Nr. 32244. Jahrg. Ausgabe Afr. 164
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Sonntag, den 10. Juli 1927
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Hunderte von Opfern im Erzgebirge !
Verwüstungen von ungeheuren Ausmaßen.-
Die verheerende Wetterfatastrophe, die über die sächsische Schweiz und das Erzgebirge hereingebrochen ist, stellt sich als eine der furchtbarsten dar, die in Deutschland je erlebt wurden. Ueber hundert Tote sind bisher schon geborgen worden, man rechnet aber damit, daß unter den Trümmern der eingestürzten und fortgespülten Häuser noch meitere hundert Opfer des Wütens der Elemente verborgen find.
Wir haben einen Sonderberichterstatter in die Gegend entsandt, die von dem Unheil betroffen wurde. Er gibt uns in später Abendstunde diesen Bericht:
F. S. Dresden , 9. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Gleich bei Elsterwerda , eine Stunde hinter Berlin , fezt das Unmetter ein. Schon von Berlin an ist der Himmel bedrohlich schwarz Und dann bricht es aus. Wie wahnsinnig peitscht der Regen auf die Wagen des Schnellzuges. In wenigen Augenblicken sind Gänge und Abteile des Berlin - Wiener Mittagzuges trotz geschlossener Fenster überschwemmt. Unaufhörlich zuden Blize, die kleinen Bäumchen am Bahndamm beugen sich bis zur Erde, harmlose Tümpel vermandeln sich in wilde Bäche, die die Absicht haben, den Bahndamm zu überschwemmen. Der Zug vermindert seine Geschwindigkeit, mit Berspätung trifft er in Dresden ein.
Hier findet man nur mit Schwierigkeiten und für Geld und gute Borie einen Chauffeur, der es wagt, die Fahrt von Dresden nach dem Gebiet der Ratastrophe zu unternehmen.
Die Straßen Dresdens find plötzlich Ozeane geworden. Das Auto bahnt sich einen Weg durch die Wassermassen wie ein Torpedobootzerstörer. Hinter Dresden werden die Straßen besser, aber jeder kleine Zufluß der Elbe führt wilde, ungebändigte Wasser mit fich. Man ahnt hier bereits die Katastrophe, allerdings nur in versmommenen Umrissen.
Pirna gleicht einem Morast, und dabei ist das Wasser bereits zurüdgegangen. Am Morgen stand es über einen Meter hoch.
Zäune und Bäume sind umgeriffen worden, die Chaussee hat gefährliche Löcher. Man weiß nicht, was an der Unglücksstelle tatsächlich droht. Die ganze Gegend sieht aus, als ob hier ein erbitterter Krieg stattgefunden hat. Nur gegen Preffeausweis darf man passieren. Und dabei droht der Himmel mit neuen Wolfenbrüchen.
In Rottwerndorf stockt entschieden jeder Verkehr. Alle Wege find hier polizeilich gesperrt. Auch Presseausweise nügen nichts mehr.
Hundertjährige Baumriesen sperren den Weg. Sie sind von der Wucht des Wassers mie Streichhölzer zerknickt. Die Chaussee ist ein undurchwatbarer Sumpf. Auf Lebensgefährlichen Umwegen gelangt man nach
der Uhrenstadt Glashütte und dem Hauptort des Unglücks Bottleuba.
Gleich am Eingang von Berggießhübel begegnet man Autos mit dem Zeichen des Roten Kreuzes. Vor diesem idyllisch ge legenen Flecken steht eine Postentette Don Pionieren. Nur mit Presseausweis darf man paffieren. Unentwegt verfehren Autos und Ochsenfuhrwerke, die Möbel und andere häusliche Requi fiten aufgeladen haben. Man sieht Plüschgarnituren aus längst vergangener Zeit. Keine Spur von Straße ist jedoch in diesem Ort zu erkennen. Alles, was darauf Anrecht erheben könnte, ist mit Geröll und entwurzelten Baumstämmen überschwemmt. Man taftet sich ganz vorsichtig weiter. Die sonst ebene Straße weist Hügel und Berge auf. Scharffantige Steine versperren den Weg, an dessen Seite nun harm los braune, lehmige Bellen brausen, nichts weiter als ein fleines Theaterwässerchen. Und dieses kindliche, schmutzige Wasser hat das Unglück angerichtet, das Hunderte ums Leben brachte.
War es tatsächlich diese harmlose Gottleuba? fragt man entsetzt. Und da sieht man auch schon die gewaltigen Ausmaße der Katastrophe. Ein altes Giebelhaus, das sicherlich bereits über hundert Jahre gestanden haben mag, wahrscheinlich noch länger, ist in der Mitte Das Dach hängt hilflos und zer fetzt über einem leeren Raum, auf dem Pioniere Aufräumungsarbeit verrichten. Ein altertümlicher, murmſtichiger Sessel hält sich mühsam in der Schwebe.
entzmeigerissen worden.
Der Pionieroffizier erflärt, es feien
bis jetzt 34 Leichen aus dieser Stadt geborgen, aber mehr als 80 Menschen sind als Verluste gemeldet.
Wo ist der Rest? Der Fluß hat sie erbarmungslos hinausgespült. Bielleicht sind diese vermißten Menschen irgendwo im Erzgebirge und wissen nicht einmal etwas von der Katastrophe, die ihre Anverwandten betroffen hat. Bielleicht aber werden sie weit hinaus gespült, um später als unbekannte Tote irgendwo angetrieben zu
merden.
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Das Unwetter wütet weiter.
An einem Haus fann man noch die Aufschrift ,, Sächsischer Hof" entziffern. Vor dem Unglüd war es ein modernes Restaurant und Hotel. Jezt ist es eine Ruine. Weiter nach oben sieht man wieder angeschwemmte Baumstämme und Giebelhäuser, die heute nichts weiter als ein finnloser Steinhaufen sind. In einer Ede, die der Fluß schneidet, soll eine Apotheke gestanden haben. hat sie dort wirklich gestanden? Ein Bionier versichert es wenig stens. Jetzt sieht man nur einen Steinhaufen, aber es mird versichert, daß sich der Apotheker mit seiner Familie hat retten mird versichert, daß sich der Apothefer mit seiner Familie hat retten tönnen. Sonst ist jede Spur eines anständigen Hauses vermeht. Ein Haufen wirrer Steine zeugt von verschmundener Herrlichkeit und die herausgeriffenen meterlangen und fett genährten Wurzeln uralter Bäume bilden ein Stilleben daneben. Harmlos fluten die Wasser des Zerstörers dahin.
Man klettert über die Steine, die grausam die Schuhsohlen durchbohren, die mütend stechen. Aber man wagt im Grunde feinen Schrift zu tun. Denn man weiß nicht, wie viele Menschen unter diesen Trümmern liegen. Man erschauert bei jedem Schritt und ist glüdlich, daß man endlich zu seinem Auto zurüdfehren fann. Schließlich findet man auch seinen Chauffeur wieder. Nun will man hinüber durch die Quertäler des Elbsandsteingebirges nach Glashütte Das fleine, brape Auto tutet sich den Weg entlang. Nein, der Motor fann seine ganze Geschwindigkeit nicht entfalten. Denn immer wieder trifft man Sanitäter, die in verdeckten Wagen trauervolle Last transportieren. Immer wieder trifft man Ochsen fuhrmerke, auf denen alte, abgerissene Bettgestelle, durchnäßte Betten und zerstörte Möbel aufgeladen find.
Aber furz vor dem Ziel, nachdem man lebensgefährliche Straßen passiert hat, in denen das Wasser noch immer fußhoch steht, tritt ein Bionieroffizier dem Auto entgegen. Nein, hier gibt es fein Weiterfahren. Alle Straßen sind unpassierbar. Selbst Fußgängerwege und Automobilchausseen. Auch die Eisenbahn kann nicht verkehren. Wie viele Tote mögen hier unter den Trümmern der Häuser und Bäume liegen? Bis jetzt hat man im ganzen Ratastrophengebiet ungefähr 100 gefunden. Aber niemand kennt die genaue Zahl. Vor den kleinen Häusern mit ihren gedrückten Stuben stehen weinende Frauen, die ihren Ernährer suchen, und kleine Kinder, die sich den Finger in den Mund stopfen und nichts von dem Unglild wiffen, das sie betroffen hat.
Man tehrt zurück über idyllische, ruhige Waldwege. Das Hämmern des Motors stört den Frieden der Natur. Nur ein paar Wasserlachen zeugen von dem, was hier geschehen ist. Dresden bescheint die Abendsonne, harmlos und friedlich. Die Menschen gehen ihren Geschäften nach, gehen ins Kino, in die Oper oder in Konzerte. Und niemand kehrt sich mehr um die Opfer, die irgend wo unter Trümmern ruhen.
önigstein( Sächs. Schweiz ), 9. Juli. ( Eig. Drahtbericht.) Das über das östliche Erzgebirge , das Gotfleuba-, Gleising- und Mügliktal niedergegangene schwere Unwetter hat zu einer beispiellojen katastrophe für diese Gebirgstäler geführt. Die Städte Gottleuba, Glashütte , Caunstein, Gleifing haben schweren Schaden erlitten, desgleichen die an den Flüffen liegenden Arbeifer wohnfihgemeinden. In Heidenau ist der neu errichtete Sportplatz vernichtet. Alle Brüden und Wasserdurchläffe find versperrt. Das gesamte Gebiet ist ohne jede Nachrichtenmöglichkeit, da die Telephon- und Telegraphenleitungen vernichtet sind. Viele Fremde und Einwohner find ertrunken. Die Zahl der Toten dürfte über 100 erreichen. Viele Häuser find weggerissen, große Mengen Vieh find ertrunken. Es besteht die Gefahr der Hungers not in den betroffenen Gebieten, weil jede Verkehrsmöglichkeit unterbunden ist.
Reichsbanner sind zur Hilfeleistung eingefeht. Die Reichswehr , die Polizei, Technische Nothilfe und das Reichsbanner find zur Hilfeleistung eingesetzt. Die Staatsregierung hat vorläufig 100 000 M. fofort flüffig gemacht, zur und läßt sich zur Stunde noch nicht übersehen, weil es absolut Linderung der äußersten Not. Der Schaden beträgt viele Millionen unmöglich ist, das Gebiet zu durchstreifen.
Autobusse als Eisenbahnersah.
Glashütte , 9. Juli. ( Tul.) Die Landespolizei hat das Ratastrophengebiet in drei Abschnitte eingeteilt. Auf der Abschnitt von Berggießhübel entfallen 40 Tote, auf den Abschnitt von Dohna 5 Tote und den von Glashütte 10 Tote. Der Verkehr nach Lauenstein ist völlig abgeschnitten, so daß sich noch nicht endgültig feststellen läßt, wieviel Opfer die Katastrophe gefordert hat. In Glashütte selbst zeitigte das gestrige Unwetter furchtbare Verheerungen. Die auf dem Bahnhof stehende Lokomotive des noch in letzter Stunde aufgehaltenen Zuges nach Altenburg ist nur dadurch von den heranstürzenden Wassermassen nicht mitgerissen worden, daß sich um sie ein dichtes Gestrüpp von Gesträuch und Baumstämmen ansammelte. Erst heute morgen konnte der Loko= motivführer von seinem eingeschlossenen Stand heruntergeholt werden, ebenso hatten noch mehrere Passagiere in den umgestürzten konnten in der Nacht nicht geborgen werden, da das BahnhofsperEisenbahnwagen die Nacht zubringen müssen. Die Eingeschlossenen sonal vor dem Unwetter in den oberen Stockwerken der Bahnhofsgebäude Zuflucht gesucht hatte. In den Bahnhofsräumen herrscht ein entsetzliches Chaos. Ueber den wüst durcheinandergeworfenen Iischen, Schränken und Stühlen liegt der Schlamm bis über einen halben Meter hoch. Auf den Bahndämmen hat das Waffer die Schienen ihres Untergrundes beraubt, fo daß fie teilweise gleichsam in der Luft hängen. Laternenpfähle und starte Bäume liegen wie Streichhölzer zerknickt da. Kohlen und Tonröhrenlager hat die Gewalt des Wassers auseinandergerissen und weitab fortgeschwemmt. Und überall liegt Schlamm, der die Straßen teilweise über einen Meter hoch bedeckt.
Die Kommandantur Dresden hat drei Hilfskommandos der Reichswehr in Stärke von 230 Mann in das Katastrophengebiet entsandt, die allein in Berggießhübel 20 Tote geborgen haben.
Es muß schnell geholfen werden.
gramm an
verliehen:
Die sozialdemokratischen Reichstagsabgeord neten des Wahlkreises Ostsachsen haben anläßlich der Unmettertatastrophe im Bezirk Pirna durch folgendes Teledie Reichsregierung ihrer Anteilnahme Ausdruck Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete des Wahlkreises Ostsachsen halten schnellste Reichshilfe für die Opfer der Unwetterfatastrophe im Bezirk Birna für dringend geboten. Fleißner, Sender, Schirmer, Schmidt, Kräzig, Stegmann. In einem Telegramm an die Amtshauptmannschaft Birna sprechen die gleichen Abgeordneten den Opfern und Geschädigten sowie dem Bezirksverband Pirna tiefstes Beileid über die furchtbare Unwetterkatastrophe aus. Sie halten schnellste Hilfe durch Land und Reich für dringend erforderlich und erklären, daß sie die Reichsregierung auf eingetretenen Notstand hingewiesen haben.
Schwere Unwetterschäden in Nordböhmen .
Prag , 9. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Auch die böhmische Seite des Erzgebirges von Teplit bis Bodenbach wurde geffern und heute von schweren Unwettern heimgesucht. 3m Eulautal von Bodenbach ging geffern gegen Abend ein Wolfenbruch nieder, der selbst die Kataftrophe von 1897 an Ausdehnung übertrifft. Von 4 Uhr nachmittags an bis in die späten Abendstunden löfte ein Blitz den anderen ab. Der angeschwollene Eulaubach riß in Königswald einige Häuser weg. In Bodenbach selbst wurde ein Ortsteil so rasch unter Wasser gesetzt, daß die Hausbewohner in die höher gelegenen Stockwerke flüchten mußten, von wo sie dann von der Feuerwehr in mühseliger Arbeit gerettet wurden.
3wei Brüden über den Eulanbach wurden weggeriffen. Das Waffer führte Dachst üde, Firmentafeln, Möbel miffag ging über dem Eulautal ein 3 weiter schwerer Wolten
und selbst ganze Baumstämme aus dem Wald mit sich. Heute nach
Auch die Bäche, die bei Auffig und Teplitz vom Erzgebirgskamm
bruch nieder, der die Verwüftungen von gestern noch vermehrte.
herunterkommen, schwollen durch das Gewitter riesig an und verursachten großen Schaden.
Bon den Ortschaften auf dem Abhang des Erzgebirges iff namentlich die alte Bergstadt Graupen hart mitge.
Dresden , 9. Juli. ( WTB.) Im Einvernehmen mit der Reichsbahndirektion Dresden ist von der staatlichen Kraftwagenverwaltung| nommen worden. Der Bach hat überall die Straßen aufgerissen Sachsens ein regelmäßiger Personenverkehr von Dresden Dippoldiswalde nach Glashütte und von Birna über Zehista nach Berggießhübel als Erjag für die fehlenden Eisenbahnverbindungen heute eingerichtet worden. Ebenso ist wegen Einrichtung von Güter. linien als Erfaz für die Eisenbahngüterverbindung bereits das Erforderliche mit der Reichsbahndirektion vorbereitet worden. Die ftaatliche Kraftwagenverwaltung hat heute die Technische Nothilfe mit Autobussen nach dem Unwettergebiet befördert.
über und sich ein neues fiefes Bett geschaffen. Große Geröllmassen bededen die Straßen. Jn karbi bei Auffig fam es heute gegen Mittag zu großen Ueberschwemmungen, so daß ein Teil des Ortes unter Waffer steht. Einzelne Sächte find erfoffen. An einer Stelle wurde der 5 Meter breite Eisenbahndamm weggeriffen, so daß die Geleise in 20 meter Weite in der Luft hängen. Der Elsenbahnverkehr ist vollständig gestört.