Mussolinis Kngss vor öem Proletariat. Gesetz gegen die Industrialisierung der Großstädte.
Mailaad. IS. August.(TU.) Die ilalienische Regierung wird in den nächfleu Tagen ein Dekret veröfsenllichen, wonach in den Provinzhauplorlen, die mehr als 100 000 Einwohner haben, die Errichlnng neuer Zndustrieunlernehmungeu mit mehr als 100 Arbeitern verboten wird, um eine allzu starke Industrialisierung der Städte zu verhindern. vie neue Rettungsparole öes Faschismus. Der hier angekündigte Gesetzentwurf ist ein Teil der Matz- nahmen, mit denen Mussolini sich der Proletarisierung der Arbeitermassen cntgegenwerfen will. Er hat Angst vor der Zu- sammenballung großer Volksmassen in den Großstädten, eine Angst, die begreiflich ist; denn Industrialisierung und Diktatur vertragen sich wie Master und Feuer. Das Problem dieser Menschenansamm- lung steht als Problem des„Ii r b an i s mu s" bereits seit längerer Zeit im Mittelpunkt der Erörterungen der faschistischen Prest«. Die Art, wie man es lösen will, ist so kopflos, so angstgeboren und so unlogisch, daß man darauf besonders eingehen mutz. Niemand verkennt die Schäden des„Urbanismus" für die Ge- sundheit und Fruchtbarkeit eines Volkes. Es ist auch bekannt, dah Italien eine historisch bedingt« Form des Urbanismus hat in dem Zusammendrängen der Einwohner in ländlichen Zentren, die in gesundheitlicher Beziehung all« Nachteile der Großstadt haben; diese Erscheinung geht auf die Malaria zurück und auf die feindlichen Einfälle, die beide die Einwohner nötigten, von den Fel- dern entfemt.zu wohnen, die sie bestellten. Die Ursachen haben heute aufgehört, aber die Wirkungen dauern fort, so daß heut« kleine süd- italienisch« Städte, wie zum Beispiel Cerignola, mit einer vor- wiegend ländlichen Bevölkerung, eine erschreckende Bevöl- kerungsdichtigkeit haben. Diese Form des Urbanismus, deren Ursachen überlebt sind, wäre natürlich am leidjtesten zu beseitigen; sie ist wirtschaftlich ebenso unrationell wie vom hygienischen Standpunkt aus. Sie besteht nur fort als Ausdruck von Eigentumsverhältnissen. chier wäre durch Bau hygienischer Wohnungen aus dem Lande, in der Nähe der Felder, einzusetzen. Ebenso könnt« man die nicht mehr im Wirtschaftsleben stehenden Elemente der Bevölkerung aufs Land ziehen durch Schaffung angemessener Verhältnisse. Solange aber die meisten
italienischen Dörfer weder Kanalisation noch Wasser- l e i t u n g haben und durch einen Wall von Dreck und U n g e- ziefer den Städler abschrecken, wird man einen spontanen Rück- zug aufs Land kaum eintreten sehen. Aber um diese Dinge kümmert sich die Regierung nicht, so wenig, wie um das Fehlen von Mittelschulen in den kleinen Städten, das die Eltern nötigt, um der Erziehung ihrer Kinder willen in die Großstadt zu ziehen. Sie spricht einfach ein Machtwort und verbietet die Anlage neuer Fabriken; es be- zieht sich nur auf die industriellen Zentren. Die Bevölkerung sieht in der Matznahm« eine Vorbeugung gegen weiter« Arbeits» l o s i g k e i t, aber damit hat das geplante Dekret natürlich gar nichts zu tun. Niemand wird einen neuen Betrieb einrichten, um ihn stillzulegen. Er wird ein industrielles Zentrum vorziehen, weil dort gelernte Arbeiter an Ort und Stelle sind, ebenso «ine Organisation für den Bezug der Rohmaterialien und für den Absatz. Das verbot schafsl einfach den bestehenden Fabriken eine Monopolstellung. Dah es einen Abfluh der städtischen Bevölkerung auf das Land zur Folge haben könnte, wird kein vernünftiger Mensch annehmen. Wo die Grotzindustrie auf billige, willige und wenig qualifizierte Arbeiterschaft rechnet, wie zum Beispiel im Textilgewerbe, hat sie den„Drang nach dem Landleben" gespürt, längst ehe er ihr von Mussolini suggeriert wurde. Die ländlichen Aspirationen des Faschismus hoben aber einen doppelten Zweck; sie wollen die trotz aller Eintragung in die Syn- dikate eben doch antifaschistische städtische Arbeiterschaft verringern und die Geburtenzahl heben. Die italienische Ge- burtenziffer ist nämlich auch im Sinken: in den letzten fünf Monaten sind 3S 000 Lebendgeburten weniger zu verzeichnen als in den entsprechenden Monaten des Vorjahres. Und das trotz des Verbots der neomalthufianistischen Propaganda! Das Zurücktreiben der in der Stadt mißglückten Arbeiter aufs Land wird kaum das geeignete Mittel sein, die Verbreitung der Geburtenvorbeugung unter dem Landvolk zu verhindern. Im Gegenteil. Kopflose Wirtschaftspolitik im Dienste des Groß- kapitals, Angst vor den Kräften, die man mit der Förderung der nationalen Produktion weckte, kennzeichnen diese neuen Bemühungen Mussolinis. Der jammervolle Dilettantismus, mit dem hier die Wirt- fchaft„geführt" wird, mutz sich früher oder später an dem Unglück- lichen Volke rächen, das heute der Willkür der faschistischen Macht- Haber preisgegeben ist.
vie Flucht Turatis. Flammende Worte der Angeklagten. Paris . 18. August.(Eigenbericht.) Heute hat in S a o o n n a der Prozeß gegen die Freund« Turatis begonnen. Er verspricht sich zu einem Prozeß gegen das faschistische Regime zu gestalten. Nach den Erklärungen, die uns am Mittwoch Genosse Turati zur Verfügung gestellt hatte, erhalten wir heut« folgende Aussagen, die die beiden Mitangeklagten R o s e l l i und P a r r i dem Untersuchungsrichter zu Protokoll ge- geben haben und deren Veröffentlichung die faschistische Zensur mit allen Mitteln verhindert. Professor R o s e l l i ist 29 Jahre alt. Er trat 1923 zur Sozia- listischen Partei über, als man dafür schon verfolgt wurde. Er ist Professor der Nationalökonomie an der Universität Genua , und gründete 1926 eine sozialistische Monatsschrift, die natürlich sofort verboten wurde. Am IS. Juli 192S wurde sein Haus in Florenz von den Faschisten g e st ü r m t und verwüstet.— Professor Parri war nie Sozialist. Den Krieg hat er als Hauptmann mitgemacht. Nach dem Kriege übernahm er die Chef- redaktion des„C o r r i e r e d e l l a Sera". R o f e l l i erklärte dem Untersuchungsrichter folgendes: Der Faschismus hol das Werk zerrissen, das in dreißigjähriger Arbeit die italienische Arbeiterschaft aufgebaut hatte. Er hat mit der Peitsche RUllionen Bürger versklavt und sie vor die furchtbare Alternative gestellt, entweder zu schweigen oder Hunger, oder Verbannung auf sich zu nehmen. Er allein ist schuld an dem freiwilligen Exil derer, die er jetzt des Landesverrats beschuldigt. Er allein nur hat die Grundlagen des Lebens und der Moral der italienischen Nation zerstört. Da blieb der Opposition nur noch ein Ausweg übrig, nämlich auszuwandern. Die Minderheit ist in diesem Kamme des Sieges sicher, den st« der Jugend überläßt. Aus diesem heißen Glauben heraus, Herr Richter, habe ich absichtlich die faschistische Justiz ver- letzt und bin glücklich, ihre Absurdität und Ohnmacht, die alle Aus- wüchse des Despotismus gutheißt, nachweisen zu können. Turati im Auslande bedeutet für mich den feierlichen Protest gegen das faschistische Regime; er soll ein A l a r m r u f an die ganze zivilisierte Welt sein und den Beweis erbringen für den Bruch zwischen den beiden Italien und beiden Lebensauffassungen. Im Exil dieses Siebzigjährigen wird Europa den Beweis für den Niedergang zwischen dem faschistischen Italien und dem früheren Italien sehen. Ich bin Sozialist und bin zu seiner Unterstützung gekommen, weil ich erkannt habe, datz die Befreiung der Arbeiterschaft nur auf der uner- schütterlichen Grundlage der Freiheit des Landes sich gründen soll. Professor Parri hat vor dem Untersuchungsrichter folgendes erklärt: Ich habe, da ich der Politik stets fern stand, aus keinerlei persönlichem Haß gegen das Regime oder um Rachegelüste zu stillen, die Tat vollbracht, die man mir vorwirft. Tausenden und aber Tausenden junger Leute in Italien , die die Zukunft Italiens bilden, wird der Faschismus eines Tages Rechenschaft ablegen müssen für die Tränen und das Blut, das er vergossen, für die Moral, die er mit Füßen tritt. Der Faschis- mus kann sie verfolgen und zerstreuen, aber er wird nicht fähig sein, ihre moralische Ueberzeugung zu töten. Wir verteidigen die altehrwürdige Tradition der Freiheit und Gerechtigkeit unserer Nation. Wer sie wie der Faschismus verleugnet, muß seine politische Herrschaft in Despotismus verwandeln. Dann werden. Haß und Lüge zu Regierungsmitteln. Jede Beleidigung der persönlichen Würde und des Anstandes ist erlaubt. Man kann Uns in Ketten schlagen, beleidigen, verurtellen, ober nicht unseren Glauben töten! Aus diesem Glauben heraus habe ich gehandelt, denn die Gesetze, die so Moral und Gerechtigkeit mit Füßen treten, führen zu Auf- lehnung. Die«dl« Persönlichkeit eines Turati wird der euro - päischen Zivilisation gegenüber die Verurteilung des despotischen Regimes in Italien und Verachtung der Bestimmungen der freiheit- lichen Errungenschaften der modernen Geschichte verkörpern. Es liegt uns jede Prahlerei fern, aber wenn der Faschismus uns auffordert. uns für unsere Taten zu verantworten, nehmen wir sie freudig auf uns. wir sind stolz, die Heucheleien des öfsenllichen Lebens und die Feigheil der reglerenden Klassen zu brandmarken. Herr Richter, wenn das faschistische Gesetz uns verurteilt, wird es uns nur ehren! Die so vor dem Untersuchungsrichter gesprochen, werden es vor dem Gerichtshof nicht unterlassen. Dieser wird kein Wort davon auf normalem Wege ins Ausland bringen. Aber so wenig sie die Stimmen dieser Helden ersticken können, da sie noch(eben, so wenig können sie den Geist töten, der daraus spricht— des künftigen Sieges gewiß._
Europas Nlinüerhektsvölker. Europäischer Kongreß am Sitz des Völkerbundes. Genf , 18. August.(Eigenbericht.) Der am Sonnabend in Genf beginnende 3. Europäische Nationalitätenkongreß tagt bis 22. August noch in- offiziell in Sitzungen des Vorbereitenden Ausschusses sowie Vor- beratungen mit Vertretern der neu auszunehmenden Gruppen. Der eigentliche Kongreß wird am Montag, dem 22. August, durch Er- öffnungsreden des Präsidenten, Erklärungen der neu aufgenommenen Gruppen usw. eröffnet und am gleichen Nachmittag durch Sitzungen der Kommissionen sortgesetzt. Der zweite Sitzungstag ist Ref:raten über„Gefährdung des europäischen Friedens durch nationale Unduldsamkeit", über„Die innen- und zwischenstaatliche Zusammenarbeit der Nationalitäten" und über„Das Sprachenproblem" gewidmet. Den letzten Konferenztag füllt die Bearbeitung folgender Probleme aus: 1. Staatssouoeränität und Minderheitenrccht; 2. Fragen der Ratio- nalitäten(Bestimmung der Zugehörigkeit zur Nationalität, statistische und sonstige Erhebungen) und 3. Fragen der Organisation und Pro- paganda. Kapitel Ostoberschlcsien. Die durch den schweizerischen Schulfachmann Maurer auf Grund des sogenannten Genfer Kompromisses vorgenommenen Schulprüfungen in Ost-Oberschlesien sind jetzt zu einem Teil abgeschlossen..Das Genfer Kompromiß brachte die ausnahmsweise Regelung für das laufende Schuljahr, daß die für die Minderheit». schulen bestimmten doppelsprachigen und nur polnisch sprechenden Kinder auf ihre Kenntnis der deutschen Sprache geprüft werden sollten. Von 6512 Kindern, die vom Besuch der Mindcrhcitsschule zurückgewiesen worden waren, hatten 1S08 bis zur Genfer Entscheidung im Schulstreik verharrt, da die Erziehungsberechtigten sich weigerten, sie der polnischen Schule zuzuführen. Der Rest von 5000 Kindern war dagegen vor den Genfer Verhandlungen vorläufig der polnischen Schule zugeführt worden, da die Erziehung»- berechtigten die Kinder nach Zurückweisung von der deutschen Schule bis zur endgültigen Entscheidung nicht ganz ohne Schulunterricht lassen wollten. Von den 1508 streikenden Kin» dern hat die Wojewodschaft dem Prüfer nur 425 Kinder vor-
geführt, von denen 170 genügende, 255 ungenügende deutsche Sprachkennrnisse auswiesen. Von den streikenden 1508 Kindern sind also der deutschen Schule erhalten geblieben die 1085 Kinder, die dem Prüfer überhaupt nicht vorgeführt worden sind, und die 170, die die Prüfung bestanden, insgesamt also rund 1250, d. i. 8 3 P r o z. d e r G e s a m t z a h l. Die restlichen 255, also 17 Proz., sind der polnischen Schule überwiesen. Damit sind die Prüfungen der Kinder, die noch im Streit waren, abgeschlossen: die vorstehenden Ziffern sind endgültig. Die Prüfung der weiteren 5000 Kinder, die vorläufig in polnischen Schulen sind, kann erst im September, nach Rückkehr Maurers vom Urlaub, beginnen. Es ist naturgemäß noch nicht zu übersehen, wieviele von diesen Kin- dern zu Beginn des neuen Schuljahres in die Minderheitsschule ein- treten und auf Grund der Prüfungen Maurers dann in ihr ver- bleiben werden. Bis dahin ist keine van beiden Parteien berech- tigt, diese Kinder für die polnische oder für die deutsche Schule in Anspruch zu nehmen. - � peinliche fragen für Schober. Scipel erspart ihm die Antwort. Wien , 18. August.(Eigenbericht.) Im Untersuchungsausschuß des Gemeinderats über die Vorgänge des 15. Juli wurde ein Schreiben der Polizei- d i r e k t i o n verlesen, in dem sie mitteilt, nicht in der Lage zu sein, die Fragen, die der Untersuchungsausschuß an sie ge- richtet hat, zu beantworten. Sie habe sich an die B u n d e s r e g i e- rung pm Auskunft darüber gewandt, ob sie verpflichtet sei, die Fragen des Untersuchungsausschusses zu beantworten, und habe von ihr die A n w e i s u n g bekommen, dies zu unterlassen. Es handelt sich bei den Anfragen des Untersuchungsausschusses um Auf- sthluß darüber, ob es Polizeivorschristen über die Anwendung von Schießwafsen gebe, ob die Polizei am 15. Juli die für das Militär geltenden Vorschriften«ingehalten habe, was für Munition verwendet worden ist und ob es bei der Verfolgung der Demon- stranten vorgekommen sei, daß sich Wachabteilungen gegen- seitig beschossen haben und dadurch Polizeiorgane verletzt worden sind. Schließlich wurde noch um Mitteilung er- sucht, wieviel Sicherheit-wachbeamte zu Fuß bei Beginn der De- monstration bereitgestellt worden seien, die den Tumult hätten ver- hindern können. Die sozialdemokratischen Gemeinderäte im Unter- stxchungsausschuß haben auf die Weigerung der Polizeidirektion er- klärt, daß die Angelegenheit noch im Gemeinderat zur Sprache kom- mcn wird. Der Ausschuß beschloß hierauf, seine Sitzung abzubrechen, und auf Freilag zu vertagen, wo der Bericht des Referenten Genossen Dr. Danneberg zur Verlesung kommt. Wenn nicht schon früher— bei den Prozessen gegen die massenhaft verhafteten Arbeiter wird die Polizei antworten müssen!
Zusammenstoß in Litauen . Eine typisch arbeiterfeindliche Darstellung. kowno , 18. August.(OE.) In der Kreisstadt Telschi ist es zu blutigen Unruhen gekommen. Arbeiter gingen gegen die Polizei mit Steinen und Messern vor(was hat sie vorher getan? Red. d. V.) zwei Polizisten wurden lebensgefährlich und viele andere leichter ver- wundet. Da die Pollzei der Situation nicht gewachsen war, mußt« die Garnison alarmiert werden. Die Arbeiter empfingen das anrückende Militär mit Stsinwürfsn. dieses gab darauf mehrere Salven ab, wodurch die Menge auseinandergetrieben wurde. 14 Rädelsführer sind o e r h a f t e t worden. Die bereits gemeldeten Ausfälle de» Regierungsblattes .Lietuoo" sollen in die angekündigte deutsche Protest- a k t i o n bei der Putschregierung in Kowno einbezogen werden.
Räch dem Austritt der Liberalen aus der Danziger Regierung hat die Restkoalilion von Deutschnationalen, Zentrum und Beamten höchstens 57 Stimmen unter 120. Am 13. November ist Neuwahl des Volkstags.
Nanking unter Granaten und ßliegerbomben Englische Förderung der Nordarmec. London , 18. August.(Eigenbericht.) R a n k i n g steht unter schwerem Geschühfeucr und außerdem wird die 5 ladt, die von den aus kuku geflüchteten Truppen der Rationalarmee überschwemmt wird, von der Rord- armee aus Flugzeugen mit Bomben belegt. Die Truppenbewegungen der Ralionalarmee sind durch die vom britischen Kommandeur am Mittwoch erfolgte Abschneidung der Eisenbahnlinie in Schanghai schwer behindert worden, so daß das vorgehen des brilischcn Oberkommandeurs indirekt eine Anter st ühung der Rordarmee gewesen ist. Der britisch-chinesische Zwischenfall wegen der Rückgabe eines auf chinesischem Boden notgelandelen britischen Flugzeuges ist wenigstens äußerlich beigelegt. Die Chinesen haben die ab- genommenen Tragflächen zurückgeschickt, worauf der britische General D u n c a n die Anordnung gegeben hat, die am Mittwoch abgeschnittene Eisenbahnlinie wiederherzustellen.
Gegen Keuüells Schulgesetz. Protest der freigeistigcn Verbände. Gegen den vom Reichsinnenminister Keudell vorgelegten Entwurf eines Reichsschulgesetzes wendet sich jetzt auch die Reichsarbeitsgemeinschaft der freigeistigen Verbände und der ihr nahestehenden Organisationen. Eine Entschließung, die am 11. August angenommen wurde, betont, daß die R e i ch s o e r f a s s u n g mit ihren Schulartikeln einen Schritt auf dem Wege zur Einheit- lichkeit und Weltlichkeit des gesamten Schulerzichungs- wefens brachte. Der vorliegende Entwurf aber widerspricht der Reichsverfassung, da er die Macht der Kirche über die Volks- schule neu zu begründen sucht, die Bekenntnisschule zur R« g e l s ch u l e macht, die weltliche Gemeinschaftsschule beseitigt und die weltliche Schule zum Sammelbecken aller möglichen Religion?- und Weltanschauungen herabwürdigt. Weiter heißt.es in der Ent» schließung: „Als Ersatz der Gemeinschaftsschule des Art. 146 Abs. 1 bietet der" Entwurf die christliche Simultanschule, die aus die Kinder der freigeistigen Bevölkcrungsgruppen keinerlei Rücksicht c'n nimmt. Deshalb lehnen wir dies« oerkappten Be- kenntnisfchulen all. Nach dem Entwurf erhalten die Kirchen weitestgehenden Einfluß auf den Unterricht, indem ihren Vertretern Sitz und Stimme in den örtlichen Schulverwaltungskörperschaften zu- gebilligt wird. Ferner gibt man der Kirche das Recht, den Unterricht zu beaufsichtigen und zu beeinflussen: alle vorhandenen evangelischen. katholischen und jüdischen Volksschulen haben ohne Aiurag als Bekenntnisschulen zu gelten. Ihre Lehrpläne, Lehr- und Lern- bücher bedürfen kirchlicher Genehmigung. In ihnen müssen religiöse Uebungen und Gebräuche ge- pflegt werden. Dadurch wird die in der Reichsverfassung den Lehrern und Schülern zugesicherte Glaubens- und G e- Wissensfreiheit aufgehoben und di» geistliche Schul - aussieht wieder eingeführt. Unter Nichtachtung der einschlägigen Versassungsbestimmungen macht der Entwurf die A n st e l l u n g der Lehrer und Schul- aufsichtsbeomten von ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Religionsgemeinschaften abhängig. Diesem Schulgesetz gegenüber gibt es nur schärfste Ablehnung!" Demgegenüber fordert die Slrbeitsgeineinschast ein ver- fassungsmäßiges Schulgesetz. Sie begrüßt den Wider- stand der linksgerichteten Parteien gegen die lirchlich-deutschnotionalcn Pläne und kündigt einen Gegenentwurf gegen das Reichsschulgesetz an. Sie verlangt ferner die Hinzuziehung der Kultur- und Schulorganisationen zu den oorberotenden Be- sprechungen. Durch eine Stimmcnzählung unter den Anhängern der freiheitlichen Schule will sie den Beweis erbringen, daß weiteste Kreise der deutschen Bevölkerung die Verkirchlichung der Volksschule ablehnen.