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Freitag

29. Juli 1927

Kulturarbeit

Beilage des Vorwärts

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DIE KINDERREPUBLIK SEEKAMP

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ހހގ ހހހހ.

Eine Republik der Kinder? Ist das nicht eine findische Spiele. rei? Nein, es handelt sich hier um eine sehr ernste, sozialistische Erziehungsfrage. Die Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde hat mit vollem Bedacht diese besondere Form des Ferienzeltlagers für ihre kleinen Freunde gewählt.

Auf einer großen Koppel des städtischen Gutes Seekamp, nahe bei Kiel , sind 150 Rundzelte zu einer großen Gemeinschaft vereinigt. Unter Mithilfe der Kinder sind acht" Dörfer" aus Zel­ten erbaut worden, in denen die Kinder nun vier Ferienwochen verbringen und durch Mitverantwortung zur Selbstermal­tung erzogen werden. Erholung und Erziehung zur Gemeinschaft sind die beiden tragenden Ideen der Kinder­Republik. Das Zusammenleben im Zeltlager entwickelt gemein­schaftsbildende Kräfte, die Kinder gewöhnen sich an Ein­ordnung in ein großes Ganzes. Aber nicht geringer als der er= ziehliche Wert dieser Kinder- Republit, ist ihre gesundheit= Iiche Bedeutung anzuschlagen. Mehr als 2000 Arbeiterkinder sind für vier Wochen der dumpfen Großstadtluft entrissen, fönnen sich frei tummeln in Licht und Sonne, in der frischen Seeluft an der Kieler Förde . Das ist mehr, als manche Proletariermutter sich für ihr Kind zu erträumen wagte.

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Die Selbstverwaltung der Kinder ist so organisiert, daß jedes Belt seinen fleinen Zeltobmann hat, jedes Dorf sein Dorfpar= Iament, in das die einzelnen Zelte der Dorfgemeinschaft ihre Bertreter schicken. Der Bürgermeister- ein erwachsener Helfer leitet die Beratungen und ist für das Dorf verantwortlich. In so einem Dorfparlament çibt es gar viel zu beraten: Die Bekannt. machung der Lagerverwaltung, die Wünsche der Kinder werden be­sprochen, Arbeitsdienst und Wachdienst ist einzuteilen, Organisa tionsfragen sind zu lösen, eine Wanderung wird festgelegt und viele andere große und kleine Dinge gibt's zu bereden und zu beschließen. Im Zelt hat dann der Zeltobmann Bericht zu erstatten. Die ganze Zeltrepublik wird geleitet von einem großen Lagerparla= ment, das aus jedem Dorf von drei Kindern beschickt wird und dem der Lagerpräsident und die Sachverwalter( Wachdienst, Ber: pflegung, Sport und Spiel, Gesundheitsdienst usw.) verantwortlich find. So werden die Kinder im Spiel vertraut gemacht mit den Gedanken einer freiheitlichen Selbstverwaltung. Nicht immer sind die kleinen Parlamentarier der gleichen Meinung wie die Lager: verwaltung, und es gibt zuweilen recht angeregte Debatten. Ein­mal soll es sogar schon fast eine Art Regierungsfrise" gegeben haben in der Kinder- Republit. Aber die Verständigung ist im Grunde niemals schwierig, weil ja alle Beteiligten immer nur das Beste für ihre Gemeinschaft wollen.

Die Kinder- Republik hat sich natürlich auch ihren eigenen Ordnungsdienst eingerichtet. Gleich vorn am Eingang neben

EINGANG

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Es wird lebendig in den Dörfern, und um 28 Uhr zieht das kleine Volk zum nahen Strand. Dort ist große Morgenwäsche. Motorboot und Rettungsschwimmer stehen bereit; die besorgten Mütter können also beruhigt sein. Das Morgenbad an der See ist immer ein besonderes Vergnügen und nur ungern trennt man sich von dem salzigen Naß. Eine Viertelstunde gymnastische llebun­gen und mit heisa und hussa geht's wieder ins Lager. Dort ist inzwischen das Frühstück fertig geworden. Seit früh um 4 Uhr stehen mehr als 30 Genossen und Genoffinnen aus Kiel in der

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Küche, um 2200 hungrige Mäuler zu befriedigen. Das ist nich: leicht. 13 400 Frühstücksbrote sind jeden Tag zu bestreichen und zu belegen, 1100 Liter Milchkatao sind zu tochen. Und all diese Arbeit wird ehrenamtlich geleistet. Dann geht's ans Frühstück­holen. Die erwachsenen Helfer tragen die großen Behälter in die Dörfer und dort nimmt jeder Zeltobmann das Frühstück für seine Gemeinschaft in Empfang. Ein behagliches Löffeln und Kauen zeigt an, wie gut die Genossen in der Küche ihre Sache gemacht haben.

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Fleisch, ohne die kleineren Zutaten, sind nötig, um den Mittags­hunger für einen Tag zu stillen. Nachmittags gibt's um 4 Uhr einen Viertelliter frische Vollmilch und eine ganz große weiße Semmel dazu. Und am Abend fann jeder Zeltbewohner Abends suppe haben, soviel sein Magen faßt, dazu noch drei bestrichene Brotschnitten. Auch Rekordesser kommen da auf ihre Rechnung. nach dem Mittagessen wird jeden Tag eine einstündige Ruhe­pause gehalten, damit auch alles gehörig verbaut werden kann. Dann beginnt das frohe Treiben auf der Wiese, am Meer und im Lager wieder.

auf der großen Spielwiese. Eine Gruppe vergnügt sich mit Ist das Eßgeschirr gereinigt, dann beginnt ein lustiges Treiben Faustball, dort tanzt man Voltstänze zu frohen Weisen. Wieder andere spielen Schlagball, Völkerball, machen einen Wettlauf oder tun sonst, was ihnen Freude macht. Eine wahre Lust ist's mit an­zusehen, wie die kleinen Körper nur mit Turnanzug oder Bade­fostüm befleidet über die sonnige Wiese tollen. Tausendstimmi­ges Rufen und Lachen erfüllt die Luft, fröhlicher Lärm schallt weit­hin und die Lungen werden weit, die Körper dehnen und recken sich und holen sich Gesundheit und Kraft. Manche Gruppe hat auch einen Streifzug in die Umgebung gemacht oder gar eine richtige Seefahrt unternommen. Das ist dann ein ganz besonderes Er­eignis. Die Kinder aus den Binnenstädten werden da zum ersten Male vertraut mit den Geheimnissen und Schönheiten des Meeres.

Aber auch Arbeitsdienst gibt es in der Kinder- Republit. Wege bahnen, den Strand von Steinen säubern, Gräben ziehen, Kartoffeln schälen und somas. Auch gibt es für Schneider und Schuster allerhand zu reparieren. Aber auch dabei wird's nicht langweilig. Ein frohes Lied gesungen und die Arbeit wird zum Spiel.

Während sich die Kinder beim Spielen oder Wandern erholen, hat man in der Küche alle Hände voll zu tun, das Mittagessen fertig zu machen. Drei große Kessel sind dazu herangeschafft mor­den. 1200 Pfund Kartoffeln, 600 Pfund Bohnen und 275 Pfund.

Den Regen fann man selbst in der Kinder- Republik nicht abschaffen. Deshalb hat man auch für trübe Tage gesorgt. Ein großes Lesezelt ist da und eine Lagerbibliothek, Radio gibt es im Lager und ganz in der Nähe ist Gelegenheit zu Filmvorführungen. Aber auch in den einzelnen Dorfzelten langweilt man sich nicht wenn's regnet. Im Zelt gibt's allerhand zu richten und zu bessern, ein Tagebuch wird geführt und Gesellschaftsspiele tönnen auch im Belt inszeniert werden. Dann gibt's noch eine Zeltlager= zeitung, an der die Kinder selbst mitarbeiten, und schließlich wollen die Eltern auch einmal einen Brief haben. Ein besonderes Postzelt forgt für richtige Erledigung aller Bostsachen. Jedes Dorf hat seinen Briefkasten und einen kleinen Briefträger. Da gibt's çar viel zu tun. Gleich in den ersten drei Tagen sind 9000 Brief­marten und 5000 Postkarten verkauft worden und 9000 Briefe und Karten gingen in den ersten drei Tagen aus der Zeltrepublik ins Land.

Viele Kinder haben von Hause ein kleines Taschengeld mit­bekommen. Meist zwei bis fünf Mart. Das Geld wird von den Helfern jeder Gruppe verwaltet. Nun gibt's im Lager eine Ver. kaufsbude des Konsumvereins Kiel. Da kann man so allerlei erstehen: Obst, Schokolade, Kokosnüsse, Rosinen und was sonst fleine Ledermäulchen gern mögen. Aber das einzelne Kind.bes. tommt nichts. Es kann nur in Gemeinschaften eingekauft werden. Jede 3eltgemeinschaft- 14-16 Kinder legt ihr Geld zusammen und dann wird immer für die Bewohner des ganzen Zeltes ein­getauft. So manchem fleinen Egoisten mußte erst flargemacht werden, daß Kinder von Arbeitslosen dabei sind, die kein Geld haben, und daß man die doch nicht zuschauen lassen könne, wenn andere die guten Sachen schlecken. Sie hatten es schnell verstanden.

Schneider

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Schuster

dem Bachzelt stehen ein paar fleine Wächter in ihren schmucken, blauen Kinderfreundefitteln und mit roten Armbinden als Ab. zeichen ihrer Würde. Niemand fann hier unkontrolliert ein- und ausgehen. Außenstehende können nur mit besonderer Genehmigung der Lagerleitung in dieses Reich der Kinder, mit Ausnahme der zwei Besuchstage. Kinder dürfen nur in Gemeinschaften und in Begleitung ihrer erwachsenen Helfer das Lager verlassen, und die fleinen Wächter fassen ihren Dienst gar ernst und streng auf. Auch des Nachts ist für Wache gesorgt. Die Kinder reißen sich geradezu um diese Aufgabe. Jedes Kind darf aber nur eine Stunde Nacht­mache halten und früh um 7 Uhr zieht einer der Wächter mit seinem Tuthorn in die Zeltdörfer und bläst die kleinen Republikaner aus dem Schlaf. Manche Wache dichtet sich auch einen Vers in der Art alter Nachtwächterlieder und dann hört man früh beim Wecken einen fleinen Sprechchor.

E

G

So, wie in diesem Falle, wird bei manch' anderen Anlässen Ge legenheit sein, in den Kindern egoistische Triebe zurück. zudrängen und den Gemeinschaftsgeist lebendig zu machen.

Eine so große Gemeinschaft, wie die Zeltrepublik der Kinder. freunde fann nicht ohne Gesundheitsdienst auskommen. Ein geräumiges Sanitätszelt ist im Lager aufgestellt, etwas abseits von den Wohnzelten. 3 wei Aerzte aus Berlin , Genosse Dr. Anders und Genossin Dr. Adam leiten den Gesundheits­dienst. 3ehn Arbeiterjamariter unterstüßen sie. Da gibt es immer Arbeit. Aber feine Angst, ihr besorgten Mütter! Die Sonne hat die Haut ein bißchen verbrannt, fleine Hautabschür­fungen oder sonstige unbedeutende Verlegungen sind zu heilen. Ein fleiner Patient hat sich den Fuß beim Springen verstaucht, ein anderer sich gar blutig gestoßen. Ein Umschlag, ein Verband,