourgeoisie ist. es ist nur eine Konsequenz der Politik, welche den Besiglosen Bürgerthums doppelt und dreifach bestätigt, und trauernd Wir meinen die nicht in die Skandalgeschichte verwickelte, zehnten läßt, auf daß es den herrschenden Klassen wohlergehe. steht im Winkel die ganze historisch- ethische Schule, die so die unbetheiligte, die sittlich entrüstete Bourgeoisie. Die Mögen die Beträge, welche dem gemeinen Säckel des preußi- viel zu sagen weiß von dem Wahren, Guten, Schönen in Heuchelei des großbürgerlichen Pharisäerthums feiert einen schen Staates, der Stadtgemeinde Bochum entzogen find, der geläuterten Seele des reinen Bourgeois. wahren Herensabbath, die Organe des Deutschfreisinns, des noch so beträchtlich sein, was, so sagen wir, verschlagen Was ist der Geist der Bürgermoral? Das Privat­Konservatismus und des Zentrums einen sich brüderlich zu fie gegenüber den Millionen von Mark, welche durch eigenthum. Was ist die Moral dieser Moral? Die dem kläglichen Lamento über die Schlechtigkeit der Men- die indirekte Besteuerung den Armen und Elenden Jahr Schöpfung des Reichthums. Der Mehrwerth, das ist das schen, und ein geschüttelt und gerüttelt Maß moralischer für Jahr genommen werden? Was bedeuten sie gegenüber A und D, der Anfang und das Ende, das Endziel der Empfindungen kommt heuer auf den offenen Markt. dem unsäglichen Leid, das aus dieser Quelle stetig fließt? Bürgerklasse. Die Ausbeutung des Proletariats ist der Diese Sittlichkeitshausirer kennen ihre Kundschaft, und Die Krautjunker mögen schelten über die verächtlichen Kniffe Hebel, der die ganze verzwickte und verwickelte Maschinerie wenn sie darum den Mund recht voll nehmen und außer der westfälischen Schlotbarone. Aber sie bleiben falt, falt in Bemegung setzt und hält. sich sind über die Vorgänge in Westfalen , so darf dies über biszur Schamlosigkeit bei dem Nothstand, den die Theuerungs- So wird das bürgerliche Gewissen elastisch wie Rauts den wirklichen, handgreiflichen Werth derartiger Kund- preise des Brotkorns über die Enterbten" bringen. schuk, es schmiegt sich allen Bedingungen der Plusmacherei gebungen nicht täuschen. Es ist immer die Praxis erfahrener Und ist nicht noch in frischer Erinnerung die Geschichte innig an, und wie sich der Horizont der Profitschnapperei Schelme gewesen, am lautesten zu schreien: Haltet den Dieb! jenes schlesischen Magnaten, der, mit zarterem Gewissen be- erweitert, dehnt sich auch das Gewissen weiter und weiter. Was in Bochum geschehen ist, kann von uns mit der Un- lastet als seine Genossen, gegen die zu geringe Einschätzung Der dünne Schleier, den das geschärfte Auge des Kundigen befangenheit des Beobachters untersucht werden; wir Einspruch erheben wollte und daran verhindert wurde, weil und der Sozialismus hat erkannt nur zu leicht durch­haben nicht nöthig, auch nur einen Augenblick lang ja die Anderen dann auch über die Klinge springen müßten, dringt, ist die Phrase des" legitimen" Geschäfts, des an­etwas Anderes zu sein, als der Arzt, der mit kühler die sich diese Art Unterschätzung nur zu gern gefallen ließen ständigen" Gewinns. Unser Urtheil über die bürgerliche Sachkunde einer Krankheitserscheinung seine Aufmerksamkeit und ihre Lebensführung darauf zugeschnitten hätten? Hat Gesellschaft aber bleibt dasselbe, trotz der Bochumer Skandal­zuwendet. man schon vergessen, wie die Grafen, Fürsten , Herzöge des geschichte. Wenn der gute Bürger richtig steuerte und alle Die Steuerhinterziehungen in Bochum sind nichts Außer- Herrenhauses, die nothleidenden Millionäre des Groß gesetzlichen Verpflichtungen so peinlich erfüllte, wie er es gewöhnliches, sie sind ein alltägliches Vorkommniß. Außer- grundbesitzes, gegen die vier Prozent des neuen Steuer nicht thut, sobald fein Vortheil für ihn dabei herausspringt, gewöhnlich ist nur die öffentliche Feststellung, welche dem gesetz- Entwurfes stürmisch deklamirten und stimmten? er bliebe was er ist, er muß bleiben was er ist, bei Strafe bürgerlichen Bewußtsein fremd ist. Die Thatsache, daß der So daß erst ein sanfter Druck sie zahm machen mußte. der Selbstvernichtung. Die munteren Seitensprünge der Staat jedes Jahr um ungezählte Tausende betrogen wird Wenn alle Fälle der zu niedrigen Einschätzung vor den Einen, der großen Thatsache der kapitalistischen Wirth­Steuerdefrauder sind nebensächlich verglichen mit der dadurch, daß die potenten Steuerpflichtigen ihre Verbind. Schranken der Gerichte enthüllt werden würden, wie lange schaftsweise. lichkeiten gegenüber dem Gemeinwesen nicht erfüllen, spielte meint man, hätte die preußische Justiz von Memel bis noch jüngst eine bedeutsame Rolle in den preußischen Steuer- Saarbrücken, von Schleswig bis nach Zabrze zu thun, um Der jahrzehntelange Betrug im Schienengeschäft, so wichtig Und die Stempelfälschungen des Bochumer Stahlwerks? debatten. Vergießt jetzt die Ehrbarkeit hetße Thränen über diesen Berg von Prozessen abzutragen? die Greuel in Bochum , so ist das die Rührung eines Par­für das Verkehrswesen, ein Betrug, der unmittelbar gegen terres von Tartuffes. Daß gerade die Blüthe der deutschen Bourgeoisie, die den Hauptkunden des Schienenwerks, gegen den Staat sich Das Stück, das in Essen sich abspielt, ist nur ein rheinisch- westfälische, auf die Armesünderbank gekommen ist, richtet; ein Betrug, der das Leben der Reisenden auf das Einzelfall; die Besitzenden tragiren es überall nach Kräften die getreue Gefolgschaft des Fürsten Bismarck, die Repräs Schwerste gefährdet? Was ist hierauf zu sagen? Wirth­und mit Erfolg. Man kann sagen, daß der Prozeß eine und mit Erfolg. Man kann sagen, daß der Prozeß eine fentantin der siebenfach gesiebten Sittlichkeit, die Feudal- schaft, Horatio, Wirthschaft. Die zügellose Profitgier des geschickte Allegorie ist, die das Seelenleben der Kapitalisten- aristokratie der Kohlengruben und Eisenwerke, die mit Ar- Unternehmerthums kennt keine Schranken, wo es sich um klasse versinnbildlicht und das Treiben der oberen Zehn- nehmerthums, das ist der Humor von der Geschichte. Die wartung der Arbeiterklasse, das Elend der Proletarier, beitern nicht verhandelt", die Elite des deutschen Unter den Gewinn handelt. Die leibliche, geistige, sittliche Ent­tausend abspiegelt. Daß die Bochumer Patrizier die Steuerlast auf das Dialektik der ökonomischen Entwickelung läßt nicht mit sich sie sind die Folgeerschein ung der kapitalistischen Wirthschafts­Volk abwälzen, daß sie die Armen für sich nicht blos frohnen, spaßen, sie spaßt aber mit ihren Geschöpfen, den Bourgeois in ordnung. Was ist der bethlehemitische Kindermord gegen sondern auch steuern lassen, ist dies etwas Neues, etwas Westfalen. Sie macht diese treuen Diener des Kapitalis- die Bernichtung der Arbeiterfinder im Interesse des Reb­Unerhörtes, etwas noch nicht Dagewesenes? Worauf gründet mus zu Märtyrern, die für die Sünden der ganzen bachs? Was der gräuelvollste Krieg gegen den Ruin ver sich das System der indirekten Steuern? Auf Heranziehung Bourgeoisie büßen müssen. Nicht beschimpfen, nicht preis- arbeitenden Klasse im Dienste des Unternehmerthums? Rück­der breiten Massen der werkthätigen Schichten zu Gunsten geben, lobpreisen und ehren soll sie der Bourgeois. Aber sichtslos opfert das Großkapital die kleinen, stößt es derer, die etwas haben, auf Belastung der Armen zu Nutz leider, leider: und Frommen der Reichen. Die Lebensmittelzölle wuchten vor allem auf den Schultern des Proletariats, das Pro­

Die thöricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten, Hat man von je gefreuzigt und verbrannt."

letariat giebt dem Junker das Schnapssteuergeschenk, die Greift indeß im stillen Kämmerlein, wenn er allein ist Zuckerausfuhrprämien zahlt das Proletariat. Die Herren in mit sich und seinem Geldsack, der Reiche in die geheimniß Bochum haben dank einer wohlwollenden Einschätzungs- vollen Tiefen seines Mannesbusens, so findet er auf dem kommission, dank ihrer einflußreichen Stellung in der Ge- Grunde das, wogegen er sich so sehr zu sträuben scheint, die meindevertretung erfleckliche Profite gemacht, sie sind unter- Anerkennung der Bochumer Dulder. Ein Theil seines Jch

Feuilleton.

Nachdruck verboten.]

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Die Falkner von St. Vigil. Roman aus der Zeit der bayerischen Herrschaft in Tirol von Robert Sa, weichel.

Müller sagte erleichtert, während ihm eine feine Röthe in das hagere Geficht stieg:" Ja, das war dem Ambros sein Groll."

Bauern, Handwerker, Kleinhändler in das Proletariat, feine Scheu hält es ab, die Hand nach dem Reste der Volkskraft auszustrecken um der Masse das letzte Mark auszusaugen.

Ein Schaeffle spricht es aus: Wer heute Millionär wird, streift mit dem Aermel das Zuchthaus. Der Betrug, der Schwindel, die Waarenfälschung ist eine Wissenschaft geworden, das Verzeichniß der landläufigen Sophistikationen" der gewerblichen Erzeugnisse füllt zwei starke Bände. Und

blieben immer auf ihn gerichtet. Er bemerkte es nicht, denn er sah zu Boden. Ganz zusammengesunken saß er da. Er war in den letzten Stunden sehr, sehr alt geworden. Der Korporal zwirbelte an seinem Schnurrbart, fah Sie bemerkte es wohl und dennoch regte sich in ihr bald den Müller, bald den Verwundeten an und sann kein Mitleid mit ihm. darüber nach, was er noch fragen sollte. Es fiel ihm nichts

ein und so dachte er, daß er dem Herrn Landrichter Be- hat sich fortgemacht," begann er nach einer Weile und hob Wenn der Ambros nur Deinem Rath gefolgt ist und gebenen und ein Theil der Leute folgte seinem Beispiel. Dein Name ist in dem Handel nicht genannt worden, foll's richt erstatten würde. Er entfernte sich mit seinen Unter- die Augen zu ihr auf. Die Landjäger waren da. Aber Andere blieben noch zurück und wollten das traurige Er- auch nicht werden." die größte Aufregung, und der Korporal mußte nachdrücklich für ihre nachbarliche Theilnahme und bat sie, ihn allein zu dacht, daß der Schimpf, den Jerg ihr angethan, in die Die Bestätigung durch Arigaya versetzte die Leute in eigniß mit dem Alten durchsprechen. Aber er dankte ihnen Ruhe gebieten. Der Müller schaute sich langsam um lassen. Da gingen auch sie. und mit festerer Stimme sagte er, mehr zu dem Führer Es war Nacht geworden, als sich der Alte von dem Er sah ihre Aufregung und suchte sie mit der Versicherung der Landjäger sprechend: Schemel am Fußende des Bettes erhob und wieder in die zu beruhigen, daß von ihm Niemand Näheres über den " Ihr wißt ja, wie es geht, wann zwei junge Leut' Wohnstube ging. Hier brannte ein Licht auf dem Tische, Streit erfahren würde. einen heimlichen Span auf einander haben: da hat jedes der sich noch in demselben Zustand befand, wie Afra ihn

Sie zuckte zusammen. Daran hatte sie noch nicht ge­Deffentlichkeit gezerrt werden könnte. Sie wurde noch blässer.

Wort doppelte Schneid' und gleich giebt's ein Raufen. Ich zum Abendessen gedeckt hatte. Das Licht mußte lange nicht D, Du bist so gut," stammelte Afra und zu ihm tretend hab' sie nicht auseinander halten können. Es war ein un- geputzt worden sein, denn es hatte eine lange Schnuppe, die fuhr sie fort:" Der Jerg hat in seiner Giftigkeit mehr glücklicher Schlag, den der Ambros mit dem Schemel ge- mit einem glühenden Knopf aus der trüben Flamme ragte. gered't, als er vor Gott verantworten kann. Glaub's mir führt hat. Aber der Jerg hatte ein Messer zu fassen ge- Afra saß neben dem Uhrgehäuse, an das sie den Kopf ge- doch ja! Du sollst alles wissen." Er wollte ihr wehren, friegt." lehnt hatte. Ihr Mann gewahrte sie erst, als er das Licht denn was konnte sie ihm sagen, was er nicht schon er Der Korporal war dadurch nicht befriedigt. Er wollte ergriff, um nach der Zeit zu sehen. Ihre Augen waren mit rathen hatte? wissen, worüber Beide in Streit gerathen wären. Der einer unheimlichen Starrheit auf ihn gerichtet. Er nickte zu ihrem Geständniß traurig mit dem Kopse Müller zögerte mit der Antwort. Vor drei Stunden kann er nicht da sein," fenfzte er, und sagte leise:" Es hat freilich so kommen müssen. Armes Da rief einer von den Anwesenden: Lasset doch den das Licht wegstellend und ließ sich auf der Ofenbank nieder. Weib!" alten Mann in Frieden! Es weiß ja jedes Kind, daß Da traf sein Blick das Messer, welches Jerg entfallen war. es von wegen des Klosterhofs gewesen ist, den der Das Licht spiegelte sich in der Klinge. Jerg da hat erheirathen wollen. Wenn mir Einer mein Erbe hinterrücks wegschnappen wollte, ich verſtünd' auch feinen Spaß."

Ach, das ist ein großes Unglück für uns Alle," mur­melte er, und schob das Messer mit dem Fuße unter die Ofenbank.

Da kamen ihr die Thränen. Sie warf sich neben ihm auf die Ofenbank und schluchzte an seiner Schulter. Er ließ sie eine Zeit lang ungestört weinen; dann sagte er mit einem Seufzer:" Ich hab's gut mit Dir gemeint, als ich Dich zu meiner Frau machte, aber der Mensch soll nicht klüger

Ein zustimmendes Gemurmel erhob sich und der Afra schwieg, doch ihre großen schwarzen Augen sein wollen als unser Herrgott. Gleich gehört zu Gleich.