Abendausgabe
Nr. 345 44. Jahrgang
Ausgabe B Nr. 170
10 Pfennig
Sonnabend
23. Juli 1927
= Vorwärts=
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
125 Millionen Postgewinne!
Trotzdem Portoerhöhung auf der ganzen Linie.
Am Tage nach der Verabschiedung der Portogebühren in erster| Lesung legt die Deutsche Reichspoft ihre Bilanz für das Rechnungsjahr 1926 vor. Die Post ist darauf sehr stolz, daß das schon" jetzt geschieht. In der Deffentlichkeit hat man ihr vorgeworfen, daß fie die Bekanntgabe ihres Geschäftsberichts absichtlich verzögere. Tatsächlich muß man sich heute fragen, ob die Debatte nicht einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn eine Entscheidung über die Portofrage erst erfolgt wäre, wenn der Abschluß vorher einer öffentlichen Kritik unterbreitet worden wäre.
Das notleidende Unternehmen, das sich Reichspost nennt, leidet nämlich gar teine Not. Es vermochte im letzten Jahre einen
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Gewinn von 125 Millionen Mart
zu erzielen, wovon 55 Millionen dem Vermögen zugewiesen, 70 an das Reich abgeführt werden. Das ergibt eine Berzinsung von 5% Prozent für ein in der Rationalisierung begriffenes Unternehmen, das sich nur schwer von Kriegs- und Inflationsfolgen freimachen fonnte, gar nicht so wenig! Allerdings ist der Gewinn wesentlich nie driger als der Voranschlag annahm. Aber er ist vorhanden, und die Art, wie er zustande kam, läßt darauf schließen, daß der Boranschlag im vergangenen Jahre sehr reichlich bemessen war! Freilich haben
auch die Vorräte der Reichspost um 75 Millionen Mark abgenommen. Im Geschäftsbericht ist jedoch nichts darüber gesagt, ob diese Verminderung der Vorräte eine wirtschaftlich zweckmäßige Maßnahme war oder ob sie eine unter wirtschaftlichem Druck vorgenommene Entlastung von überflüssigen Materialanhäufungen darstellt.
Die Post selbst bezeichnet das
Gesamtergebnis als noch befriedigend.
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um die Hoffnung zu rechtfertigen, daß die in diesem Jahr vorgesehenen Mehrausgaben ohne Gebührenerhöhung Deckung finden. Diese Bemerkung wäre verständlich, wenn zunächst alle Hebel in Bewegung gesetzt worden wären, um die Portoerhöhung zu ver= meiden. Man hat aber durchaus nicht den Eindruck, daß dies der Fall ist. Im Gegenteil: Seit seinem Auftreten hat der neue Postminister nicht geruht, bis er sein Ziel erreicht hat unbefümmert um die sachliche Kritik und um die Ablehnung, auf die er im Barlament und in weiten Kreisen der Wirtschaft gestoßen ist.
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Auch im Juni normaler Postverkehr. Gleichzeitig ist das genau? Ergebnis für den Monat Juni 1927 bekanntgegeben worden, so daß nunmehr auch die Zahlen für das erste Viertel des neuen Rechnungsjahres vollständig vorliegen. Das Ergebnis steilt sich nach den vorliegenden Mitvorliegen. Das Ergebnis stellt sich nach den vorliegenden Mitteilungen wie folgt: Die Einnahmen sind um 18,5 Millionen Mart hinter dem Durchschnittssoll für drei Monate zurückgeblieben. Das ist an sich normal. Der faffenmäßige Fehlbetrag beläuft sich auf 22,6 Millionen Mark. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die in Aussicht genommene Anleihe noch nicht aufgenommen worden ist, und daß bei den Ausgaben gegen über dem Voranschlag mit Rücksicht auf die bisher ungeflärt gewesene Finanzlage der Deutschen Reichspost große zurückhaltung geübt worden ist. Der nach Berücksichtigung der ausstehenden Ausgaben sich ergebende rechnungsmäßige Fehlbetrag stellt sich auf 67,4 Millionen Mart.
Der Vorsitzende des Zentralbetriebsrats der Reichspoft, Genoffe Bruno Voigt , bittet uns mitzuteilen, daß er als einziges Mitglied der Personalvertretung im Verwaltungsrat gegen die Postgebühren
Doch reiche es nicht hin- und hier kommt Schäßels altes Lied erhöhung gestimmt hat.
Aufruf der Wiener Polizeigewerkschaft
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Gegen die politische Ausschlachtung der Tragödie.
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monftranten beschimpft und bedroht, versuchten die Führer der sozialdemokratischen Partei, wie Bürgermeister Seiß, Dr. Deutsch und andere, den Löschtrain an das brennende Justizpalais heranzubringen; sie mußten von ihrer Absicht lassen. Ein Beweis, daß dort, wo überhaupt das Eingreifen dieser politischen Partei zu bemerken war, dies nur im Interesse der Ordnung und Ruhe geschah."
Die dann im Laufe der Nachmittagsstunden ungeheuer gestiegene
patronen, aber auch auf die unwahren Gerüchte, mit denen patronen, aber auch auf die unwahren Gerüchte, mit denen die Polizisten offenbar von gewissen Borgesetzten aufgehegt wurden.
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Die freie Gewerkschaft der österreichischen Bon den durch kommunistische Agitatoren verhetten DeBundesgendarmerie, jene Organisation, die auch den größten Teil der Wiener Polizei umfaßt, veröffentlicht einen längeren Aufruf, den die Wiener Arbeiterzeitung " mit Recht als eine ,, würdige Kundgebung" bezeichnet. Darin wird zunächst der Darin wird zunächst der Todesopfer aus den Reihen der Polizeibeamten ge= dacht zwei von ihnen waren Mitglieder der freien Gewerks schaft sodann aber hinzugefügt: In unserem Schmerze um die toten und schwerverletz- Zahl der Todesopfer führt der Aufruf u. a. auf die Einschuß ten Kollegen, es sind deren 93, wollen wir aber auch der hundert Todesopfer der Wiener Bevölkerung gedenken, von denen ein nicht unbeträchtlicher Teil schuldlos das Leben laffen mußte. Ein unglückseliges Verhängnis wollte es, daß bei der Munitionsausgabe sogenannte infchießpatronen zur Verteilung gelangten und so gewöhnliche Streif- und Durchschüsse zu entfehlichen Todeswunden wurden. Der vollkommen überraschende Ausbruch der Unruhen traf scheinbar alle in Betracht tommenden Körperschaften staatlicher und privater Natur vollkommen unvorbereitet, und wilde Gerüchte ließen das Entsetzen über die Geschehnisse ins Ungeheure wachsen. So sprach man schon in den Vormittagsstunden des 15. Juli von sechzig getöteten Wachebeamten. Eine entsegliche Nerven= belastung für unsere Kollegen der Sicherheitswache war es, als das Gerücht verbreitet wurde, daß die Polizeihäuser in Wien gestürmt werden sollen und die Familien der Wachebeamten in Lebensgefahr stünden. Die Tatsachen widerlegten die Gerüchte.
Heute ist zu erkennen, daß unser Staat, unsere Republik in den Tagen des Entsetzens ha arscharf am Rande des Ab= grundes vorbeiging. Glüdlicherweise gelang es allen politischen Parteien, die radikalen Elemente zurückzudrängen und den Bürgerfrieg zu vermeiden, von dessen Schrecken Wien am 15. Juli eine Ahnung befam. Unsere Aufgabe ist es, allen Kollegen, ohne Unterschied der Organisationszugehörigkeit, Tatsachen zu übermitteln, die allein geeignet sind Beunruhigung zu vermeiden und die Beamten von falschen Schlüssen zu bewahren."
Sodann wendet sich der Aufruf gegen die Versuche der sogenannten chriftlichen Gewerkschaften, aus den blutigen Ereignissen parteipolitische Geschäfte zu machen. Das sei Leichen fledderei. Gegenüber den verlogenen Behauptungen dieser regierungsfreundlichen Verbände erklärt der Aufruf:
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Als Zeugen der Vorfälle müssen wir objektiv feststellen, daß in den entsehlichen Stunden des Beginnes der Katastrophe die in unmenschlicher Erregung befindliche Volksmasse volltommen führerlos und jedem gütlichen Zureden unzugänglich war.
Tatsache ist, daß eine große Zahl Todesopfer zu verzeichnen ist, die ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihrem Alter nach mit den Unruhen in feinem Zusammenhang stehen fönnen. Es ist weiter Tatsache, daß Sanitätsstationen ebenfalls unter Feuer genommen wurden."
Die freie Gewerkschaft der Bundesgendarmerie erklärt zum Schluß, ungeachtet dieser Wahrnehmungen, feinerlei Vorwürfe erheben, sondern den Gang der Untersuchung abwarten zu wollen, denn sie werden alles daranseßen, um eine restlose Fest stellung der Schuldigen zu ermöglichen".
Die polizeiliche Untersuchung im Gang. Wien , 23. Juli. ( WTB.) Die polizeiliche Untersuchung wegen der Vorgänge am 15. und 16. Juli und das Strafverfahren gegen die Verhafteten gliedert sich in zwei Teile: in die Untersuchung der rein triminellen Dinge, also Brandstiftung, Totschlag, Raub und Plünderung, und in die der politischen Zusammenhänge.
Neues Aufflackern des Brandes.
Wien , 23. Juli. ( TU.) In der Ruine des Justizpalastes brach an der Rückfront Feuer aus. Zuerst sah man aus dem noch immer nicht aufgeräumten Schutt Rauch aufsteigen, dem alsbald hoch aufschlagende Flammen folgten. Sofort sammelte sich eine große Menschenmenge an. Nach etwa halbstündiger Arbeit der Feuerwehr konnte das Feuer niedergeschlagen werden. Es war dadurch entstanden, daß der heftige Sturm die noch immer glimmenden Balten zum Brennen brachte.
Dunkle Drohungen der Heimatwehren. Innsbrud, 23. Juli. ( TU.) Auf Nachrichten über angeblich ge plante Verhandlungen wegen eines Eintritts der Sozialdemokraten in die Bundesregierung hat die Bundesleitung der alpenländi ichen Heimatwehren an den Bundeskanzler Dr. Seipel ein Telegramm gerichtet, in dem gefordert wird, daß etwaigen auf eine fuchen unbeugfamer Widerstand entgegengesetzt werde. Sollte dies nicht der Fall sein, so müßten die Heimatwehren Maß nahmen folgenschwerster Art ergreifen.
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Der Anschluß eine Gefahr?
Antwort an Sauerwein.
Die Wiener Unruhen haben in Frankreich anders ge= wirkt als in Deutschland . In Deutschland haben wir es erlebt, daß maßgebende deutsch nationale Organe die Gelegenheit benutzt haben, um in aller Form von der An= schluß idee abzurücken. Die Deutschnationalen haben damit nur ihre wahre Gesinnung verraten, über die mir nie im Zweifel gewesen sind. Für ihren rückwärts gewandten Geist gibt es nur ein Ideal: das Deutschland , wie es vor dem Kriege gewesen ist. Die kleinsten polnisch gewordenen Nester sind ihnen mehr ans Herz gewachsen als Wien und Graz , Innsbruck und Linz . Die an Polen abgetretenen Gebiete sind Teile Ostelbiens, dort fühlen sich unsere Junker zu Hause, Desterreich aber ist ihnen ein recht unangenehmes Land, in dem es fast nur Schwarze und Rote gibt. In Desterreich ist der Adel abgeschafft, die Wehrmacht ist republikanisch. Bon echtem Preußengeist mit Hurra und Feste druff ist dort nicht das allermindeste zu bemerken. Franzosenhaß hat es dort niemals gegeben, eine Gesinnung, die im deutschnationalen Sprachgebrauch verweichlichender Pazifismus" heißt, ist in allen Kreisen der Bevölkerung zu Hause. Die Deutschnationalen fürchten vom Anschluß eine pazifistische und republikanische, eine katholische und sozialdemokratische Verseuchung" des ganzen Reichs. Darum stehen sie dem Anschluß, obgleich er eine sehr nationale Idee" ist, reserviert oder ablehnend gegenüber.
Träger der Anschlußidee sind in Deutschland die Kreise, die nicht zu fürchten brauchen, was den Deutschnationalen als eine Gefahr erscheint, die entschiedenen Republifaner und vor allem die Sozialdemokratie. Sie sind aus Prinzip Anhänger des Selbstbestimmungsrechtes und betrachten es als ein Unrecht, daß man einem Bolt, das zu Deutschland will, das Recht der freien Entscheidung verweigert. Ein Zuzug republikanisch und friedlich gesinnter Elemente ist ihnen im höchsten Maße erwünscht. Sie er= warten aus ehrlicher Ueberzeugung vom Anschluß nicht nur eine Stärkung der deutschen Republit, sondern auch eine Sicherung des europäischen Friedens. Weil sie aber auch nicht. wollen, daß der Frieden Europas durch Mißverständnisse gefährdet wird, weil sie wissen, daß ein Bruch der bestehenden Verträge, so ungerecht sie auch sind, eine Gefahr für den Frieden bedeutet, darum wollen sie den Anschluß nicht gewalt= sam, sondern auf legalem Wege vollziehen, soweit dieser legale Weg auch heute noch zu sein scheint. Der legale Weg ist der Weg über den Völkerbund. Soll er frei werden, dann ist es nötig, nicht nur den Anschlußgedanken in den beiden unmittelbar beteiligten Ländern aufrechtzuerhalten, sondern auch die übrige Welt für diesen Gedanken reif zu machen.
Otto Bauers pessimistische Auffassung daß der Anschluß erst nach schweren Erschütterungen zustande kommen spruch. Mögen diese Erschütterungen eintreten oder nichtwerde, steht mit der hier vorgetragenen feineswegs in Widerauf alle Fälle bleibt es notwendig, den Anschluß geistig vorzubereiten. Von mehr ist in diesem Augenblick nicht die Rede.
reichischen stellen sich dem französischen Beobachter die Ganz anders jedoch als dem deutschen und dem öfterDinge dar. Im ,, Matin" stellt Herr Jules Sauerwein , Forderung auf, die Locarnomächte müßten noch in wie uns unser Pariser Mitarbeiter telegraphiert, soeben die diesem Sommer zusammenkommen, um die durch die bannen. Wenn der Anschluß von Deutschland und Desterreich Anschlußfrage drohende Kriegsgefahr zu eines Tages vollzogene Tatsache ist, stünden sofort sämtliche Länder der Kleinen Entente im Kriege, wobei Italien und Frankreich nicht neutral bleiben tönnten. Die Anschlußgefahr, so erklärt Sauerwein weiter, sei die Hauptursache dafür, daß Frankreich sich noch immer weigere, das Rheinland zu räumen. Die Besetzung des Rheinlandes stehe zwar im Widerspruch zum Geist von Locarno , aber sie sei das einzige Druckmittel, um den Anschluß zu verhindern.
Es spricht gar nichts dagegen und viel dafür, daß die Anschlußfrage einmal zwischen den Locarnomächten unter Zuziehung der anderen interessierten Nachbarstaaten in freundSchaftlicher und aufrichtiger Weise erörtert wird. In einer folchen Besprechung würde sich zeigen, daß die Länder der kleinen Entente sehr unrecht täten, wenn sie Desterreich wegen seiner Anschlußwünsche mit Krieg bedrohen wollten. Es ließe sich in ihr wohl auch Beruhigung darüber schaffen, daß der Anschluß nicht etwa putschartig über Nacht kommen würde. Was allerdings nie verlangt werden dürfte, das ist ein prinzipieller Berzicht Defterreichs auf den Anschluß an Deutsch land oder ein Berzicht Deutschlands auf das Recht, Desterreich aufzunehmen, sobald die vertragsmäßigen Bedingungen der Aufnahme erfüllt sind. Man kann von Deutschland und Defterreich verlangen, daß sie Verträge halten und auch solche sieht aber nicht verlangen fann man von ihnen, daß sie noch auf jenen Rest von Recht verzichten, den ihnen die Verträge gelassen haben.
In diesen und den darauffolgenden Stunden fanden unsere KolLegen der Sicherheitswache nur bei den Ordnern des Republikanischen Schuhbundes Hilfe und Schuß. Viele verwundele Kollegen verfichern, daß sie nur dem Einschreiten dieser Ordner ihr Leben verdanken. So wurde der Abteilungsinspektor Friedrich durch Schuh- Aufnahme der Sozialdemokraten in die Regierung hinzielenden Ver- Bestimmungen der Verträge, deren Ungerechtigkeit jedermann
bündler aus dem brennerden Justizpalast gerettet, in dem er ansonsten verbrannt wäre. Ein Ordner lieh einem Bachmann seine Kleidung, um diesen durch die rajend gewordenen Demonstranten bringen zu können, und zog die Hose des Wachmannes an. Der Kollege tam mit dem Leben davon, der Ordner jedoch murde von der Menge als Wachmann betrachtet und mußte feinen Retterdienst mit dem Leben bezahlen. Ungezählt sind diese Fälle und beweisen, wie gewissenlos jene sind, die aus parteipolitischen Motiven diese Tatsachen um lügen.
Eine andere