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Abendausgabe

Nr. 387 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 191

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Pfennig

Mittwoch

17. August 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Der Kampf um die Revision.

Vor dem Obersten Gericht von Massachusetts .

Boston ( Massachusetts ), 17. Auguft.

Die Gründe für und wider die von der Verteidigung erhobenen Einwände gegen die Entscheidungen der Richter Sanderson und Thayer vom Obersten Staatsgericht von Massachusetts in der An­gelegenheit Sacco- Vanzetti wurden heute von vier Richtern des Obersten Staatsgerichts, die als Bollgericht tagten, entgegengenommen. Die Verteidigung hatte ihre Berufung darauf gegründet, daß der Bundesrichter Thayer fich von Voreingenommenheit habe leiten lassen. Der Generalstaatsanwalt erwiderte hierauf, daß fein ausreichender Beweis für eine Boreingenommenheit vorliege, der Sanderson zur Vorlegung eines Revisionsantrages berechtigt hätte. Der Oberste Gerichtshof hat seinen Beschluß bis Freitag vor­

behalten.

Nur die Kommunisten wollen einen Proteftftreik.

New Yort, 17. August.

Die Sozialistische Partei gab bekannt, daß sie nicht an dem von den Kommunist en veranstalteten Proteststreif für Sacco und Banzetti teilnehmen werde. Der Sekretär der Sozia­listischen Partei erklärte, obwohl die Bemühungen um Sacco und Vanzetti ungeschwächt weitergingen, sei das Buftande tommen eines neuen Proteststreits unwahrscheinlich.

Attentatschrecken.

New York , 17. August. Die Polizei berichtet, daß eine Anzahl führender Persönlich. feiten und Vereinigungen anonyme Androhungen erneuter Bomben anschläge erhalten haben für den Fall, daß Sacco und Vanzetti hingerichtet würden. In einem Drohbrief wurde angekündigt, die Stadt fönne im Falle der Hinrrichtung damit rechnen, daß ein öffentliches Gebäude oder die Bahnhofsanlage in die Luft gesprengt würde. Die Polizei teilt mit, daß in Reading( Massachusetts ) erhebliche Mengen Munition gestohlen worden sind.

Liberale für Simultanschule. Deshalb lösen fie die Rechtskoalition in Tanzig.

Danzig , 17. August. ( WTB.)

Die Auseinandersetzungen über den sozialdemokratischen Antrag, die neue Schule in dem Vorort Ohra auf simultaner Grund­lage einzurichten, haben zum Ausscheiden der Deutsch­liberalen aus dem Senat geführt. Der Vorsitzende der Deutschliberalen Partei, Senator Ernst, hat dem Präsidenten des Senats folgenden Beschluß des Hauptvorstandes der Deutschliberalen Partei mitgeteilt: Der Hauptvorstand billigt die Stellungnahme der Fraktion in der Frage der Schule Ohra und befchloß daher, daß die Senatoren der Partei aus dem Senat ausscheiden. Gleichzeitig haben die Senatoren Ernst und Siebenfreund ihr Ausscheiden

aus dem Senat erklärt.

Die Liberalen bestehen auf Errichtung der Schule auf fimultaner Grundlage, während 3entrum und Deutschnationale die konfessionelle Schule wollen. Da eine Einigung nicht erzielt werden konnte, ist der Austritt der Liberalen aus der Rechts­

toalition erfolgt.

Der Rückzug der Südtruppen. England frohlockt.

London , 17. August. Nach den letzten Meldungen aus Schanghat weichen die Süd­truppen weiterhin zurüd. Aus Nanting fliehen Tausende nach Schanghai . Unter den Truppen der Südarmee soll eine starte Verwirrung herrschen, da zahlreiche Truppenteile nicht mehr wissen, von wem sie politisch abhängig sind. Viele dieser Elemente sollen einen Handftreich auf Schanghai planen.

Faschistenroheit.

Das Denkmal des Erbaners der Brennerbahn entfernt. Jansbrud, 16. Auguft.

Während Nordtirol das sechzigjährige Bestehen der Brennerbahn feiert, benutzen die Italiener diese Tage, um das auf der Paßhöhe des Brenners stehende Denkmal des Er bauers der Bahn, des Bürttembergers Karl Ezzel abzutragen. An dessen Stelle soll zur Erinnerung an die italienische Tat" ( Elektrifierung der Bahn) ein Denkmal treten, das allen Reisenden schon bei ihrem Eintritt nach Italien die Größe und Macht des neuen Italiens zeigen soll.

Bauernkrieg um Wasser.

Im dürren Aegypten .

Kairo , 17. Auguft. Unzuträglichkeiten bei der Verteilung von Waffer haben in einigen Teilen des Landes zu blutigen Zusammenstößen zwischen den Bewohnern benachbarter Dörfer geführt, die sich bei der Zuteilung übervorteilt glaubten. In Oberägypten ist es zu einer förmlichen Schlacht zwischen Einwohnern und Beduinen ge­kommen, die nur durch das Eingreifen eines starten Polizeiaufgebots beendet werden konnte. Der Schulze der Ortschaft, der zu ver­mitteln suchte, wurde getötet, 17 Bauern teils tödlich, teils schwer verletzt.

Handelsvertrag mit Frankreich .

Heute vormittag unterzeichnet.

Paris , 17. August. Heute vormittag 8,55 Uhr ist in Paris nach langwierigen Verhandlungen ein Abkommen unterzeichnet worden, das die deutsch - französischen Wirtschaftsbeziehungen auf längere Zeit regelt. Der unerquickliche Zustand eines Zollfrieges, wie er praktisch während der letzten Wochen be­ftanden hat, ist damit beseitigt.

Das deutsch - französische Handelsabkommen, das soeben unterzeichnet worden ist, fann sowohl für die wirtschaftlichen wie für die politschen Beziehungen zwischen den beiden Nach­barstaaten eine ganz besondere Bedeutung beanspruchen. Beide Staaten find auf den Handelsverkehr miteinander an gewiesen. In beiden Ländern aber herrschen Regierungen, die, in protektionistischen Gedankengängen befangen, eine 3ollpolitik der Unduldsamkeit betreiben und mehr darauf bedacht sind, die eigene Industrie und Landwirt­schaft zu schützen, als sich in den weltwirtschaftlichen Verkehr einzugliedern. Politische Reibungen taten ein übriges, um die längst als notwendig erkannte wirtschaftliche Verständi­gung immer wieder hinauszuzögern. Auch jetzt ist sie noch nicht vollkommen erzielt. Immerhin ist der Grund für eine dauernde Zusammenarbeit gelegt, die Boraussetzung dafür geschaffen, daß ein stärkerer Waren­austausch stattfinden und damit eine engere Berbindung zwischen den beiden Bölkern gefördert werden kann.

Die große grundsätzliche Bedeutung des Vertrages geht allein schon aus der Tatsache hervor, daß troh jahrelanger Bemühungen alle Versuche einer Regelung des deutsch - fran­zösischen Wirtschaftsverkehrs nur für kurze Frist und in ganz engem Rahmen Erfolg haben konnten. Acht der artige furzbefristete und zeitweilig verlängerte Provisorien sind auf diese Weise abgelaufen, ohne daß sich die Völker näher gekommen wären. In diesem Zustand der Unsicherheit hatten die Hochschutzöllner in beiden Ländern Zeit und Ge­legenheit, ihre Quertreibereien gegen eine positive Handels­politit immer wieder mit Erfolg durchzuführen. Anstatt der so dringend erforderlichen Atmosphäre der Versöhnlichkeit, die auf wirtschaftlichem Gebiete für eine gedeihliche Ent­wicklung der politschen Beziehungen vorhanden sein muß, fonnte fich Eigenjucht und neidische Rivalität immer aufs neue entfalten. Schwerindustrie und Agrarier haben hüben wie drüben bis in die letzten Tage hinein alles getan, um den Unterhändlern ihre ohnedies schwere Aufgabe noch schwerer zu machen. So wurde das Abkommen, dessen Abschluß bereits für Mitte Juli angekündigt war, um mehr als einen Monat verzögert. Wiederholt drohte der Abbruch. Der fran­ zösische Handelsminister hat schließlich eine Reise nach Ame­ rika , die seit langem geplant war, um volle acht Tage hinaus­geschoben, um dieses Vertragswerk doch noch zum Abschluß bringen zu können. Hier fonnte man also feststellen, wie all­mählich auch in Frankreich das Interesse an einer vertrag lichen Regelung der Handelsbeziehungen mit Deutschland größer geworden ist.

Man wird diese Entspannung begrüßen können, wenn man sich auch darüber klar sein muß, daß sie zunächst nur ein Schritt zu einer endgültigen Verständigung der Völker ist. Das Vertragswerk ist dem Umfang wie dem Inhalt nach von großem Interesie. Neben der Regelung der all­gemeinen Handelsbeziehungen, in denen insbesondere die Frage der Konfulatsvertretungen eine nicht immer erquickliche Rolle gespielt hat, enthält es das grundsägliche Anerkenntnis der gegenseitigen Meist begünstigung und eine große Bahl verschieden gearteter Zollbindungen. Die Zollregelung zeigt besonders drastisch die Schwierigkeiten, unter denen das ganze Abkommen zustande gekommen ist. Wieder, wie schon bei früheren Abkommen, machte sich die große Ver­schiedenheit des deutschen und des französischen 3011­systems störend bemerkbar.

Während Deutschland neben einer Reihe von Zollherab segungen als wichtigstes Zugeständnis die volle Meistbegünsti­gung zu geben pflegt, fonnte Frankreich das aus verschiedensten Gründen nicht. Es mußte statt dessen versucht werden, eine rechtliche Formel zu finden, die praktisch dem deutschen Handel mit Frankreich die gleichen Rechte gibt wie allen anderen Staaten, die mit Frankreich zu tun haben. Man mußte also statt der formalen die praktische Gleich berechtigung erzielen; das ging nur auf die Weise, daß man die einzelnen Positionen und Klauseln des Vertrages unter großem Feilschen für Deutschland günstig gestaltete. Aber auch da gab es noch Schwierigkeiten, wie sie wohl in der Technik der modernen Handelsverträge geradezu einzig dastehen.

Frankreichs Zolltarif ist nämlich durch die Inflation des Franken überholt. Die 3oIlsäge entwerteten sich und entsprechen heute weder dem finanziellen Bedürfnis des französischen Staates, noch sind sie geeignet, irgendwie ordnend die französische Wirtschaft zu beeinflussen. Gerade auf das letztere aber legen die Franzosen besonderes Gewicht. Sie versuchten, die Nachteile der gegenwärtigen 3ollregelung durch eine allgemeine Heraufsetzung des Zolltarifes zu be­feitigen. Dabei schoffen sie aber derart über das Ziel hinaus, daß die französische Kammer die Vorlage ablehnte. Die französische Regierung beharrt troß dieses Mißerfolges bei

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Der Zollfrieg beendet.

ihrer Absicht, die Zölle zu erhöhen. Die deutsche Delegation mußte dem Rechnung tragen. Und so ergibt sich, daß dieser Handelsvertrag praktisch für Deutschland und für andere Staaten bei einer ganzen Reihe von Waren höhere Zoll­mauern bringt als bisher.

sonderen Liste der geltende französische Mindest tarif feſt­Für eine Reihe von Waren wird nämlich in einer be­gesetzt. In einer zweiten Liste jedoch sind Zollsätze angeführt, die über den augenblicklich geltenden französischen Höchst= zöllen liegen. Man fonnte sich natürlich mit einer derartigen Regelung nur bescheiden, weil man annehmen muß, daß die Rammer bei nächster Gelegenheit sonst noch höhere Zoll­fäßze beschließen würde, als im Vertrag vorgesehen sind. Auf einer dritten Liste des Handelsvertragstarifes find Waren aufgeführt, bei deren Einfuhr sogar Deutschland eine gewisse Benachteiligung gegenüber anderen Ländern erfährt. Deutsch­ land verweigert dafür auch dem französischen Handel Vor­teile, die andere Staaten in Deutschland genießen. Das ganze trägt also den Charakter einer Notlösung, die den ver­schiedenen politischen Strömungen und Machtverhältnissen nach Möglichkeit tragen und Reibungen für die Zukunft aus­schalten will. Bewährt sich die Notlösung, so wird, der Aus­bau des Handelsvertrages sicherlich nicht mehr so schwer fein wie der Abschluß des gegenwärtigen Abkommens, das, wenn nicht unvorhersehbare Schwierigkeiten auftauchen, auf lange Jahre hinaus die Völker einander wirtschaftlich näher bringt. Darin liegt auch der politische Wert des Abkommens, des ersten Handelsvertrags mit Frankreich .

Auch bei diesem Vertrag hat die gewaltige Machtstellung der großindustriellen Trusts eine entscheidende Rolle gespielt. Waren schon die früheren Staatsverträge nicht zu halten, ohne daß fich die deutsche und die französische Schwer= industrie verständigten, so mußte jetzt erst ein privates Abkommen der beteiligten chemischen Industrien den Weg zu einer Verständigung der Staaten ebnen. Nebenregierung der kapitalistischen Machtgruppen zeigte sich auch im vorliegenden Falle mit aller Deutlichkeit. Die internationale Arbeiterschaft wird dafür kämpfen müssen, daß die Reibungen diefer großen privaten Konzerne mitein­ander nicht auf dem Rücken des arbeitenden Volkes ausge­tragen werden. Denn es ist ja schließlich nicht gesagt, daß immer, wie in dem vorliegenden Falle, die gegenseitige Rivalität mit einer Verständigung endet, ohne daß die Handels- und Staatspolitik der aufeinander angewiefenen Staaten darunter leidet.

Aus dem Inhalt des Handelsvertrages.

An wesentlichen Einzelheiten aus dem Handelsvertrag mit Frankreich ist noch folgendes hervorzuheben:

Die Benachteiligung, der deutschen Waren in dem fran­ zösischen Bolltarif ausgesetzt bleiben, gilt nur bis zum 15. De­zember 1928 und wird dann ebenso wie die deutschen Gegen­maßnahmen hinfällig. An dem genannten Termin tritt also die volle Meistbegünstigung in Kraft. Uebrigens ist die Benachteiligung nur formeller Art. Sie bedeutet jedenfalls für die deutsche Industrie feine Schlechterstellung als für die Industrien anderer Länder, die mit ihr am französischen Markt in Konkurrenz stehen. Die deutschen Industriesachverständigen haben ihr deshalb zu­gestimmt.

Unter den Gegenmaßnahmen, die Deutschland gegen die Benach teiligung seiner Waren in Frankreich getroffen hat, ist die Beschrän­fung der Einfuhr französischer Weine auf 360 000 Doppelzentner im Jahr die wichtigste.

Da die deutsche und die französische Regierung von ihren Par­lamenten dazu ausdrücklich ermächtigt sind, wird der Vertrag mit wirkung vom 5. September in Kraft treten. Die deutsche Regierung bedarf dazu nur noch der Zustimmung des Reichsrates und eines Ausschusses des Reichstages. Dem Plenum des Reichstages wird das Abkommen nur zur nachträglichen Genehmi­gung vorgelegt. Es ist fündbar am 1. April 1929 mit dret Monaten Frist, so daß es frühestens am 30. Juni, also nach 22 Mo­naten von jetzt ab gerechnet, hinfällig werden kann. Außerdem hat sich Frankreich aber noch ein besonderes Kündigungsrecht für den Fall vorbehalten, daß sein Parlament noch einen neuen Zoll­tarif beschließt. Da aber bereits der gegenwärtige Bertrag die in Frankreich seit langem geforderte Neuregelung der Zölle bringt, hofft man, daß dieses Kündigungsrecht nur auf dem Papier stehen bleibt. So besteht Grund zu der Annahme, daß dieses Abkommen tatsächlich der endgültige Bertrag mit Frankreich sein wird. Das wäre dann der erste Handelsvertrag mit Frank­ reich seit Bestehen des Deutschen Reiches.

In dem Vertrag sind für alle exportwichtigen Waren Deutsch­ lands diejenigen Erleichterungen erzielt worden, die nach Lage der Dinge erreicht werden konnten. Dagegen haben die deutschen Unter­händler in der Frage der konsularischen Bertretungen nicht alles erlangt, was sie gefordert hatten. So dürfen Konsulate in Maroffo nicht errichtet werden, während der Waren- und Schiffsverkehr dorthin nach Art der Meistbegünstigung geregelt ist In Elsaß- Lothringen hat Deutschland zwar das Recht er­halten, Konsulate zu errichten, muß sich jedoch vorher mit der französischen Regierung ins Einvernehmen setzen. Hier rächt es sich, daß Deutschland nach dem Kriege 1870-71 bis zum Beginn des Weltkrieges auch seinerseits französische Konsulate im Elsaß nicht geduldet hatte. Gegenüber der grundsäglichen Wichtigkeit des ganzen Vertrages bedeuten allerdings diese Nachteile wenig.