Nr. 310 44.Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Der Tote von Arensdorf.
Sonntag, 3. Juli 1927
In Erfner weht das schwarzrotgoldene Tuch auf Halbmast.| Liedes vom guten Kameraden erreicht die Spitze den Schulplatz, wo In den Straßen bewegt sich stumm eine große Trauergemeinde... bereits eine unübersehbare Menschenmenge wartet. Vor dem Sarg Der von fanatischen Gegnern in Arensdorf erschossene Reichs- fizen die gebrochenen Eltern, figen die nächsten Verwandten. Mühbannerkamerad Tiege wird zur letzten Ruhe geleitet. Draußen auf sam werden Tränen der Trauer und der ohnmächtigen Wut zurückdem Schulplatz ist es feierlich still. Nur flüsternd werden Worte gehalten. Die Behörden sind vertreten: Aus Frankfurt sind ergewechselt. Unbeweglich steht die Ehrenwache des Reichsbanners.tels und Landr at Breuer. Die Behörde Erfner hat ihren Kränze, prächtige Blumen schmücken mit roten und schwarzrotgoldenen Schleifen den Sarg, der unter dem Blumenhügel fast ver= schwindet. Vom Schulhause weht die Flagge auf Halbmast. In der Stadt: Ueberall Zeichen der Trauer.
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Am Bahnhof staut sich die Menge der eintreffenden Kameraden. Und immer wieder werden Kränze gebracht. Bis weit auf die Woltersdorfer Chaussee nehmen die Kolonnen der republikanischen Schußtruppe Aufstellung. Erst in der siebenten Abendstunde fann fich der gewaltige Zug der gewaltigste, den Erkner , je gesehen hat langsam in Bewegung sezen. Boran das Tambourforps. Das Gaubanner mit dem Gauvorstand folgen. Und dann die Kranzdeputationen. Es führte zu weit, wollte man hier alle nennen: Jede Kameradschaft hat Blumen geschickt, rot leuchtet dazwischen die Schleife der Brandenburger Parteiorganisation auf. Redaktion und Verlag Vorwärts" haben Rosen gesandt, auf deren roten und schwarzrotgoldenen Schleife zu lesen ist:
„ Senten sich am Grab die Fahnen, Wollen Hand in Hand wir treffen, Wollen Herz in Herz wir mahnen: Weiter fämpfen, nie vergessen."
In einem Auto werden die verwundeten Kameraden, die mit dabei waren, als die Faschistenkugel aus dem Hinterhalt das Herz unseres jungen Mitkämpfers zerriß, mitgeführt. Mit Klängen des
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Gemeindevorsteher Lübkes entsandt.
Sängergruß ertönt flagend im grünen Hain , während das umflorte Gaubanner sich zu Häupten des Toten sentt. Immer noch marschieren die Massen auf. Reichsbanner, Partei, Arbeiterjugend und der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten . Auch die Stadt der Bundesleitung des Reichsbanners, Magdeburg , hat eine Fahnendelegation entsandt. Höltermann vertritt den Bundesvorstand. Einen Ehrenplay nimmt der prächtige Kranz des Bundesvorstandes auf dem Sarge ein. Kamerad Bauer spricht kurze Begrüßungsworte. Erschütternd der Augenblick, wo er im Auftrage eines Arensdorfer Einwohners einen schlichten Rosenkranz auf den Sarg niederlegt. Erschütternd wirkt es und löst wilden Broteststurm aus, als er mitteilt, daß sich unsere Gegner nicht gescheut haben, dem Vater des Ermordeten am Tage der Beisegung
einen Schmähbrief übelster Art
gespickt mit Zeitungsausschnitten rechtsstehender Zeitungen ins Haus zu schicken.
Senatspräsident Großmann betritt die schwarz dekorierte Rednertribüne. Er erinnert einleitend an Rathenaus Tod. Kamerad Tieg war fein Führer wie jener große Deutsche, konnte es nicht sein, da er werdender Mensch war. Sein gewaltsamer Tod hat die Republik ähnlich erschüttert wie in den Junitagen 1922, als Rathenau die Mörderfugel traf. Auf deutscher Landstraße, unter den Farben der deutschen Republik hat Tieß die Mordkugel erreicht. Sein Tod bildet nur ein Glied in der Kette jener Märtyrer,
vor an dieser Stelle gestanden) ,,, statt dessen hat man mich gekündigt."
die bereits früher ihr Leben für die demokratische Staatsform lassen mußten. Was ihn ereilt hat, konnte jeden treffen, was ihn ereilt hat, kann jeden treffen. Scharfe Worte findet Großmann für den Parteimißbrauch, der nicht einmal vor der Majestät des Todes Halt macht. Der teure Tote mahnt aus dem Grabe:
Republikaner, erobert die Republik , damit sie republikanisch werde.
Für den Bundesvorstand spricht Höltermann Worte des Abschieds und überbringt die Anteilnahme der Auslandsgruppen des Reichsbanners aus Amsterdam , Lissabon , Chikago, Buenos Aires und New York . Dank dem Ermordeten für seine Pflichterfüllung, so ruft Höltermann aus, Fluch dem Mörderdorf. Noch einmal bieten wir die Hand zum Frieden. Bleibt unsere Hand leer, dann möge das Blut des Gemordeten, dann möge das Blut der Gemordeten über jene tommen, die Haß säen und den Totschlag preisen. Friede oder Kampf: Unsere Gegner mögen wählen! Der Truggesang Tord Foleson ertönt. Noch einmal spielen die Kameraden das Abschiedslied. Feiner Regen geht hernieder, als acht Reichsbannerleute den Sarg Karl Tieges auf ihre Schultern heben.
Der Trauerzug.
Der Trauerwirbel ist verflungen. Aus dem von jungem frischen Grün umgebenen Platz wird der junge Kämpfer von seinen Kameraden zum Leichenwagen getragen. Von den Häusern rings um den Plaz grüßen noch einmal die umflorten Banner. Die Starrheit in der Trauergemeinde löst sich. Ohne Kommando treten die Kameraden in Reih und Glied. Eine Kapelle intoniert:„ Ich hatt' einen Kametaden". Unter den vielen das Banner der Gewerkschaften, der Allgemeinen Ortsfrankenkasse und das Banner aus der Gründungsstadt des Reichsbanners, aus Magdeburg . In langer Reihe marschieren die Fahnendelegationen an dem toten Kameraden vorbei und treten an die Spitze des Zuges. Hundert, zweihundert, wer mill sie zählen, die letzten Zeichen der brüderlichen Treue. Hinter den Fahnendelegationen folgen die Kranzabordnungen. Die letzten Worte, die auf den Schleifen der Kränze an den toten Kameraden gerichtet sind, zeugen wie das Fahnenmeer von der Treue. Einer für alle, alle für einen. Inschrift auf Inschrift zeugt davon, daß diese feige Mordtat die Reihen der Reichsbanneriameraden fester geschlossen hat, zeigt aber auch die innere Wut aller, daß immer wieder einer der Ihren auf der Walstatt des politischen Kampfes als Opfer bleiben muß. Dumpfer Trommelwirbel erfüllt die stillen Straßen Erfners. Auf dem Platz bleiben hunderte, tausende zurück, die auf dem zu fleinen Kirchhof nicht folgen fönnen. Ueberall in den Straßen, an den Plägen steht die Bevölkerung Ertners, stehen die herbeigeeilter Republikaner, die Volksgenossen aus der ganzen Mart Brandenburg, vor allem aus Frankfurt a. d. D. Sie empfinden für das Reichsbanner, das grundsäglich den politischen Mord bekämpft, und mit geballter Faust und trotzigen Mienen wieder einem ihrer Kame= raden letztes Geleit geben muß. In den Straßen vor dem Friedhof fommt der Zug nur noch langsam voran. Die Bevölkerung will dem
Toten die letzten Ehren erweisen. Dichtgedrängt sind die Bürgersteige von der harrenden Menge besetzt. Aus dem feinen Regen, der beim Anmarsch des Trauerzuges einsetzte, ist längst ein Gewitterregen geworden. Doch unbeirrt steht diese ergriffene Trauergemeinde ant Straßenrande und wartet mit dem Hut in der Hand auf den Toten.
Am Grabe.
Der Zug ist an dem stillen Friedhof angelangt. Von fern flingen die Trauer- und Kampfweisen der abziehenden Kameraden herüber. Durch ein Spalier der gesenkten Fahnen wird der Sarg zur Gruft gebracht. Die Hinterbliebenen, Mutter, Vater und Geschwister, werden durch Pfarrer Franke zur Gruft geleitet. Aus dem Herzen der tiefgebeugten Mutter flagen beim Anblick der offenen Gruft schmerzzerissene Worte. Hätte der Mörder sie nur gehört oder einer der Führer der Rechtsparteien, die angesichts der
3u stark für dies Leben. eigend beobachtet und in Unkenntnis meiner Lage mir Hermann die Tagesereignisse gern und lebhaft besprochen-
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Von Jwan Heilbut.
Am nächsten Tage mußte Grahl statt fertiger Arbeit die Erklärung abgeben, daß er in einigen Tagen bestimmt alle von ihm geführten Konten zum Abschluß gebracht haben würde. Nicht lange nachdem diese Mitteilung seinerfeits geschehen war, befahl ihm der Personalchef Karst , sich unverzüglich in eine andere Abteilung, das Revisionsbureau, zu begeben. Der Dienst dieses Ressorts bestand darin, die Arbeit der Kontenführer zu prüfen, ihre Fehler zu finden und richtig zustellen. Zwar erforderte diese kontrollierende Tätigkeit Ausdauer und ein gewisses Talent, das mit dem Spürsinn zu tun hat aber dennoch wurden die Posten dort meist mit jungen Angestellten und Kontoristinnen besetzt, deren Monats gehälter einem der niedersten Sätze des Angestelltentarifs entsprachen. Kaum hatte Grahl seinen Dienst in dieser Abteilung begonnen, als der Lehrling Menzel den Raum betrat, um ein verschlossenes Kuvert auf seinen Platz zu legen. Grahl öffnete und fand nun in deutlichen Worten die Begründung zu feiner Entlassung ausgesprochen dies war die Antwort auf die gestern erfolgte Eingabe des Ausschusses. Als Grahl jenes Wort, das, alles in einem, den Grund zur Entlassung aussprach, las suchte er tastend nach einem Halt. Im übrigen wurde ihm dringend geraten, freiwillig aus diesem unerquicklichen Dienstverhältnis auszuscheiden, das, je weiter er es in die Länge zu dehnen versuche, desto mehr an Schaden ihm bringen würde. Das Wort, die Begründung, hieß: Unfähigkeit.
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Wäre Grahl seiner ersten Regung gefolgt, hätte er sich um eine Unterredung mit Karst oder gar mit Winter bemüht. Aber gewarnt durch den letzten Bescheid, den er von Winter hatte entgegennehmen müssen, hielt er sich fest vor dem Pult, und es gelang ihm notdürftig, sich zu seiner neuen Arbeit zu sammeln. Als die Kontorzeit vorüber war, begab er sich eilig zur Post, um dort einen Brief, einen schmerzerfüllten Protest, aufzusehen. Später strich er die innerlichst gefühlten Worte heraus und als er das Schreiben in sauberer Abschrift, an einem der Schalter gegen Quittung aufgab, da war es ein fachlich gestraffter Widerspruch. Man hätte mir eine Frist zur Verfügung stellen sollen," schrieb Grahl, zum Beweisen, daß das Nachlassen meiner Arbeitskraft nur auf äußere Einflüsse ohne Dauer zurückzuführen war. Man hätte mit mir verhandeln sollen"( das Wort„ menschlich handeln" hatte zu
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Er merkte es wohl an dem nächsten wie an allen folgenden Tagen: Von seinen Vorgesetzten als Arbeitskraft völlig verachtet, ward er von seinen Kollegen im Rücken verspottet. Diese seltsamen Kreaturen, die ihn so lange als arbeitsamen, rechtschaffenen Buchhalter kannten, schoben die Oberzähne über die Unterlippe, fast bis aufs Kinn, als wollten sie sagen: Du Verräter der Firma, der gegen die Autorität opponiert, hebe dich fort, wir haben mit dir nichts zu tun. Der Einzige, der ihn freundlich ansprach, war Uri. Sie waren während einiger Jahre Pultgenossen gewesen.
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Der Leiter der Revisionsabteilung war Baaß, derselbe, der im Ausschuß für Grahl gegen seine Entlassung gehandelt hatte. Aber nun erschien dem biederen Manne die Stellung, in die er sich selber begeben hatte, nicht mehr ungefährlich auch war ihm vielleicht von höherer Stelle die Initiative, die er jetzt ergriff, nahegelegt. Er besah sich öfters am Tage seinen Revisionsangestellten Grahl, indem er sich mit der roten, fleischigen Hand über den goldblonden Borstenschnurrbart strich. Und endlich erklärte er Grahl- erbrauchte zu dieser Erklärung sechs Worte: er wisse mit ihm nichts anzufangen.
Ueber diese Erklärung war Grahl so verdugt, daß er die Augenlider zusammenzog, als blinzelte er gegen Rauch. Er fragte seinen Ausschußkollegen nach dem Anlaß, den er zu solchen Worten gegeben; und er erfuhr, daß er, Jakob Grahl, der Arbeit, die man ihm gab, sich augenscheinlich durchaus nicht gewachsen zeigte.
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,, Erledige ich nicht, was man mir zu erledigen gibt?" ,, Schon recht," sagte Baaß und rieb mit dem Zeigefinger über den Borst unter der Nase aber man fann Ihnen leider nur wenig geben. Sie arbeiten langsam, Herr Grahl," Unfähigkeit! sagte Grahl für sich, obgleich er wußte, daß Baaß all dies sagte, um ihn aus irgendeinem Grunde, den er nicht kannte, zu verderben. Er biß die Zähne gegeneinander und machte jene Bewegung zur Brille, wie um sie beffer vors Auge zu setzen und schwieg.
Was fümmert mich dies, sagte er sich später, mir bleibt mein Mandat, das mich schützt. Er war entschlossen, in diesem Kampfe nicht nachzugeben. Ich sehe teine Veranlassung, dachte er in faltem Trok, mich aus freien Stücken auf die Straße zu sehen. Ermordet mich und schafft mich hinaus... lebendig bringt ihr mich nicht vor die Türe.
Aber während dieser Zeit schweigenden Kampfes wurde
er äußerlich und auch innerlich anders. Hatte er früher mit so saß er jetzt schweigend, bleich, mit aufgemälztem Stirnbein und verdeckten Augen seinen Kindern gegenüber beim Abendbrot. Sie dachten, es wäre das Unglück der Mutter, das seine Gestalt so mager erscheinen ließ. Und in Wirklichkeit- war es nicht dies? Ja, auch dies. Mitunter meinte er nachdenklich bei sich selber, daß diese beiden Kümmernisse auf einmal nicht ohne heilsamen Vorteil wären, da dem einen Kummer, sobald er stärker zum Herzen vorstieß, der andere zur Ablösung fam.
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3wei Tage später aber, als Baaß seiner Unzufriedenheit Ausdruck gegeben hatte, wurde Grahl auch von dem neuen Posten im Revisionsbureau enthoben und in die Paketannahme versetzt. Er übernahm dort den Posten eines Herrn, der an diesem Tage aus unbekanntem Grunde nicht wieder zur Arbeit erschienen war. Grahls Tätigkeit war mit einigen Boten zusammen, die sehr verwundert waren, den Herrn Buchhalter Grahl, den sie noch vor kurzem mit tiefgezogener Müze gegrüßt hatten, nun als ihresgleichen beim Quittieren, Sortieren und bei der Verteilung eingehender Bakete zu sehen. Er selber fand diese Verwunderung seiner neuen Kollegen natürlich, und er behandelte sie mit der gleichen Achtung, die er nicht nur für Menschen, sondern vielmehr für jedes lebende Wesen empfand.
Wenn er abends über die dunklen Straßen den Heimweg ging, wagte er es, seine Mienen abzuspannen, und sein über den Tag aufrecht getragenen Körper gab sich nun Erschlaffung hin. Seine Lider lagen schwer über dem trostlosen Blick; seine Mundwinkel, von dem struppigen Schnurrbart wirr überhangen, waren tief bis ins Kinn gefurcht. Es war in solchen Augenblicken ein Ausdruck des Grams schon vermischt mit den Mienen verächtlicher Gleichgültigkeit- Gleichgültigkeit gegen die flackernden Blicke, den hizigen Atem der Welt.
Einmal traf er am Ausgang mit Uri zusammen. Sie gingen ein Stück des Weges miteinander. Uri erzählte, der erste Nachfolger Grahls auf dem Konto MR" sei schon am dritten Tage an ein anderes Pult zu anderer Arbeit versetzt worden. Der nächste aber, ein junger Mann, der sich viel auf seine Gewandtheit zugute tathatte während eines einzigen Tages des Amtes gewaltet, um am nächsten und allen folgenden Tagen überhaupt nicht mehr im Hause sichtbar zu werden. Er zog es vor, mit gutem Mut eine Stellung bei einer anderen Firma zu suchen. Das Konto MR" hatte seitdem den Namen erhalten: Konto Ueber die Kraft".
( Fortseßung folgt.)