Nr. 239.
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Vorwärts
12. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straje 2.
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Sonnabend, den 12. Oktober 1895. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Bismarck- Böfficher- Berg. Zu dem Fall Bötticher erhalten wir von einer Seite, die wir für gut unterrichtet halten können, folgende Mittheilung:
halten hätten, ist allerdings nur in diesem einen Fall unbeftritten anerkannt worden.
Nur blindwüthige Bismarc- Anbeter können sich darüber täuschen.
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Ob Herr v. Bötticher in Berlin anf dem Ministerbleibt sich für uns allerdings gleich. Uns interessirt an sessel oder in Kassel auf dem Oberpräsidentenstuhle fizzt, obiger Aeußerung hauptsächlich der darin ausgeprägte ganz stöckerisch anmuthende Moralsaß, daß die Operation der Bismarck- Organe insofern" feine Maulwurfsarbeit sei, als v. Bötticher beinahe schon einmal aus Berlin hinweg operirt worden war.
Wo die sonstigen Gelder geblieben sind, wird auch nur Wir haben unsererseits natürlich nichts dagegen einzuin seltenen Fällen nachgewiesen werden können, denn wenden, daß die Sache recht gründlich erörtert und klar in weiser Voraussicht der Bewegungsfreiheit, die ihm zu gestellt wird. Licht, mehr Licht! Nur die Dunkelmänner höherem staatsmännischen Zwecke bei Unterbringung der und Hintertreppenschleicher haben das zu scheuen. Welfenfonds- Gelder zu Gebote stehen mußte, hatte Fürst So registriren wir denn zunächst, was die Neuesten „ Die vom Staatsministerium gestern publizirte Erklärung Bismarck es ausgewirkt, daß er nicht öffentliche Rechenschaft Nachrichten", das hiesige Bismarck - Organ auf den Vorwurf hat, wie jetzt schon versichert werden darf, doch nicht aller abzulegen, sondern nur vom Kaiser persönlich sich jährlich der Maulwurfsarbeit" wegen der beharrlichen Befehdungen wärts den erhofften Erfolg gehabt. Vielmehr verlautet Indemnität für die Verausgabung der bedeutenden Summen des Miniſters v. Bötticher erwidert: jetzt schon, daß nunmehr eine attenmäßige Dar ertheilen zu lassen hatte. Von einer Maulwurfsarbeit" kann wohl insofern nicht die stellung der Affäre des Stralsunder Bankdirektors Berg Das ist denn auch zur völligen Zufriedenheit der beiden Rede sein, als das Ausscheiden des Herrn v. Bötticher und der Entnahme einer sehr großen Summe aus dem Welfen- Herren alljährlich geschehen. Und dann sind schließlich, des Oberpräsidium3 in Rassel zum 1. Juli d. J. aus dem Ministerium und seine Uebernahme fonds von welfischer Seite beabsichtigt wird. Bekanntlich damit nie und nimmer ein Unberufener seine Nase hinein- formell beschlossen war, dann aber infolge eines bekannten Vorist diese Entnahme unzweifelhaft durch den Fürsten Bismard steden tönne, die sämmtlichen Welfenfonds- Quittungen den gangs wieder rückgängig gemacht worden ist." widerrechtlich erfolgt, weswegen man auch gerade von reinlichen und reinigenden Flammen überliefert worden. dieser Seite nichts gethan hat, um diese als Staats- Nachrichten" verkündet worden, mußte es nach allem, was Als die Bötticher- Berg- Geschichte in den Hamburger geheimniß behandelte pitante Angelegenheit in die Deffentlichkeit über die Geheimnisse des Welfenfonds ruchbar geworden war, zu bringen. In Wahrheit ist die betreffende sen- einiges Erstaunen erregen, daß gerade Fürst Bismarck , auf sationelle Enthüllung, welche soviel Staub aufwirbelte, den man die Veröffentlichung zurückführen zu müssen glaubte, seinerzeit von einer Seite ausgegangen, die mit Bismarck selbst den Deckmantel von seinem eigenen Treiben gelüftet nichts zu thun hatte. Das darf ausdrücklich, ge- hätte. stützt auf die sich ersten Informationen über Die obige Mittheilung unseres Korrespondenten rückt den Sachverhalt, hier festgestellt festgestellt werden. die Sache in ein anderes Licht und macht die Enthüllung E3 wußten darum nachweislich nur sehr wenige ganz hoch verständlicher. gestellte Personen. Was die Freunde" des Herrn v. Bötticher gesetzt in der Bötticher- Berg- Affäre herumstocherten, weil Jedenfalls haben diejenigen Bismarckjünger, die sortanbelangt, welche vorher schon zu gunsten seines Schwieger- fie glaubten, auf diese Weise den ehemaligen Reichsfanzler vaters eine Art freiwillige Substription angestellt hatten, an dem Minister v. Bötticher wegen angeblicher Undant- so sigen ja die" Hamburger Nachrichten" an der Quelle, so handelte es sich um ein Komitee, an dessen Spize barkeit zu rächen, ihrem Herrn und Meister einen bösen im Sachsenwalde, wo die lauterste Wahrheit träufelt. Herr Werner Siemens stand. Allein die aufgebrachten Bärendienst geleistet. Also nur heraus mit der Sprache! Beträge reichten bei weitem nicht zur Deckung der Berg'schen Sie sind auch jetzt noch nicht flüger geworden. Sie Berbindlichkeiten aus, und nach Rücksprache mit Bleichröder griff bleiben Herrn v. Bötticher auf der Fährte, ohne zu merken, Politische Nebersicht. bann Bismarck helfend" ein, indem er das erforderliche Geld daß die Verfolgung dieser Fährte schließlich in die geBerlin, 11. Oktober. dem Welfenfonds entnahm. Der alte Raiser hat einen beimften Schlupfwinkel des Bismard Baues hineinführen muß. Da nämlich die Erklärung des Staatsministerium en Eine sonderbare Logit entwickelt der Präsident des Heller dazu hergegeben." Minister von Bötticher theilweise entlastet, indem e fich Oberlandesgerichts zu Köln . Bekanntlich war dem Redakteur sie Die Entnahme der Unterstüßungsgelder für Herrn dafür verbürgt, daß der genannte für den Hinman feines efsel von der Niederrheinischen Volkstribüne" der ZuBerg aus dem Welfenfonds war deshalb wider eigenen Vermögens in den Schlund des Berg'schen Zusammen- tritt zu dem Theile des Schwurgerichtssaales, der von rechtlich, weil der Welfenfonds durch Gesetz ausdrücklich bruchs keinen Ersatz aus Staats- oder Welfenfondsmitteln Berichterstattern eingenommen zu werden pflegt, verweigert für die Bekämpfung der angeblichen welfischen Umtriebe erhalten hat, bleibt schließlich an ihm nur der nämliche worden. Auf die eingelegte Beschwerde erhielt Genosse reservirt war. Nun liegt allerdings mehr als eine Ver- Vorwurf haften, wie an dem Fürsten Bismarck selbst: die efsel folgenden Bescheid vom Präsidenten des Obermuthung der Ueberzeugung zu grunde, daß beständig Gelder Verwendung der Welfenfonds- Gelder zu anderen Zwecken landesgerichts: zu ganz anderen Zwecken, die dem damaligen Reichskanzler als das Gesetz bestimmte. im Interesse seiner Politik zu liegen schienen, Verwendung Kommt der Minister v. Bötticher deshalb auf die gefunden haben. Daß Privatmänner, wie der Schwiegers Anklagebank vor dem Forum der öffentlichen Meinung, so vater eines Ministers, bedeutende Unterstützungssummen er- erhält er jedenfalls den Fürsten Bismarck als Kollegen.
Vier Tage.
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Wenn nun ferner die Hamburger Nachrichten" zu der Ministererklärung schreiben: Bunächst drängt sich die Frage auf, ob den Herren Unterzeichnern der Erklärung die Vorgänge, auf die fie sich bezieht, in vollem Umfange amtlich bekannt geworden find,"
Köln , den 4. Oktober 1895. Auf die Eingabe vom 26. v. M. nach Prüfung der Sachlage, daß ich die Weigerung des föniglichen erwidere ich Ew. Wohlgeboren nach eingezogenem Bericht und Landgerichtspräsidenten dort, Ihnen zu dem den Zeugen vor behaltenen Raum im Schwurgerichtssaale zum Zweck der Bericht
steigt, einige vermoderte vorjährige Kräuter das ist meine hatten sie mich zurückgelassen? Es ist doch ein offener Aus dem Russischen von Wssewolod Garschin. ganze Welt. Und ich sehe sie nur mit einem Auge, weil Platz, wo man alles übersehen kann. Wahrscheinlich liege das andere durch etwas Hartes zugedrückt ist, wahrscheinlich ich doch nicht allein hier. Es wurde so häufig geschossen. Ich erinnere mich, wie wir durch den Wald liefen, wie ist es ein Ast, auf dem mein Kopf liegt. Es ist mir schreck Ich muß einmal den Kopf umdrehen und um mich schauen. die Kugeln pfiffen, wie die von diesen zerschmetterten Zweige lich unbequem, ich will mich bewegen, aber es ist mir unmöglich, Jezt kann ich das leichter ausführen; denn vorhin, als ich fielen, und wie wir uns durch Weißdorngebüsche eine Bahn ich begreife nicht, warum. So vergeht die Zeit. Ich höre zur Besinnung gekommen war und den Grashalm und die brachen. Die Schüsse fielen häufiger. Durch das Busch- das Zirpen der Heupferdchen, das Summen einer Biene, mit dem Kopf nach unten kletternde Ameise gesehen und werk des Waldrandes ward hier und da etwas Rothes weiter nichts. Endlich mache ich eine Anstrengung, ich ziehe versucht hatte, mich aufzurichten, war ich nicht in meine fichtbar. Sidorow, ein junges Soldatchen aus der ersten meine rechte Hand unter mir hervor, und indem ich mich frühere Lage zurückgefallen, sondern hatte mich umgedreht, Kompagnie( wie kommt der in unsere Vorpostenkette? fuhr mit beiden Händen auf die Erde stüße, will ich mich auf so daß ich auf dem Rücken lag. Deshalb konnte ich auch mir's durch den Kopf), setzte sich plöglich auf die Erde und meinen Knieen aufrichten. die Sterne sehen. sah mich schweigend mit großen, erschrockenen Augen an. Etwas Stechendes und Schnelles, wie ein Blitz etwa, Jch richte mich auf und setze mich. Das ist sehr müh Aus seinem Munde ergoß sich ein Blutstrahl. Jawohl! fährt durch meinen ganzen Körper von den Knieen zur deffen erinnere ich mich ganz genau. Ferner erinnere ich Brust und zum Kopfe, und ich falle wieder hin. Wieder mich noch, daß ich schon fast am Rande im dichten Busch- ist alles dunkel, nichts da. werf ihn erblickte. Er war ein riesiger, dicker Türke, aber
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ich lief gerade auf ihn zu, obgleich ich schwach und hager bin. Ich erwache. Warum sehe ich denn die Sterne, welche E3 knallte etwas; etwas Riesengroßes, wie mir's schien, am dunkelblauen Himmel Bulgariens hell glänzen? bin ich flog vorüber; ich empfand ein Sausen in den Ohren. Er denn nicht im Zelt? warum bin ich aus demselben hervor hat nach mir geschossen", dachte ich, und dabei drückte er getrochen? Ich mache eine Bewegung und empfinde einen sich mit einem lauten Schreckensrufe mit dem Rücken in grausamen Schmerz in den Beinen.
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sam, wenn beide Beine durchschossen sind. Einige Male verzweifelte ich fast daran, daß es mir gelingen würde, der Schmerz trieb mir die Thränen in die Augen; doch endlich jaß ich.
Ueber mir sehe ich ein Stück dunkelblauen Himmels, an welchem ein großer und mehrere kleine Sterne glänzen, rings herum etwas Dunkles, Hohes. Es ist das Buschwerk: Ich liege im Gebüsch, sie haben mich nicht gefunden! Ich fühle, wie mir die Haare auf dem Kopfe zu das Weißdorngebüsch. Er hätte um den Busch herumgehen Ja so! ich bin im Gefecht verwundet gefährlich oder Berge stehen. tönnen, aber, vor Angst außer sich, vertroch er sich in den nicht? Ich fasse nach den Beinen, wo ich den Schmerz Aber wie komme ich in das Gebüsch, da ich doch auf stachligen Aesten. Mit einem Stoße entwaffnete ich ihn, empfinde, das rechte wie das linke, beide sind mit ge- dem freien Plaz getroffen wurde? Ich muß mich wohl, mit dem zweiten bohrte ich mein Bajonnet irgendwo ronnenem Blut bedeckt. Wenn ich sie mit den Händen bes schon verwundet, hierher geschleppt haben, während ich vor hinein. Man vernahm etwas, das zwischen Brüllen rühre, wird der Schmerz heftiger; dieser ist wie Zahnweh Schmerz bereits besinnungslos war." Es ist nur seltsam, und Stöhnen etwa die Mitte hielt. Ich lief weiter. Die anhaltend, bohrend. Es saust mir in den Ohren, der Kopf daß ich mich jetzt nicht bewegen kann, wenn ich vorher Unsern schrien" Hurrah!" Es fielen einige, man schoß. ist schwer. Ich begreife halb und halb, daß ich an beiden in dies Gebüsch friechen konnte. Vielleicht hatte ich Ich erinnere mich, daß auch ich einige Male feuerte, als Beinen verwundet bin. Aber wie geht das zu? Warum da erft eine Wunde, und der zweite Schuß ich schon aus dem Walde heraus auf freiem Felde war. hat man mich nicht mitgenommen? Sollten die Türken uns traf mich hier.
Plötzlich erscholl das Hurrah lauter, und wir tamen auf geschlagen haben? Ich rufe mir ins Gedächtniß zurück, wie Blaßrosenfarbene Flecke werden um mich her sichtbar, einmal vorwärts, das heißt, nicht wir, sondern die Unsrigen, es zugegangen, anfangs erinnere ich mich nur dunkel, dann der große Stern erbleicht, die kleinen verschwinden. Der denn ich blieb. Das schien mir seltsam und noch deutlicher, und ich komme zu dem Schluß, daß wir ganz Mond geht unter," denke ich, wie schön ist es jetzt zu sonderbarer, daß plötzlich alles verschwand, Geschrei und sicher nicht geschlagen sind; denn ich fiel( doch dessen Hause!" Gewehrfeuer verstummten. Ich hörte nichts, ich sah nur entsinne ich mich übrigens nicht, sondern nur, daß die Einige seltsame Töne dringen zu mir herüber... als etwas Blaues, vermuthlich den Himmel, dann verschwand anderen vorwärts stürmten und ich nicht laufen konnte, und ob jemand stöhnte. Ja, es stöhnt- ob wohl neben mir auch das. wie mir nur etwas Blaues vor den Augen blieb) auf dem freien noch so ein Bergessener liegt mit zerschossenen Beinen oder Niemals noch hatte ich mich so seltsam befunden. Mir Plaz oben auf dem Hügel. Auf diesen Punkt hatte unser kleiner einer Kugel im Leibe? Nein, das Stöhnen erklang so nahe, schien, ich läge auf dem Bauche und sähe nur ein kleines Bataillonschef gezeigt und mit seiner hellen Stimme ge- aber neben mir ist, wie mir scheint, niemand Mein Etückchen Erde vor mir. Einige Grashälmchen, eine Ameise, rufen: Kinder, wir werden den nehmen", und wir hatten Gott , das war ich ja selbst! Leises, klägliches Stöhnen. die von einem derselben mit dem Kopfe nach unten herab- ihn genommen, also waren wir nicht geschlagen. Aber warum Thut es denn wirklich so weh? Muß doch wohl; aber es