fe. 370 44.Jahrg. Ausgabe A fr. 189
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands
Sonntag, den 7. August 1927
Montag entscheidet Fuller.
Ueber eine Petition zur Einleitung eines neuen Prozesses.
Der Sekretär des Gouverneurs Fuller erklärte, der Gouverneur werde über die Petition, in der er um Einleifung eines neuen Prozesses in der Sache SaccoBanzetti ersucht wurde, erst am Montag entscheiden.
Die New Yorker Explosion.
Der Schaden nicht allzugroß.
New Bort, 6. Auguft.
Die Explosionen auf den Untergrundbahnhöfen ereigneten fich auf der Broadway- Linie, 28. Straße, und auf der Fourth- AvenueLinie, 23., 28. und 33. Straße. Nach den bisherigen Berichten wurden durch die Broadway- Explosion sieben Personen verleht. Nicht nur der Unfergrundbahnverkehr wurde unterbrochen, fondern auch der Straßenbahnverkehr. Der Broadway war in der Nähe der Explosionsstelle mit Glassplittern und mit Waren bedeckt, die durch die Gewalt des Luftdrucs aus den Ladenfenstern herausgeschleudert worden waren. Die Polizei nahm Absperrungen vor, um Plünderungen der in Mitleidenschaft gezogenen Läden und Banken zu verhüten.
3mei Stationen an der Hauptstrede der Untergrundbahn find durch die Bontbenanschläge vollständig zerstört worden. Etwa 12 Bermunde te find ins Krantenhaus übergeführt worden. Daß fich verhältnismäßig wenig Unfälle zugetragen haben, ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß sich die Besucher von Theatervorstellungen und sonstigen Darbietungen noch nicht auf bem Heimwege befanden. Am meisten hat der Broadway gelitten, wo die Fenster der Hotels und der Läden zerstört und die Auslagen auf die Straße geschleudert wurden. Die Polizei umstellte sofort die in Mitleidenschaft gezogenen Säuserviertel und fuchte nach Berdächtigen.
In Boston wurden die Straßenbahnwagen, mit Doppelwachen besetzt. Alle Staatsgebäude sind ebenfalls von Doppelposten bewacht.
Die Gewalt der Explosion bei dem Bombenanschlag auf die Tiefbahnstation Broadway, 28. Straße, ist aus der Tatsache ersicht lich, daß eine 15 3oll bide Betonmauer wegge sprengt wurde, deren Trümmer die vier Bahngleise verschhütteten. Die Wiederaufnahme des Bahnbetriebes ist erst nach Begräumung ber etwa 5 Tonnen betragenden Schuttmenge möglich. In der St. Patricks- Kathedrale wurde ein Mann, der sich verdächtig benommen haben soll, von der Kriminalpolizei verhaftet.
Der unter dem Verdacht, an den New Yorker Anschlägen beteiligt gewesen zu sein, festgehaltene Mann hat ausgefagt, er heiße Maurice Seigel, fei 30 Jahre alt und von Beruf Zahnarzt. Er sei vor 14 Jahren aus Rußland eingewandert. Seigel bestreitet, irgendwie an dem Fall Sacco- Vanzetti interessiert zu sein.
Panikmeldung der Polizei.
Die New- Yorker Polizei teilt mit: Infolge der Heftigkeit der Explosion in dem Untergrundbahnhof an der Kreuzung der 28. Straße und Fourth Avenue wurden anfänglich vier Explosionen vermutet; es ereigneten sich jedoch nur zwei Explosionen, bei denen mindestens eine Person getötet und über 12 verlegt wurden. Die Bermutung, daß sich noch weitere Explosionen ereignet hätten, wurde auch durch die allgemeine Berwirrung und Panit verursacht, die noch dadurch ver mehrt wurde, daß in zahlreichen Geschäftsgebäuden die Einbruchsalarmglocken durch die Erschütterung in Tätigkeit gefeßt wurden.
Polizeimobilisierung.
Die gesamten New- Yorter Polizeifräfte in Stärte von 14 000 Mann sind Sonnabend früh plöglich zum Schutz der öffentlichen Gebäude, Bahnstationen, Museen und Börsen mobilisiert worden. Aehnliche Vorsichtsmaßnahmen wurden auch in anderen Städten ergriffen.
Hochbahnzüge unter Polizeischuh.
Infolge der Bombenanschläge auf die Untergrundbahn find famtliche Stationen ber Untergrund- und Hochbahn sowie die Züge unter polizeiliche Bewachung gestellt worden, um weitere Anschläge zu verhindern. Obwohl vielfach die Vermutung geäußert wird, daß die Anschläge als Proteft gegen die Berurteilung Saccos und Banzettis aufzufaffen sind, hat die Polizei sich noch nicht über die mutmaßlichen Motive des Anschlags geäußert. Der einzige An haltspuntt, der sich in den Händen der Polizei befindet, ist eine teine Eisentifte, an der noch starker Ritroglyzeringeruch be mertbar ift.
Die Explofion in ber Untergrundbahnstation Broadway, 28. Straße( a der Nähe des befannten Bügeleisen" Bolten
traßers), und in der Station 4. Avenue, 28. Straße, erfolgten ja ft gleichzeitig, zerstörten das Mauerwerk und riffen Löcher in auf beiden Bahnsteigen teine 3üge, jedoch erloschen sämtliche die Bürgersteige. Glücklicherweise hielten zur Zeit der Explosion Lichter der Untergrundbahn, wodurch die Panit erhöht wurde.
Bomben beim Bürgermeisterhaus in Baltimore .
In Baltimore ist gestern früh der Bersuch gemacht worden, das Haus des Bürgermeisters durch eine Bombe in die Luft zu sprengen. Während der Bürgermeister sich gerade außerhalb der Stadt aufhielt, befanden sich seine Gattin, seine Kinder und andere Angehörige im Hause. Die Bombe explodierte in der Nähe der Beranda, die sie zerstörte. Berlegt wurde niemand. Die Feuerwehr fand in dem Wohnhause des Bürgermeisters noch eine zweite Bombe.
Bombenwurf in eine Kirche zu Philadelphia .
Die in der Mitternachtsstunde in das Kellergeschoß der presby terianischen Emanuelkirche geschleuderte Bombe hat sämtliche Kirchenfenster zerstört, ein Loch in die Grundmauern der Kirche gerissen und einen Brand verursacht, der indessen bald gelöscht werden
fonnte.
New York , 6. Auguft.( WTB.) Wie aus Montevideo gemeldet wird, wurde eine nicht explo dierte Bont be vor der dortigen Zweigstelle der New Porter National City Bant gefunden.
Wilsons Schwiegerfohn für Sacco und Vanzetti.
Die Blätter setzen die ausführliche Wiedergabe der Rundgebungen aus allen Ländern für Sacco und Banzetti fort. Den Verteidigern ist nun auch Professor Francis B. Sayre von der Harvard- Universität beigetreten. Sayre ist ein Schwiegersohn Wilsons. Die Verteidigung plant weitere Schritte bei dem Obersten Staatsgerichtshof von Massachusetts und beim Obersten Gericht in Washington , um die Aufschiebung der Hinrichtung zu erreichen. Das Oberfte Gericht erhielt Drohbriefe.
Die argentinische Volksvertretung appelliert an Nordamerika .
Die Kammer in Buenos- Aires beschloß, das Washingtoner Parlament aufzufordern, zugunsten Saccos und Banzettis einzugreifen.
Die Bewegung für einen Generalstreit in Argentinien als Sympathiekundgebung für Sacco und Vanzetti dehnt sich aus. In Bergamine in der Provinz Buenos Aires wurde vor einem Automobilgeschäft eine Bombe geworfen. Die Schaufenster bahnstrecke geschleudert, richtete jedoch nur unbedeutenden wurden zertrümmert. Eine weitere Bombe wurde auf eine EisenSchaden an. In den Straßen von Buenos Aires fanden Demonstrationen statt. Die Ladenbesizer wurden gezwungen, ihre Läden zu schließen. Diejenigen, die nicht geschlossen waren, wurden mit Steinen beworfen.
Demonstrationsverbot in Paris .
Die für Sonntag in Paris geplante Demonstration für Sacco und Banzetti, an der außer der gesamten Arbeiterschaft von Baris auch demokratische Bürger teilzunehmen beabsichtigten, ist ohne Angabe von Gründen verboten und es sind umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden. Sowohl für die Polizei wie für die gesamte Garnison ist für Sonntag Alarmbereitschaft angeordnet. Die amerikanische Botschaft und das Konsulatsgebäude sind von einer dichten Bostenfette, die niemanden ohne Ausweis passieren läßt, umgeben.
Der Bürgermeister von Lille hat im Namen des sozia listischen Stadtrats an den Botschafter der Vereinigten Staaten ein Protesttelegramm gegen die beabsichtigte Hinrichtung von Sacco und Banzetti gerichtet, ebenso der sozialistische Stadtrat von Roubair. Das Erefutipfomitee der Inter nationale der Grubenarbeiter, das gegenwärtig in Paris tagt, hat eine Resolution angenommen, in welcher der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten aufgefordert wird, die Hinrichtung der beiden Unglücklichen zu verhindern.
Am Freitagabend versuchten in Lille mehrere hundert Rommunisten vor dem amerikanischen Konsulat zu manifestieren. Sie wurden von der Polizei zerstreut; mehrere Personen wurden dabei verlegt
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Bostiche tonto: Berlin 87 536 Banffonte: Bant ber Arbeiter, Angeftelten und Beamten, Wallstr. 65; Diskonto- Gesellschaft, Devoktentaffe Lindenstr. 3.
Todesurteil der Todesstrafe!
Denkt an Sacco und Vanzetti.
Sacco und Vanzetti ihre Namen werden bis in ferne Zukunft leben als Anklage gegen den grauenhaftesten Justizmord, den die Welt erlebt hat. Es ist nicht Juſtizirrtum es ist Justizmord. Die Stimme der ganzen Welt erhebt sich in sorgfältig vorbereitetem Verfahren, vom Leben zum Tode der Stellung, die sie einnehmen, zwei Menschen gewaltsam, -in Boston aber find wenige Männer entschlossen, kraft bringen zu lassen. Weil ihre Ueberzeugung über Schuld und Unschuld eine andere ist als die Ueberzeugung von vielen Millionen in allen Kulturländern.
Amerikaner, Deutsche , Franzosen, Engländer, Italiener, Schweden , Russen, allen denen, die mit wachem Wissen dem Furchtbaren entgegensehen, bebt das Herz bei dem Gedanken an das, was sich in der Nacht vom 10. zum 11. August vollziehen soll: daß zwei Menschen, über die sieben Jahre lang die Drohung des Vollzugs der Todesstrafe verhängt war, zum nüchternen, unmenschlichen fahlen Raum, in dem der elektrische Tode geführt werden sollen. In jenen unbarmherzigen,
Stuhl steht.
Sieben Jahre Todesdrohung und die Unglücklichen, für die Millionen Herzen beben, haben im Vertrauen auf Recht, im Bewußtsein ihrer Unschuld den Verstand behalten. Sie müssen mit flarem Verstand in die letzten sieben Minuten, in die letzten sieben Sekunden, in die letzte Sekunde hineingehen. Das ist entfeßlicher als jede Folter, die das Mittelalter erfunden hat. Ihr Männer von Boston , die ihr entschlossen feid, Sacco und Banzetti hinrichten zu lassen, ihr foltert die Menschheit! Folter war es, daß jahrelang zitternd mit den Berurteilten die Menschheit die Ungewißheit zwischen Tod und Leben mitfühlte schredlicher noch ist es, daß Millionen mun wiffen, daß ihr morden wollt und daß sie es nicht hindern können.
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Die Stimme der Menschheit und der Menschlichkeit hier und der starre, unbeugsame Wille von wenigen Männern in Boston , töten zu lassen, dort. Aus allen Ländern der Erde tönt der Schrei nach Gerechtigkeit, der Schrei nach menschlichem Erbarmen, die Besten aller Böller erheben ihre Stimme aber sie sind chnmächtig gegen den starren, unbeugsamen Willen eines Mannes, gegen den Willen des Gouverneurs Fuller von Boston. Gegen den Willen eines Mannes, töten zu lassen...
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11. Auguft grauenhaft Unmenschliches sich vollziehen soll, Millionen wissen, daß in der Nacht vom 10. und Millionen rufen noch Rettung, Gnade, Erbarmen, Menschlich feit aber sie sind ohnmächtig. Ohnmächtig gegen die Die Gewalt, die einem einzelnen gegeben worden ist. Ohnmacht der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit das ist die Folter, die die Richter von Massachussetts und der Gouverneur von Boston Aber die Menschheit verhängt haben. Wir find durch den Gouverneur Fuller von Boston alle verurteilt, in der eigenen Bruft den Schrecken des Todes, die Qual der zum Tode Verurteilten, das grauenvoll unerbittliche Berrinnen der letzten Stunden mitzuerleben.
Genug der Todesstrafe! Mögen alle, die in der Nacht Dom 10. zum 11. Auguft den Atem anhalten und wissen: jetzt sterben Sacco und Banzetti, mögen sie zu bewußten und unermüdlichen Kämpfern werden gegen die Todesstrafe!
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Sacco und Vanzetti sind am 7. Juli 1921 wegen Raubmords an zwei Angestellten einer Schuhfabrik zum Tode ver urteilt worden. Auf Grund eines lückenhaften Indizienbeweises. Sacco und Vanzetti haben ihre Unschuld fest und leidenschaftlich beteuert. Ein Bandit, ein wegen Raubmords verurteilter, wiederholt rückfälliger Portugiese hat im Gefängnis gestanden, daß er mit einer der Polizei bekannten Bande professioneller Räuber die Tat begangen habe.
Der Täter gesteht aber die Richter von Massachussetts haben beschlossen, daß Sacco und Vanzetti die Täter sein müssen, sein sollen! Sie haben jedes Wiederaufnahmeverfahren, jede neue Nachprüfung abgelehnt. Der Gouverneur von Boston erklärt ruhig: Kein Rechtsirrtum, fein Justizirrtum. Sacco und Vanzetti müssen sterben. Er mägt nicht die Möglichkeit des Irrtums. Er erhebt den Anspruch, unfehlbar zu sein.
Das ist das Furchtbare einer jeden Justiz, der die Todesstrafe in die hand gegeben worden ist, daß sie richtet über Tod und Leben, als ob sie unfehlbar wäre! Dieser Fall des Gouverneurs Fuller von Boston ist der Fall eines jeden Richters, der über Tod und Leben zu entscheiden hat. Es ist dieser Fall- in unmenschliche, sinnlose Dimensionen gesteigert. Der Fall, daß Menschen sterben sollen, weil Urteil und Ertenntnis von Menschen, von Richtern unzulänglich sind.
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Die Geschichte weiß von furchtbaren Justizmorden, die laut gegen die Todesstrafe sprechen. Der Fall Sacco Vanetti wird in diese erschütternde Chronit eingereiht werden. Um das Gewiffen der Deffentlichkeit gegen die Todesstrafe zu schärfen, veröffentlichen wir turz drei bekannte Fälle furchtbarsten Juftizirrtums.