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Nr. 321 44. Jahrgang

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Ausgabe B Nr. 158

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Dolksblaff

Sonnabend

9. Juli 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Furchtbare Wetterkatastrophe in Sachsen  .

Die Sächsische Schweiz   überschwemmt.- Fast hundert Tote.- Schwere Unwetter

Dresden  , 9. Juli.  ( Eigener Drahtbericht.) In dem Grenzgebiet zwischen dem östlichen Erzgebirge  und der Sächsischen   Schweiz ereignete sich eine schwere 2nwetterfatastrophe, die im Gottleubatal und im Müglih tal sehr schwere Berheerungen anrichtete. Besonders hart wurden die Drie Gottleuba und Berggieß­hübel betroffen. Viele Häuser sind fortgerissen worden. In Gottleuba   wurden bisher sechs Tote gebor­gen. Besonders schlimm sind die Verheerungen in dem Ort Berggießhübel. Ganze Familien find in ihren Wohnungen vom Wasser überrascht worden undertrunken. Bis 10 Uhr vormittags wurden gegen 50 Tote geborgen. Viele werden vermißt.

Das Wasser führt alle erdenklichen Gegenstände mit sich: Automobile, Castkraftwagen, Möbelwagen, Pferde, Vich und anderes. Die Eisenbahn wird auf Wochen be­triebsunfähig sein, da die Gleise zum Teil fortgeriffen find. Hundert Zentner schwere Eisenmasten und eiserne Brüden sind kilometerweit fortgetragen und weggeschwemmt.

In dem Ort 3 wiesel ist ein Haus mit sechs Ein­heimischen und einem Sommergast fortgeriffen. Alle sieben Personen find getötet worden. In dem Orf Rottwern­ dorf   werden fieben Tote und aus Neundorf neun Tote gemeldet. In Langhennersdorf wurden sechs Tote ermittelt. Außerdem ist auch viel Vieh umgekommen.

In der bekannten Uhrenstadt Glashütte   wurde ein Eisenbahnzug von einer Sturzwelle der Müglih überrascht, die auf dem Bahnhof alles mit fortriß. Die Bahnwagen liegen zum Teil 200 bis 300 Meter weit auseinander. Wie die Reichsbahndirektion mitteilt, follen. Zugpersonal und Paffagiere nach längerer Zeit unverletzt geborgen fein. 3m Mügligtal sind die Bahngleise unterspült und zum Teil fortgeschwemmt. Die Straßen find aufgeriffen und die Brüden weggeschwemmt. Die Häuser sind schwer be­fchädigt. Die Stadt Pirna   wurde in der Nacht zum größten Teil überschwemmt, so daß die Feuerwehr die Stadt­bewohner zum Räumen der Keller veranlassen mußte. Von verschiedenen Seiten wälzten sich die Wasserfluten in die Stadt. Ein Sportplatz wurde unter Waffer gesetzt.

Die katastrophe dürfte die von 1897 weit übertreffen. Die Flut stand in der Stadt Birna einen halben Meter und höher. Auch die Geschäftsstelle unseres Parteiorgans und die Volfsbuchhandlung standen unter Wasser. Es wurde aber verhältnismäßig wenig Schaden an­gerichtet. Auch in der Fabrifftadt Heidenau   wurde schwerer Schaden verursacht. Die Maschinenfabrit J. M. Lehmann, sowie die Fabrit von Volkmar, Hennig u. Co. standen heute früh vollkommen unter Waffer. Die Brücken an der Müglih find durch die Flut eingestürzt, ebenso find die Dümme der Müglih im Gebiet von Heidenau   an vielen Stellen fortgespült. Die angrenzenden Straßen sind durch die Wassermengen aufgerissen worden. Aus Königstein   in der Sächsischen   Schweiz wird uns gemeldet, daß auch im nörd­lichen Böhmen   nahe der fächsischen Grenze das Unwetter sehr verheerend gewirkt haben muß. Die Elbe   führte heute früh um sieben ühr große Mengen von Bäumen, Geftrüpp, Häuserbalken und Bich mit sich.

Weitere Meldungen.

in ganz Deutschland  .

Meter weit abgetrieben. Unterhalb des Bahnhofs hat sich die Müglig ein neues Bett gegraben, Kinder wurden in ihren Wagen von Männern durch das Wasser getragen, Frauen wurden teilweise auf Tragbahren hinübergeschafft.

lassen hatte, in Glashütte   zurückgehalten wer-| Eisenbahnbuden sind umgerissen und teilweise 50, 100 und 300 den. Die Reisenden konnten infolge der plöklich un­geheuer anschwellenden Müglit den Zug nur teilweise verlassen. Das gesamte Bahnhofsgelände wurde drei Meter hoch überschwemmt. Die im 3uge verbliebenen Reisenden konnten erst gegen 1 Uhr geborgen werden. Weder Reisende noch Zugpersonal wurden verletzt.

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Zur Unwetter- Katastrophe in der Sächs- Schweiz  

Beileidskundgebung des Reichstags.

Der Reichstag   veranstaltete heute sofort nach Eintreffen der Un­glüdsnachricht eine Beileidskundgebung. Nach der Rede des Abg. Dietrich- Baden zur Zollvorlage unterbrach Präsident Coebe die Verhandlungen und teilte dem tiefbewegten Hause, das sich von den Plätzen erhebt, die Nachricht von der schweren Wetter­tatastrophe mit, die sich in der vergangenen Nacht in Pirna   und den benachbarten Orten ereignet hat. Er gab dabei der Hoffnung Aus­druck, daß sich die bisherigen Nachrichten über die Zahl der Opfer nicht in vollem Umfange bestätigen würden. Schweres Un­glück fei über viele Familien gekommen, der Reichstag   spreche ihnen sein Beileid aus. Der Präsident erklärt, daß er feinen Zweifel daran habe, daß die Behörden alles fun werden, um die schweren Wunden zu heilen, die dieses Unglück geschlagen habe.

Die Nacht des Schreckens.

Dresden  , 9. Juli.  ( TU.) Zu der Unwetterfatastrophe, die, wie bereits berichtet, letzte Nacht das Elbetal heimsuchte, werden noch folgende Einzelheiten bekannt: Die Müglig ist aus ihrem Bett ge­treten und die Ufer bieten ein Bild grauenvollster Tragödie. Um 20 Uhr erhielt das Bürgermeisteramt in Glashütte   von Lauenstein aus die Mitteilung, daß Hochwassergefahr im Anzug sei. Die Feuerwehren waren sofort zur Stelle. Die Mügliz schwoll mit jeder Minute und in Stunden war die Gefahrenmarte er­reicht. Um 23.15 Uhr wurden durch die Mügliz gewaltige Holz­massen angetrieben und kurz darauf fam eine zwei Meter hohe Welle in das Tal gesaust, die rechts und links und vor sich alles mit sich fortriß. Kurz vor 24 Uhr war die Verwüstung geschehen, die Katastrophe hatte ihr Ende erreicht.

Vor dem Bahnhof Glashütte steht noch der letzte Zug nach Geifing- Altenburg, den man glücklicherweise angehalten hatte. Die Passagiere haben in den umliegenden Wirtschaften Unterkunft ge­funden. Von der Gewalt des Wassers wurden Telephon- und Telegraphenstangen sowie Bahnwärterbuden wie Streichhölzer umgefnidt und mit fortgerissen. Die

Der Zollwucher besiegelt!

In Berggießhübel sind einige Häuser weggeschwemmt. Das Wasser führt noch viel totes Vieh mit sich. Der Wasserstand der Elbe ist stait gestiegen. Auf dem Flusse treiben Hausgeräte und Holzmassen. Teilweise ist der regelmäßige Dampfschiffahrts­verfehr unterbrochen.

Versäumnisse der Bureaukratie.

Von den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten des ost­sächsischen Wahlkreises erfahren wir über die sächsische Wolkenbruch­fatastrophe folgende Einzelheiten:

Die heutige Katastrophe war seit langem vorauszusehen, und daß sie nicht verhindert wurde, ist lediglich auf die bureaukratischen Widerstände zurückzuführen, die, gestützt auf angeblichen Geldmangel, den von uns seit Jahrzehnten immer wieder geforderten Bau von Staudämmen in den gefährdeten Seitentälern der Elbe verhindert haben. Schon im Jahre 1897 war eine ähnliche Ueberschwemmungs­tatastrophe nach einem Wolkenbruch in einem Nebental, das gleich­falls bei Birna mündet, entstanden. Damals wurde insbesondere die. Ortschaft Weisseriß schwer heimgesucht. Zahlreiche Häuser stürzien ein, und es gab über vierzig Tote. Unter dem Eindruck dieses. Unglücks wurde der Bau von zwei Staudämmen oberhalb von Weisseritz bewilligt und beschlossen. Seitdem ist das Weisserizer Tal gesichert. Aber obwohl wir Sozialdemokraten schon damals und seither ununterbrochen den Bau weiterer Talsperren forderten, ge­schah nichts zum Schuße der Einwohner des jetzt betroffenen Ge­bietes. Dieses ist dadurch besonders gefährdet, daß nach jedem Wolkenbruch auf den Erzgebirgskämmen die Fluten mit unheimlicher Geschwindigkeit anschwellen und man dort schon wiederholt sehr nahe einer Ueberschwemmungskatastrophe war. Das gleiche gilt übrigens für andere Seitentäler der Elbe   in der Sächsischen   Schweiz, 3. B. für das Gebiet zwischen Schweizer Mühle und Königstein  , in denen Gewitterbildungen besonders häufig vorkommen, sowie auf dem rechten Elbeufer für das Gebiet von Siebniz. Außer den im Weisserizer Tal gebauten Staudämmen ist in der ganzen Sächsischen   Schweiz bisher nicht eine einzige Talsperre errichtet.

worden.

Die bisher als besonders schwer betroffen genannten Ortschaften Gottleuba   und Berggießhübel sind von einer Bevölke rung bewohnt, die an sich unter recht fümmerlichen Verhält nisen lebt und in ihrer überwiegenden Zahl die Treue zur Sozial­demokratischen Partei stets befundet hat.

Wetterkatastrophen in ganz Deutschland  .

Hirschberg, 9. Juli.  ( WTB.) Das geftrige Unwetter, das besonders in den Nachmittagstunden über dem 3sergebirge und Riesengebirge   tobte und von wolkenbruchartigem Regen begleitet wurde, hat in mehreren Ortschaften verheerend gewirkt. Am schlimmsten wurde Seifershau betroffen. Drei Scheunen wurden dorf von den Waffermaffen vollständig weggerissen, mehrere Gebäude unterspült und beschädigt. Sämtliche Brüden im Orte sind zerstört; der Verkehr durch die Ortschaft ist voll­tommen gesperrt; auch die Lichtleitungen und die Telephonleitungen find zerstört. Das Waffer stieg in den Häusern bis zu drei Meter Höhe. Ein Gehöft wurde durch Blihschlag vollständig eingeäschert. Erheblicher Schaden wurde auch in Nieder- Crommeneau, Alt­Chemnih, Petersdorf, Schreibethau und Hartenberg verursacht. Opfer an Menschenleben sind nicht zu beklagen. Der Gesamtschaden geht in die Millionen.

Uslar  , 9. Juli.  ( WTB.) Bei dem schweren Gewitter, das gestern abend Südhannover heimsuchte, wurde in Trögen im Kreise Northeim   der Hofbesizer Schlemme und sein Bruder vom Bliz erschlagen. Sie waren nach einem sogenannten talten Schlag auf den Hausboden gegangen, um nach dem ange­richteten Schaden zu sehen. Da fuhr ein zweiter Blitz in das Haus und tötete beide.

Pirna   i. S., 9. Juli.  ( WTB.) Ein furchtbares über das Gebiet des nordöstlichen Erzgebirges niedergehendes Unwetter führte gewaltige Wassermassen zu Tal, die besonders das Mügliktal auf das furchtbarste heimsuchten. WTB. meldet, daß das Unwetter in Gottleuba   und im Müglistal zahl­reiche Menschenopfer gefordert hat. Da die Fern sprechverbindungen zum Teil unterbrochen sind, lassen sich zuverlässige Angaben über die Zahl der Toten noch nicht machen, doch werden von der Amtshauptmannschaft für Berggiehhübel 40 bis 50, für Gottleuba  8 Personen als vermist gemeldet, die größtenteils unter den Trümmern eingestürzter Häuser begraben sind. Auch aus Glashütte   und Wesen. rufen begleitet, während die Blodparteien mit demonftra- niedergegangen. Die Lichtleitungen wurden beschädigt und die Orte stein werden mehrere Todesopfer gemeldet. Wie fivem Beifall antworteten. die Reichsbahndirektion mitteilt, sind durch die unge­heuren Regenmengen die Anlagen der von Pirna   aus­gehenden Nebenbahnen teilweise zerstört worden, so daß der gesamte Verkehr auf diesen Linien eingestellt werden mußte. Der Personenverkehr wird zum Teil durch Autobetrieb aufrechterhalten.

Dresden  , 9. Juli.  ( WTB.) Die Reichsbahn­direktion Dresden   teilt mit:

Auf der Linie Heidenau- Altenberg mußte der Personenzug 2900, der Heidenau   gestern 21 Uhr ver­

Der Reichstag nahm heute nachmittag in namentlicher Abstimmung das Zollgesetz mit 278 gegen 134 Stimmen bei einer Enthaltung an. Von der Linken wurde das Ergebnis mit lauten Pfui­

Der Reichstag   aufgeflogen.

Nach Erledigung der Zollvorlage stellte der Präsident einen gemeinsamen Antrag sämtlicher Parteien zur Beratung, wonach die Regierung aufgefordert wird, schleunigst Erwägungen darüber an­zustellen, wie den Opfern der Unwetterfatastrophe

geholfen werden kann.

Die Kommunisten benutzten diese Gelegenheit zur Veran staltung eines Höllenlärms, so daß der Präsident fich genötigt fah, die Sigung aufzuheben und den Aeltestenrat einzu berufen,

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Worbis  , 9 Juli.  ( WTB.) Gestern abend und die ganze Eichsfeld  

liegen zumeist im Dunkeln. Der wolfenbruchartige Regen richtete auf den Feldern und in den Gärten beträchtlichen Schaden an. In dem hoch gelegenen Dorf Kaltohmfeld   traf ein falter Blitzschlag die verschiedene große Wirtschaftsgebäude, Scheunen und Stallungen jahrhundertalte Kirche. Ferner wurden durch Blizschlag zerstört. Schweine und Kleinvieh verbrannten.

Saarbrüden, 9. Juli.  ( WTB.) In der vergangenen Nacht ging über das Saargebiet ein schweres wolfenbruchartiges Ge­Die Telephon witter nieder, das großen Schaden anrichtete. verbindungen nach Straßburg, Nancy, Meß und Paris   sind voll­tommen gestört.