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Nr. 325 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 160

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10 Pfonnig

Dienstag

12. Juli 1927

Vorwärts=

Berliner   Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

Unwetter in ganz Europa  .

Gewitterstürme und Wassersnot.- Schweres Erdbeben in Palästina.

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Zahlreiche Tote und Verletzte.

Das Unwetter, das gestern über Berlin   mit großer Gewaltfreien mußte. Auf den Straßen erreichte das Wasser eine Höhe bis fobte und überall beträchtliche Wasserschäden anrichtete, hat auch, zu 70 Zentimeter. Das Holzpflaster der neueren Straßen hat fid) wie jetzt bekannt geworden ist, kurz vor dem Bahnhof Südende auf stellenweise so stark gehoben, daß der Verkehr unterbrochen werden den Gleisen der Strede Berlin  - Halle erheblichen Schaden mußte. Bei einigen Häusern besteht Einsturzgefahr, während verursacht. Gewaltige Waffermengen unterspülten die Böschung. bei anderen Bauteile abgerissen und auf die Straße geschleudert Durch die Aufmerksamkeit von Bahnbeamten fonnte großes Un- wurden. Viele Fernsprechanschlüsse sind infolge der Ueber­heil verhütet werden. Die Strede wurden für den D- 3ug- schwemmung in den Bureauräumen unterbrochen. und Personenzugverkehr sofort gesperrt. Durch den Vorfall trat eine Störung im Zugverkehr von etwa einhalbstündiger Dauer ein. " Der gesamte 3ugverkehr in Richtung Halle   wird bis zur Behebung der Gefahr, ab Bahnhof Süd­ende durchgeführt. Eine größere Arbeitskolonne ist an der Unfallstelle mit Aufschüttungs- und Absteifungsarbeiten be­

schäftigt.

Sturm an der Riviera.

Rom  , 12. Juli.  ( WTB.) In der Sonntagnacht tobte ein schwerer Sturm an der italienischen   Riviera. In Sestri Ponente   wurden Schiffswerften beschädigt und viele Badeanstalten durch den hohen Wellengang ganz oder teilweise zerstört.

Gewittersturm über London  .

London  , 12. Juli.  ( WTB.) Gestern nachmittag wurde London  und Umgebung von einem ungewöhnlich heftigen Gewittersturm heimgesucht. Zahlreiche Häuser wurden vom Bliz ge troffen. Aus allen Teilen der Stadt liegen Berichte über erheb­liche Ueberschwemmungen von Straßen, Plätzen und Kellern vor. Der Straßenbahn-, Untergrund- und Eisenbahnverfehr wurde gerade zur Zeit des stärksten Verkehrs bei Geschäftsschluß erheblich gestört. Verschiedentlich mußte der Dienst eingestellt werden. Ungefähr tausend Telephonanschlüsse, besonders füdlich der Themse  , wurden unterbrochen. Im Nordwesten Londons   wird die Menge des niedergefallenen Regens auf über 100 000 Tonnen pro Quadratmeile berechnet. In Tooting wurden mehrere Automobile von den Wassermassen umgeworfen. Bisher sind zwei Todesfälle von Kindern gemeldet, die ertranfen. Zwei Männer wurden vom Blizz getroffen und verletzt. Trotz des Gewitters stiegen die deutsche Fliegerin Frl. Thea Rasche   und die englische Fliegerin Mrs. Elliott Lynn in ihren kleinen Flugzeugen auf und flogen von Croydon nach dem Hambleflugplatz bei Soton, wo sie glatt landeten.

Wassersnot in Paris Paris  

, 12. Juli.  ( WTB.) Heute abend ist über Paris   und Um­gebung ein ungewöhnlich schweres Gewitter niedergegangen, das in verschiedenen Stadtteilen beträchtlichen Sachschaden angerichtet hat. In zahlreichen Häusern wurden die Keller und Geschäftsräume unter Wasser gefeßt, so daß die Feuerwehr die Bewohner be­

Auch in Rußland  !

Moskau  , 12. Juli.  ( WTB.) In der Stadt Lutojanow in Gouvernement Nishninowgorod, die von einem schweren Wirbelsturm heimgesucht wurde, wurden während einer Ueberschwem­mung der Stadt durch den Teschafluß Dutzende von Menschen, Hun­derte von Wohngebäuden, einige Brücken und eine große Anzahl Vieh durch das Hochwasser weggeschwemmt. In der überschwemmten Stadt ist der Eisenbahn  -, Telegraphen- und Tele­phonverfehr unterbrochen. Die Bevölkerung flüchtet auf die Dach­

böden.

Erdbeben in Jerusalem  .

31 Tote, viele Verletzte.

Nach Meldungen aus Jerufalem wurde Palästina von einem Erdbeben heimgesucht, durch das besonders in Nablus   großer Schaden angerichtet wurde. 31 personen wurden getötet und über 100 verlegt. In den Dörfern der Umgebung von Jerufalem wurden acht, in Jericho   drei Perfonen getötet, in Jerufalem felbst zahlreiche Personen verlegt. In den Bezirken Jaffa   und Haifa  verursachte das Erdbeben ebenfalls großen Schaden.

Jerusalem  , 12. Juli.  ( WTB.) Die letzten amtlichen Berichte ausdehnte. Nach den bisher eingegangenen Berichten wurden im besagen, daß das Erdbeben sich über Palästina und Transjordanien Jerusalemer   Bezirk 26 Personen getötet und 30 verwundet. In Jerusalem   selbst wurde nur eine Berfon getötet und 12 verwundet. Das Bostamt, das Gebäude des zionistischen   Bollzugsausschusses und eine Missionsschule wurden beschädigt. Das Haus des Stadtkomman danten ist unbewohnbar geworden. Auf dem Delberg wurden vier Kinder infolge von Hauseinstürzen getötet und in Ain Karem, dem Geburtsplatz Johannes des Täufers, fünf Frauen getötet. Im Innern des Regierungsgebäudes wurde ernster Schaden angerichtet und ein russischer Diener getötet. Die prächtig ausgestatteten 3im mer, darunter die der Privatwohnung des Feldmarschalls Lord Blumer und seiner Gemahlin, sind zerstört. Die hebräische Uni­persität bat beträchtlich gelitten. Ihre Mauern weisen Sprünge auf und das Dach des chemischen Laboratoriums ist eingestürzt. Nach dem Erdbeben waren die Straßen voll von aufgeregten Menschen, die den angerichteten Schaden musterten oder in Gruppen zusammen­jaßen und sich weigerten, ihre Häuser wieder zu betreten.

Poincaré  - Krise in Frankreich  .

Das Wahlgesetz der Linken angenommen.

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Faschismus in der Klemme.

Finanzschwierigkeiten Italiens  .

Bon der italienischen Grenze wird uns geschrieben: Niemand wird es den Leitern der italienischen Finanzen verübeln, wenn sie den Versuch machen, den Aufwer= tungsprozeß der Lira anzuhalten, bis die Wirtschaft des Landes sich dem neuen Geldwert einigermaßen angepaßt hat. Es steht nur dahin, ob dieses Aufhalten gelingt, ob nicht jene Einflüsse der internationalen Finanz, die im Sinne der Aufwertung, und zwar der schnellen Aufwertung sich geltend machen, schwerer ins Gewicht fallen als die inländische Finanzpolitit. Um der fortschreitenden Aufwertung Einhalt zu tun, hat die Regierung vor allem zwei Mittel, die sie beide in Anwendung bringt: die Verweigerung der Autori­sation neuer Auslandsanleihen und die suggestive Wirkung ihres Entschlusses, die Lire auf der Quote 90"( will fagen Pfd. Sterl.= 90 Lire) vorläufig zu erhalten. Die Börse hat sehr prompt reagiert, durch Hinaufschnellen aller Bank­attien und bessere Quotierungen der industriellen Aktien und auch der Staatspapiere.

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Sieht man die wüste Unordnung, in der die italienische Volkswirtschaft den Fahnen der Aufwer­tung folgt, so fann man verstehen, daß es an der Zeit war, still zu halten und zum Sammeln zu blasen. Nach den ersten mit großer Bestimmtheit gemachten Zugeständnissen war nämlich der Kleinhandel ganz zurückgeblieben. Manche Artikel werden noch heute beständig teurer, nament­lich die Gegenstände täglichen Gebrauchs, die wenig kosten. Gleichzeitig werden die Hausbesiger auffässig. Biele erklären ganz einfach, sie machten keine Zugeständnisse und warteten das Urteil des Stadtrichters ab; natürlich fann der Stadtrichter nur für komplizierte Fälle in Betracht fom­men, nicht Fall für Fall die Anwendung des Gesetzes an­ordnen. Also: Obstruktion auch bei den Hausbesitzern, die weder für die Kleinwohnungen das Bierfache der Friedens­miete gewähren wollen, noch die 10 Proz. Reduktion für die Wohnungen von 5 bis zu 8 Zimmern.

Dabei werden die Probleme der Landwirt­fchaft mit jedem Tage verwickelter und dringender. Die in der faschistischen Konföderation der Landwirte zusammen­geschlossenen Provinzialverbände sollen die geforderten Kredite ihrer Mitglieder durch ihr Gutachten empfehlen oder widerraten. Nun fragen die Führer dieser Verbände bei der Zentrale an, wie sie sich zu verhalten hätten, da sie mit der Bezeichnung als ,, Anleihe zu produktiven Zweden" nicht aus­fämen. Der Sekretär des Mailänder Verbandes legt dar, daß eine lombardische Milchwirtschaft eines gewissen Aus­maßes früher 350 000 Lire jährlichen Bruttoertrag ergab, bei etwa 300 000 Lire Kosten. In diesem Jahre ist nun der Bruttoertrag auf 200 000 Lire gefunten. Beantragt nun der Besitzer einer solchen Meierei ein Darlehn, so kann der Ver­band unmöglich verbürgen, daß er zahlungsfähig ist; er weiß vielmehr genau, daß er ein furzfristiges Darlehn nicht zurüd zahlen kann. Andere Sekretäre fragen an, ob man Dar­lehn befürworten dürfe, die den Zweck haben, den über­stürzten Verkauf der neuen Ernte zu verhindern. Riskiert man nicht, daß die Landwirte, bei längerem Warten, noch billiger verkaufen müssen? Auf die erste Frage ist eine aus­weichende Antwort gekommen: die Darlehn wären halb Betriebsdarlehn, halb Meliorationsdarlehn, welche zwei Worte in diesem Falle gar nichts besagen. Was die zweite den Landwirten aufgenommene Geld nach dem heutigen Stande der Valuta zurück gezahlt werden soll.

Die Rechte zum Sturz entschlossen. Frage betrifft, so hat man geantwortet, daß das heute von

Paris  , 12. Juli.  ( Eigener Drahtbericht.) Nach außerordent| streng genug die Verwendung der Armee bei fozialen Ron=

lich erregter Debatte hat die Kammer um 4 Uhr morgens mit 320 fliften untersage und feine ernste Garantie für eine Herab- vielfach um 50 Proz. gefallen sei, während die Arbeitslöhne

Gegen 234 Stimmen den Gesezentwurf über die Wahlreform per abschiedet. Damit ist der endgültige Sieg der Linken und die Rückkehr Frankreichs   zur Kreiswahl für die nächste Wahl gesichert. In den Kreisen der Rechten ist die Stimmung außer­ordentlich erbittert und man befürchtet, daß sie in den nächsten Tagen noch zu einer Kabinettstrise führen könnte.

segung der Dienstzeit enthalte.

England will Truppen vermindern.

Räumung zu diskutieren jetzt zwecklos. London  , 12. Juli.  ( Eigener Drahtbericht.) Im weiteren Ber­lauf der außenpolitischen Aussprache erklärte der ständige Unter­staatssekretär des Aeußeren, die Frage der Räumung des Rhein­landes sei in Genf   bei der letzten Sitzung des Bölkerbundsrats nicht aufgeworfen worden. Die britische Regierung glaube nicht, daß es einen 3 wed hätte, diese Frage jetzt zu erörtern.

Seit Dezember 1926 sei eine beträchtliche herab

Seit Montag ist ein schwerer Konflikt zwischen der Finanz­fommission und der Regierung in der Frage der Nachkriegskredite zur Angleichung der Beamtengehälter ausgebrochen. Während Poincaré   teine Erhöhung der dafür vorgesehenen 3 Milliarden gestatten will, hat die Finanzkommission mit 13 gegen 8 Stimmen beschlossen, die Angleichung der Gehälter mit Rückwirkung vom 1. August 1926 durchzuführen, was eine Mehrausgabe von 425 Millionen bedeuten würde. Diese Summe soll aus dem Uebersetzung der Besatzungstruppen im Rheinland   erfolgt. Die britische schuß des Haushalts von 1926 bestritten werden. Sämtliche Mit­glieder des Nationalen Blocks haben sich bei der Abstimmung der glieder des Nationalen Blocks haben sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Poincaré   hat eine Abordnung der Kom­mission, die ihm das Abstimmungsergebnis mitteilte, erklärt, daß er gegen jede Erhöhung die Vertrauensfrage stellen würde. Damit ist die Lage außerordentlich fritisch geworden. Genosse Blum fündigt im Populaire" an, daß die Sozialisten für die Er. höhung der Gehälter eintreten werden. Wenn die Rechtsparteien im Plenum aus Rache für ihre Niederlage dieselbe Haltung ein­nehmen wie in der Kommission, so ist die Regierung gestürzt. Es ist aber möglich, daß sie sich im Laufe des Dienstags noch anders besinnen.

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Die Sozialisten gegen die Heeresreform. Paris  , 12. Juli.  ( Eigener Drahtbericht.) Der Senat hat am Montag mit 272 bürgerlichen gegen 18 sozialistische Stimmen die von der Kammer überwiesene Vorlage über die Heeresreform beinahe ohne Veränderung angenommen. Die sozialistische Senats­gruppe begründete ihre Ablehnung damit, daß das Gesetz nicht

Regierung sei allerdings der Auffassung, daß diese Verminderung nicht weit genug durchgeführt worden sei und nicht soweit, wie in der Entschließung der Botschafterkonferenz beabsichtigt worden war. Die englische Regierung werde weiterhin dafür eintreten, daß die baldige Erfüllung jeder Erwartung zustande kommt, die durch die Entschließung der Botschafterfonferenz angeregt worden ist.

In die Todeszelle geführt. Vor der Hinrichtung Saccos   und Vanzettis?! Paris  , 12. Juli.  ( Eigener Drahtbericht.) Einem Telegramm aus Boston   zufolge sind Sacco und Vanzetti in die Zelle für die zum Tode Verurteilten geführt worden. Die Hinrichtung ist auf den 10. Auguft feft gefeht. Das Zentralfomitee zur Rettung der beiden schlägt große internationale kundgebungen für den 31. Juli vor.

Die Agrarier behaupten, daß der Preis ihrer Erzeugnisse nur um 10 Proz. zurückgegangen seien. Sie wissen aber, daß bei den heutigen Preisen im Kleinverkauf weitere Lohn­reduktion ein schreiendes Unrecht gegen die Arbeiter darstellen würde, das die Führer der Syndikate nicht mit ihrer Verantwortung decken wollen, obwohl sie die erklären sich die Grundbesitzer und Bächter bereit, mit weite­völlige Wehrlosigkeit der Arbeiter fennen. Deshalb ren Lohnreduktionen zu warten, fordern aber andere Bu geständnisse, nämlich die Aufhebung der Kontingentierung", d. h. der Festsetzung des Bedarfs an Arbeitskräften auf die Flächeneinheit, je nach dem Anbau. Diese Kontingentierung stammt aus der Zeit der freien Gewerkschafts­bewegung und hatte den doppelten Zweck, die ländliche Arbeitslosigkeit zu vermindern und die Inten­sität des Anbaus zu sichern; sie war gleichzeitig ein Mittel gegen die Landflucht und ein Schutz für die städtische Arbeiter­schaft vor unqualifizierten Lohndrückern.

In vielen Tarifverträgen haben nun die faschistischen Syndikate diese Kontingentierung beibehalten, die die Unter­nehmer jetzt abschaffen wollen, mit der Begründung, daß sie die Produktionskosten erhöht. Das Recht, einen Tarifvertrag während der Periode seiner Gültigkeit abzuändern, ist den Agrariern durch den Artikel 71 der Ausführungsbestimmun­gen des Syndikatsgesetzes verbürgt ,,, wenn eine bedeutende Aenderung des beim Abschluß bestehenden Sachverhalts ein­getreten ist". Früher waren Tarifverträge troß solcher Aenderungen verbindlich; wenigstens haben die Arbeiterinnen befizer, ihre Lohntarife bis Ablauf des Vertrages aufrecht­von Molinella, trotz gegenteiliger Anerbietungen der Grund­erhalten, obwohl sie bei der schnellen Lohnsteigerung der Kriegszeit weniger als die Hälfte des ortsüblichen Lohns erhielten. Damals hielt man dafür, daß ein Tarifvertrag nur insofern Wert hat, als er für beide Teile verbindlich ist.