Nr. 386 44. Jahrg. Ausgabe A nr. 197
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Mittwoch, den 17. August 1927
Vorwärts- Verlag G.m.b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3
Boftichedtonto: Berlin 37 536 Banffonto: Bant der Arbeiter, Angeftelten und Beamten, Wallftr. 65: Diskonto- Gesellschaft, Devoktentaffe Lindenstr. 3.
Das Mißtrauensvotum der Arbeiterpartei abgelehnt.
Johnsons Mißtrauensvotum im Parlament des irischen FreiJohnsons Mißtrauensvotum im Parlament des irischen Freiftaates wurde mit 72 gegen 71 Stimmen verworfen. Der Sprecher gab den Ausschlag, indem er gegen den Antrag stimmte.
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Ueber die vorhergegangenen Debatten meldet unser Londoner Berichterstatter: Genosse Tom Johnson begann mit einem
Angriff auf die Gesetzgebungsarbeit der gegenwärtigen Regierung, die nicht geeignet sei, eine Besserung der Verhältnisse herbeizuführen. Er entwickelte hierauf die politische These, daß durch den Eintritt der 43 Republifaner eine grundsäglich neue poli tische Lage in Irland eingetreten sei, die zum ersten Male seit Der Begründung des Freistaates einen Wechsel in der Regierung möglich mache. Für Irland sei in diesem Augenblick eine Regierung nötig mit Ausschluß der beiden Parteien, welche sich in schweren innerpolitischen Kämpfen der vergangenen Jahre mit solcher Heftigkeit gegenübergestanden hätten. Friede, Ordnung und gute Verwaltung in Irland fönnten lediglich durch eine Partei oder eine Parteientombination gefördert werden, die außerhalb der anderen tämpfenden Barteien stünden. Johnson schloß mit einem Bekenntnis zum englisch - irischen Friedensver= trag von 1921; im Rahmen dieses Friedensvertrags sei die irische Mation in allen ihren politischen Fragen völlig souverän.
erkenne aber das Recht de Baleras, auf demokratischem Wege die Aufhebung dieses Vertrags zu versuchen. Seine Partei werde dem Mißtrauensvotum der Arbeiterpartei zustimmen.
Hoffnung für Sacco und Vanzetti.
Das Wiederaufnahmeverfahren.
Boston , 16. Auguft.( Eigenbericht.)
Dienstag die Verhandlung über die Wiederaufnahme des Vor dem Obersten Gerichtshof in Massachusetts begann am Gerichtsverfahrens gegen Sacco und Vanzetti. Herbert Hills sprach im Namen der Verteidigung. Die Entscheidung ist nicht vor Donnerstag oder Freitag zu erwarten.
Eine Aktion des Papstes.
Der Papst hat zugunsten Saccos und Vanzettis Schritte unternommen, da er vom Vater Vanzettis telegraphischersucht wurde, sich seines Sohnes anzunehmen. Pius XI. beauftragte durch den Kardinalstaatssekretär Gasparri den Nuntius in Washington im Verein mit den amerikanischen Kardinalen zugunsten der beiden Berurteilten bei den amerikanischen Behörden einzutreten. Attentat auf einen Sacco- Vanzetti- Geschworenen.
Bei der Polizei ist eine Meldung aus East- Milton ein gelaufen, wonach heute früh 3% Uhr das Haus von Lewis Mc'Hardy, der als Geschworener in dem sieben Jahre zurüdliegen den ersten Prozeß gegen Sacco und Banzetti tätig war, durch eine Explosion zerstört worden ist. Alle Anwesen den erlitten Schnitt- und Stoßperlegungen. Die Polizei den erlitten Schnitt- und Stoßperlegungen. Die Polizei äußert die Meinung, daß die Explosion durch eine Bombe herbei
Anschließend erfundigte fich Präsident Cosgrave nach den geheimen Roalitionsabmachungen" der Opposition. Dann sprach der Führer der Nationalen Liga Redmond, dessen fleine Bartei Das Zunglein an der Wage bei der Lösung der Krise bildet. Redmond griff die Regierung Cosgrave aufs schärffte an; es sei nicht einzusehen, warum der Führer der Republikaner de Valera ein schlechterer Wildtöter" sein soll als der gegenwärtige Präsident. Seine Partei belenne sich zum englisch - irischen Bertrag. Sie angeführt worden ist.
Die Flucht des Genossen Turati..
Seine Freunde unschuldig vor dem Faschistengericht.
Paris , 16. Auguft.( Eigenbericht.) Am 19. August beginnt vor dem Gericht in Savona in Italien der Prozeß gegen den früheren sozialistischen Abgeordneten Filippo Lurati, der am 11. Dezember 1926 ohne Baß aus Italien geflohen ist. Genosse Turati hält sich seither in Paris auf. Elf Personen, darunter mehrere, die Turati auf der Flucht bis Korsika begleitet haben und inzwischen den Faschisten in die Hände fielen, find wegen Beihilfe angeklagt, darunter der ehemalige Chefredakteur des„ Corriere della Sera ", Barri, der Genueser Chefredakteur des„, Corriere della Sera ", Parri , der Genuejer Universitätsprofeffor Rossolini und der ehemalige Theater
fritifer des Avanti", Albini.
Turati äußerte sich vor Pressevertretern in Paris über seinen Prozeß und die Ursachen wie folgt:„ Wenn ein Mann wie ich, mit 70 Jahren und trant, sich noch entschließt, nach unmenschlichen Berfolgungen durch die Faschisten aus Italien zu fliehen, so fönnen Sie versichert sein, daß nur die dringendsten Gründe ihn dazu veranlaßt haben. Ich bin
und Nacht verstärkt und ich nicht nur in meiner Wohnung überwacht, sondern ich wurde von ihnen auf Schritt und Tritt verfolgt und beobachtet. In wenigen Tagen war ich deshalb völlig vereinsamt, denn tein Mensch wagie mehr mich zu besuchen, da er befürchten
mußte, fofort ein Opfer der faschistischen Polizei zu werden. Ich protestierte beim Präfekten vergeblich gegen diese unmensch liche Behandlung, durch die mir das Leben unmöglich gemacht wurde. Es war eine Behandlung, schlimmer als die der Verbrecher im Gefängnis. Als das letzte Attentat auf Mussolini verübt wurde, brachte man mich ganz plötzlich des Nachts in einem brecher im Gefängnis. Als das letzte Attentat auf Mussolini verAuto in Begleitung von Polizisten nach einem anderen Ort. Um mir die Freiheit zu verschaffen, beschloß ich, selbst auf die Gefahr hin, getötet zu werden, mein Haus heimlich zu verlassen. Dies gelang mir auch. Ich verließ eines Nachts durch eine Hintertür meine Wohnung, ungesehen von den Polizisten und verbrachte einige Wochen bei einem mir treu ergebenen Freunde. Da ich ihn aber selbst keinerlei Verfolgungen aussehen wollte, verließ ich in der Nacht zum 2. Sep
tember das Landhaus.
Acht Tage flüchtete ich unter unerträglichen Verfolgungen von Ort zu Ort,
monatelang gefangen gehalten worden in meinem eigenen Haufe und täglichen Berfolgungen und Beobachtungen ausgefeht, die mit der elementarsten Würde eines Staatsbürgers unvereinbar find. Ich habe bereits durch die Vermittlung des Abg. Blum an bis ich mich entschloß, Italien zu verlassen. Die Abfahrt erfolgte in den Präsidenten des Gerichts in Savona einen Bericht geschickt, in der Nacht zum 11. Dezember bei heftigem Sturm. Am 12. Dezember dem ich allein die volle Verantwortung für meine landete ich bei Calvi , wo wir das Schiff nach Nizza bestiegen, beFlucht auf mich nehme und der Wahrheit entsprechend erkläre, daß gleitet von Bertini, Barri und Rosselli, die mich lediglich aus Freundmeine Freunde, die heute mitangeklagt find, an meiner Flucht unschaft begleitet hatten. Sie fehrten später nach Italien zurück, wo schuldig find. Trogdem nach dem italienischen Gesetz der Gerichts- fie sofort verhaftet wurden. In edelster Selbstaufopferung präsident einen solchen Bericht in Betracht ziehen muß, ist nicht nahmen sie dann alle Schuld auf sich. Sie behaupteten fogar, daß ficher, daß dies auch geschieht, da fie mich zu der Flucht veranlaßt hätten. In Wirklichkeit aber ist die Initiative hierzu von mir selbst ausgegangen. Ich habe weder Komplicen noch irgendeine Hilfe dazu notwendig gehabt. Im Intereffe der Mitangeklagten halte ich diese Feststellung für notwendig."
ein italienischer Richter nach dem Gesetz seine Stellung verliert, „ wenn sein Urteil im Gegensatz zur Politik der Regierung steht". Deshalb bitte ich, die unabhängige Presse Europas über meinen Bericht in Kenntnis zu setzen. Ich habe nicht die geringsten Hoffnungen, meine Freunde zu retten, aber ich will, daß ihre ungerechte Berurteilung von allen freien Menschen nach Gebühr gewürdigt wird.
In den Monaten September bis Dezember 1926 mar ich, wie aus mehreren ärztlichen Zeugnissen hervorgeht, schwer leidend. Ich verlangte daraufhin von dem Präfetten von Mailand einen Baß, um mich zur Genesung in einen ausländischen Kurort zu begeben. Ms Antwort hierauf wurden die Polizeiposten vor meiner Tür Tag
Das antibolschewistische Nordchina.
Semjonoff bei Tschangtsolin.
Der frühere za ristische General Semjonoff ist in Be gleitung japanischer Offiziere in Peking eingetroffen. Semjonoff beabsichtigt, neue russische Formationen aus Weißgardisten aufzu ftellen. Er soll den Posten eines Stabschefs bei den Nord truppen übernehmen.
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Ueberschuß.
207 Millionen
Der jetzt vorliegende Bericht des Direktoriums der Reichss versicherungsanstalt für Angestellte über das Geschäftsjahr 1926 gibt einen aufschlußreichen Einblick in die Entwicklung dieses bedeutsamen Versicherungsträgers. Er bestätigt, daß die im März 1925 von der sozialdemokratischen Reichstags= fraktion aufgestellten Forderungen zum Ausbau der An= gestelltenversicherung durchführbar gewesen find. Die bürgerliche Mehrheit des Reichstages hat damals diese Forderungen abgelehnt und sich mit einer geringen ErBeiträge erhöht. Die Folge davon war eine gewaltige höhung der Rentenleistungen begnügt, gleichzeitig jedoch die Steigerung der Beitragseinnahmen und eine nur geringfügige Erhöhung der Ausgaben für Rentenleistungen.
Im Jahre 1925 wurden 185 760 322,90 m. an Beiträgen eingenommen, im Jahre 1926 waren es 245 779 342,36 Mart. Das ist eine Mehreinnahme allein an Beiträgen von rund 60 Millionen Mart. Aber auch die Einnahme an Zinsen ist von rund 24 Millionen Mark im Jahre 1925 auf rund 37 Millionen Mark im Jahre 1926, also um 13 Millionen Mark gestiegen.
Jahre 1925 insgesamt 43 796 626,65., sie steigerten sich im Die Ausgaben für Ruhegeld und Renten betrugen im Jahre 1926 auf 53 224 958,37 M., also um rund 9½ Millionen Mart.
Bei der Begründung der Regierungsvorlage über den Ausbau der Angestelltenversicherung erklärte der Reichsarbeitsminister Dr. Brauns in seiner Reichstagsrede am 4. Juli 1925, daß durch die neuen Leistungen die Rentenlast um mehr als ein Drittel steige und deshalb auch der Beitrag um rund ein Drittel erhöht werden muß. Die bürgerlichen Parteien sind im Gegensatz zur Haltung der sozialdemokra tischen Reichstagsfraktion dieser Logik gefolgt. Wie sieht nun das Ergebnis aus? Einer Mehreinnahme an Beiträgen und Zinsen in Höhe von 73 Millionen Mart steht eine Mehrausgabe an Ruhegeld und Renten von 9½ Millionen Mark gegenüber; oder: die gesamten Rentenleistungen bleiben noch um 20 Millionen Mart allein hinter den Mehreinnahmen zurück. Das muß sich natürlich auch in der Vermögensanjammlung widerspiegeln. Der Ueberschuß steigerte sich von rund 144 Millionen Mark im Jahre 1925 auf rund 207½ Millionen im Jahre 1926. Allein in diesen beiden Jahren hat die Reichsversicherungsanstalt ein Vermögen von 352 Millionen Mark angesammelt; das gesamte Vermögen betrug am 31. Dezember 1926 rund 533 Millionen Mark.
Die.
Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hatte bei den damaligen Beratungen im Reichstage eine Verdoppe=. Iung der Rentenleistungen gefordert. monatliche Grundrente sollte von 30 M. auf 60 M. erhöht werden. Zu dieser Grundrente fommt der Steigerungsbetrag, der sich nach der Summe der geleisteten Beiträge richtet. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion forderte die Erhöhung des Steigerungsbetrages von 10 auf 20 Broz. Diese Borschläge wurden abgelehnt und nur eine Erhöhung des Grundbetrages von 30 auf 40 m. monatlich und der Era M. schlossen. Die Jahresrente errechnet sich also jetzt nach einem höhung des Steigerungsbetrages von 10 auf 15 Broz. beGrundbetrag von 480 M., dazu kommt als Steigerungssat 15 Proz. von der Gesamthöhe der für den Versicherten seits dem 1. Januar 1924 geleisteten Beiträge und außerdem noch auf Grund des Gesetzes vom 23. März 1925 3ufagsteigerungsbeträge für Beiträge der Gehaltsklassen F bis I aus der Zeit vom 1. Januar 1913 bis 31. Juli 1921. Diese Zusatzsteige= rungsbeträge erhöhen die Jahresrente in den Gehaltstlassen F um 1 M., G um 2 M. H um 3 M. und I um 4 M. pro Beitrag; im günstigsten Falle tönnen 103 Beiträge zur Anrechnung fommen. Bon dieser Art Aufwertung sind die unteren Beitragsklassen ausgeschlossen.
In seiner bereits erwähnten Reichstagsrede am 4. Jult 1925 hat der Reichsarbeitsminister Dr. Brauns erklärt, daß. seines Erachtens die Rentenbemessung an der Grenze des Möglichen angelangt sei. Der letzte Jahresbericht der Reichsversicherungsanstalt beweist dagegen, daß bereits das mals die Forderungen der Sozialdemokratie durchführ bar gewesen sind; der Reichstag hat deshalb die Pflicht, das Bersäumte schleunigst nachzuholen.
Die Ausgaben für das Heilverfahren stiegen von 11 843 144,71 M. im Jahre 1925 auf 16 040 222,49. im Jahre 1926, das ist eine Mehrausgabe von rund 4 200 000 m. Die Zahl der Anträge auf ständige Heilverfahren betrug im Jahre 1925: 49 926; entschieden wurde über 47 706 Anträge, davon wurden 60,7 Proz. bewilligt. Im Jahre 1926 erhöhte sich die Zahl auf 54 427, davon gelangten 52 870 zur Entscheidung, bewilligt wurden 61,8 Proz Das Verhältnis der Bewilligungen hat sich also ein wenig gebeffert, immerhin ist die Zahl der abgelehnten Anträge noch sehr groß.
Durch das Heilverfahren soll der Eintritt der Berufsunfähigteit verhindert oder eingetretene Berufsunfähigkeit wieder beseitigt merben. Deshalb ist auch für