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Nr. 316 44.?ahrgang

1. Heilage öes Vorwärts

vonnerstag, 7. �uli 1927

Im Faltboot von Passau nach Wien .

Grau und schäumend rauscht die Donau dahin, crfs wir in der Frühe unser Faltboot besteigen. Das Hochwasser ist in den letzten Tagen noch gestiegen, weit sind die Ufer überschwemmt, nur einige Baumkronen ragen aus dem Wasser.Heut wird's zünfti", meint mein Begleiter und verpackt, gefühlvoll den Walzer von derschönen blauen Donau " pfeifend, ein Wäschebündel in den Gummisack, während ich mit gemischten Empfindungen die schäumenden Wellen- kämme betrachte. Ein paar Paddelschläge, und schon fliegt das leichte Boot in der Strömung dahin. Wellen und Wirbel, teils zart und hell klingend, teils dunkel und gedämpft tönend, schlagen leise an die Gunnnihautwönde. Waldige Höhen, noch mit feinem Nebelgespinst überdeckt, gewaltige Raubritterburgen, Viechtenstein und Krempel st ein, grüßen an den Ufern hernieder. lieber öie Grenze. Da schäumt es plötzlich wild auf: die brausenden Wirbel des Zochenflein«, desösterreichi-schen Loreleiseisens" an dem wir vor- sichtig vorüberfahren. Dann ein kurzer Aufenthall an der öfter- reichischen Grenze, wo freundliche österreichische Zollbeamte Nam' und Art der beiden Wasiervögel feststellen und uns dann mit frohem Scherzwort und vieten guten Wünschen entlassen. Wo die Donau ihre erste gewaltige Schleife zieht, ragt Ruine haichenbach düster aus dunklen Tannen. Wenige Kilometer weiter, und Ruine Rephaus zeichnet sich am Himmel ab. Immer wilder und grandioser werden die Eindrücke, immer steiler und schroffer stürzen die Felsen gegen die Ufer ab. Am schäumenden Aschacher kachlet vorbeifahrend, ge- denken wir der Erzählung im Nibelungenlied, wie Kriemhild in E f« r d i n g rastete auf ihrer unheilvollen Brautfahrt ins Land der Hunnen. Di« ein schmerzvoller Rückblick tönt«ine alte, längst ver- wehte Klage vom Kürnberg zu uns herüber, des Sürenbergers, des österreichischen Minnesängers Liebeslied vom Falken, den er gezogen imd lieb gewonnen hatte, und der ihm auf immer entflog. Wir haben die Paddel vor uns hingelegt und Lberlaffen uns der Strö- mung und dem Abendwind, die uns langsam dahintreiben. In der Fern« tauchen schimmelnde Lichter aus. Es ist Linz , die Hauptstadt Oberösterreich «. unsere erste Wanderrast. Wir landen gegenüber, in Urfahr , und bringen unser getreues Fahrzeug und uns selber in dem allen Wosserwondeoern bekannten Gasthaus Emstaler unter. Der erste Gang frühmorgens führt uns auf den Pöftlingberg mit seiner Wallfahrtskirche, von der man einen herrlichen Blick über Donau und Alpen genießt. Einige Schritte nach rechts, und wir finden uns zu unserer Ueberraschung im Land der Sagen und Märchen wieder. Eine Reihe wunderhübscher Dioramen ist aufgestellt, Hänsel und

Gretel, Dornröschen, Rübezahl und endlich ein köstliches Bildchen vom Schlaraffenland, das von jung und alt umdrängt ist. Es berührt nicht als Gegensatz, daß sich dieser Ausdruck schlichten Volts- rums neben einer katholischen Wallfahrtskirche findet. Denn überall spürt man in Oesterreich den mitunter sehr starken Zusammenhang zwischen Volkstum und religiöser Ueberzeugung, sei es bei der Durch- fahrt einer Brück«, von der ein steinernes Bild der Jungfrau oder ein Kruzifix herniederblickt, sei es in den bäuerlichen Herbergen, in denen das Gesinde den uralten, seltsam klingenden Abendsegen betet. Noch eine kurze Wanderung durch Linz mit seinen altertümlichen Winkeln und Gasten, ein rascher Besuch der Marienkirche, deren 128 Meter hoher Turm die Stadt weithin überragt, dann geht es im Laufschritt zum Landungsplatz, um die Weiterfahrt vorzubereiten. Das Hochwasser ist stark zurückgegangen, und heute herrscht auch schon wieder ein lebhafter Verkehr auf dem Strom. Eine ganze Anzahl von Frachtschiffen und Personendampfern begegnen uns, deren Pasiagiere uns mit lebhaftem Tücherschwenken und Zuruf be- grüßen. Mitunter allerdings übergießt eine besonders hohe Welle nicht nur die Spritzwasterdecke des Boots, sondern auch uns selbst, vor allem meinen vorn sitzenden Begleiter, der diese naste Begrüßung mitMalesiz" und.�immiherrgottkreuzsakva..." abschüttelt. Die warme Sonne trocknet uns rasch, und bald hat uns die herrliche Landschaft wieder ganz in ihren Bann gezogen. Der wundervolle Strudengau beginnt, eine zerklüftete, wildromantische Gegend mit steil emporragenden Felsen, waldigen Höhen und olmenartigen Wiesen, an die sich einige an den Berg gelehnte Hütten schmiegen. Vorsichtig steuern wir am tobenden Greiner Schwall und der Insel Wörth, einer auch heute noch nicht ganz ungefährlichen Stelle, vor- bei, dann wendet sich der Blick wieder hinauf zu den Wäldern und Bergen, die von den Trümmern mächsiger Burgen gekrönt sind. 3n See golSenen Wachau. Da steigt plötzlich überraschend und gewaltig ein Riesenbau auf. Immer großartiger und erdrückender wird der Eindruck, je näher wir kommen. Es ist das Venediktinerkloster Melk . Wie eine grandiose Schöpfung der Natur selbst scheint e» aus dem stellen Granitfelsen herausgewachsen zu sein, auf dem es ruht. Eine mächtige Kumpel und zwei Türme überragen die wenigstens 360 Meter lang« Süd- front, an der sich mehrere hundert Fenster besinden. Langsam steuern wir dem Ufer zu, befestigen unser Boot und steigen durch die altertümlichen Gasten de« kleinen Ortes hinauf zum Kloster. Eine unvergleichliche Kühnheit der architektonischen Phantasie beherrscht den ungeheuren Barockbau, der mehr Palast ist als Kloster. Vom Marmorsaal mit seinen herrlichen Deckengemälden treten wir auf die

Altane, wo die Höhen des Pielach- und Traifenials der Ennstaler Alpen uns grüßen, dann verweilen wir bei herrlichen alten Hand- schriften des Mittelalters in der Bibliothek. Noch einen letzten Blick in die Kirche mit ihren herrlichen Fvesken, dem marmornen Hoch- altar, dann gehen wst durch den Klostergarten abwärts zur Donau . Mittag ist es geworden. In leuchtender Sonne, von einem leisen Windhauch bewegt, liegt der Strom vor uns. Und weiter geht die unvergeßliche Fahrt durch ein wahres Wunderland romantischer Landschaftsbilder. Immer schluchtenartiger wird das Flußtal, zer- klüftete Felsen wechseln ab mit dunklem Tannenwald, und überall schweift der Blick in liebliche Seitentäler. Wunderhübsche Dörfchen, ein paar Wohnhäuser um eine uralte Kirche gruppiert, im Hinter- grund waldige Berge, und das Ganze von Weinrebsn umschlossen. die gelb und grün im Sonnengold leuchen. Wir besinden uns in der herrlichen, der..goldener/ Wachau". Wenige Kilomeier an mächtigen Felsmassen vorbei, da leuchtet uns derWächter von Dürnstein", ein hoch emporragender Fels, entgegen. Auch hier landen wir und ersteigen auf felsigem Fußpfad die Burg, die Ueber- resle eines Riesenbaues. Wie ganz anders, als über Bucher und Handschriften gebeugt, erleben wir hier Geschichte! Wie nahe ist uns das zwölfte Jahrhundert, die Zeit, in der Richard Lowenherz hier oben gefangen faß, wie heimatlich berührt uns die Sage von seinem

Stein a. d. Donau. \ getreuen Blondel, der vor der Burg sein Minneked erklingen ließ. Durch uralle Torbogen der Festungsmauern kehren wir zurück. Sie bilden den Rahmen für stets neue, reizvolle Straßen- bilder, die in ihren hellen Farben, ihren malerischen Winkeln fast italienischen Charakter tragen. Die goldene Wachau fand in dem österreichischen Rizza, in dem altersgrauen Krems , einen Herr- lichen Abschluß. Sonst gewellte Hügel und das weite Flachland des Tullner Felde» mit seinen Inseln und dem dunkelgefärbten Zufluß

Zu stark für dies Leben. 11] Don Iwan heilbuk. Im Innern gereizt, aber äußerlich still, seinen Kummer sowie die Ursachen heimlich verschweigend, saß Grahl in seiner Stube, wo Gertrud, ihm gegenüber, mit langsamen regel- mäßigen Zügen Brief um Brief und dazu die Adressen schrieb. Neben ihr lag die Abendzeitung, in welcher sie mehrere In- serate unter derZimmer"-Rubrik mit Kreuzen bezeichnet hatte. Hermann war wohl zu einem Vortrag gegangen. Plötzlich schellte es an der Wohnungstür. Beide er- schraken. Gertrud ging: Grahl preßte die Hand auf die Brust... Es war Herr Uri. Er konnte nicht umhin, gleich beim Eintritt einige sehr lustige, freundliche Sachen zu Ger­trud zu sogen. Er komplimentierte die Farbe des Kleides und fand noch mehr zu bewundern. Gertrud legte eilig die fertigen Briefe zusammen, sie begab sich in die Küche, um für den Gast ein Abendbrot zu bereiten. Als Herr Uri sich mit Grahl allein in der Stube befand. wurde der Ausdruck seines Gesichts nachdenklich ernst. Und dann mit wenigen Worten unterrichtete er Grahl von dem neuesten Schlag, zu welchem man gegen ihn ausholte. Baaß und jenes Ausschußmitglied, das vor dem Arbeitsgericht mit Baaß zusammen als Zeuge der Firma erschienen war diese beiden hatten in einer Versammlung, die eben beendigt war und sowohl alle Ausschußmitglieder, mit Ausnahme von Gralu. als ancb eine Anzahl von Angestllten vereinigt hatte, den folgenden Antrag gestellt: Nach den beleidigenden Aus- fällen Grahls vor dem Arbeitsgericht gegen eines der Aus- schußmitglieder, Herrn Baaß, sei eine nutzbringende Gemein- schaft zwischen Grahl einerseits und den übrigen Mitgliedern andererseits zu bezweifeln. Unter Verzicht auf eine Entschul- digung seitens Grahls werde dieser ausgefordert, von seinem Posten als Ausschußmitglied zurückzutreten. Grahl sprang auf, fiel rn den Stuhl zurück, stemmte eine Faust auf das Herz und stöhnte.Ich werde nickt!" rief er aus,ich habe keine Veranlassung, von meinem Posten zurück- zutreten. Wer kann mich zwingen? Mich deckt nicht mein Recht allein mich schützt das Gesetz auf zweifache Weise." Lieber Grahl," sagte Herr Uri,ich habe Ihnen mit dieser Nachricht nichts Gutes gebracht. Aber nun wird jene Aufforderung, welche Sie höchstwahrscheinlich schon morgen treffen wird, nicht mehr vermögen, Sie zu einem unbesonne- nen Entschluß zu verleiten." Mich verleiten?" rief Grahl.Zu einem Entschluß? Ich hahe keine Veranlassung... Was? halten mich meine Kolleaen für schwachsinnig wie?" Gertrud, ein Tablett vorsichtig in Händen tragend, kam an die Tür. Herr Uri sprang auf, um ihr behilflich zu sein. Und während der Stunde, für die Herr Uri noch blieb, konnte er solch ein gutmütiges frohes Geplauder mit der Tochter

feines Kollegen treiben, als wäre an diesem Abend von gar nichts Ernstem die Rede gewesen. Neuntes Kapitel. Am nächsten Morgen fand Grahl, wie erwartet, den Brief. Er hatte bereits ein kurzgehaltenes Antwortschreiben verfaßt, in dem er erklärte, es gäbe für ihn leine Veran- lassung, von dem Amt, zu welchem die Stimmen der Wähler ihn b/rufen hatten, zurückzutreten. Er ersuchte einen Boten, dies Schreiben zu überbringen, und blieb in einem Gefühl von Befriedigung und Verzweiflung zurück. Um fein laut klopfendes herz zu beschwichtigen, wiederholte er sich mit ge- murmelten Worten, daß das Gesetz seine Stellung auf zwei- fache Weife schützte. Aber die innerliche Empfindung von dennoch nagender Angst entsprang der Gewißheit von einem dunkel sich näher gegen ihn wälzenden Ende. Er hörte die triumphierenden hörner der Jäger, das Kläffen der Hunde. Seine Stirne nickte kaum merkbar, nickte unaufhörlich nach dem unaufhörlichen Takt seines klopfenden Herzens. Am Nachmittage wurde ihm ein Schreiben gebracht, des Inhalts, daß sämtliche Ausschußmitglieder von ihrem Amte zurückgetreten wären, um einen �vom Personal neu zu wählenden Ausschuß zu ermöglichen und somit das uner- wünschte Nebeneinander mit Grahl zu lösen. Grahl, ohne merkbar mit einer Miene zu zucken, steckte den Brief in die Tasche. Nun wußte er auch, daß es eben diese Maßnahme war. die er gefürchtet hatte, als die Empfindung von Angst in ihm zu klopfen begann. Für eine halbe Stunde und länger war sein Dcnken gelähmt. Dann schrieb er mit fiebernder Hand einen Brief: Er protestierte: er verlangte Gehör. Die Erregung in ihm, die nach entscheidender Aussprache drängte, trieb ihn, mit eigenen Händen den Brief in die Re- Visionsabteilung Herrn Baaß zu bringen. O, er kannte sie wohl, seine Kollegen vom Ausschuß. Sie standen nun alle unter dem Einfluß von Karst , dem sie gut zu gefallen suchten: der selber nun wohl eine Gunstbezeugung für die Dollstrecker seines Willens daran wenden mußte, nachdem dieser sein Wille, in unmittelbarem Angriff auf Grahl, sein Ziel nicht hatte erreichen können... Als er in dem langen Flur, dicht bei der Kantine, an der Tafel vorbeigehen wollte, wo für die Angestellten wichtige Mitteilungen zu finden waren, blickte ihn die Ueberschrift eines Aufrufs an:Neuwahl zum Ausschuß am 29. Oktober". Grahl blieb stehen. Sein herz stand still. Es war schon zu spät. Nun hieß ein Versuch, die Gegner von ihrem Un- reckt?u überzeugen, sich vor ibnen zur Erde beugen... um- sonst sich zur Erde beugen. Er wendete sich mit schurrenden Sohlen und kehrte den Weg über den langen Flur, sich nah an den getünchten Wänden haltend, zurück. Das Oktoberwetter umpfiff ihn, als er den Weg nach Hause ging. War er vogelfrei? Mit seinem Mandat ging seine Immunität verloren. Ein.Versuch zu erneuter Kandi- 1

datur wäre sinnlos. Aber dann blieb noch ein anderes Rechts Er konnte noch qls einfacher Angestellter den bald neugebilde- ten Ausschuß zum Einspruch gegen die Kündigung aufrufen, die ihn voraussichtlich am letzten Tage des Monats traf. Zlber die Hoffnung, die ihn auf diesem Wege begleiten konnte, war lächerlich winzig. Denn sicherlich würde die Mehrzahl der alten Ausschußmitglieder den neu zu wählenden Ausschuß bilden. Die Auflösung samt der folgenden Wahl dies war ein taktischer Zug, wahrscheinlich betrieben von Karst, den Buchhalter Jakob Grahl aus dem Amt zu entfernen. War er nicht vozelsrei? Am 29. Oktober wird ihm ein Brief von seinem erloschenen Mandat in Kenntnis fetzen, am 31. ein anderer von seiner Entlassung am 1. Dezember. Dann kann er noch einmal zum neuen Ausschuß gehen, der sich im besten Fall aus anderen Untertanen zusammensetzt als der alte das kann er, als der gekündigte Buchhalter Grahl.., aber er wird es nicht tun. Er hüpfte von einem Fuß auf den andern. Obgleich ihm der Wind ins Gesicht pfiss, glühte die Stirn. Nur die Finger, in seinen Manteltasä)en, und die hüpfenden Füße waren eiskalt. Aber es kam noch anders, als er erwartet hatte. Am Morgen des Neunundzwanzigsten war an Stelle des Aufrufs zur Wahl eine Mitteilung an die Tafel geheftet: Aus Mangel an Kandidaten konnte die Wahl nicht'vonstatten gehen. Es gab also keinen Ausschuß mehr. Niemand wünschte durch die Eigenschaft als Führer des Personals in einen etwaigen Konflikt mit der Leitung der Firma zu geraten. Man hatte ja wohl bemerkt, wie wenig Sicherheit eine Immunität bedeutet, wenn sie Herrn Karst nicht gefällt,.* Mit der Kündigung, welche Grahl erwartungsgemäß am Vormittag des 31. Oktober(zum 1. Dezember) erhielt, wurde ihm fein Gehalt für den vergangenen Monat verabfolgt. An der Summe fehlte beinahe ein Drittel zu feinem Monatssalär. Er wandte sich an den Kassierer, der ihm erklärte, daß für den vergangenen Monat der Gehaltstarif für Boten und Packer, nach welchem der Vorgänger auf feinem Posten ge- lohnt Porden war, auch für i h n Geltung hätte. Ohne zu merken, daß er gegen Böcke rannte, und Menschen, die ihm im Wege standen, beiseite stieß, lief Grahl durchs Kontor und trat in denGlaskasten" ein, wo Herr Karst, einen Brief diktierend, am Schreibtisch saß. Che Grahl den ersten Satz mit hastiger, oft versagender Kehle zu Ende gesprochen hatte, hielt ihm Karst einen geschlossenen Umschlag entgegen. Er trug eine Aufschrift:Zeugnis für Jakob Grahl". Grahl hörte Herrn Karst noch die Worte sagen:Sie können nach Hause gehen. Die Firma verzichtet auf Ihre Tätigkeit, otr- gleich das Dienstverhältnis bis zum 1. Dezember geht. Sie brauchen nicht wiederzukommen. Trotzdem wird Ihnen am Letzten des kommenden Monats das Gehalt für einen Bote« bezahlt� Adieu."(Fortsetzung folgt.)