Abendausgabe bu
Nr. 31344. Jahrgang Ausgabe B Nr. 154
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10 Pfennig
Dienstag
5. Juli 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Zentrum und Verfassungstag.
Verschleppungsabsichten des Bürgerblocks.
Der sozialdemokratische Antrag, der den 11. August zum gesetzlichen Nationalfeiertag erklären will, macht den gegenwärtigen Regierungsparteien nicht geringes Kopfzerbrechen. Das 3entrum hat zwar früher den gleichen Antrag gestellt, aber heute hat sein rechter Flügel augenscheinlich so großen Einfluß gewonnen, daß man drauf und dran ist, durch Winkelzüge den Antrag zu Fall zu bringen, ihn aber auf jeden Fall für dieses Jahr unwirk sam zu machen.
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Ueber die Haltung der beiden anderen Regierungsparteien, der deutschnationalen und der Volkspartei, spottet das Zentrumsblatt ,, Germania " mit grimmem Humor: ,, Die Deutsch nationalen lehnen den Gedanken eines Verfassungstages überhaupt ab. Sie beweisen damit, daß ihre Stellung zur Verfassung froh Richtlinien und Teilhaberschaft an einer republikanischen Regierung mehr den Charakter äußerlicher Korrettheit als den innerer Wärme trägt. Die Deutsche Boltspartei will den Verfassungstag nur dann mit gesetzlicher Kraft ausstatten, wenn gleichzeitig aus der 18. Januar zum Feiertag erhoben wird. Der Gedanke, den Gründungstag des Kaiserreichs zum Feiertag zu erheben, ist vortrefflich. Er hat nur den einen Fehler, daß er 50 Jahre zu spät. Das Kaiserreich hat seinen Gründungstag niemals amtlich gefeiert. Es ist eine etwas eigenartige Zumutung, der Republik jetzt diese Aufgabe zuzuweisen, die das Kaiserreich zu erledigen nicht für nötig hielt."
Ueber die Haltung der 3entrumsfrattion weiß die ,, Germania " mitzuteilen, daß zwar grundsäglich Uebereinstimmung über die Notwendigkeit bestehe, den Verfassungstag zum gefeßlichen Feiertag zu machen, daß aber die landwirtschaftlichen Kreise Einspruch das gegen erheben, daß ein Wochentag der Erntearbeit entzogen würde, und daß man deshalb damit umgehe, einen Sonntag vor oder nach dem 11. August als Verfassungstag zu bestimmen. Die ,, Germania " selbst versichert als ihre eigene Meinung zwar, daß sie unbedingt dem 11. August den Vorzug gebe, weil der Berfassungsgedanke im Sonntags: trubel untergehe. Indessen hält die Zentrumsfraktion daran fest, den Verfassungsantrag nur in Verbindung mit ihrem eigenen Antrag zu unterstützen, der die christlichen Feiertage reichsgefeßlich schützen und verewigen will.
Die Germania " versichert übrigens im Hinblick auf den Berfassungstag, daß sie von 3wangsmaßnahmen in Dingen, die Gesinnungen und Meinungen berühren", nichts halte. Aber daß durch die reichsgesetzliche Festlegung einer ganzen Reihe katholischer und evangelischer Feiertage auch die Gesinnung und Meinung der nichtchristlichen Bevölkerung durch Zwangsmaßnahmen berührt werden, ist ihr offenbar entgangen. Die Frage des Verfassungstages hat mit der der christlichen Feiertage sachlich gar nichts zu tun. Ihre Zusammenkoppelung kann nur dem Zwecke dienen, einer flaren Entscheidung ausweichen zu können. Dem gleichen Zweck dient auch der ganz undiskutable Vorschlag, statt des 11. August irgendeinen Sonntag als Verfassungsersatz zu bestimmen.
Im Rechtsausschuß des Reichstags gab es heute einen Rampf um den Verfassungstag. Der Ausschuß hatte als dringende Aufgaben bezeichnet, das Gesetz über die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesezen, das Gesetz über die Regelung der Standesherrenangelegenheiten und die gefeßliche Regelung der Feiertage.
Borfizender Kahl wünchte zunächst die Beratung des Gesetzes über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen.
Genoffe Dr. Rosenfeld widersprach und beantragte, zunächst die Frage des Verfassungsfeiertages zu behandeln. Er wies darauf hin, daß der Reichstag sich lächerlich machen würde, wenn er unmittelbar vor dem 11. August in die Ferien ginge, ohne vorher die Frage der gesetzlichen Festlegung dieses Tages als Feiertag zur Entscheidung zu bringen.
Abg. Barth von den Deutschnationalen widersprach dem Vorschlag des Genossen Rosenfeld . Er schloß sich dem Vorschlag des Vorsitzenden Kahl an.
Abg. Schulte führte aus, daß die Zentrumspartei als Verfassungspartei sich zum Verfassungstage betenne. Auch andere Staaten hätten Nationalfeiertage. Es sei eines modernen Staates mit junger verfassungsrechtlicher Gestalt nur würdig, den Verfassungstag zu feiern. Diese Frage müsse jegt geregelt
werden.
Abg. Stöder hielt für wichtiger die Frage der Standesherren. Der fozialdemokratische Antrag, zunächst den Verfaffungsfeierfag zu behandeln, wurde mit den zwölf Stimmen der Sozialdemotraten, Demokraten und des Zentrums gegen die elf Stimmen der Deutschnationalen und Bolkspartei angenommen. Die Kommunisten enthielten sich. Es wurde darauf in die fachliche Beratung eingetreten.
Die Begründung des Antrags.
Zur Begründung des gemeinsamen Antrages der Sozialdemotraten und eDmokraten auf Anerefnnung des 11. August als Feiertages führte Genosse David aus: Am 20. April 1923 bean
tragte die Reichsregierung unter Deser den Entwurf eines Gesetzes über Feiertage und Gedenktage, durch den der 11. August als Verfassungstag zum Nationalfeiertag erklärt werden sollte. Diesen Antrag der damaligen Regierung nimmt unser jeßiger Antrag wieder auf. Der 11. August muß überall als Volksfeiertag gefeiert werden. Auch in Bayern , wo man noch immer davon nichts wissen will. Die Deutschnationalen haben sich jetzt auf den Boden der Verfassung gestellt, wenn es ihnen mit dieser Verfassung ehr lich ist, müssen sie für unseren Antrag eintreten. Durch die Festlegung eines solchen Feiertages würde die Zusammengehörigkeit des ganzen Voltes zum Ausdruck kommen. Auch die Franzosen , Engländer, Amerikaner legen ihren Volksfeiertagen das größte Gewicht bei. Wenn das Zentrum neuerdings beantrage, den Verfassungstag am Sonntag nach dem 11. Auguft zu feiern, so laufe dies auf eine Sabotierung des ganzen Verfassungsfeiertages hinaus, denn der Sonntag sei ohnehin Feiertag. Wie wolle man Schulfeiern am Sonntage veranstalten. Der Verfassungstag habe als Voltsfeiertag nur einen Sinn, wenn er immer an einem bestimmten Tag gefeiert werde, ohne Rücksicht darauf, ob es Sonntag sei. Das Zentrum habe doch früher den 11. August zum Feiertag machen wollen. Es solle sich überlegen, ob der Weg der Weg der Sabotage des Verfassungstages der richtige sei.
Deutschnationaler Sabotageversuch mißglückt.
Nunmehr machten die Deutsch nationalen einen neuen Vorstoß zwecks Verschleppung der Beratung. Sie wiesen darauf hin, daß die Ausschußberatungen nicht genügend vorbereitet seien, daß die Regierung erst noch Material beibringen müsse über die Regelung der Verfassungstage in den verschiedenen Ländern Deutsch
lands und im Auslande.
Abg. Schulte vom Zentrum meinte, zwar in der Begründung den Deutschnationalen nicht in allen Puntten folgen zu können. Wenn aber eine große Partei, mit der seine Freunde in der Koalition seien, den geschäftsordnungsmäßig begründeten Wunsch auf Bertagung aussprächen, so könnten seine Freunde diesem Wunsche nicht entgegenstehen.
Genosse Rosenfeld trat den neuen Verschleppungsversuchen entgegen. Er führte aus, daß vorhin bereits Dr. David gegen das 3entrum den Vorwurf der Sabotage erhoben habe, diesen Vorwurf müsse er jetzt in bezug auf die geschäftsordnungsmäßige Behandlung der Sache wiederholen. Denn wenn das Zentrum ießt sich nicht gegen den Bertagungswunsch der Deutschnationalen erklärt, so laufe sein Verhalten in der Wirkung auf eine Sabotage der Verhandlung hinaus.
Abg. Pfleger( Bayer. Vp.) und Abg. Wunderlich( Dnat.) traten für Bertagung ein.
Abg. Schulte vom Zentrum wies die Vorwürfe des Genossen Rosenfeld zurück, indem er behauptete, daß das Zentrum jeden Gedanken der Berwässerung des Verfassungstages ablehne und auch seinerseits den Verfassungstag wünsche.
Der deutschnationale Antrag auf Aussehung der Berhandlungen und Beibringen weiteren Materials wurde mit den elf Stimmen der Sozialdemokraten, Demokraten und des Abg. Kahl gegen Deutschnationale und Boltspartei( zehn Stimmen) bei Stimmenthaltung des Zentrums und der Kommunisten abgelehnt.
Die Stellungnahme der Parteien.
Abg. Brodauf begründete alsdann für die demokratische Fraktion den Antrag auf Festlegung des 11. August als Feiertag. Der Verfassungstag sei in letzter Zeit sogar durch den Reichs. präsidenten D. Hindenburg anerkannt worden. Dieser Tag werde mehr und mehr zu einem Volksfeiertag und müsse endlich gesetzlich festgelegt werden. Das Zentrum sollte zu seiner früheren Stellung zurückkehren und sich für den sozialdemokratischdemokratischen Antrag erklären.
gemachten Vorwurf der Sabotierung. Solche Absichten beständen Abg. Bell wandte sich gegen den von Abg. David dem Zentrum beim Zentrum nicht. Er persönlich sei für die Anerkennung des 11. August als Feiertag. Man müsse aber Verständnis haben für diejenigen die nicht wollten, daß ein neuer Feiertag mitten in die Ernte fiele, die verhüten wollten, daß der Verfassungstag nur in den Städten gefeiert werde und die deshalb den Vorschlag gemacht hätten, den Sonntag nach dem 11. Auguft zum Verfassungsfeiertag zu erheben.
Die Auslandsanleihe in 5 Minuten dreimal überzeichnet! Die neue Auslandsanleihe der Stadt Berlin ist, wie wir durch eigenen Drahtbericht erfahren, heute morgen um 9,30 Uhr in London zur Zeichnung aufgelegt worden. Die Zeichnung wurde 9,35 Uhr bereits wieder geschlossen, da die Anleihe innerhalb dieser fünf Minuten bereits dreimal überzeichnet war. Dieser Erfolg beweist einmal, wie richtig die Finanzdeputation beraten war, als sie dem Schröder- Rothschild- konzern den Zuschlag erteilte. Sodann aber zeigt sich auch hier wieder, daß keine deutschnationalen Brandreden über Geldverschwendung und uferlose Projektmacherei das Vertrauen in die gesunde Finanzwirtschaft Berlins auch nur im geringften zu erschüttern vermocht haben. Daß vielmehr die durch die Sozialdemokratie im Rathaus in Angriff genommene großzügige Verkehrspolitik den kredit der Stadt noch ganz besonders gefestigt hat.
Es ist nur zu bedauern, daß die Beratungsstelle für Auslandsanleihen bei dieser Sachlage von den geplanten 100 millionen 30 Millionen gestrichen hat, die in erster Linie der Straßenbahn bei ihren diesjährigen Erneuerungs- und Erweiterungsarbeiten fehlen werden. Es bleibt abzuwarten, ob die nun notwendige neue Anleihe zu ähnlich günftigen Bedingungen und mit ähnlichem Erfolge abzuschließen sein wird.
Englischer Militärattaché in Berlin !
Die ganze Einrichtung ist überflüssig. Bericht aus London . In der nächsten Woche treffe dort ein Der Lokal- Anzeiger" veröffentlicht einen überraschenden Prinz Hohenlohe als Militärattaché Ungarns ein. Un einigt, dorthin wieder Militärattachees an ihre diplomatischen garn, Bulgarien , Desterreich und Deutschland hätten sich geVertretungen anzugliedern. England und Italien seien bereits einverstanden, nur Frankreich lehne es ab, Militärattachés der besiegten Staaten zuzulassen.
Der Versailler Vertrag ( Art. 174 Absatz 1) bestimmt: Deutschland verpflichtet sich ,,, nach feinem Lande irgendeine mission des Landheeres, der Seemacht oder der Luftstreitkräfte zu beglaubigen oder zu entsenden oder sie dahin abreisen zu lassen". Man hat diese Bestimmung bisher dahin ausgelegt, daß feine Militärattachés den deutschen diplomatischen Vertretungen beigegeben werden dürften. So haben auch die Allierten"( neben den Kontrolloffizieren) Armeeund Marineoffiziere ihren Botschaften und Gesandschaften in Berlin nicht beigegeben.
Der Gedanke, den Versailler Vertrag einmal daraufhin anzusehen, ob das wirklich drinsteht, was man auf allen Seiten
bisher angenommen hat ,, ist nicht in Berlin entstanden. In London ist die Entdeckung gemacht worden, daß Artikel 179 etwas anderes sage, als man bisher meinte. Dort wird erklärt, dieser Artikel sei nur dahin aufzufassen, daß Deutsch land keine Militärmission in andere Länder senden dürfe, um dort militärische Instruktionen zu erteilen. Der Vertrag erlaube die Beglaubigung von einzelnen deutschen Militär- und Marineattachés. Er verbiete nur, daß Deutschland wie früher und wie später andere Großmächte Missionen in andere Länder entsende, so wie preußische Offiziere nach Japan , Argentinien und der Türkei ( Liman- Sanders ) gegangen sind. Der Wortlaut des Vertrages stimmt mit dieser Auslegung u. E. überein. Die zwischen London und Paris jetzt entstandene Meinungsverschiedenheit stammt offensichtlich daher, daß Frankreich den Vertrag ausdehnend auslegt und die Militärattachés mit in das Verbot der Militärmissionen einbegreifen will, während England jetzt mit einem Male die zutreffendere engere Auslegung entdeckt hat und ihr entsprechend deutsche Militär- und Marineattachés zulassen will, um selber solche nach Berlin senden zu können.
England hat den Wunsch, die normalen Vorkriegsbeziehungen auch zwischen den Militärs wiederherzustellen. Hinter seiner Initiative steht der Gedanke, daß es diplomatisch gegen die Sowjetunion um so stärker dasteht, je mehr die Beziehungen mit den anderen Mächten ausgebaut werden.
Die deutsche Außenpolitik sollte keinerlei Interesse daran eigen, auf die englischen Wünsche einzugehen. Allerdings ist zu bezweifeln, daß die Interessen der auswärtigen Politik wehrministerium hat natürlich persönliches und fachliches sich gegenüber den Gegenkräften durchsetzen. Das ReichsInteresse daran, von den„ Fortschritten der anderen Armeen" Kenntnis zu erhalten. Und die Deutschnationalen werden einen Prestigeerfolg brauchen, um die sonstigen Versager ihrer Außenpolitik vor ihren Wählern zu verdecken. Uns scheint, daß die ganze Einrichtung der Militär- und Marineattachés zum Abbau reif ist. Es darf keine Militärdiplomatie neben der verantwortlichen Politik der Auswärtigen Aemter mehr geben. Gegenseitige Kontrolle der Rüstungen ist nötig. Aber sie darf nicht im geheimen betrieben werden, sondern ist eine öffentliche Angelegenheit des Völkerbundes..
Bon zuständiger Stelle wird betont, daß die Frage des Austausches der Militär- und Marineattachés seit längerer Zeit sich im Stadium der Erwägungen befinde und voraussichtlich sobald nicht zum Abschluß gebracht werden würde.