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Sonnabend

23. Juli 1927

Unterhaltung und Wissen

Marmor.

Der Habicht schreit am Marmorbruch.

Da ist Sonne und Wind und Freiheit genug. Wir lieben dich fühner Habicht!

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Der Meißel flirrt, der Schlegel schwingt Und der jüngste der Werfer, der lacht und fingt. Da ist Sonne und Wind und der Habicht.

Doch der alte Werfer, schon schief und frumm, Der ist ernst und bitter, sein Mund bleibt stumm- Er hört nicht den Schrei des Habichts.

Die Schleiferet, ra- ri ra- rant,

Ei, wie wird der Marmor blank-

Herr Unternehmer rechnet.

Die große Stadt, das feine Café, Der Marmortisch, und dann nijeh!, Ums Tischchen die sauberen Damen.

Zigennermusik

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und Pfropfenfnall Der Reiche genießt so ift's überall. Doch am Steinbruch schreit fühn der Habicht!

Paul.

Maz Dortu.

Bon Josef Paßtor.

( utorisierte Ueberfegung aus dem Ungarischen von Maurus Mezei, Wien )

Mich hat ein Kind, ein ganz unscheinbarer Frazz davor be. wahrt, meine Frau zu betrügen, erzählte ein Mann.

Damals tam auch meine Frau manchmal mit mir in mein Stammtaffeehaus. Und es war für mich immer eine große Freude, wenn sie mich mit ihrem Erscheinen an meinem Tische beehrbe. Paul, das magere, schmächtige Bürschlein, war dort Zeitungs­junge.

Seine blaffe Gefichtshaut, seine traurigen, verträumten Augen und sein nachdenkliches Gesicht, dann der in dem schwarzen Anzug noch hagerer scheinende Körper erinnerte mich immer an Didens Oliver Twist, an den vor dem Zeichenzug dahinschreitenden trauri­gen fleinen Oliver, der in dem Sarggeschäft allnächtlich in einem Sarg einschlief.

Die meisten Zeitungsjungen warfen binnen weniger Monate Sen Blütenstaub ihrer Familie von sich ab und mausern sich zu scharfäugigen, dienstbeflissenen, Gaunern. Paul änderte sich nicht so leicht. Paul war eine Individualität. Er war aufrichtig und des­halb sah ich manchmal in seien Augen auch Tränen erglänzen. Aber die Tränen verließen nicht die Augen. Obwohl er noch ein Rind war, preßte er doch den Mund zusammen und weinte nicht.

Paul war noch niemals verliebt gewesen. Er mußte den müden Herren mit halb erloschenen Herzen pikante, frivole Blätter zutragen, aber sein Blick glitt über die nackten Zeichnungen hinweg, als würde er noch immer an ein längst abgenutztes Hutschpfero denken, das zu Hause irgendwo auf dem Dachboden herumliegt.

Baul log nie. Einmal beschuldigte ich ihn scherzhaft einer Lüge. Darauf schaute er mich traurig an und fragte mich mit

bebender Stimme:

Warum sagt das der gnädige Herr? Ich lüge nie." Als meine Frau das erstemal ins Kaffeehaus tam, bemerkte ich, daß Paul plötzlich aufgeregt wurde. Er war immer dienstbe­fliffen, jetzt aber legte er alles so auf meinen Tisch, als wäre es aus feinstem Glas gewesen. Er hätte meiner Frau nicht um bie Belt ins Gesicht geblickt, aber ich bemerkte, wie er sie hinter einer Säule hervor, sich hinter einer Zeitung verbergend, voller Entzücken

betrachtete.

Ich lächelte natürlich. Eine Huldigung tut einem stets wohl und komme fie auch von wem immer. Um so frischer, rührender war diese Sache, weil ich wußte, daß Paul noch niemals an eine Frau gedacht hat.

Als ich am nächsten Tag ins Kaffeehaus tam, tat er sehr ge. schäftig um mich herum. Ich bemerkte, daß er etwas sagen will. Schließlich fragte er mich, auf meinen Tisch gestüzt, mit findischer Selbstvergessenheit und leicht gerötetem Gesicht:

War das die Gemahlin des gnädigen Herrn, die gestern hier war? Nicht wahr, Ihre Gemahlin?"

Er sah mich mit offenem Blick an.

Wer sollte es denn sonst sein, Baul?"

Paul seufzte. Seine Hand bewegte sich plötzlich auf dem Tisch, und mit aufleuchtenden Augen, ein wenig lächelnd, sagte er:

Ich möchte sehr gern wissen, welche Blätter die gnädige Frau gerne lieft, damit ich diese, wenn sie fommt, gleich bringen kann." Ich blickte ihm in die Augen. Pauls Gesicht wurde schöner. ,, Du! Dieses Kind aus dem Kaffeehaus ist in dich verliebt," pruch ich zu Hause zu meiner Frau.

Die Frau lachte leicht, fröhlich.

Als sie das nächste Mal wieder ins Kaffeehaus tam, betrachtete Sie den Jungen genauer. Einmal begegneten sich auch beider Augen. Maul mendete verlegen rasch den Blick ab und meine Frau lächelte, fich plötzlich zu mir wendend.

Ich verlangte von ihm irgendein Blatt.

Er antwortete fühl. so daß ich betroffen wurde. ,, Nun, was ist das, Paul?"

Meine Frau blickte verwundert auf den Jungen, dann ent­nahm sie ihrer Handtasche plöglich eine Konfitürentüte und reichte fie Paul. Und sanft, freundlich sagte sie:

Nehmen Sie, Paul... weil Sie so aufmerksam waren Baul stand verlegen, die Hand zurückziehend, zusammenge­frümmt vor uns. Er senkte den Blick und flüsterte bloß: O, gnädige Frau!"

,, Nun!" ermunterte ihn meine Frau.

Endlich griff er mit zitternden Fingern in die Konfitürentüte. Und plötzlich fragte er dankerfüllt, mit strahlendem, gerötetem Gesicht:

Wünscht die gnädige Frau nicht das Chic Parifienne"? Es ift eine ganz neue Nummer."

Und sich zu ihr neigend, fügte er leise hinzu:

Wenn irgendein Modell der gnädigen Frau gefallen sollte,

Der Ertappte.

600

Доли

Kandell

Lehrer Braun: Also, Schüler Keudell, wiederholen Sie, wie sich die Beratung der Verfassungsfeier im Reichsrat wirklich abgespielt hat."

Schüler keudell: Herr Lehrer,... ich heute nicht präpariert!"

Beilage

des Vorwärts

verachtungsvollen Blick auf die Dame, die sich anmutig, erwar­tungsvoll und mit größter Ruhe an dem Tisch niederließ.

Paul antwortete nicht auf meine Frage, aber er warf mir einen tiefen, vorwurfsvollen Blick zu. Und mit herausfordernder Kälte sagte er bloß soviel:

,, Abendblätter oder illustrierte Blätter?"

Ich maß Paul von Kopf bis Fuß und versuchte, meine Ruhe zurückzugewinnen. Es gelang mir aber nicht.

Die Frau tauchte den Löffel in die Schale, machte einen Schluck und wendete sich dann mit gewählter Liebenswürdigkeit an den Jungen:

Irgendein Modeblatt."

Baul maß die Frau und entfernte sich.

Ich nahm die Frau erst jetzt näher in Augenschein. Sie war ganz hübsch, aber gegen ihren Geschmack und ihre Eleganz wäre viel einzuwenden gewesen. Ich blickte auf Paul, ich schämte mich.

Paul blinzelte mir traurig zu, aber Blätter brachte er feine. Ich nahm mich zusammen und schrie den Jungen zornig an: Blätter!"

Er nickte ein wenig mit dem Kopfe und maß von der Seite die neben mir sigende Frau. Sein Blick stach und brannte. Auch die Frau bemerkte es. Sie wurde unruhig und bemerkte affettiert: ,, Ist das aber ein frecher Frag!"

Ich weiß nicht, warum, plötzlich schnürte mir aber etwas die Kehle zusammen. Ich fieberte und ich hätte in meiner But am liebsten auf den Tisch geschlagen.

Paul näherte sich uns mit trägen Schritten. Er schob mortlos

einige Blätter auf unseren Tisch und wendete sich ab.

"

Paul," sagte ich ruhig und preßte den Mund zusammen.

Paul drehte sich um.

Jetzt hätte ich etwas sagen sollen. Mein Gesicht brannte. Ich sprang auf.

" Baul," sprach ich aufgeregt, wo ist hier das Telephon?" Paul deutete mit abgewandtem Blick in die Richtung der Telephonzelle.

Beige es mir," sprach ich zu ihm streng.

" Berzeihung!" sagte ich zu der Dame und folgte Paul, der wortlos vor mir einhertrollte.

Wir traten in die Telephonzelle. Ich blickte auf Paul, der auf das Telephon zeigte.

Bebend, gepreßt brachen die Worte aus mir hervor: " Paul! Du sprichst also kein Wort zu mir? Paul? Du sagst mir nicht einmal, seit wann du hier bist? Wie es dir geht?" Baul sentte beschämt den Kopf und murmelte: ,, Gnädiger Herr...

Ich fuhr mir über die Stirn. Paul schaute mich an. Bor wurfsvoll und beschämt. Dann fragte er mich plötzlich in schmerz­lichem Ton:

Wie hat sich der gnädige Herr hierher verirrt?" Ich konnte meine Scham nicht loswerden. Ich hätte am lieb­

ften mit den Füßen gestampft oder den Jungen geschlagen, aber er war so dünn, so mager und traurig.

Ich trat zu dem Jungen. Ein wenig zögerte ich. Dann aber ich... bin griff ich plötzlich in die Tasche und als hätte mir der Mund ge­brannt, so entströmten ihm die Worte:

Mein Junge.. Ich legte meine Hand auf seine Schulter. Hier sind drei Schilling, gehe hinein und übergib sie dem Ober­nehme ich es aus dem Blatt heraus... die Damen stehlen sie ja fellner. Bezahle damit, was wir verzehrt haben.... Was von ohnehin." dem Gelde übrig bleibt, gehört dir. Der Dame sage, daß ich telephoniert habe und daß ich fort muß, da man mich dringend zu sprechen wünscht...

Als er fortging, sagte ich zu meiner Frau lachend: Er stiehlt auch schon für dich!" Meine Frau blickte nachdenklich vor sich hin: Laß den Armen!

Vielleicht hat er niemals feine Mutter gekannt... Bielleicht hat ihn niemals fanft eine Frauenhand ge­

streichelt...

Es verging etwa eine Woche, bis meine Frau wieder ins Kaffeehaus fam. Ein kleiner Bub brachte Rosen in das Kaffeehaus. Ich kaufte einige und stellte sie in das Glas meiner Frau.

Ich sah, wie Paul selbe lange betrachtete. Meine Frau nahm die Rosen aus dem Glas und roch an ihnen. Paul tat geschäftig um uns herum. Plötzlich blieb er stehen. Er legte irgendeine Zeitung auf unseren Tisch und betrachtete die Rosen.

Schöne Rosen," sprach er leise. Sie müssen sehr gut riechen." Dann glühte plöglich sein Gesicht. Seine Augen wurden von findlicher Sehnsucht erfüllt, als die Worte seinen Lippen ent­Gestatten Sie es, daß ich an den Rosen rieche?" Meine Frau reichte ihm die Blumen.

schlüpften:

"

Paul nahm das Glas und hob es mit seiner Kleinen, schmalen Hand an die Nase. Er schloß die Augen, seine Nasenflügel senkten sich auf die Blumen, wie eine nach Blütenstaub dürstende Biene, und er fog langsam den Duft der Rosen ein.

Er stellte das Glas nieder. Er sprach fein Wort. Erft als er schon einige Schritte von unserem Tisch entfernt war, drehte er sich um und sagte verlegen:

Ich danke!"

Auf Pauls Stirne strahlte irgendein findlicher, lächelnder Stolz. Seine Schritte wurden flinker. Er tam nicht zu unserem Tische,

nur manchmal blickte er zu uns herüber.

Man sah ihm an, daß er am liebsten herumgesprungen wäre. Er warf eine Ansichtskarte in die Höhe, fing fie geschickt auf und blickte triumphierend auf meine Frau.

Dann verreiste meine Frau auf längere Zeit und so tam sie nicht ins Raffeehaus. Als ich eines Tages wieder ins Kaffeehaus fam, war ein neuer Zeitungsjunge dort.

Ich fragte den Oberfellner.

Wir mußten ihn weggeben," entgegnete dieser, denn er war sehr zerstreut. Er grübelte in einem fort und starrte in die Luft.

*

Es war zu Frühjahrsbeginn. Meine Frau war verreift. Ich tam in der Au auf einer von der Sonne beschienenen Bank neben eine Frau zu fizen. Die Frau ließ die Handtasche fallen, ich hob sie auf und übergab sie ihr. Ich lächelte und sie blickte zurück. Ich sprach sie an und sie antwortete freundlich. Zuerst spielte ich nur mit den Worten. Es reizte mich, zu erfahren, was ich fann. Das interessiert uns Männer eigentlich stets mehr als das Abenteuer selbst. Dann eine Einladung auf eine Tasse Tee in das nächst gelegene Kaffeehaus, das doch ohnehin schon am Ende der Welt ist. Die Frau weigert sich, schließlich geht sie aber darauf ein. Raum hatten wir uns im Koffeehaus niedergelassen und etwas bestellt, stand, wie aus der Erde emporgeschossen, plöglich Paul

Dor mir.

"

Paul," sprach ich ihn an, hier bist du also jetzt?" Und ich fühlte, daß ich bis über die Ohren errötete.

Baul starrte mich zuerst verwundert an, dann warf er einen

Ich schaute mich um und blickte auf Paul. " Sag', wo ist hier ein rückwärtiger Ausgang? Beige ihn mir." Pauls Geficht heiterte sich plötzlich auf und sein Antlig strahlte. Hier, gnädiger Herr, hier!" sagte er fiebernd. Ich werde schon alles erledigen, gnädiger Herr. Hier kann man hinausgehen, gnädiger Herr. Sie fommen in eine kleine Gaffe, aber in einer minute sind

Sie bei der Haltestelle."

Dankerfüllt, beflügelt von irgendeiner plötzlich entstandenen Freude blickte er mich an und saçte glücklich:

,, Es geht mir ganz gut, gnädiger Herr. Sie beliebten vorhin zu fragen. Es geht mir ganz gut."

Er senkte den Blick und verstummte plötzlich. Nur um den gnädigen Herrn tut es mir leid," flüsterte er. Nur um den gnädigen Herrn und um die gnädige Frau Ich nahm ihn beim Kinn, hob seinen Kopf in die Höhe, streichelte seine Haare und sagte mit einer schon lange nicht empfun. denen Rührung:

Lieber, guter Baul ich werde manchmal zu dir tommen wenn es einmal wärmer sein wird, wir werden mit dem Auto herauskommen.... Und auch im Sommer.

Ich trat auf die Straße hinaus und blickte nicht zurück Aber ich fühlte, daß Paul in der Tür steht und mir seinen Blic nach schickt.

Ich seufzte und eilte davon. Ich flüchtete vor einer Dummheit, die ich später sicherlich sehr bereut hätte. Ich schämte mich noch ein wenig vor mir selbst, aber das verging bald.

Der Mann lächelte und fügte nur das eine noch hinzu: " So hat mich Paul vor dem Fall errettet.

Ein föniglicher Bieffraß. Bekanntlich fand man nach dem November­umsturz im Berliner Schloß derartige Mengen von erstklassigen Lebensmitteln, daß Wilhelm II. aus Furcht vor dem Verhungern ganz gewiß nicht geflohen sein konnte. Er hätte noch jahrelang aus seinen Vorratskammern einen Appetit pflegen fönnen, wie ihn sein erlauchter Standesgenosse in Frankreich , Ludwig IX. , zeitlebens bewiesen hat. Kardinal Dubois erzählt davon in seinen Memoiren erbauliche Dinge, so z. B., daß Ludwig bereits zum Frühstück min­destens drei verschiedene Gerichte verzehrte, die massenhaft ge­nossenen Früchte der Saison nicht mit eingerechnet. Zum Souper futterte der König allein soviel wie eine normale Arbeitslosen­familie in vierzehn Tagen. Es war nicht selten, daß er vier Teller verschiedener Suppen, sich dann einen ganzen gebratenen Fasan einverleibte, zwei Salate darauf setzte, eine gehörige Portion Lamm­fleisch folgen ließ und das Ganze mit zwei großen Schinkenfcheiben bedeckte. Zwischendurch wurde dann noch eine Portion harter Eier vertilgt und zum Beschluß ein Nachtisch von zahlreichen Obstsorten, Törtchen und Konfitüren genommen. Zu dieser Esserei paßte dann sehr gut ein ausgedehntes Gerülpse und Geschmaße, das bei Ludmig IX. das Tischgespräch vertrat. Im übrigen war der König so besorgt um seinen Magen, daß er auf Reisen ungeheure Mengen Proviants mitnahm. Passierte ihm dann unterwegs etwas Natür­liches, stieg er einfach aus seinem Wagen und überließ es den be­gleitenden Hofdamen, nach der anderen Seite zu schauen! Beziehungen dieses föniglichen Bielfraßes etwa zu den Gesinnungen föniglicher Häupter im letzten Kriege erhellen aus der Tatsache, daß zu Ludwigs IX. Beiten wie denen des Krieges die breiten Massen des Bolkes nicht wußten, wie sie ihren Hunger stillen sollten!

Die