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Nr. 356 44. Jahrg. Ausgabe Nr. 182

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Der Borwärts" mit der illustrier. ten Sonntagsbeilage Bolt und Zeit" sowie den Beilagen Unterhaltung und Wiffen". Aus der Filmwelt". Frauenstimme", Der Kinder. freund". Jugend- Borwärts"," Blid in die Bücherwelt" und Kultur. arbeit" erscheint wochentäglich zwei. mal, Sonntags und Montags einmal. Telegramm- Adresse:

Sozialdemokrat Berlin  *

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Sonnabend, den 30. Juli 1927

Man wühlt in alten Wunden!

*

Auch ein Symptom deutschnationaler Außenpolitik. Der französische   Ministerpräsident Poincaré   hat es nicht| Ziele wahrlich nicht nützlichen Eindruck erwecken, daß diz deutsche  unterlassen fönnen, anläßlich einer Denkmalseinweihung in Republit sich mit allen möglichen Dingen solidarisiert, die Orchies auf die Umstände hinzuweisen, unter denen dieses nord- während des Krieges das faiserliche Deutschland   verant­französische Städtchen während des deutschen   Vormarsches im wortet hat. September 1914 restlos niedergebrannt wurde. Diese Rede war sicher höchst überflüssig, denn, wer wirklich Friedenspolitik machen will, der sollte es unbedingt vermeiden, Ben Anlaß zu solchen Polemiken zu liefern. Greueldebatten haben wir wahrhaftig während des Krieges mehr als genug gehabt, wobei jedes Land das Bestreben hatte, die eigenen Sünden zu leugnen oder zu beschönigen und dem Feind vermeintliche Sünden anzudichten oder seine tat­sächlichen Sünden maßlos aufzubauschen. Verbrechen sind auf allen Seiten begangen worden und man sollte sich hüten, heute noch in das damalige Pharifäertum zu verfallen, das nur durch die Kriegspsychose entschuldigt werden konnte.

Im Falle Orchies   hat zweifellos Poincaré   mit dieser über­flüffigen Debatte angefangen, und fein vernünftiger Mensch wird dies billigen können. Aber höchst unflug ist es, daß die Reichsregierung sich sofort veranlaßt fühlte, ganz nach dem Muster des Großen Hauptquartiers   in den Jahren 1914 bis 1918, durch WTB. mit endlosen Gegenerklärungen und Gegendarstellungen zu antworten. Jezt läßt auch Poincaré   durch Havas ebenso aus­führlich erwidern, und das Resultat ist, daß wir dreizehn Jahre nach Kriegsausbruch, fast neun Jahre nach dem Waffenstillstand und zwei Jahre nach Locarno   öffentliche Greueldebatten zwischen Baris   und Berlin   über Dinge aus dem Herbst 1914 erleben müssen. Das ist ein unmöglicher Zustand, gegen den sich der gefunde Menschenverstand in allen ehemals triegführenden Ländern entschieden wehren müßte. Im Falle Orchies   hat Poincaré   den Anfang gemacht, aber im Falle der belgischen Deportatio nen und der sonstigen Streitfragen über Völkerrechtsverlegungen mährend des Krieges ist es die Bürgerblodmehrheit des Untersuchungsausschusses gewesen, die mit einem ebenso unzeitgemäßen wie einseitigen fünfbändigen Bericht vor einigen Wochen aufgetrumpft hat und damit den Belgiern den Vorwand zur Abwehr geliefert hat. Dieser Bericht hat bereits in dem deutsch­belgischen Notenwechsel über die Anschuldigungen des Kriegs­ministers de Broqueville eine Rolle gespielt, obwohl er an sich mit dem eigentlichen Streitgegenstand nichts zu tun hatte. Wir fürchten, daß diese Glanzleistung unserer Bürgerblodpolitiker noch in der nächsten Zeit mehrfach Anlaß zu ebenso überflüssigen wie schäd­lichen internationalen Debatten geben wird. Die Reichsregierung beruft sich natürlich darauf, daß der Reichstag   unabhängig sei, und daß fie für den Bericht seines Ausschusses feine Verantwortung trage. Das ist zwar formell richtig, aber es hätte ein Wint der Wilhelmstraße genügt, und die Veröffentlichung des Ausschusses, ebenso wie die bombastische Berichterstattung im Reichstagsplenum durch Herrn Bell wäre unterblieben. Aber die Wilhelmstraße hat natürlich ein solches Abwinken nicht gewagt, weil die Deutsch­nationalen in der Regierung sizzen.

Ergebnis: Anstatt. mit den geeigneten Mitteln für die Räumung des Rheinlandes zu kämpfen, hat sich die Bürgerblockregierung nach allen Seiten in eine sinnlose Kriegsgreuelpolemik ge­

Inzwischen läßt die Reichsregierung die im Kriegsarchip in Botsdam aufbewahrten. Protokolle über Orchies   veröffentlichen Es handelt sich um endlose Dokumente, aus denen in der Tat hervorgeht, daß in diesem Städtchen furchtbare Bestialitäten an Toten und vielleicht sogar an verwundeten Deutschen   begangen worden sind. Das laffen insbesondere die eidlichen Bekundungen zweier franzöfifcher Geistlichen unzweifelhaft erkennen. Ob diese Grausamkeiten von ortsansässigen oder ortsfremden Zivi­listen, von französischen   oder von farbigen Soldaten begangen wurden, läßt sich hingegen nicht einwandfrei feststellen. Die Doku­mente ergeben andererseits, daß die Niederbrennung des mente ergeben andererseits, daß die Niederbrennung des Ortes bereits befohlen war, noch ehe diese Verstümmelungen bekannt waren, sondern lediglich wegen der Beschießung einer fahrenden Sanitätskolonne.

Wenn durch diese Veröffentlichung wenigstens erreicht werden könnte, daß Poincaré   in Zukunft mit dem Vorbringen feiner An­

flagen vorsichtiger sein würde, so wäre dies immerhin ein Gewinn. Aber wir fürchten, daß die Debatte im Monat. August weitergehen wird, entweder über den Fall Orchies   oder über andere Fälle. Jeder wird das letzte Bort behalten wollen.

Ein wunderschöner Auftakt zu der bevorstehenden Völkerbunds­versammlung!

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Der Sturm auf das Reichsbanner

Papierne Flederwische.

Die Rechtspresse fann sich immer noch nicht dabei be­ruhigen, daß ihr raffiniert angelegtes, aber allzu tölpel= haft durchgeführtes Intrigenspiel gegen die Organisation des Reichsbanners Schwarz- Rot- Gold" kläg­lich mißglückt ist. Nachdem die Berliner   führenden Zentrums­mitglieder des Reichsbanners ihre von uns bereits wieder­gegebene Meinungsäußerung veröffentlicht haben, hält es ein Hugenbergsches Spätabendblatt für notwendig, der Welt zu versichern, diese Meinungsäußerung gebe gar nicht die wirkliche Meinung wieder, insbesondere sei das Be­dauern über den Austritt des Herrn Mary ganz falsch aus­in Wirf­man höre und staune gelegt worden. Denn lichkeit hätten die Berliner   Zentrumsführer vom Reichsbanner zum Ausdruck bringen wollen, es sei bedauerlich, daß Hörsing durch seinen Aufruf Marg zu seinem Austreten gezwungen habe. Sjugenberg läßt also eine vollkommen flare Meinungsäußerung in ihr genaues Gegenteil um frisieren, um daraus dann wieder neue Mutmaßun­gen und Schlußfolgerungen abzuleiten.

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fichert, daß der Wortlaut jener Erklärung von allen in der Gegenüber diesem Fälscherstück chen wird ver­Sizung anwesenden Reichsbannermitgliedern des Zentrums ausdrücklich gebilligt worden ist. Der betreffende Saz heißt wörtlich:

Die Zentrumsmitglieder im Reichsbanner sprachen ihr Be Ausscheiden.... veranlaßt gesehen habe. Einmütig dauern darüber aus, daß Reichskanzler Marg sich zum wurde der Meinung Ausdruck verliehen, daß sich aus dieser be­dauerlichen Tatsache für die anderen Mitglieder des Zentrums im Reichsbanner nicht die Folgerung ergebe, gleichzeitig das Reichsbanner zu verlassen.

Massen- Demonstration an diesem flaren Wortlaut noch nicht genug haben sollte, so

am Montag, 1.August, abends 7 Uhr

auf dem Wittenbergplatz:

Gegen Krieg und Kriegsgefahr!

Für Frieden und Sozialismus!

Parteigenossen! Borwärtslejer! Niemand darf bei dieser wichtigen Kundgebung fehlen! Der Aufmarsch erfolgt gemeinschaftlich von den verschiedenen Stadtteilen aus. Der Plan ist bereits veröffentlicht. Sorgt dafür, daß die Wucht der Kundgebung auch dem schlimmsten der Kriegsbegeisterten zum Bewußtsein kommt!

Wenn die Stahlhelmpresse der Hugenberg und Genossen wird ihnen vielleicht die Entschließung die Entschließung weitere Auf­flärung geben, die eine am Mittwoch in Düsseldorf   abge= haltene Konferenz von Zentrumsvertrauensleuten aus Köln  , Neuß  , Barmen, Benrath  , Duisburg  , Cleve, München- Glad­bach, Elberfeld   und Düsseldorf   gefaßt hat. In dieser Ent­schließung heißt es:

,, Mit Ausdauer und nicht ohne Erfolge kämpft die politische Reaktion um die Rückeroberung der politischen Macht. Im gegen­märtigen Augenblick ist ihr offen zugegebenes Ziel die Unterwerfung der Zentrumspartei   unier ihren Willen... Wir sind der Ueberzeugung, daß jede Schwächung des Reichsbanners im gegenwärtigen Augenblid ebenso schwere Gefahren für die friedliche Entwicklung in Bolf und Staat nach sich ziehen muß, wie die Preisgabe der Unabhängigkeit der Jenfrums­partei fie mit sich bringen würde. Schritte und Kundgebungen einzelner Parteifzeunde, die ohne vorhergehende Fühlungnahme er­folgen, müssen wir mißbilligen, weil sie die Cage nur verwirren fönnen."

Selbstverständlich fordern auch diese rheinischen Zen­trumsleute Garantien dafür, daß parteipolitische Einseitigkeit und parteipolitischer Mißbrauch des

ftürzt und fle muß dabei den für unſere jeßigen außenpolitif en Montag abend 7 Uhr! Reisbanners meber von feinen Gegnern behauptet werden

Die Wiener   Gemeindewache.

Obstruktionsversuch der Gemeinderatsminderheit.

schat sich nur schwer verständlich machen fonnte. Er bezeichnete die Wache als überflüssig. Die Beratung geht unter großem Lärm weiter, es sind 21 Chriftlichsoziale zum Wort gemeldet. Die schließ liche Annahme der Borlage ist gesichert, denn die Sozialdemokraten haben fast die Zweidrittelmehrheit.

Regierungswechsel in Island  .

Der Ruck nach links.

Kopenhagen  , 29. Juli.  ( Eigenbericht.) Das endgültige Ergebnis der isländischen   Wahlen be­ſtätigt die Niederlage der Regierung durch den Verlust von mehreren Mandaten für die Konservativen und die anderen Regierungs­parteien. Die Regierung ist auf Grund des amtlichen Ergebnisses sofort zurückgetreten. Voraussichtlich wird nunmehr ein Rabinett der Bauernpartei und der Sozialdemokraten ge­

bildet.

Wien  , 29. Juli.  ( Eigenbericht.) Heute beriet der Wiener   Gemeinderat über die Aufstellung der Gemeindewache. Die Beratung selbst begann erst um 10 Uhr abends, da vorher der Gemeinderat als Landtag getagt hatte und da im Gemeinderat selbst noch vorher einige Vorlagen erledigt wur­den. Als der Berichterstatter Stadtrat Genosse Karl Richter   zur Referententribüne schritt, machten die Christlichsozialen großen Lärm. Einzelne sprangen von ihren Sitzen auf und riefen dem Referenten zu: Sie referieren über diese Schandvorlage, ein Standal ist es, daß über die rote Garde referiert wird". Der Lärm dauerte während des ganzen Referats an, das nur den in der nächsten Nähe stehenden Stenographen verständlich war. Richter führte aus, daß die Wache den Namen Gemeindewache" führen und ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes sein werde. Ihr Bestand werde vom 1. Dezember an auf 1000 Mann herabgesetzt. Sie wird den Ordnungs- und Bachdienst in den städtischen Aemtern, Betrieben und Unternehmungen, insbesondere den Gartenanlagen, den Fried- Wasserkatastrophe in Südchina. höfen, Markthallen, Märkten. Schlachthäusern, städtischen Bauten, Angeblich zehntausend Todesopfer. Grundstücken und in den städtischen Wäldern zu besorgen haben. Sie wird auch zum Erhebungsdienst und zur Ueberwachung der Ein­Shanghai, 29. Juli( WIB.) haltung landesgesetzlicher Borschriften verwendet werden. Als Nach einer Meldung des chinesischen Blattes ,, Shunpao" find in­Rosten werden im Boranschlag für dieses Jahr 1,9 Millionen Schils folge der Ueberschwemmungen des kulingfluffes in Tichang­ling, das ist mehr als eine Million Mart, eingesetzt. Während die tichaufu, 45 kilometer westlich von Amon, 10 000 Perionen Sozialdemokraten das Referat mit stürmischem Beifall und hochertrunken und 100 000 obdachlos. Sieben Bezirke sind rufen auf den Bürgermeister und die neue Gemeinde überschwemmt und ihre Ernte start beschädigt. Der Schaden wache aufnahmen, überschütteten die Mitglieder der Minderheit den fell 5 millionen merikanische Dollar betragen. Berichterstatter ununterbrochen mit Zwischenrufen und Zischen und bearbeiteten ihre Bultdedel, so daß fogar ihr eigener Redner Run­

Bis zum Redaktionsschluß waren nähere Nachrichten nicht ein­getroffen.

können noch von seinen Freunden und Mitgliedern be­fürchtet zu werden brauchen".

Als solche Garantien werden unter anderem das Ber= bleiben der Zentrumsleute in den Reichs­banner Ortsvereinen und stärkere Aktivität der 3entrumsführer bezeichnet, die den obersten In­stanzen des Reichsbanners angehören. Der 3entrums= presse, und das gilt hauptsächlich wohl der ,, Kölnischen Volkszeitung", die sich immer gegen das Reichsbanner ausge= sprochen hat, wird gesagt, sie sollte ,, nie und nirgend­mo vergessen, daß auch hörsing seine Ber dienste hat".

Hugenberg und den Hugenbergern wird es zwar nicht schwer fallen, auch aus dieser Entschließung das Gegenteil ihres Inhaltes zu machen. Daran wird sie auch der Brief des Abgeordneten Joos an die Zentrumsmitglieder im Bundesvorstand des Reichsbanners nicht hindern, den wir im Westdeutschen Volksblatt" abgedruckt finden und in dem auseinandergesezt wird, daß das Reichsbanner heute eine ab­solute Notwendigkeit für die Republik sei. Joos schreibt unter anderem, nachdem er versichert hat, grundsäglich Gegner aller politischen Kampfverbände zu sein:

Im vorigen Jahre hatten wir uns, wie Sie wissen, mit dem Bundesvorsitzenden Hörsing in Magdeburg   in Sachen eines gene­rellen Verbotes des Kleinkaliberschießens verſtän­bigt. Hörfing war ebenfalls für das Verbot und bat uns dringend, wir möchten eine Einigung aller republikanischen Parteien auf ein einheitliches Vorgehen in diesem Sinne erwirfen. Wir hatten daraufhin eine entsprechende Anregung formuliert. Der Herr Reichskanzler erklärte uns nach Rüdsprache mit seinen juristischen Beratern, daß eine ausreichende Rechtsgrundlage für ein solches Borgehen nicht vorhanden sei und daß darum die Reichs­regierung sich außerstande sehe, in der Angelegenheiet etwas zu tun. Wenn aber die Reichsregierung sich außerffande erklärt, nicht nur das Kleinkaliberfchießen, sondern die politischen Kampfverbände