Nr. 382 44.Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
In den letzten Wochen brachten wir wiederholt Melbungen über Ribie, die durch das Wetten auf das eine oder andere Pferd"
Besuche der Polizei in den zahlreichen Spielklubs der Reichshaupt. stadt. Es wird deshalb für unsere Leser nicht ohne Interesse sein, über diese dem Arbeiter an sich fernliegende Angelegenheit einmal etwas Genaueres zu hören.
,, Wiffen Sie eigentlich, wo man in Berlin 3oder" trifft?" " Zocker, was ist denn das?"„ Ja, kennen Sie den Ausdruck denn nicht? Also Backer sind Menschen, die vom Spiel oder im Spiel so leben, daß sie ihm verfallen sind mit Haut und Haaren, bei Tag und bei Nacht. Und jetzt soll gezeigt werden, wo man in Berlin solche Spieler findet, die aber nicht zu verwechseln sind mit den gemütlichen Familienstatlern, die sich zu ihnen verhalten wie der Wolf zum Wolfshund.
Wo wird gespielt?
Wir laufen die Friedrichstraße fünf Minuten lang, dann zwei Querstraßen durch und wir sind am Ort. Wer sich die Umwelt dieser Spieler etwa so vorstellt, wie die prunkenden Marmorsäle Monte Carlos auf den Photos aussehen, der möge fich vor einer Enttäuschung bewahren und gar nicht mitkommen. Ein rauchiger, verqualmier Raum, durchaus nicht an Dr. Mabuſes Spielhöllen gemahnend, ein Gemisch aus altmodischem Wiener Café und unaufgeräumtem Wartesaal vierter Klasse, ein Ober in specigem Lüfterjackett, schmierige Porzellantassen auf schmutziggraue Marmor. tische schleudernd, im Hintergrund ein mächtiger Zeitungsständer und
ein breit ausladendes Küchenbüfett. Die Lische, soweit sie nicht von Kaffeetassen und Zeitungen überdacht sind, mit grünem Tuche bedeckt, auf denen Karten, französische und deutsche, Skat und Tarock spielen. Die spielenden Karten werden von Menschen gehalten, die schwitzend, bebend, geifernd, ruhig und spöttisch, fluchend und seufzend, vor Aufregung in der Zitrone naturelle mit der Zigarette herumrühren. Denn hier spielt man nicht zum Zeitvertreib, auch nicht zum Nerven= fizel, hier geht es um Geld. Das Spielercafé ist genau so eine Stätte fapitalistischer Betriebsamkeit wie all die anderen Handelsstätten der Weltstadt.
Wer spielt?
Wie wird der normale Mensch zum Spieler? Er rekrutiert sich zum größeren Teil aus faufmännischen Berufen, aus Vertretern, kleinen Angestellten, Menschen, denen es im Leben nicht allzu gut geht. Auf der Reife, im langweilig öden Kleinstadthotel oder, ermüdet von ihren Geschäftsgängen treppauf, treppab in den Großstadtkasernen, gehen sie sich ins Café ausruhen. Den Kopf voller Sorgen, müde und abgequält, voll Angst vor dem Morgen, werden fie ins Spiel geriffen, nur um nicht denken zu müssen, und werden so bald Sklaven des Spieles. Das Heer der Zuhälter, der Halb- und Ganzverbrecher, von der Polizei gesuchter nicht tonzeffionierter Buchmacher, bummelnder Kellner, das ist das Gros der Spieler. Aber die reichen Belzhändier, die großen Konfektionäre, die Prominenten der„ Eierbörse"- fie gehören auch zu der großen Gemeinde der Zocker, denn nichts gleicht so foziale Schichtungen aus, nichts deklassiert so rasch und gründlich, wie das Spiel. Gespielt wird hauptsächlich Stat, Klabrias ,,, 66" und Tarod und dann hier und da auch die richtigen Hasardspiele: Mauscheln", schlesische Lotterie", Gottes Segen im Hause Kohn" und das vielbeliebte ,, 17 und 4". Eingeteilt sind die agirenden Personen im Spielerlokal in die eigentlichen Kämpen, die da an den Tischen mit ,, Grand" und ,, Re", mit einer fünfzig König belle" und all den anderen Ausdrücken vom Bau um sich werfenden Spieler. Dann die Armee der
Die Silberschwärme
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( Nachdruck verboten
Autoriflerte Uebersezung aus dem Englischen von Julia Roppel Was ist denn los?" fragte Emerson. ,, Es ist zu viel Spektakel in diesem Hotel. Seit drei Stunden habe ich zu schlafen versucht. Das Orchester aber macht einen Höllenlärm, und immerwährend läuten Glocken. Ich will in ein ruhiges Wirtshaus, wo man ein paar Stunden Schlaf finden kann. Bringt mich in eine Maschinenwerkstatt oder in einen Schuppen, wo man von diesem verfluchten Lärm befreit iſt."
euch.
Du wirst dich bald daran gewöhnen," antwortete Boyd. Ich? Niemals! Ich will zurück zu Gottes freier Natur. Hurra! Ganz mein Fall!" rief Clyde. Ich begleite
,, Was soll das heißen," fragte George.
,, Herr Clyde will zehntausend Dollar in unser Unternehmen stecken, wenn wir ihn mitnehmen und bei der Fabrik beschäftigen," erklärte Emerson. George musterte den jungen Mann von oben bis unten, sein pomadisiertes Haar, seine schmalen Lackschuhe, worauf sein Geficht sich zu einem breiten Lächeln verzog.
Meinetwegen, wenn Herr Emerson nichts dagegen hat." Clyde war beglückt und begann sich über seine eigenen vortrefflichen Eigenschaften auszubreiten. Während er noch sprach, tam eine Gesellschaft von drei Herren durch den Saal und ließ fich am Nebentisch nieder. Indem sie ihre Stühle rüdten, wurde George auf sie aufmerksam, und setzte sein Limonadenglas jo heftig auf den Tisch, daß es zerbrach.
Was ist los," fragte Emerson, denn er fah, daß George leichenblaß geworden war. Er ist es! brummte George ,,, der verfluchte Hund!"
Bo?" Emerson drehte sich neugierig um: George aber brauchte seinen Feind nicht näher zu bezeichnen, denn einer der drei Herren war wie versteinert stehen geblieben, die Hand auf dem Rücken des Stuhls. Das Lächeln war auf seinen Lippen erstarrt.
Boy sah einen plumpen, breitschultrigen Mann von ungefähr achtunddreißig Jahren. Sein Teint war hell, sein Mund klein und weibisch, das Haar rot. Er sah gepflegt und gutgenährt aus; in jeder Beziehung ein typischer Stadtmensch, der jetzt bewies, daß er auch ein Mann von Melt war, der
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interessierten und fanatisierten Zuschauer, und schließlich das Heer der Schlachtenbummler, die mit viel Interesse und noch mehr mit das große Spiel begleiten. Und sie erzählen von der berühmten Statpartie, bei der nach elfftündiger Spieldauer einen der Beteiligten, den alten Krotoschiner aus der Konfektion, der Schlag traf. Einen Augenblic große Bestürzung und dann meinte einer der Ribize äußerst mitleidsvoll:„ Seht doch einer mal nach, was für Karten der felig dahingestorbene Krotoschiner in der Hand hat, damit wir die Todesursa che feststellen fönnen!" Ein großer Teil der Spieler sitt den ganzen Tag da, kennt teine Familie, teine regelmäßige Nahrungsaufnahme, tein warmes Effen, fiht nur und wartet mäßige Nahrungsaufnahme, tein warmes Effen, siht nur und wartet auf den„ Coup". Um alle Beträge wird hier gespielt, in der Inflationszeit spielte man um Billionen, um abessinisches Muschelgeld und um Dollarschazanweisungen, heute geht es um Mart und Groschen. Aber trotz der Rationalisierung fommt es nicht nur vor, daß Arbeiter auf ein paar Zügen ihren Wochenlohn verspielen, das Spielercafé hat auch heute noch seine großen Tage, wo die Partie um fünfzig, sechzig, ja auch um hundert Mark geht. Dann ist der Rampf natürlich besonders hart und zähe, und wird mit allen Kräften und nicht nur Beschimpfungen, auch Brügel setzt es da manchmal im des Verstandes, der Routine und der besseren Nervenkraft geführt. Eifer des Geldverdienens und im Kampf ums tägliche Brot". Es Dergehen aber feine fünf Minuten und die Kampfhähne von vorhin fitzen wieder friedlich beieinander am grünen Tisch und duzen sich, wie wenn nichts passiert wäre.
Warum wird gespielt?
Fragen muß man sich natürlich bei dem ganzen Spielbetrieb, handelt es sich hierbei um eine Angelegenheit des Glückes oder der Berechnung, worin besteht die Ueberlegenheit des besseren Pferdes", wieso tann das Spiel als„ Beruf" seinen Mann ernähren und hat es je einen Dr. Mabuse gegeben? Soviele Fragen, soviel Probleme!
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seine Gefühle zu beherrschen verstand. Denn als er Balt erkannte und seinen Schred überwunden hatte, zog er nur die Augenbrauen hoch, nickte Balt freundlich zu, entschuldigte sich bei seinen Begleitern und ging auf ihn zu.
,, Wie geht es dir, George? Was in aller Welt treibst du hier, ich hätte dich kaum erkannt." Marshs Stimme flang meich und musikalisch, und mit einem herzlichen Ausdruc streckte er Balt seine Hand entgegen.
Balt hatte sich geräuschvoll von seinem Stuhl erhoben, groß und wuchtig stand er vor seinem Feind, ohne deffen Hand anzunehmen. Marsh richtete seine flaren, neugierigen Augen auf Georges Begleiter, die sich ebenfalls erhoben hatten, wie um eine Erklärung von ihnen zu erlangen. Er sah mit einem hastigen Blick von Clyde zu Fraser, um seine Augen darauf forschend auf Emerson ruhen zu lassen.
3wischen Herrn Balt und mir herrschte ein Mißverständnis." sagte er ruhig ,,, ich hoffte aber, es wäre bereits aus der Welt geschafft."
Bei diesen Worten stieß Balt ein halbersticktes Brummen aus und machte einen Schritt, als ob er auf seinen Gegner zugehen wollte, stieß aber auf Boyd, der sich mit Geistesgegenwart vor ihm aufgepflanzt hatte.
,, Keine Szene," befahl er leife.
Und bevor der große Mann wußte, wie ihm geschah, hatte Bond ihm unterm Arm gefaßt und herumgedreht. Keiner von den Gästen im Restaurant hatte die kleine Szene bemerkt. Marsh verbeugte sich höflich und kehrte zu seinem Platz zurück, während Boyd George auf den Ausgang zusteuerte; sein Griff um Georges Arm war hart wie Eisen. Als sie draußen waren, fagte er ruhig: ,, Geh auf dein Zimmer und fühle dich ab. Fast hättest du unsere ganze Sache umgeworfen."
,, Er wollte mir die Hand geben," murmelte George. mir d sie hand geben!- Der Schurke" Er murmelte Drohungen und Flüche, während er die Treppe hinaufstieg.
Als Emerson zurückkehrte, verlangte Alton Clyde eine Aufklärung. Mit diesem Mann werden wir einen Kampf auf Leben und Tod zu bestehen haben," erklärte Boyd. ,, Er steht an der Spitze der Vereinigten Kalvit- Fabriken und ist Georges größter Feind. Wenn er etwas von unseren Plänen erfährt, wird es mit unserem Unternehmen aus sein!"
Clyde sagte, und er sprach jetzt ernster, als er es den ganzen Abend getan hatte:
Mein Entschluß ist gefaßt."
Sonntag, 14. August 1927
Wenn man das Spiel stundenlang beobachtet, so wird man nach einiger Zeit bemerken, daß sich das Glück" auf die eine oder andere Seite wendet, es ,, läuft" günstig oder ungünstig, sagen die Spieler. Zufall oder rechnerische Ueberlegenheit? Es fann wochenlang vor= kommen, daß die ganz Großen" gegen Außenseiter verlieren. Ich fonnte einmal beobachten, wie so ein armer Irrer, der vom Spiel teine Ahnung hatte, eine ganze Weile, es mögen vielleicht acht bis zehn Tage gewesen sein, täglich mal fleinere, mal größere Beträge einer internationalen Kanone abgewonnen hatte. Es war eben eine ,, Glückssträhne", sagten die Fachleute. Und eines Abends ging das große Ringen wieder vor sich, doch da hatte der ,, Laie" kein Glück mehr, seine Karten ,, liefen" nicht mehr von alleine, und an dem Abend verlor der Mann viele Tausend Mart, zum Schluß ihm anvertrautes Geld und bei Morgengrauen machte er einen Selbstmordversuch. Denn was den Spieler in jo vielen Fällen zugrunde richtet, ist nicht allein die Spielmut, sondern der dem Spiel Berfallene glaubt an Glüd und Unglüd. Hat er Glück, spielt er weiter, um noch mehr zu gewinnen, hat er Unglüd, rechnet" er sich aus, daß ja nach der Bechsträhne die Glückssträhne kommen muß; und er spielt so lange weiter bis er auf jeden Fall keinen Pfennig mehr in der Tasche hat und dem armen Ober die Zeche schuldig bleiben
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muß. Es gibt auch beim Kartenspiel Gewinner, denn irgendwohin
muß ja das Geld hinkommen. Während man aber beim Spiel im Bekanntenkreis sicher sein kann, daß alles mit richtigen Dingen zugeht, ist es dort anders, wo, wie in den meisten Spielercafés, Halboder Ganz- Professionals ihr Unwesen treiben. Sie leben vom Spiel, fie und ihre Familien, und da man zum erfolgreichen Spiel„ Glüc" braucht, sich das Glück aber nicht kommandieren läßt. wird es forrigert, man spielt falsch. Und es gibt Künstler auf diesem Gebiete. Leute, die mit seltenem Geschick Karten zinken", für den Gebrauch präparieren, andere wieder, die ihrem Geschäftspartner des Gegners Karten mit der Schuhspitze, mit dem Zeigefinger, dem Taschentuch oder der beliebten Bigarre telegraphieren". In der Mitte sitzt der„ Freier", der nicht weiß, was außer den Karien noch gespielt wird, und er verliert auf die sicherste manier sein Geld. Spiel in diesen Kreisen bedeutet fast immer etwas, das zumindest nahe an Faschspiel grenzt, wenn es nicht vollendetes ist. Das Spiel ruiniert aber Charakter und Moral derart, daß selbst derjenige falsch spielt, der es wirtschaftlich nicht notwendig hat. Es ist gerade vom gesellschaftskritischen Standpunkt aus sehr interessant, daß die Zeiten fast zum Verschwinden brachte, ähnliche Folgen auch in der Inflation, die den Typus des anständigen Kaufmanns vergangener Spielerwelt bewirkte.
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Das Spiel und die Spieler sind genau so von den kapitalistischen Angelegenheiten des täglichen Lebens, die mit dem Geld und dem Gelderwerb zusammenhängen. Das Spiel in seiner heutigen Form, die Berufsspieler als parasitäre Existenzen, werden so lange bestehen tönnen, wie es einen Kapitalismus gibt. Der Sozialismus, der das wirtschaftliche Elend und die wirtschaftliche Ungleichheit beseitigt, wird uns auch eine neue, höhere Lebensgestaltung, ein Geschlecht von neuen, besseren Menschen bringen!
Wirtschafts- und Entwicklungsgesetzen abhängig, wie alle anderen
,, Du meinst, du willst dich unserem Unternehmen nicht anschließen." ,, Im Gegenteil, unter solchen Umständen lockt es mich gerade. Zehntausend Dollar stehen dir zur Verfügung und wenn du mich nicht mitnimmst, fahre ich als blinder Passagier mit hinüber."
11.
Fast ein Monat war vergangen, da gab Emerson schließlich der Mutlosigkeit Ausdruck die seit mehreren Tagen auf den beiden Männern gelastet hatte, und fagte zu George: ,, Ich fürchte, die Sache geht schief."
,, Du hast alles versucht."
,, Alles, ausgenommen Einbruch. Ich kann die hunderttausend Dollar nicht aufbringen. Anfangs sah es so leicht aus, aber die Zeiten sind schlecht, und meine Freunde haben getan, was sie fonnten."
,, Ja, ja, es ist viel Geld," räumte Balt mit einem Seufzer ein.
,, Wenn ich die Hunderttausend nicht beisammen habe, wird mir auch die Bank in Seattle die anderen Hunderttausend nicht leihen."
George überlegte einen Augenblick:„ ,, Lange können wir nicht mehr warten. Wir müßten schon jetzt an der Küste sein. Es fehlen noch fünfundzwanzigtausend Dollar, nicht wahr?" Ja, und ich sehe keine Möglichkeit, wie ich die schaffen foll. Ich habe getan, was ich konnte, und Clyde auch. Wir find am Ende."
Die Anstrengungen des letzten Monats hatten deutliche Spuren auf Emersons Gesicht hinterlassen, er war müde und erschöpft wie nach schlaflosen Nächten. In der letzten Zeit hatte die niedergedrückte Gemütsstimmung, die ihn in Alaska beherrscht hatte, sich seiner wieder bemächtigt und je mehr die kostbaren Tage schwanden, desto verzweifelter wurde seine Gemütsverfassung. Er hatte seine ganze Willenskraft und all seine physischen Kräfte daran gewandt, um sein Borhaben durchzusetzen. Er hatte über Absagen gelacht und sich gegen Mutlosigkeit gewehrt. Er hatte sich an alle Leute gewandt, von denen er annehmen konnte, daß sie sich für die Sache interessieren würden. Er war von Kontor zu Kontor ge= gangen, hatte dieselben Tatsachen wieder und wieder mit überzeugendem und ruhigem Enthusiasmus flargelegt. Geld aber war knapp, und wer Geld besaß, hatte es in besseren Unternehmungen stehen, oder fürchtete, es in einem Geschäft, das so weit fort und so unsicher war, anzulegen.
( Fortfegung folgt.)