Nr. 390 44. Jahrg. Ausgabe A r. 199
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Freitag, den 19. August 1927
Die Hinrichtung muß unterbleiben!
Neue Aktion der Berliner Gewerkschaften für Sacco und Vanzetti.
Die Ortsausschüsse Berlin des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Allgemeinen freien Angestelltenbundes haben folgendes Schreiben an die Botschaft der Bereinigten Staaten von Nordamerika zu Berlin gerichtet:
Die Bollstreckung des Todesurteils an Sacco und Banzetti ift auf den 22. August festgesetzt, eine Nachprüfung der von der Berteidigung beantragten Aufhebung des Urteils ist zwar angeordnet worden, das Leben der beiden Gequäiten ist dadurch aber noch
immer nicht gerettet.
Wir erheben diese Forderung im Vertrauen darauf, daß die Unfchuld von Sacco und Banzetfi erwiesen ist und ihr Freispruch erfolgen muß.
London , 18. Auguft.( Eigenbericht.)
Der sozialistische Daily Herald" hat von dem gefeierten Dichter Galsworthy eine zuschrift gegen den Justizmord an einer fühlen und überaus tritischen Prüfung des Sacco und Banzetti erhalten. Galsworthy sagt u. a.: er sei nach Materials zu der Ueberzeugung gekommen, daß das Urteil an Sacco irrtum sei widerwärtig, aber ein Justizmord sei grauenhaft. und Vanzetti einen Irrtum darstelle. Schon ein gewöhnlicher JustizEr hoffe aus ganzem Herzen, daß der alte und ehrenvolle Staat Massachusetts eine Bollstreckung vermeiden werde, die als eine
War es schon eine beispiellose Barbarei, die Berurteilten sieben Jahre auf die Vollstreckung des Urteils warten zu lassen, anstatt eine Wiederaufnahme des Prozesses zu ermöglichen, da die Unschuld von Sacco und Banzeffi vor aller Welt offen liegt, so ist diese Barbarei noch schändlicher, wenn Sacco und Banzetti wiederum Tage in qualvoller Pein verleben müffen. Menschlichkeit und Gerechtigkeit gebieten ihre Freilassung. Die Foltern des Mittelalters waren harm- grauenvolle Tat auf die Nachwelt übergehen würde. los gegenüber folcher amerikanischen Schandjuffiz, welche die Verurteilten angesichts des Todesurteils noch den fürchterlichen Seelenqualen preisgibt.
Die unterzeichneten Ortsausschüsse als Stimme der werktätigen Bevölkerung Berlins wiederholen ihren bereits erhobenen Protest gegen das Urteil und die noch immer drohende Hinrichtung. Sie ersuchen die Regierung der Bereinigten Staaten von Amerika drin. gend, das Leben der Berurteilten zu schützen, das Urteil zu taffieren und der Wiederaufnahme des Prozesses stattzugeben.
Der britischen Presse ist am Donnerstag außerdem eine Zuschrift der beiden nicht minderberühmten Schriftsteller J. G. H. Wells und Arnold Benett zugegangen, in der es heißt:" Wir unter zeichneten, treue Freunde und Bewunderer Amerikas und der amerikanischen Einrichtungen, sind vom Beweismaterial gegen die Berurteilten Sacco und Banzetti tief erschüttert. Bir flehen den Gouverneur und das Volk von Massachusetts an, die Geschichte ihres Staates nicht mit dem Blut zweier nnduidigen Männer zu beflecken!"
Neuaufrollung der Rheinlandfrage.
Truppenherabjegung um 10000 Mann?
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Botschafter Hoesch bei Poincaré . erklärt man, daß die Besprechung des Botschafters auf dessen Während in den zuständigen britischen Kreisen über die fran Wunsch stattfand, da er Poincaré persönlich für seine Anteilzösische Antwort auf die britischen Noten über die Herab- nahme, die dieser ihm anläßlich feiner Erkrankung bezeugt hat, danken fetzung der alliierten Militärstreitkräfte im Rheinlande äußerste daraus eine allgemeine Aussprache der beiden über die gegenwärtig wollte. Man geht aber wohl nicht fehl in der Annahme, daß sich Zurüdhaltung beobachtet wird, erfährt Reuter von zuver- zwischen Deutschland und Frankreich schwebenden Fragen, insbeläffiger Seite, daß die französische Regierung vorgeschlagen habe, fondere über die Rheinlandfrage, angefnüpft hat. Der ihre Truppen, die zurzeit etwa 55 000 Mann start sind, um 5000 3eitpunkt hierzu wäre auch umso mehr dazu geeignet gewefen, als Mann zu vermindern. Gleichzeitig hat es den Anschein, als der am Mittwoch abgeschloffene Handelsvertrag eine fühlbare Entob die französische Regierung erwarte, daß die britische und die spannung zwischen beiden Ländern gebracht hat. belgische Regierung ebenfalls Truppen in einer Gesamtstärke von 5000 Mann zurückziehen, so daß also eine
gesamte herabsehung der Besatzungstruppen um 10 000 Ma stattfinden würde. Die französischen Vorschläge werden gegenwärtig von der britischen Regierung geprüft. Möglicherweise wird man den Eindrud haben, daß die vorgeschlagene Zurüdziehung britischer und belgischer Truppen unverhältnismäßig sei, da die Gesamtstärke der französischen Streitkräfte im Rheinland die britischen und belgischen Streitkräfte um einige 40000 Mann übersteigt.
Es muß daran erinnert werden, daß die Botschafterkonferenz in ihrer Note vom November 1925 der deutschen Regierung ver prochen hat, im Rheinland die Zahl der alliierten Truppen mertlich herabzusehen. Seit diesem Zeitpunkt hat die deutsche Regierung bei jeder möglichen Gelegenheit die Nichterfüllung des Versprechens durch die Alliierten als Beschwerdegrund vorgebracht. Um ähnliche Beschwerdegründe seitens der deutschen Regierung zu beseitigen, wird die britische Regierung jeht darauf bedacht sein, die von der Botschafterkonferenz versprochene merkliche Zurüdzichung von Truppen durchzuführen.
Während in der Note der Botschafterkonferenz teine bestimmte 3ahl genannt ist, und noch keine Geneigtheit besteht, in unnötige Einzelheiten der Frage einzutreten, solange die Angelegenheit noch erörtert wird, glaubt man doch allgemein, daß die Herabsetzung der gesamten alliierten Truppen im Rheinlande auf einige 55 000 Mann die Billigung der britischen Regierung finden würde.
Paris , 18. Auguft.( Eigenbericht.) Der deutsche Botschafter v. Hoesch hatte am Donnerstag eine längere Besprechung mit Poincaré . Da es sonst nicht üblich ist, daß der Ministerpräsident, wenn er nicht gieldzellig Augenminifter ist, einen hohen ausländischen Diplomaten empfängt, nimmt man in hiesigen politischen Kreisen an, daß es fich bei der Unterredung um wichtige politische Frogen handelte. An zuständiger Stelle
Politische Entspannung infolge des Handelsvertrags.
Der Eindruck, daß der Abschluß des deutsch - französischen Handelsvertrages eine politische Entspannung außerordentlich gefördert hat, findet seine Bestätigung in den Stimmen der fran zösischen Preffe. Allgemein, auch in solchen Blättern, die man weder übertriebener Regierungsfreundlichkeit noch besonderer Freundschaft für Deutschland bezichtigen fann, flingt die Befriedigung über das Abkommen durch. Natürlich fehlt es nicht an Stimmen vorfichtiger Zurüdhaltung. Trotzdem erkennen zum Beispiel Figaro" und Gaulois" den Schritt friedlicher Zusammenarbeit an, der sich in dem Vertrag befundet, und betonen seine politische Bedeutung.
Interessant sind auch die Urteile ausgesprochener Linksblätter, so schreibt Deuore": Die Wichtigkeit liegt darin, daß man zur Intereffant find auch die Urteile ausgesprochener Linksblätter, so unterzeichnung gefommen ist. Es wäre tief bedauerlich gewesen, wenn die normalen Beziehungen zwischen beiden Ländern unterbrochen worden wären.
Ere Nouvelle" erklärt: Man darf den aktiven guten Willen des Ministerialdirektors Bosse, der es verstanden hat, die Instruktionen aus Berlin den Erfordernissen der schwierigen Lage anzupaffen, nicht mit Stillschweigen übergehen. Man hat von einem wirtschaftlichen Locarno gesprochen. Die Formel ist verführerisch, aber nicht durchaus richtig. Es ist richtiger, zu erflären, daß das Abkommen im Geiste von Locarno abgefaßt ift. Zum ersten Male bei einem Bertrage, der nur materielle Interessen in Frage stellt, wagt man es, fich auf die ideale Auffassung zu berufen, der der Völkerbund seine Existenz verdankt. Das Abtommen bedeutet den Beweis eines neuen Geistes in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Bölfern. Ein neues Hindernis auf dem Wege zum Frieden ist nieder. gelegt worden.
Diese Ausführungen der französischen Bresse entsprechen durch aus der Bedeutung des Bertragswerks für die Staatenpolitit der beiden Nachbarländer. Sie beuten aber auch darauf hin, wie nachteilig es für das ganze deutsche Volk gewesen ist, daß durch die Bildung der Rechtsregierung die handelspolitische Ver ständigung erschwert und verzögert worden ist."
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Feine Regierungspartei!
Schwarzrotgold verstößt gegen das Regierungsprogramm?
In der Presse der stärksten Regierungspartei des Reiches hat sich ein Riesenlärm erhoben. Wilde Beschuldigungen gegen einen Minister, Anzweiflung der Loyalität der Koali-\ tionspartner, Drohung mit der Regierungskrise, mit dem Rückzug der Deutschnationalen aus der Regierung. Das schwere Geschütz wird aufgefahren.
Warum der Lärm? Weil die Reichswehr der Republik die schwarzrotgoldene Fahne der Republik zeigen soll. Die Regierung des Reiches ist stock reaktionär, eine BürgerUnd darum Lärm in einem Teil der Regierungspresse? ernsthaft gehofft, daß sie eine Regierung der Sabotage der blockregierung, gewiß, aber hat die stärkste Regierungspartei. Reichsverfassung, der stillen Rüstung für einen inneren UmDie bekannten Richtlinien angenommen, in der sie sich zum fturz sein werde? Die deutschnationale Reichstagsfraktion hat Schutze der Verfassung und der verfassungsmäßigen Reichsfarben verpflichtete, und die Herren Hergt, v. Keudell, Schiele und Roch haben den Eid auf die Verfassung von Weimar und auf Schwarzrotgold abgelegt. Nun soll es plöglich nicht so, sondern ganz anders gemeint gewesen sein! Jetzt soll es plözReichswehr die schwarzrotgoldenen Farben zeigt. lich gegen die Regierungsrichtlinien verstoßen, wenn die Menschenrechte des Bürgerblocks, auf die er stabilisiert worden Die famofen Richtlinien, sozusagen die Magna Charta , die ist, gleich einem Rocher de Bronce, waren ein faules Kompromiß zwischen Schwarzrotgold und Schwarzweißrot. Sie stellten feft:
Anerkennung der Rechtsgültigkeit der in der Verfassung von Weimar begründeten republikanischen Staatsform. Unbedingter Schuß dieser Verfassung in ihrer Gesamtheit sowie der verfassungsmäßigen Reichsfarben( Art. 3 der Reichsverfassung) gegen alle herabsezenden Verunglimpfungen und rechtswidrigen Angriffe.
Der Schutz der verfassungsmäßigen Reichsfarben erstreckt sich, wie sich aus dem Zusatz des Artikels 3 ergibt, auch auf die Handelsflagge.
Der Vergangenheit und ihren Symbolen muß gleichfalls Achtung bezeugt werden und dieser Gedanke soll in der Regierungserklärung seinen Ausdruck finden."
sich,
Die Deutschnationalen verpflichteten Schwarzrotgold anzuerkennen und zu schüßen, während das und zu höflicher amtlicher Berbeugung vor Schwarzweißrot 3entrum sich zur Duldung schwarzweißroter Propaganda herbeiließ. Aehnlich, wie es jetzt in der Geßlerschen Flaggenverordnung geschieht, wobei wir finden, daß Herr Geßler über die Richtlinien hinaus der schwarzweißroten Propaganda noch erhebliche Konzessionen gemacht hat.
Wozu also der Lärm? Wie haben die Deutschnationalen sonst diese famosen Richtlinien aufgefaßt?
Es stellt sich heraus, daß sie einen stillen Akkord zu haben. glaubten, eine Art Gentleman- Agrement: macht mit Schwarzrotgold, was ihr wollt- aber die Reichswehr bleibt schwarzweißrot. Die haben wir, in der sigen wir, das ist der schwarzweißrote Sauerteig in Deutschland , die vom Staat bezahlte schwarzweißrote Propagandaorganisation für monarchische Tradition und gegen die Republit. So eine Art Verteilung der Macht, wobei sie das Machtinstrument der Republit gegen die Republik in ihre Hand bekommen wollten.
Wir verstehen recht gut, daß die Herrschaften in Aufregung geraten, wenn die Reichswehr das Symbol der Republik , die schwarzrotgoldene Fahne zeigen soll. Das verWesen der Reichswehr und ihrem Zwed haben. Das ist, wie trägt fich wirklich nicht gut mit der Auffassung, die sie vom Hoffnungen gezogen wird, die trotz Verfassungseid und Regiewenn ein dicker Schlußstrich unter die antirepublikanischen rungsteilnahme immer noch bei den Unentwegtesten der Deutschnationalen lebendig sind. Die Reichswehr wird damit zwar noch lange nicht zu einer republikanischen Musterorga nisation hinter der schwarzrotgoldenen Fahne verschwinden die Probleme von Offiziers- und Mannschaftserfaz so wenig wie die Reichswehrsfandale und so wenig wie der Kapitän Lohmann vom Phöbusfilm- aber mit der ganzen deutschnationalen Mache gegen Schwarzrotgold in der Reichswehr ist es aus, wenn über der Reichswehr die schwarzrotgoldene Fahne weht. Oder will man den Soldaten lehren, sie sollten die Fahne verachten und bekämpfen, zu der sie geschworen haben?
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Wir verstehen schon recht gut, daß es den Herrschaften, die jetzt so aufgeregt sind, schwer fällt, der Fahne ihres Landes Achtung zu beweisen. Wir verstehen auch ihre Enttäuschung. Aber Enttäuschung und Aufregung fie fommen beide in einem sehr schlecht gewählten Zeitpunkt. Haben sich die Herren Deutschnationalen nicht eben erst in feierlicher Rundgebung im Beisein ihrer Minister ein Kolleg über das Thema halten lassen, daß ein Land, das seine Farben nicht achte, feinen Anspruch auf die Achtung der Welt habe? 3ft die Aufregung über die Tatsache, daß die deutsche Reichswehr die