Abendausgabe
Nr. 315 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 155
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10 Pfennig
Mittwoch
6. Juli 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Militärische Techtelmechtel.
Reichswehroffiziere bei englischen Manövern.
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Italiens Luftfahrtchef in Berlin . Paris , 6. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Das„ Echo de Paris"| rinnt. Mögen die zivilen Schwächlinge der Wilhelmstraße feilt mit: Beim Kriegsminister Painlevé ist ein Bericht des franzö- außenpolitisch Bedenken auf Bedenken häufen, wer teutsch fischen Militärattachés in London eingetroffen, aus dem hervorgeht, fühlt, will seinen Prinzen in London haben. Die Verzichts daß 14 deutsche Offiziere gegenwärtig auf eine Einladung politit ist freilich in die Reihen der Rechten schon tief eingedes englischen Kriegsministeriums hin den englischen Flugzeug- freffen. Ein Teil von ihr will zu ihren geheimsten Wünschen manövern in Henley beiwohnten. Von diesen 14 Offizieren hätten. fich nicht bekennen. Im voraus schiebt es die Schuld, wenns 6 im Laufe des Krieges als Flieger gedient. schief geht und die Sache dumme Konsequenzen hat, auf London ab. Aber mit Rücksicht auf ihre Spießer fönnen sie nicht Front gegen diese törichten militärischen Techtelmechtel machen. So geht eine Schar Reichswehroffiziere nach Henley, um fich Manöver von Militärflugzeugen anzusehen, die die Reichsmehr nicht bauen und nicht haben darf; eine Würdelosigkeit, die unbegreiflich wäre, wenn dahinter nicht der Wunsch stände, sie wiederzubekommen. So merken sie auch nicht, welches Spiel man in London mit ihnen spielt. Man tätschelt sie dort freundlich und zugleich hetzt man den französischen Spießer, gegen den deutschen laut zu bellen.
Das Blatt protestiert gegen diefe Durchbrechung des Artikels 179 des Versailler Friedensvertrages, der der Reichsregierung untersagt, irgendeine Militärmission nach dem Auslande zu fchiden. Diefer Paragraph sei schon durchbrochen worden, als die albanische Angelegenheit durch die Schaffung einer deutsch - franzöfifch- englischen Kontrolle geregelt werden sollte. Damals habe bereits das englische Auswärtige Amt mitgeteilt, daß seiner Ansicht nach Deutschland volle Freiheit habe, Militärattachés zu ernennen.
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Die Mitteilung, daß Reichswehroffiziere an den jährlichen englischen Flugmanövern teilgenommen haben, trifft zu. Es ist das das erstemal der Fall. Es handelt sich dabei nicht, wie das französische Nationalistenblatt behauptet, um eine ständige Mission, das heißt um die Entsendung einer Delegation zu einer fremden Armee, wie sie auch heute noch gerade Frankreich vielfach in militärverbündeten Staaten unterhält. Es handelt sich nur um eine Besichtigungsreise. Die Reichswehr knüpft mit dem englischen Militär offensichtlich ähnlich intime Beziehungen an, wie sie mit dem Militär der Sowjetarmee bereits seit langen Jahren bestehen.
So hat das französische Rechtsblatt unrecht, wenn es den Versailler Vertrag anzieht, um Deutschland etwas anzufreiden, was es selbst in zehnfach stärkerem Maße tut. Dennoch bleibt der Besuch der Reichswehroffiziere eine politische Torheit. Er verschlechtert die deutsch - französische Stimmung, gibt den Nationalisten jenseits des Rheins nur wieder neue Vorwände, um ,, Wachsamkeit" gegen Deutschland zu fordern, um se schärfer auf die Erledigung der Restbagatellen der Entwaffnung zu bestehen, und um damit auch nur eine Verminderung der Besagungstruppen zu hinter treiben. Zugleich spielt die deutsche Reaktion dem englischen Militär in die Hände. Der Lokal- Anzeiger" berichtet über englisches Erstaunen über Berlins Zurückhaltung" in der Frage der Militärattachés. Er greift das Auswärtige Amt an, weil es an die Ernennung von Militärattachés nicht heranwolle. Berlin weiche dem Druck der Linksparteien, wenn es mit Ausreden den englischen Vorschlag ablehne. Da steht Ungarn doch ganz anders da: Es hat die dargebotene Gelegenheit erfaßt, indem es den Prinzen Hohenlohe nach London entsandte."
Ungarns Ruhm läßt die deutschen Spießer nicht schlafen. Nimmer mögen sie es dulden, daß ein Ungar prinzlichen Geblütes den Engländern zeigt, was Rajse ist. Wozu regieren sie in der deutschen Republik denn mit, wenn nicht bald ein deutscher Hohenlohe der englischen Militäraristokratie zeigen darf, daß unter schlichten Reichswehruniformen adliges Blut
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Zugleich mit den Versuchen, mit deutschen Militärs anzubändeln, beginnt in London eine Presseoffensive gegen die Sowjetregierung. Der„ Daily Telegraph " erklärt, die Sowjetregierung sei für eine Gegenrevolution sturmreif". Ihre finanziellen und innerpolitischen Schwierigkeiten nähmen derart zu, daß man mit ihrem Falle rechnen könne. Diese Kampagne richtet sich zugleich gegen Chamberlain, der in Genf erklärte, daß ,, fein europäischer Staatsmann sich von der Vorstellung leiten lasse, daß die Sowjetregierung gestürzt werden könnte".
Daß zugleich mit den englischen Militärs auch die italienischen sich mit allerhand Plänen tragen, ging schon aus der Zustimmung Italiens zu den Militärattachés hervor. Daß ihre Pläne sich insbesondere auf Flugzeuge richten, geht daraus hervor, daß Balbo, der Chef des italienischen Flugzeugwesens, ebenfalls in England war. Er fehrt über Deutsch land nach Italien zurüd. Heute trifft er auf dem Tempel hofer Feld ein. So kommt eine Zusammenarbeit von englischen, italienischen und deutschen Militärs, insbesondere von Fliegeroffizieren, in Gang. Diese Zusammenarbeit hat keine unmittelbaren politischen Konsequenzen. Dennoch hat sie einen Umfang angenommen, der den verantwortlichen Polititern nicht nur Aufmerksamkeit zur Pflicht macht. Sie dürfen es nicht zulassen, daß diese Anfänge der Zusammenarbeit zwischen den Militärs dreier Mächte diese Mächte felbft in eine engere Verbindung bringen. Es darf weder eine Einheitsfront gegen die Sowjetunion geben, noch dürfen die deutsch - französischen Beziehungen belastet werden.
Das entwaffnete Deutschland muß sich von allen militärischen Kombinationen und Spekulationen sorgfältig fernhalten. Es wird sonst zum Spielball stärkerer Mächte. Die deutsche Außenpolitik darf nicht länger tatenlos zusehen. Sie muß sich aktiv gegen die Pläne des Militarismus wehren. Läßt sie sich wie bisher schwächlich mit hineinziehen, so würde sie mitschuldig an der Schädigung der deutschen Interlessen und des europäischen Friedens.
Zollerhöhung und Handelspolitik.
Koalitionsrecht und Strafgesetz.
Fußangeln im neuen Strafrechtsentwurf.
Bon Siegfried Weinberg.
Schon seit den Zeiten der seligen Reichszunftordnung vom Jahre 1731, die das Streifen mit dem Tode bedrohte, galt in Deutschland das Strafrecht als die schneidigste Waffe im Kampfe gegen die Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterschaft und namentlich gegen die Ausübung des Koalitionsrechts, das ja das Hauptkampfmittel der klaffenbewußten Arbeiterschaft ist. Von welchen Gedankengängen die Gegner der Arbeiterschaft hierbei ausgegangen sind, zeigt das bekannte Wort des preußischen Ministers v. Putitamer, wonach hinter jedem Streik die Hydra der Revolution" lauere. Wenn es schließlich auch nicht mehr möglich war, den Arbeitern im 19. Jahrhundert das Koalitionsrecht vorzuenthalten, so verstand man doch, die Ausübung dieses Rechtes mit so viel strafrechtlichen Fallstricken zu umgeben, daß unser Genosse Paul Singer mit Recht im Reichstag davon reden konnte, daß die deutschen Arbeiter das Koalitionsrecht mit dem Galgen daneben" hätten. Den gleichen Gedanken drückte Prof. Lujo Brentano aus, wenn er feststellt, die deutschen Arbeiter haben zwar das Koalitionsrecht, sie werden jedoch bestraft, wenn sie davon Gebrauch machen".
Bei dieser Sachlage ist es selbstverständlich, daß die deutsche Arbeiterschaft, wenn sie an die Prüfung des neuen Strafgefeßentwurfe herantritt, als eine der ersten Fragen zu prüfen hat, inwieweit er geeignet ist, das Koalitionsrecht der Arbeiterschaft einzuengen. Der Prüfung dieser Frage seien die folgenden Zeilen gewidmet.
Das infamste Kampfmittel gegen ehrenwerte für die Verbesserung ihrer Lage fämpfende Arbeiter war unter dem bisher geltenden Strafrecht der Erpressungspara= graph. Der gesunde Instinkt der Bevölkerung wendet sich mit Recht gegen jene unsauberen Gesellen, die ihr schmutziges Erpresserhandwerk betreiben. Jede Verurteilung aus dem Erpressungsparagraphen wurde als infamierend angesehen. Dies wurde anders, seitdem im Jahre 1887 erstmalig ein ehrenwerter Arbeiter wegen Streifandrohung zum Erpresser gestempelt wurde und seitdem sich der= artige Fälle unter Billigung des Reichsgerichts ungezählte Male wiederholt haben, so daß ein Gewerkschaftsführer sich mit Recht darüber beklagen fonnte, daß er infolge des Erpressungsparagraphen bei jeder Verhandlung mit Arbeitgebern immer mit einem Fuße im Gefängnis stehe.
Der Entwurf des neuen Strafgesetzes regelt in§ 339 den Tatbestand der Erpressung, und es soll nicht verkannt werden, daß die Verfasser des Entwurfs offenbar bemüht waren, diesem Paragraphen eine solche Fassung zu geben, daß er auf ehrenwerte, ihr Koalitionsrecht ausübende Arbeiter und ihre Vertreter teine Anwendung finden kann. Als ziemlich belanglos will es mir freilich erscheinen, daß in Zukunft die erpresserische Absicht auf eine„, unrechtmäßige Bereichung" und nicht, wie bisher, auf einen„, unrechtmäßigen Vermögensvorteil" gerichtet sein muß. Bei der gegenwärtigen Dentart unseres Richterstandes würde sich die Praxis sicherlich über die Ausführungen in der amtlichen Begründung, wonach derjenige, der für seine Arbeit den nach seiner Auffassung angemessenen Lohn fordert, nicht in der Absicht unrechtmäßiger Bereicherung handelt, leicht hinwegsetzen. Auch die Einschränkung, daß die Nötigung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung in Zukunft nur dann, wenn sie für das Vermögen des Genötigten oder eines Dritten nachteilig ist, die Strafbarkeit wegen Ertern sicherlich die Feststellung, daß die von den Arbeitnehmern erstrebten Löhne für das Vermögen des Arbeitgebers nachteilig sind, feine Schwierigkeiten bereiten würde. Bon viel größerem Werte ist es jedoch, daß nach dem Entwurf eine Drohung nur dann den Tatbestand der Erpressung verwirklichen kann, wenn sie eine gefährliche" ist, d. h. wenn mit Gewalt, mit einem Verbrechen oder Bergehen, mit einer Strafanzeige oder mit der Offenbarung einer Tatsache, die geeignet ist, den Ruf zu gefährden, gedroht wird. Immerhin würde es auch hiernach für die Verurteilung wegen Erpressung genügen, wenn in einem Arbeitsfampfe mit der Erstattung einer Strafanzeige gegen Verstoßes gegen Arbeiterschußbestimmungen oder mit der Veröffentlichung, daß der bekämpfte Arbeitgeber Hungerlöhne zahlt, gedroht wird.
Schiele begründet die Wucherzölle im Ausschuß.- Unklare Haltung des Zentrums. preffung begründen soll, bietet keinen Schutz, da unseren Rich
Unter großer Beteiligung von Abgeordneten und Regierungsvertretern begann am Mittwochvormittag die Beratung der 3011Dorlage der Reichsregierung im Handelspolitischen Ausschuß des Reichstages. Die Vorlage der Reichsregierung enthält neben der Verlängerung des autonomen Zolltarifes bis zum Jahre 1929 die Erhöhung des Kartoffelzolls, des Zuckerzolls, des Zolls auf Schweinefleisch, während eine besondere Vorlage eine Ermäßigung der Zucker steuer vorsieht. Die Sozialdemokratie hat den Antrag gestellt, die erhöhten Zölle auf Zucker, Schweinefleisch und Kartoffeln a b= zulehnen. Sie tritt ferner ein für die 3ollfreiheit der Futtermittel, wodurch den Kleinbauern viel mehr gedient wäre als durch die Erhöhung des Schweinefleischzolles. Sie ver langt ferner die Ermäßigung des Mehlzolles auf 10,50 M., die zollfreie Einfuhr von Gefrierfleisch resp. die Erhöhung des Kontingents von 120 000 auf 140 000 Tonnen jährlich. Außerdem verlangt sie die völlige Beseitigung der Zuckersteuer.
Die Generalaussprache beginnt mit einer eineinviertelstündigen Obstruktionsrede des Kommunisten Hörnle. Ihm antwortet der Reichslandwirtschaftsminister Schiele. Aehnlich wie in seiner Rede im Plenum des Reichstages behauptet er auch jetzt, daß un= günstige Wirkungen der Zollerhöhungen für die Verbraucher in feiner Weise in Aussicht stehen. Der erhöhte autonome Satz des Mehlzolles werde feine Auswirkung auf den Brotpreis haben, zumal die Regierung alles tun werde, um bei der ersten Gelegenheit zu einem ermäßigten Vertragsfag zu kommen. Die Erhöhung des Kartoffelzolles habe nur für die Teile des deutschen Ostens Bedeutung, wo die ausländische Konfurrenz in Uebermacht sei. Der erhöhte Schweinefleisch 3011 diene der Sicherung des inländischen Verbrauchs durch die einheimische Erzeugung. Dieses Ziel sei zu erreichen, obwohl der Ver
brauch an Fleisch im Jahre 1927 den Friedensverbrauch des Jahres 1913 nahezu erreicht. Das zollfreie Einfuhrkontingent für Gefrierfleisch solle bleiben.
Von den Regierungsparteien ergreift als erster der Zentrums abgeordnete Lammers das Wort. Er weist die Angriffe des Genossen Hilferding zurück, das Zentrum habe sein Versprechen vom Jahre 1925 gebrochen. Man habe nur zugefagt, die ermäßigten 3ollsäge in den nächsten zwei Jahren nicht zu erhöhen. Diese zwei Jahre seien abgelaufen. Infolgedessen habe sich das 3entrum der neuen handelspolitischen Situation gegenüber in voller Freiheit befunden. Bei den nächsten Ausführungen von Lammers, die sich mit der gesamten handelspolitischen Situation Deutschlands befaßten, kommt es bei einer unpassenden Polemik von Lammers gegen die Sozialdemokratie zu heftigen Unterbrechungen Eingangs seiner allgemeinen Betrachtungen gibt Lammers zu, daß der Zeitpunkt der Zollerhöhungen von der Reichsregierung nicht übermäßig glücklich" gewählt sei. Man hätte mit dieser Vorlage ruhig warten können, zumal einige Bestimmungen später erst in Kraft treten. Auch hätte die Prüfung des Abbaues der Industriezölle bereits beendet sein müssen.
Er habe die Besorgnis, daß Deutschlands Handelspolitik gegen über dem Auslande in ein falsches Bild gerückt werde. Bei dem Verhältnis von Agrarzöllen zu den Industriezöllen dürfe man nicht schematisch auf die Friedensbasis zurückgehen. Es sei sehr zweifelhaft, ob das damalige Verhältnis richtig gewesen und heute noch aufrechtzuerhalten sei. Trotz allem tommt aber Lammers zu dem Ergebnis, daß die deutsche Handelspolitik sich in erster Linie davon leiten lassen müsse, was wir für unsere eigene Situation für richtig halten, womit er trotz seines theoretischen Bekenntnisses zur Weltwirtschaftskonferenz zu einer Rechtfertigung der Zollvor lage der Regierung kam.
Die Weiterberatung erfolgt am Donnerstag
stehende Arbeitnehmer und ihre gewerkschaftlichen Vertreter Ein weiteres Kampfmittel gegen im Arbeitskampf war nach dem geltenden Recht der von der öffentlichen Aufforderung zum Ungehorsam gegen Geseze handelnde§ 110 des Strafgesetzbuchs. Wenn aus einer Aeußerung mit Recht oder Unrecht entnommen wurde, daß die Arbeiter aufgefordert werden sollten, ihre Arbeit unter Außerachtlassung der bestehenden Kündigungsfrist niederzulegen, so wurde unter Führung des Reichsgerichts ein Vergehen gegen§ 110 angenommen, da durch ein derartiges Berhalten gleichzeitig die Autorität des Gesetzes mißachtet werde. Strafbestimmung dahin eingeschränkt, daß in Zukunft die Die ursprüngliche Reichstagsvorlage hatte diese Strafbarkeit nur dann eintreten sollte, wenn bei dem Täter die Absicht festgestellt wird, ein Gesez oder eine Verordnung wirkungslos zu machen. Eigentümlicherweise ist nun diese Einschränkung in§ 169 der jetzigen Reichstagsporlage i wieder beseitigt, so daß einer fortiekuna der bisheriaen