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Abendausgabe

Nr. 371 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 183

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10 Pfennig

8. August 1927

Vorwärts=

Berliner   Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Reichsbanner feiert Verfassungstag.

Zentrumskameraden fest zum Reichsbanner.

Köln  , 8. Auguft.( Eigenbericht.)

Der Gau Rheinland   des Reichsbanners Schwarz- Rot- Gold veranstaltete seine diesjährige Verfassungsfeier in der kleinen In dustriestadt Siegburg  . Schon am Sonnabend waren tausende von Reichsbannertameraden zusammengeströmt. Den Höhepunkt er­reichte die Veranstaltung am Sonntag mit einem imposanten Festzug. Bor allem ist bemerkenswert, daß sich die Reichsbannerkameraden aus dem Zentrum trotz der gegen das Reichsbanner besonders in einem Teil der rheinischen Zentrumspresse geführten Heze außer ordentlich stark an der Kundgebung beteiligten. Sie denken gar nicht daran, dem Reichsbanner den Rücken zu fehren, selbst wenn die Fahnenflucht des Reichskanzlers Marg den Zentrumsangehörigen im Reichsbanner offiziell zur Nachahmung empfohlen werden sollte.

Krefeld  , 8. Auguſt.

Auf dem Verfassungstag des Reichsbanners Schwarz- Rot- Gold sprach in der Stadthalle anstelle des aus dienstlichen Gründen ver­hinderten Staatsministers Hirtfiefer Dr. Schreiber Düssel­dorf, der betonte, daß das Zentrum streng auf dem Boden der Republik   und der Weimarer Verfassung   stehe. Das Zentrum fei ge­millt, dem Reichsbanner nach wie vor die Treue zu halten. Die Hege gegen den Bundesführer Hörsing im Zusammenhang mit den Wiener Borfällen tönne nicht entschieden genug zurüdgewiefen werden.

Die bedauerlichen Entgleisungen, die vorgekommen seien, müßten auf dem Verhandlungswege aus der Welt geschafft werden, um wieder die feste Basis enger Zusammenarbeit herzustellen. Der hohe Ge­dante des Reichsbanners verlange überparteiliche Einstellung oben und unten. Die Arbeit der Zentrumsleute im Reichsbanner würde weitergehen, solange wahrhafte Tolerenz und absolute Ueberpartei­lichkeit im Reichsbanner herrschen, getragen von engem gegenseitigen Bertrauen. Für die Demokraten sprach der Abgeordnete Erkelenz  .

Katholische Kirche   und Verfassungstag.

Ueber den Verfassungstag und seine Feier durch die katholische Kirche   war im firchlichen Amtsblatt der Diözese Fulda   angeordnet: Die Reichsregierung hat beschlossen, auch in diesem Jahre den Verfassungstag am 11. Auguſt in besonderer Weise zu begehen. Diese Gedenkfeier möge dazu dienen, um nach all den Leiden und Stürmen der letzten Jahre die Liebe des Volkes zu einer sicheren staatlichen Ordnung im deutschen   Vaterland zu bekunden und zu befestigen. Darum veranlassen wir die Geistlichkeit, am Sonntag, dem 7. August, in der Predigt auf den Berfaffungs tag hinzuweisen und nach der Predigt mit den Gläubigen die Litanei von der göttlichen Vorsehung für den Frieden im Vaterland und für die Versöhnung der Völker zu beten."

Weltgewissen gegen Justizmord.

Demonstrationen in Paris   nud London  .

Paris  , 8. August.( Eigenbericht.)

-

Proteststreik in Argentinien  .

Der elektrische Stuhl auf Trafalgar- Square.

London  , 8. Auguft.

französischen   Regierung beim Gouverneur von Massachusetts   auf Die Demonstration der Pariser   Bevölkerung zugunsten geworfen. Der Ministerrat habe sich mit diesem Vorschlag offiziell der zum Tode verurteilten Anarchisten Sacco und Banzetti ist über nicht beschäftigen können, aber es sei nicht ausgeschlossen, daß alle Erwartungen imposant verlaufen. Dem Aufruf des Ko- amerikanische Persönlichkeiten gebeten werden würden, über die in mitees zur Verteidigung der Gerechtigkeit" waren die Gewerk Frankreich   herrschende Erregung nach Amerika   zu berichten. schaften, die Arbeiterparteien und die Liga für Men­schenrechte in einer Anzahl von über hunderttausend Demonstranten gefolgt. Da die Regierung tags zuvor jede Kundgebung innerhalb der Stadt verboten hatte, fand die Manifestation in dem außer= halb des Stadtweichbildes gelegenen Wäldchen von Vincennes  statt. Die Demonstranten versammelten sich vor den Toren der Stadtmauer und zogen dann mit entrollten Fahnen zum Demon­strationsort. An der Spitze des Buges marschierte Julia Ban zetti, die Schwester des einen der zum Tode Verurteilten. Es wurde vor ihr ein Plakat vorangetragen, auf dem sie der Pariser  Bevölkerung für ihre Bemühungen zur Rettung ihres Bruders dankt und sie auffordert, dieselben auch weiterhin fortzusehen. Obwohl die Regierung außer der Polizei und der republikanischen Garde noch

Auf dem Trafalgarplatz wurde Sonntag nachmittag eine von 5000 Personen besuchte Protestversammlung gegen die Hinrichtung von Sacco und Vanzetti abgehalten. Ein Kriegsteilnehmer mit vier Kriegsmedaillen geschmückt, saß während der Kundgebung auf einem Modell des amerikanischen   Elektrischen Stuhls mit einer schwarzen Kappe über dem Gesicht.

Im Anschluß an die Protestversammlung begab sich eine Ab­ordnung der Demonstranten zum amerikanischen   Botschafter, um diesem eine Brotest zu überreichen. Das ganze diplomatische Ber­sonal der Botschaft war aber abwesend, so daß die Deputation unverrichteter Sache abziehen mußte. Die Behörden haben gegen gehalten hatte, ist es nirgends zu irgendwelchen 3 wischen weitere Demonstrationen eine verstärkte Bewachung der Botschaft

einen

großen Teil der Pariser   Garnison alarmbereit

fällen gekommen, da die Demonstranten der von der Leitung der Kundgebung ausgegebenen Parole nach Disziplinhaltung musterhaft

folgten. Lediglich nach Schluß der Kundgebung versuchten einige hundert Anarchist en einen Zug zu bilden, um in die innere Stadt   zum amerikanischen   Ronsulat zu ziehen; der Zug wurde aber sofort von der Polizei aufgelöst und die Teilnehmer zer­streut. Die amerikanische   Botschaft und das Konsulatsgebäude waren den ganzen Sonntag über von republikanischer Garde zu Fuß und zu Pferde bewacht.

Wie stark die Anteilnahme an dem Schicksal Saccos und Van­zettis ist, geht auch aus der Tatsache hervor, daß der frühere Brä­fident der Republit, Loubet  , an den Gouverneur von Massachu­ setts   ein Telegramm gerichtet hat, in dem er an den Gouverneur einen dringenden Appell zur Menschlichkeit zugunsten der beiden Todestandidaten richtet.

Wie bereits gemeldet, hatte die kommunistische Gewerkschafts­zentrale für heute zu einem 24 stündigen Proteststreit auf gerufen. Nach den bisherigen Feststellungen sind diesem Aufruf bis­her nur die Bauarbeiter und die Chauffeure der Auto­droschten gefolgt. Die CGT. hatte ihre Mitglieder veranlaßt,

nicht an diesem Proteststreit teilzunehmen,

um der ganzen Bewegung zugunsten der beiden Verurteilten damit nicht zu schaden. Infolgedessen haben auch die von der Kommu­nistischen Partei an die Beamten und Angestellten der Unter­grund und Straßenbahn gerichteten Aufforderungen, am Montag den gesamten Verkehr auf zehn Minuten völlig stillzulegen, feinen Erfolg gehabt; nur ein verschwindend kleiner Teil von Unter­grundbahnangestellten versuchte, dieser Parole zu folgen.

Auch in der gesamten Provinz war die Teilnahme an den Demonstrationen zugunsten der beiden Verurteilten überaus start. Hier hat man die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß die ameri­tanische Justiz angesichts des Protestes fast der gesamten zivilisierten Welt die Bollstreckung des Urteils noch in letzter Stunde an

halten wird.

Die Blätter berichten, hochstehende katholische Persönlichkeiten hätten den Papst gebeten, bei der amerikanischen   Regierung zu gunsten der Verurteilten vorstellig zu werden. Eine Zeitung meldet, im Ministerrat habe ein Minister die Frage eines Schrittes der

angeordnet.

Macdonald hat ein Telegramm an den Präsidenten Coolidge  gerichtet, worin er um Begnadigung Saccos und Banzettis ersucht. In einem Telegramm an die beiden Verurteilten sagt er: Gebt die Hoffnung noch nicht auf, die politischen Glaubensgenossen wachen!

Proteststreik in Argentinien  .

Buenos- Aires, 8. Auguft.

Die argentinischen Eisenbahner haben beschlossen, als Bro. test gegen die Hinrichtung von Sacco und Vanzetti am Mittwoch einen eintägigen Streit zu unternehmen.

Tschechischer Protest.

Prag  , 8. Auguft.

Der Vorstand der Tschechoslowakischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei sandte an den hiesigen amerikanischen   Gesandten ein Telegramm, in welchem gegen die Hinrichtung von Sacco und Vanzetti auf das Entschiedenste protestiert wird.

Die Vernunft  " gegen ein Wiederaufnahmeverfahren

Boston  , 8. Auguft.

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Ein Krisenkongreß.

Nachwort zum Internationalen Gewerkschaftskongreß. J. S. Paris  , 7. August.

am

Der Internationale Gewerkschaftstongreß, ber Sonnabend in vorgerückter Abendstunde einen immerhin be­friedigenden Ausgang nahm, war von der ersten bis zur letzten Sizung von Krisen durchschüttelt, die ein weniger festes Gebäude, wie es der Internationale Gewerkschaftsbund  ist, in seinem Bestande ernsthaft bedroht haben würde. Am Schluß des Kongresses, nach den dramatischen Zwischenfällen, die um ein Haar dazu geführt hätten, daß die englische Delegation den Kongreß verließ, nachdem der Kongreß bei­nahe außerstande war, seinen Vorstand zu wählen, bereits die Wahl der Gefretäre, sowie die Bestimmung des Sitzes des IGB. und seines nächsten Kongreßortes an den Aus­schuß verwiesen worden war, erwies sich wieder, wie feft trotz allem das Vertrauen in den JGB. ist, bewies die Rede des Indiers Sethi, der im Namen des Indischen Gewerkschaftsbundes erklärte, daß das indische Proletariat feine Hoffnungen auf den Internationalen Bewertschaftsbund setzte.

fehen, als stehe im Mittelpunkt der Verhandlungen der Für den oberflächlichen Beobachter fonnte es so aus­Gegenjak zwischen der englischen   und der Gewerkschaftsbewegung

ber

übrigen nicht, weder in den Grundsäken noch in der Taktik. Es Länder. In Wirklichkeit besteht ein solcher Gegensatz besteht auch in der englischen Gewerkschaftsbewegung nichts weniger als eine Neigung, mit den Bolschemiſten zu praftieren. Die englischen Gewerkschaften sind nach Tradition, Struktur und Tattit eher konservativer" als so manche der Gewerkschaften anderer Länder. des

Die Krisen und dramatischen 3mischenfälle Rongresses waren gewissermaßen die letzten Aus= Väufer des bolschemistischen Sprengungs= versuchs. Dieser begann mit der Gründung der so­genannte Roten Gewerkschaftsinternationale   im Jahre 1920, setzte sich fort mit der Zellenbildung und den Spaltungen von 1921 bis 1925 und führte schließlich, mit der Drganisierung der Rußlandreisen, zur Bildung des anglo­russischen Einheitskomitees.

Was die Bolschewisten mit diesem Komitee bezweckten, braucht nicht erläutert werden. Die englischen Gewer?- schaften, die bis dahin von Spaltungen und Rellenbildungen verschont geblieben waren, glaubten ehrlich, daß ihre Ber­mittlerrolle zur Beseitigung der vermuteten Mikverständnisse zum Beitritt der russischen Gewerkschaften führen fönne. Mit der ganzen englischen Zähigkeit setzten sie sich also für dieses Ziel ein.

Wenn

Die Bolschewisten ließen sie immer in dem Glauben, daß sie zur Einheit bereit feien, während die aus den bitteren Erfahrungen eingegangenen Vorsichtsmaßnahmen der fest­ländischen Gewerkschaften bei den englifchen Gewerkschaften den Verdacht aufkommen ließen. die festländischen Gewerk­schaften wollten jeden ehrlichen Einigungsversuch sabotieren. Bolichemisten ebenso als Berräter" behandelt werden, wie die englischen Gewerkschaften jetzt von den die feftländischen, weil sie fich weigerten, den JGB. zu ver die feftländischen, weil sie sich weigerten, den JGB. zu ver= lassen und sich unter die Herrschaft Moskaus   zu begeben, fo ihnen diefes Los erspart geblieben wäre, wenn die haben die englischen Gewerkschafter die Ueberzeugung, daß anderen Gewerkschaften sich den Einigungsversuchen nicht widersetzt hätten.

Aus diefen Gefühlen heraus erklärt sich die auch sonst ungeschickte Rede Purcells, erklärt sich das Empfinden der Engländer, brüstiert worden zu sein, als Jouhaur im Namen der übrigen Borstandsmitglieder die Erklärung ab­gab, mit der Eröffnungsrede Purcells nicht einverstanden zu sein. Brown, der seine Stellung mit Recht für un­haltbar erachtete, hielt darauf seine Rede, die einem Bombenwurf gleichfam und in der er den Nachweis zu erbringen versuchte, daß der IGB. antibritisch gesinnt fei, fich selbst aber als ein Opfer dieser Gesinnung aufspielte, durch willkürliche Zitate den Anschein erweckte, als habe der Vorstand, insbesondere Qudegeeft, jeden ehrlichen Eini­gungsversuch mit den Russen absichtlich sabotiert. Dazu kam schließlich die Ablehnung der von dem englischen Gewerkschaftsbunde vorgeschlagenen Borstandskandidaten.

Man muß sich in die Lage der englischen Gewerkschaften hineinversehen, wenn man sie gerecht beurteilen und wenn man die Tragweite abschätzen will, die die Kongreßkrifen in der Folge haben können. Diese doppelte Ablehnung von zwei Männern, die von den englischen Gewerkschaften vor­geschlagen wurden, ist ein ganz außergewöhnlicher Vorfall, den auch die Gewerkschaften eines jeden anderen Landes sehr peinlich empfinden würden. Dazu kam der Zwischenfall Brown- Qudegeeft. Wenn eine ernsthafte Krise schließlich vermieden wurde, so beweist das gerade, wie sehr die englischer Gewerkschaften an dem JGB. fest­halten und wie irrig die Auffassung ist, daß zwischen dem JGB. und den englischen Gewerkschaften irgendwelche taktische oder grundsätzliche Gegensätze beſtehen. So sehr scheinbar bazu feine Veranlassung vorliegt, so muß doch den englischen Freunden gedankt werden für die Ueber­mindung, die sie aufbrachten.

Der vom Gouverneur Fuller eingesetzte Ausschuß, unter Borsiz von Präsident Lowell von der Harvard- Universität  , der den Fall Sacco- Banzetti noch einmal überprüfen sollte, ist ebenso wie der Gouverneur in einer von ihm selbständig ge­führten Untersuchung führten Untersuchung zu dem Resultat gefommen, daß zwar der Richter des Oberen Gerichtshof von Massachusetts  , Thayer, während des Prozesses in Unterhaltungen mit außenstehenden Ber­sonen nicht die erforderliche Zurüdhaltung bewahrt habe, daß er aber in der Führung des Prozesses selbst sich der strittesten Unparteilichkeit befleißigt habe. Der Prozeß sei durchaus unparteiischerweise geführt worden. Die Aussagen, auf die sich die Anträge zur Wiederaufnahme des Verfahrens stützen, würden nicht hinreichen, um die Geschworenen zugunsten der Angeklagten zu be­einflussen, falls ein Wiederaufnahmeverfahren zugelassen werden Wenn es nicht zu einem unheilvollen Zusammenstoß follte. Der Ausschuß kommt zu dem Schluß, daß die Vernunft tam, so zeugt das für die Reife und den Weitblick der einen Zweifel an der Schuld Saccos und Banzettis nicht zulasse.( 41 Gewerkschaftsvertreter aller Länder, Leipart, Jouhaur,