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Dienstag

5. Juli 1927

Unterhaltung und Wissen

Die Rache.

Bon Salamon Dembiger.

In später Nacht ist es mir eingefallen, mein Zimmerchen zu verlassen und in den schmalen Gassen der großen, fremden Stadt herumzuspazieren, wo ich mich schon einige Wochen aufhielt in der Meinung, hier lebe die phlegmatischste Menschenrasse, der ich je be­gegnet sei.

Die Nacht war unheimlich dunkel, leuchtende Laternen zeigten den Weg. Es war sehr still und etwas schaurig. Alles ringsum schlief in einem Fenster sah man noch Licht irgendwo weinte

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ein Kind!

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Gehend dachte ich, daß in allen Ländern, wo Städte und Gaffen find, Menschen wohnen, Menschen, die ihre Energie darauf ver. menden, das bißchen elende Leben zu Ende zu bringen und manch­mal, in höchfter Berzweiflung und Sorge fommt eine Minute, da sie sich vielleicht fragen: wozu das alles?!! Aber diese Fragen nüzen nichts. Sie sind schon so oft gestellt worden! Was soll man tun? Man muß weiterleben, darben und hoffen.

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Ich war vielleicht eine Viertelstunde gegangen, als mich plötzlich ein Husten aus meinen Gedanken riß. Ich drehte mich um, fonnte aber nichts sehen, so finster war es. Bei diesem Haus muß jemand stehen, hatte ich das sichere Gefühl! Ich zündete mir eine Zigarette an und bemerkte beim Schein des Streichholzes einen auffallend blaffen Mann in den dreißiger Jahren. Er stand in den Winkel eines Hausflurs gepreßt. Merkwürdig erschrockene Augen schauten mich an.

Einen Moment sind mir schaurige Geschichten von Ueberfällen eingefallen; aber ich habe mit aller Kraft die Gedanken daran unter­drückt und sagte:

,, Entschuldigen Sie, wie spät wird es jetzt wohl sein? Schade, daß alle Kaffeehäuser in der Stadt schon geschlossen sind! Wenn man nicht schlafen fann, muß man in dieser Finsternis herumlaufen!" Eine matte, durchaus feine Stimme hat mir hastig geantwortet: ,, Sie können auch nicht schlafen? ich kann auch nicht schlafen! alle Menschen können nicht schlafen!

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Oder glauben Sie, daß die

da oben in ihren Stübchen schlafen können?

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Wissen Sie, was die

jegt tun? Sie zanfen fich, oder betrügen und belügen sich, wachend

oder im Traum! Ist das nicht dasselbe?!"

Mein Herz klopfte unruhig

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mir und mahnte mich zur Vorsicht.

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,, ein Berrückter!" dachte ich bei

Ja," antwortete ich dann gezwungen füßlich ,,, Sie haben recht, mirklich Sie haben recht! aber wiffen Sie vielleicht den nächsten Weg zur Hauptstraße?"-

Er hatte sicherlich bemerkt, daß mir seine sonderbare Antwort menig gefiel und daß ich die Absicht hatte, fortzulaufen. Vielleicht be. gann er deshalb jeßt fo langsam und refigniert zu reden:

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PI

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Wenn Sie wollen, werde ich Sie dorthin bringen. Aber es ist boch jetzt alles geschlossen! Folgern Sie bitte nicht aus meinen haftigen Reden, daß ich möglicherweise im Kopf nicht richtig bin. Uebrigens vielleicht bin ich es wirklich nicht! Wer weiß?! Aber menn Sie mir einen Gefallen tun wollen Sie haben ja Zeit! Bielleicht können Sie mir auch einen Rat geben! Ich werde ihn befolgen, auf Ehrenmort, das werde ich tun! Schon wochenlang fuche ich einen Menschen, der mir einen Rat geben soll. Sagen Sie, sehen Gie dort gegenüber das Meine, leuchtende Fensterchen, dort im zmeiten Stod, wo der halbe Borhang weggezogen ist fehen Sie es schon? Dort wohnt mein Unglüc unterbrechen Sie mich nicht! Haben Sie feine Angst! Ich bin nicht verrückt! manchmal münsche ich es zwar, es zu werden! Aber man mird es nicht man mind es nicht! Sie heißt Mathilde, mein Unglück nämlich und ich liebe ihr Fleisch! Mein Gott, marum soll man Fleisch nicht lieben fönnen?- Sie ist meine Frau! und seit einer Stunde habe ich nun von diesem Platz beobachtet, daß sie von einer Untreue zurüdgefehrt und in unfer Heim hinaufgegangen ist. Bor zwei Jahren, als ich sie zum ersten Mal dabei erwischte, habe ich sie von meiner Tür gejagt wie einen Hund! Wissen Sie, was nachher geschah? Ich habe mich gesehnt, ich habe geschrien zu Gott und fonnte nicht leben und sterben, bis ich sie nach langem Suchen fand und auf den Knien gebeten habe, zurüd­zutommen! Und ich habe das Bersprechen geben müssen, daß sie tum und lassen fann, was sie will! Ja! dies Versprechen mußte ich ihr geben! Und seit dieser Zeit habe ich keine Ruhe mehr erwische ich fie mieder bei einer Untreue, dann flehe ich nur und weine, aber ich habe Angst, irgendetwas zu tun ich habe Angst, daß sie mich wieder verläßt und ich mich im Bett herumwälze-! Als sie heute nacht um zwei Uhr wieder nicht zu Hause war, hielt ich es nicht aus und ging hier herunter und hier, wo Sie mich jetzt sehen martete. Vor einer halben Stunde ist sie nach Hause gekommen ich sah sie schon von weitem. Nun zieht sie sich gewiß dort oben aus! Was ich tun werde?- Gar nichts! Uebrigens ich habe hier einen Stein in der Tasche, sehen Sie, würden Sie mir nicht raten, ihn hin­aufzuschmeißen? Er wird sicherlich die Scheiben zerbrechen, Möbel beschädigen und vielleicht sie treffen. Aber was schadet das? Sie wird ja nicht wissen, wer es getan hat! Woher soll sie es wissen? Und etwas muß man doch tun, nicht? Sie raten mir nicht dazu? Aber ich tue es trotzdem sehen Sie!"

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Eine Sefunde später hatte ein mächtiger Knall das Mirrende Fensterscheibchen ausgeschlagen! Der Schrei einer entfeßten Frauen stimme erſcholl.-

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Gleichzeitig wurden von allen Seiten Fenster aufgerissen ber­schlafene Menschen haben ihre Laternchen angezündet haftige Schritte flangen von weitem.

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Später fand ich mich in einer anderen Straße wieder und be­merkte, wie die Nacht langsam verschwand. Der Himmel wurde grauer, und wieder stieg ein neuer Tag herauf, mar im Begriff auf diese elende Welt zu kommen, für die es schon höchste Zeit wäre, daß sie endlich unterginge.-

Was sittenpolizeiliche Akten erzählen.

Bor mir liegt ein dickes Bündel fittenpolizeilicher Aften. Sie erzählen mancherlei von den Irrungen und Wirrungen strauchelnder Menschenfinder, von den Lebensschicksalen der Ausgestoßenen. Wer fittliche Abgründe aufspüren will, der entdeckt sie hier nicht, sondern meist außerhalb der Kreise der Barias der Gesellschaft. Die Dirnen und Halbdirnen, denen wir in diesen Aften begegnen, find feine ge­borenen Prostituierten", sie sind Entgleiste, Berführte, die durch irgendwelche widrigen Lebensumstände aus der gewöhnlichen Lebensbahn hinausgeworfen murden. Sie litten durchweg nur vor­übergehend Schiffbruch, und zwar in Mittelstädten, die der sozialen Entfaltung der Brostitution enge Grenzen steden. Großstädte haben eine förmliche Prostitutionsindustrie. Bestimmte Gruppen non Cafés, Restaurant- und Tanzfaalbefizern hängen hier wirtschaftlich von Prostituierten ab. Bu bestimmten Tages. und Nachtstunden be­herrscht die Prostituierte in den großen Metropolen, menigstens in

ihren verkehrsreichsten, von den Fremden bevölkerten Straßen das Stadtbild. Die Prostituierten erscheinen hier als eine soziale Schicht der Bevölkerung, und die Prostitution tritt als soziale Klaffen erscheinung auf.

Man hat schon versucht, die soziale und wirtschaftliche Bedeutung der Prostitution in bestimmte Ziffern zu fassen. So glaubte der Finanzrat Losch 1904 in einem Vortrag den Aufwand Deutschlands für feile Liebe auf 300 bis 400 Millionen Mart schätzen zu fönnen. Als üble Begleiterscheinung der Prostitution macht sich sofort eine finnlose Brasferei, ein verschwenderischer Berbrauch von schlechten alkoholischen Getränken in zahlreichen Animiertneipen und Cafés bemerkbar. Die Prostitution verseucht weiter in einem ungeheuren Umfange die Gesellschaft mit Geschlechtsfrankheiten.

Beilage des Vorwärts

Interessant ist die Antwort, die die Lüneburger Polizeidirektton am 29. Oftober 1897 auf die Frage der Osnabrücker Polizeiver­maltung gibt: Nach diesseitiger Ansicht fann( je nach den Um­ständen) in dem Annehmen der gebotenen Genußmittel eine Ver­gütung für den Geschlechtsgenuß, also eine Gewerbsunzucht erblickt werden, auch genügt nach diesseitiger Ansicht das gesamte ge­schilderte Berhalten unter Umständen zum Stellen unter Sitten­kontrolle. Praktisch geworden sind derartige Fälle hierselbst noch nicht."

Lüneburg , eine Stadt von 20 000 bis 25 000 Einwohnern, besaß vor der Revolution eine starte Garnison , die natürlich sehr erheblich auf die feruelle Sittlichkeit des weiblichen Geschlechts einwirkte. Namentlich waren die jungen Hausangestellten und Arbeiterfrauen Für die Stellung der Frau in der heutigen Gesellschaft ist die hier in hohem Grade der Verführung durch die vielen unver Existenz der Prostitution von weittragender Bedeutung. Große heirateten Soldaten ausgefeßt. In ganz jungen Jahren gingen die Gruppen der großstädtischen männlichen Bevölkerung stehen in fort- Mädchen oft schon durch viele Hände, verfielen den Geschlechtsfrank­währender Berührung mit Prostituierten. Sie leben sich in die Borheiten und übertrugen diese weiter auf die Soldaten. Dann meldete

Der Deutschnationale.

FLEISCH

ZOLL

KARTOFFEL ZOLL

ZUCKER ZOLL

MECKLENBE

STRELITE

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- Grad' will ich an die Zölle Verfluchtes Pech! da kommt meine Wählerbasis ins Wanken!"

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stellung der zur Ware herabgewürdigten Frau hinein, sie übertragen leicht die aus ganz entseelten geschlechtlichen Beziehungen fließende Mißachtung der Frau auf das ganze weibliche Geschlecht. Die fäuf­liche Liebe ist ein schweres Hemmnis für die Entwicklung des Gleich berechtigungsgedankens von Mann und Weib. Die Prostitution wirft wie ein alles verpestender Sumpf, der durch seinen giftigen Fieberatem weithin alles verseucht vor allem die sozialen Schichten, die diesem Sumpfe zunächst wohnen. Was ganz allge­mein das Lumpenproletariat für das Gesamtproletariat ist, das ist die Prostituierte für die schlecht bezahlten Schichten des weiblichen Geschlechts. Die Beseitigung des Lumpenproletariats bedeutet eine entscheidende soziale und fulturelle Hebung des Proletariats über­haupt. Die Eindämmung der Prostitution ist eine das ganze weib­liche Geschlecht berührende Sache. 3st keine amtlich Entehrte mehr vorhanden, dann ist die Ehre des meiblichen Geschlechts gefestigt.

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Die Prostitution ist also eine soziale Klaffenerscheinung, die im wesentlichen an die Stadt gebunden ist. In der Mittel und Kleinstadt begleitet sie uns natürlich nicht auf allen Wegen und Stegen, aber auch hier ist sie eine dauernde Einrichtung. Die Prosti tutionsindustrie die Dirnenrestaurants und Cafés, die Vermiete rinnen von Dirnenwohnungen, das Zuhälterwesen steckt hier noch in den ersten Anfängen. Das sogenannte" Berhältnis" tritt nur felten auf. In den Akten der Mittel- und Garnisonstadt Lüneburg finden wir nur menige Andeutungen über eingemietete Mädchen. Die Polizeidirektion Osnabrück schildert einmal in einem Schreiben an die Lüneburger Polizeidirektion kurz dieses Verhältniswesen: Nun ist es hier in legter Beit mehrfach vorgekommen, daß Frauens­perfonen, fei es aus Hang zu Bergnügungen, aus Hang zum Ge­schlechtsgenuß oder aus anderen Gründen heute mit diesem, morgen mit jenem Manne ausgehen, Wirtshäuser besuchen und sich von dem jedesmaligen Begleiter mit Bier, Wein, Abendbrot, Theater- und Ronzertbilletts beschenken laffen. Als Gegenleistung erfolgt der Geschlechtsgemuß. Geld oder andere Geschenke werden weder ge­geben noch angenommen. Wir sind im 3meifel darüber, fann in dem Annehmen der gebotenen Genußmittel eine Bergütung für den Geschlechtsgenuß, also eine Gewerbsunzucht, erblickt werden, oder genügt das gesamte geschilderte Verhalten zum Stellen unter Sittentontrolle?"

In diesen Zeilen ist ein sehr aufgelockertes Verhältnismesen" geschildert. Der ständige Wechsel in den Beziehungen zum männ­lichen Geschlecht ist in den durchschnittlichen Verhältnissen" nicht anzutreffen. Es liegen meist längere Bindungen zwischen Mann und Beib in dem Verhältnis" vor. Professionsmäßiger Verkauf des Leibes gegen Entgelt ist hier nicht festzustellen. Das Weib erwirbt seine Eristenz durch berufsmäßige Arbeit, und es vergnügt sich in seinen Mußestunden mit dem Manne, der die Kosten des 2müsements bestreitet. Ein rigoroses Auftreten gegen das Bera hältnismelen hätte die fittenpolizeiliche Kontrolle sehr erweitert und die wirtschaftliche und rechtliche Eristenz ganzer Gruppen junger Mädchen erschüttert.

der Regimentskommandeur die Ansteckung an die Polizeidirektion, und diese ließ das junge leichtsinnige Mädchen untersuchen. Die Freigabe für Geld tam bei diesen Mädchen faum in Frage. Sie standen in fester Stellung, und überschüffige Sinnlichkeit trieb sie in die Arme der Männer.

Großen Anfechtungen waren die Wäscherinnen ausgesetzt, die für die Soldaten und Unteroffiziere muschen. Es waren oft arme jungverheiratete Frauen, die den Zugriffen der Unteroffiziere nicht widerstehen konnten.

In den Tagen der Schüßenfest e tummeln sich in den Mittel­städten zahlreiche Prostituierte auf den Festplägen. Da werden dann von der Polizei Razzias veranstaltet, und die Mädchen, die sich nicht genügend legitimieren können, werden aufgegriffen. Meist werden sie zur Bahn geleitet und abgeschoben. Bei diesen Ver­haftungen ereignen sich häufig Mißgriffe, die auf falsche Denun­ziationen zurückzuführen sind. Deshalb schreibt ein preußischer Ministerialerlaß vom 22. Februar 1899 den fittenpolizeilichen Be­amten vor, sich darauf zu beschränken, die Personalien der Be­schuldigten und der Anzeigenden festzustellen. Eine nicht unter fittenpolizeilicher Kontrolle stehende Frauensperson, die von einer Brivatperson denunziert wird, soll nicht in Gewahrsam gehalten werden, sondern nach Aufnahme einer Verhandlung entlassen werden.

Ein sehr trübes Kapitel in der Sittenpolizei bilden die Den un­ziationen, die bei der Polizeibehörde gegen Frauen und Mädchen einlaufen. Wir lesen da von einer Arbeiterfrau, die von ihrer eigenen Mutter denunziert wurde. Gemiß, diese Frau ist finnlich und leichtfertig; eine berufsmäßige Prostituierte ist sie eigentlich nicht. Sie gibt sich Männern hin, nimmt Geschenke an und sie motiviert diese Hingabe mit den Worten: Weil mein Mann mich vernachlässigt, und ich dem Reiz nicht widerstehen kann." Männer, die genau das Borleben ihrer Frauen vor der Ehe fannten, denunzieren diese nachher der Polizei. Da bezichtigt weiter ein Liebhaber seine frühere Braut, mit der er sich überworfen hat, der Unzucht, da denunziert ein Soldat sein Mädchen, das er zum feruellen Verkehr verleitet hat. Diese Denunziationen schließen einen wahren Abgrund sittlicher Verwahrlosung und Ver­tommenheit auf. Man stelle sich vor, welches Unheil sich an dieje Angebereien fnüpfen kann, wenn diese nicht als falsch und als Racheafte sofort festgestellt werden können. Sie fönnen das Schick­sal eines Mädchen entscheiden. Und diese Entscheidung liegt oft in den Händern von Männern, die kein Verständnis für die sozialen Ursachen der Prostitution haben. Schon aus diesem Grunde müßte die Aufhebung der sittenpolizeilichen Kontrolle gefordert werden.

Der preußische Minister des Innern war sich schon 1899 über die fittlichen Gefahren im flaren, die eine Handhabung der Sitten­polizei durch nicht hinlänglich qualifizierte Beamten in sich schließt. Er forderte in einem Runderlaß vom 22. Februar 1899 die sorg­fältigste Auswahl der Erefutivbeamten der Sittenpolizei. Nur ältere, unbedingt zuverlässige Beamte sollen zur Handhabung der fittenpolizeilichen Maßnahmen verwendet werden. Aber mit dieser halben Berordnung fonnte der Minister den Fehlgriffen der Sitten­polizei feineswegs steuern, denn sie liegen im Wesen dieses Insti­tuts felbft.

Die Stadt Lüneburg hatte am Beginn des zwanzigsten Jahr­hunderts ein System der Kasernierung der Prostitution. Die Aus­übung der Prostitution war an bestimmte Häuser gefnüpft, die sich im Besige von zwei oder drei Kontrolldirnen befanden.

Bon Zeit zu Zeit laufen bei dem Bürgermeister und der Polizei­verwaltung Lüneburgs Bejuche von Bordellbesitzern und befize­rinnen ein, die hier öffentliche Häuser aufmachen wollen. In einem dieser Gesuche heißt es einmal meds Hebung der fitt lichen Ordnung". Von der sittlichen Ordnung" erwartet der ehrfame Bürger natürlich einen weitgehenden Schuß vor der An­steckung mit Geschlechtsfrankheiten. So beflagt sich einmal ein Ge fchäftsmann über eine erfolgte Infektion in den von der Stadt geduldeten Brostituiertenhäusern mit den Worten: Ich bin Lüne­ burger Geschäftsmann und verheiratet, aber gezwungen, zu solchen Weibern zu gehen."

In der Prostitutionsstatistik Lüneburgs fällt direkt die Zahl der verheirateten Frauen auf, die der fittenpolizeilichen Aufsicht unter­stellt sind. Im Jahre 1892 standen in Lüneburg fünf Frauen unter fittenpolizeilicher Kontrolle. Darunter war nur eine unverehelicht und eine Witwe.

Man kann der Lüneburger Polizei durchaus nicht nachsagen, daß fie schnell und hart gegen die Frauen und Mädchen vorging, die ihr wegen gemerblicher Unzucht denunziert waren. Die Polizeiver­waltung weiß offenbar, wie unheilvoll sich die fittenpolizeiliche Kon­trolle auswirkt. Von einer Frau, der die Preisgabe ihres Körpers für Geld nachgesagt wurde, heißt es einmal, daß von ihrer Stellung unter Sittenfontrolle abgesehen wurde, um ihre völlige Das ist fitttiche Bermahrlosung zu verhindern". wohl die schärffte und treffendste Kritit der Sittenpolizei überhaupt. Und dieser Sittenpolizei fonnte das minderjährige Mädchen ver­fallen.

Das preußische Fürsorgegejez vom 2. Juli 1900 ermöglichte den Behörden die Stellung minderjähriger Mädchen unter Fürsorge­erziehung. An dieses Gefeß erinnerte der preußische Minister des Innern in dem Zirkularerlaß vom 15. Januar 1901 die preußische Regierungspräsidenten. Diese Maßregel wird sich sofern noch Besserung vorhanden ist irgendeine Hoffnung auf empfehlen, als die Stellung solcher Personen unter fittenpolizeiliche Kontrolle

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Ein junges minderjähriges Mädchen hat eine findlich naive Schilderung ihrer jugendlichen, leichtsinnigen Liebesabenteuer den fittenpolizeilichen Akten beigegeben. Sie schreibt unter anderem: " Der Referendar mahnte mich nur zum Guten, trotzdem wir auch intimen Verkehr hatten, wenn auch nur sehr, sehr selten. Daß ich mir eine Wohnung nehmen sollte, war nur, daß wir uns mehr sahen. Er sagtc. fo fönne er seine Arbeiten bei mir machen, wir könnten auch zusammen lesen, turz. mir harmonierten so zusammen, so daß mir die Trennung von ihm fehr schwer geworden ist, und in An­denken an ihn allein, will ich alles hinter mir lassen, ich habe ihm auch nur ein dankbares Andenken."

Wie rührend ist die tiefe Dankbarkeit dieses Mädchens für die Beweise einer gewissen Menschlichkeit, mit der ihr im Leben be­gegnet war. Das Mädchen hat furze Zeit darauf die Stellung eines Hausmädchens angenommen.

Der Kampf gegen die Prostitution jugendlicher Mädchen ist eine Aufgabe der sozialen Fürsorge und Erziehung. nicht aber der reglementierenden Sittenpolizei. Das lehren die Akten der Sittenpolizei selbst. B. R.