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Abendausgabe

Nr. 40944. Jahrgang Ausgabe B Nr. 202

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife fifid in der Morgenausgabe angegeben Redattion: Sw. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Pfennig

Dienstag

30. August 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-29T

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Polnische Parlamentsprobe.

Sejm   und Senat verlangen die Einberufung.

Zu dem im Kern absolutistischen Regierungssystem der verflosses| ob man offen verfassungswidrig regieren will, was ja von einer nen Monarchien gehörte es, daß der eine Faktor der Gesetzgebung, Putschregierung allerdings nur logisch wäre oder ob man so weit nämlich die Krone, sich ziemlich willkürlich von dem anderen, angeblich nicht gehen will. Mehr Klarheit wird vorläufig nicht zu erlangen gleichberechtigten, nämlich der Volksvertretung, befreien und ihn sein, denn wenn Pilsudski   eine Parlamentstagung erlaubt, so ausschalten konnte: durch das Recht der Einberufung, Vertagung, ist damit noch nicht gesagt, daß er Verfassung und Parlament nun Schließung und Auflösung des Parlaments. In der Demokratie auch respektieren wird. fann selbstverständlich nur das Parlament selbst dieses Recht haben, Hierzu wird uns aus Warschau   noch gemeldet: Der Staats­Hierzu wird uns aus Warschau   noch gemeldet: Der Staats­da es doch das Volk vertritt, von dem alle Gewalt ausgeht. präsident ist laut Verfassung verpflichtet, diesem Einberufungs­verlangen innerhalb von 14 Tagen Folge zu leisten. Im Bordergrund der Tätigkeit des Parlaments soll die Verleihung des Selbstauflösungsrechtes an Sejm   und Senat stehen. Diese Frage bildete den Anlaß zur Schließung der Session durch die Regierung. Auch der Pressezwang soll behandelt werden.

Die polnische Verfassung, im ganzen recht demo­fratisch, überträgt dieses Recht dem vom Barlament gewählten Präsidenten der Republit. Solange die Verfassung geachtet und be­folgt wurde, also bis zu dem Militärputsch Pilsudskis im Mai 1926, schien dieses Recht nicht gefährlich, denn der Staatspräsident wurde von der parlamentarischen Regierung beraten, ohne deren Gegen­zeichnung er Staatsatte nicht sehen kann. Aber seither ist Pilsudski  Regierungschef und tatsächlicher Machthaber und er pfeift auf das Parlament und regiert durch Dekrete. Wenn das Parlament solche Detrete aufhebt, wie das einstimmig mit dem Pressetnebe= Iungs defret geschehen ist, so schickt Pilsudski   das Parlament nach Hause und erläßt das Dekret von neuem.

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Jetzt hat die große Mehrheit des Parlaments weit mehr Unterschriften find vorhanden, als nach der Verfassung nötig wären- durch den Sejmmarschall Rataj die Wiedereinberufung bes Parlaments schriftlich vom Staatspräsidenten Moscisti ge­fordert. Die Beantwortung dieses Schreibens wird Klarheit schaffen,

Brauns und der Bürgerblock.

Eine Erklärung des Arbeitsministers.

Wir gaben fürzlich eine Aeußerung des Zentrumspublizisten Dr. Teipel wieder, in der von dem Verhalten des Reichsarbeits­ministers Dr. Brauns bei dem Entstehen der Bürger= blodregierung die Rede war. Dr. Brauns veröffentlicht nun in der Germania  " eine Buschrift, in der er die Darstellung Teipels als eine Irreführung der öffentlichen Meinung" bezeichnet und weiter erklärt:

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Ich habe meines Wiffens einig mit der ganzen Zentrumsfraktion die damalige Regierungsbildung nicht ge= wünscht und habe daraus auch niemandem gegenüber einen Hehl gemacht. Die Linkspresse hat das zurzeit ausdrücklich festgestellt Bon einem ,, perstohlenen Wint an Herrn Dr. Scholz" ist mir nichts bekannt. Ich halte derartiges für ausge­schloffen. Jedenfalls habe ich mit Herrn Dr. Scholz damals feinerlei Fühlung gehabt, weder unmittelbar noch mittelbar. Die mir von Herrn Leipel in den Mund gelegte Aeußerung gegenüber dem Herrn Reichskanzler Marg   ist ebenfalls objektiv un­wahr.

Dr. Brauns hält es dann für geraten, die Sozialbemo tratie als den ,, Bater der Regierung der Rechten" zu bezeichnen, weil sie die Minderheitsregierung Marg zum Sturz brachte. Das ist zwar eine sehr bequeme und naheliegende Ausrede. Aber selbst Herr Dr. Brauns wird kaum bestreiten können, daß im Zentrum Kräfte am Werte waren, die gemeinsam mit der Bolkspartei die Deutschnationalen in die Regierung wünschten, selbst wenn Herr Brauns nach seiner Versicherung nicht von der Partie gewesen sein sollte. Und daß ihnen die Ausredemöglichkeit mit dem Sturz der Marr- Regierung sehr gelegen fam, erscheint auch ohne besondere Bersuchung glaubhaft.

Austausch polnischer Gefangener. Zwischen Polen   und Rußland  .

Warschau  , 30. August.  ( OE.)

In allernächster Zeit wird die Sowjetregierung 39 Bolen, die wegen verschiedener politischer Ursachen sich in Gefangenschaft be­finden, an die polnische Regierung ausliefern. Bolen wird

dafür 9 gefangenen Kommunisten die Ausreise nach Sowjet­rußland gestatten. Ferner sollen in den nächsten Tagen durch Ver­mittlung des Roten Kreuzes zwischen Polen   und Litauen   politische Gefangene ausgetauscht werden.

bestand für die Leipziger Herbstmesse nicht unerheblich vergrößert haben. Der Arbeitsmarkt verschiedener Industrien erhält zweifellos durch den guten Berlauf der Leipziger Herbstmesse startes Rückgrat. Im Grunde genommen zeigt sich in dem guten Verlauf der Messe ein unleugbarer starter deutscher   Bedarf nach allen möglichen Waren und Bedarfsartikeln. Das riesige Heer der Arbeitslosen vom vorigen Winter ist wieder in die Lage gekommen, sich mit dem nötigsten zu verforgen, was monatelang während der großen Arbeitslosigkeit nicht möglich war. So werden vom Kleinhandel Waren min

derer Qualität bevorzugt.

Der Export spielt ganz entschieden auf der diesjährigen Herbstmesse eine untergeordnete Rolle. Die Einkäufer sind aus allen Ländern in sehr reicher Zahl vorhanden, wenn auch hier und da Meßgeschäfte nach dem Auslande abgeschlossen wurden, so ist doch von einer wesentlichen Belebung des Exportgeschäftes nichts

zu hören.

Im allgemeinen muß hervorgehoben werden, daß man in weiten Kreisen die Empfindung hat, die Einstellung des deutschen   Unter­nehmertums zu dem Exportgeschäft sei schr wenig glücklich. So wurde ein Artikel in der ,, Leipziger Wirtschafts- und Exportzeitung", die im Berlag des Leipziger Messeanits erscheint, viel bemerkt. Der Artikel trägt die Ueberschrift Exportindustrie und Sozialbelastung". Darin wird einem Abbau der deutschen   Sozialpoliti: das Wort geredet, um den deutschen   Warenexport zu steigern. Der ganze Artikel ist eine Berkennung der Bedeutung, die eine gute So­zialpolitik für die Herstellung von Qualitätswaren und für das Erportgeschäft hat. Man muß sich wundern, daß das Leipziger   Messe­amt es fertiggebracht hat, in diesem Artikel die äußerst primitive Auffassung eines rückständigen Unternehmertums zu übernehmen.

Deutschösterreich will heim!

Paris  , 30. Auguft.( EP.)

In unserem Leitartikel Schrei nach dem Religionsfrieg" in Selbst ein Pariser   Journalist kann es nicht überhören unserer Abendausgabe vom 27. August wird der Breslauer Univer. fitätsprofeffor Biesché als Zentrumsmann völlischer Neigung be zeichnet. Wir werden nun aus Zentrumstreifen darauf aufmerksam gemacht, daß dieser Pfarrer und Professor Dr. Zisché nicht der Sentrumspartei angehört, sondern der deutschnationalen Partei und ihrem ,, Katholikenausschuß", der von Martin Spahn   ge­führt wird. Wir geben davon berichtigend gern Kenntnis. Man kann das Zentrum beglückwünschen, daß Biesché nicht zu ihm gehört.

Leipziger Messe.

Ein voller Erfolg.

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Steigende Preise. Leipzig  , 30. Auguft.( Eigenbericht.) Während am Sonntag und Montag die Beurteilung der dies jährigen Herbstmesse immerhin nicht ganz einheitlich war, prägt sich jetzt der volle Erfolg der Messe aus. Sie reicht nicht, be­sonders soweit der Export in Frage kommt, an die Umsätze auf der Frühjahrsmesse 1927, dürfte aber weit beffer sein als die letzten Herbstmessen, die allerdings nicht unter besonders günstigen Sternen standen. Die große Mehrzahl der Aussteller sind dieses Mal mit Leipzig   zufrieden, während die Einkäufer allerdings sehr über an­ziehende Breise flagen.

Sind die in Leipzig   aufgegebenen Orders auch nur sehr flein, so find sie desto zahlreicher. Der gute Berlauf der Messe findet dann auch durchaus seine Stüße in den vielen Bestellungen zahlreicher Kleinhändler, die die Messe nach Leipzig   geführt hat. Das Inlands­geschäft ist durchaus ausschlaggebend. So weisen fast alle Waren­arten in vielen Branchen eine lebhafte. Nachfrage auf. Die Fabriken, die sich fehr lange Lieferzeiten ausbedingen, dürften ihren Auftrags­

Das Jounal" hat einen Mitarbeiter zu einer Enquete über die Anschlußfrage nach Wien   entsandt. Dieser teilt mit, in Wien   spreche alles von Anschluß, da man den aus dem Frieden von St. Germain hervorgegangenen österreichischen Staat nicht als lebens fähig betrachte. Es gebe keinen vernünftigen Desterreicher, so habe ihm ein Finanzmann erklärt, der den Anschluß heute nicht im Brinzip billige und der nicht morgen seine Durchführung fordern würde. Er habe vergeblich auf einer Rundfahrt einen Desterreicher gesucht, der Desterreicher bleiben wolle. Die Geschäftsleute beklagten sich über die das Land gegen Rußland  , Polen   und die Tschechoslowakei   usw. abschließenden 3oll­schranken. Wenn der Anschluß an Deutschland   vollzogen werde, finde Desterreich dagegen ein Absatzgebiet von 70 Millionen Menschen offen.

Ausweisung des TAG- Vertreters! Frankreich   warnt" alle ansländischen Journalisten. Paris  , 30. Auguft.( Eigenbericht.)

Luftstümperei.

Die Nuglofigkeit der Flugmaschine und ihre Gefahren in der Gegenwart.  - Ein Organisationsproblem.

Von H. G. Wells.

Copyright by H. G. Wells  . Übersetzungsrechte vorbehalten. wälzungen im Bereiche westlicher Kultur, die ihren Lauf all­In dieser Welt gewaltiger und oft regelwidriger Um­mählich um die ganze Erde nimmt, leben die Menschen länger, gesünder und besser als einst. In mancher Hinsicht allerdings scheinen sie weniger gut zu leben als sie sollten. Eine der auffallendsten Erscheinungen beim Anblick unseres gegenwärtigen Lebens ist die beträchtliche Zunahme der Er­findungen zur Bereicherung unseres Lebens; Erfindungen, die entweder überhaupt keine Verwendung finden oder doch nur in sehr beschränkter Weise der Allgemeinheit zugute kommen.

Doch diese Dinge warten der Erweckung. Geht es mit ihnen doch wie mit dem Uebermaß von Geburtstagsgeschen­fen eines verwöhnten Kindes, das einige nur halb auspackt oder kaum ansieht, um sie vielleicht später einmal in die Hand zu nehmen- andere sind gar schon zerbrochen. So haben Wissenschaft und Erfindergeist dem gewöhnlichen Sterblichen, diefem verwöhnten Kinde, Dinge in den Schoß geschüttet, deren richtige Verwendung er noch würdigen und erlernen soll.

Eines der am wenigsten gewürdigten Geschenke ist das FItegen. Zumindest während der letzten zehn Jahre ver­stand es die Menschheit, und mit geringeren Kosten als die einer Eisenbahnfahrt oder Schiffsreise erster Klasse konnte man sicher, fchnell und angenehm eine Fahrt durch die Lüfte unseres hinreißend schönen und abwechslungsreichen Planeten unternehmen. Wenn ich sage, daß es die Menschheit verstand, so meine ich nicht den Leser oder mich selbst. Ich meine damit, wenn die Menschheit füihig ge­wesen wäre, sich dieser Sache wirklich anzunehmen, so müßte jeder von uns von diesem Transportmittel Gebrauch machen fönnen, wäre er willens, den Fahrpreis zu zahlen; einen Preis allerdings, der so niedrig gehalten sein müßte, daß selbst ein einigermaßen gut bezahlter Arbeiter die Kosten hierfür erschwingen fönnte. Wenn ich sage sich er, so will ich damit sagen, sicherer als eine gewöhnliche Fahrt auf der Eisenbahn oder mit dem Schiff. Bei schnell schwebt mir eine Geschwindigkeit von ungefähr 100 englischen Meilen ( 160 Kilometer) in der Stunde vor; und mit hinreißend schön möchte ich die herrliche, einzigartige Luft beschrieben haben, durch die man gleitet. Ich weiß schon, worüber ich schreibe, denn ich habe schon des öfteren Luftreifen unter­

nommen. Ich kenne das unendliche Glück und die Wunder des Fliegens. Ich weiß aber auch andererseits nur zu gut, daß die Seltenheit der Benutzung des Luftweges in der Gegenwart, die Gefahren und der geringe Anreiz zur Luft­reise nicht etwa die Schuld der Flugmaschine und des Luft­schiffes sind; denn sowohl die Naturwissenschaft wie auch die technischen Erfindungen haben dies neue Verkehrsmittel in hervorragender Weise begünstigt. Die Schuid, ja fast die Alleinschuld an all dem ist in den finanziellen, administrati­ven und politischen Schwierigkeiten des Luftfahrtwesens zu suchen.

Keine Schuld der Flugmaschine.

Die geschäftliche wie auch die verwaltungstechnische Seite des Flugwesens darf mit der rein technischen nicht in einem Atemzuge genannt werden. Geschäftlich und verwaltungs­technisch ist man so entsetzlich weit im Rückstand, daß ich be­ginne zu zweifeln, ob es möglich sein wird, bevor ich meine Augen für immer schließe, meinen Wunsch erfüllt zu sehen, wenigstens noch einmal eine mit allen Annehmlichkeiten ver­bundene Luftreise um die Erde unternehmen zu können. Mich übermannt ein brennendes Heimweh nach den farbenprächti= riesigen chinesischen   Mauer, nach den sengenden Dschungeln gen Schluchten im Süden Algiers  , nach dem Anblick der Indiens   und den herrlichen Palästen Ambars. Das eine aber ist gewiß. Hätte ich die Rechte, die mir als Kulturmensch zu stehen müßten, dann müßte ich in wenigen Tagen über all das Schöne und Herrliche fliegen können. So aber wird es meinen Augen nie vergönnt sein, all das einzig Großartige aufzusaugen.

Ich habe mich schon oft einem Flugzeug anvertraut. Aber jetzt habe ich es aufgegeben. Ich muß sagen, ich finde es doch zu unbequem, zu unregelmäßig und so katastrophal ge­fährlich. In den Tagen der ersten Flüge war es die Neu­artigkeit der Erfahrung, die den Menschen bewog, auch ein­mal zu fliegen. Man kann es verstehen, wenn man der Sache wegen flog und die Gefahren mit in den Kauf nahm, die sich im Kampfe mit den Elementen naturgemäß von selbst ergaben. In jenen Tagen des Experimentierens hatte niemand ein Recht, sich über die Gefahren einer solchen Luftfahrt zu beschweren, ebensowenig wie es jene taten, die etwa auf eine Löwenjagd gingen. Es war durchaus richtig, daß man wartete, bis sich schönes Wetter einstellte und eine gute Maschine zur Verfügung stand. Aber wir müssen auf­muß endgültig der Vergangenheit angehören. Es besteht doch sicher ein erheblicher Unterschied darin, ob ich in dem Bewußtsein losfliege, unter Umständen das Opfer eines wag­halfigen, wenn auch vielleicht hoffnungsvollen Experiments zu werden, oder ob ich auf einer Luftreise ertränkt, zer­schmettert oder zu Tode geröstet werde, lediglich deswegen,

Der Vertreter der sowjetrussischen Telegraphen. Agentur Brown ist aus Frankreich   innerhalb 24 Stunden aus­gewiesen worden, weil er tendenziöse Darstellungen der Zwischen- hören, Luftreifen lediglich als Sport zu betrachten- daß fälle, die sich bei den Manifeftationen zugunsten Saccos und Ban­geftis in Paris   abgespielt haben, verbreitet haben soll. Dies soll den Blättern zufolge eine ernste Mahnung" an alle ausländischen Journalisten in Paris   sein. In Zukunft werden alle Bericht­erstatter, die über Paris   oder Frankreich   entstellende Nachrichten bringen, ausgewiesen werden.