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vienstag 6. September 1927

Unterhaltung unö ÄAissen

Seilage öes vorwärts

Der Landstreicher. Erzählung von Wl. kochanowski. Gruncw-Grunewitzki, Agent zum Vertriebe der Druckwerke des KoperativoerlagesReklame", beschloß, der Ersparnis wegen, von der Station aus zu Fuß zu gehen. Sechs Werst Weges wollten sür den gesunden, satten Mann nicht sonderlich viel bedeuten. Am Ausgange der Stadt, wo die Luft bereits reiner und kiihler wehte, trat er in einen Bierausschank und trank eine Flasche Bier. Hinterher bereut« er es, er hätte nicht trinken sollen er hätte fiinfunddreißig Kopeken gespart plus zwei Rubel für den Wagen in Summa 2 Rubel 35 Kopeken. Es verdroß ihn dieses Mal um so mehr, als dasGeschäft" nicht besonders gut gewesen war. Er hatte um 15l> bis 120 Rubel zu wenig erhandelt. Doch bald tröstete er sich: es ging ihm trotzdem ganz gut. Man darf Gott nicht er- zürnen. Im Walde, den der kurz vorher gefallene Regen erfrischt hatte. war die Luft kühl und aromatisch. Die großen roten Fichten und die kleinen rosigen Fichtlein, die dunklen krummen Eichen, die schlanken weißen Birken, duftig blühenden Linden verschmolzen, sich mengend. in eine einheitliche, scheinbar unpassierbare unendliche hellgrüne Masse. Es duftete nach Tannen, Erdbeeren und Pilzen. Plötzlich senkte sich ein dunkler Schatten über den Wald. In den Bäumen erhob sich ein Rauschen, unruhig schwankten die Gipfel der Tannen, ein kräftiger Donnerschlag erschütterte die Luft. Roch einen Augenblick und große Hagelschloßen fielen, mit Regen abwechselnd und die Blätter von den Bäumen herobschlagend, zur > Erde nieder. Grunew-Gninewitzki, der für gewöhnlich ein Gewitter aus dem Fenster seines Zimmers zu beobachten pflegte erschrak nun, da es ihn im Wald ereilt hotte, mächtig und flüchtete ins Dickicht, wo er versuchte, in den dichten Stachelbeersträuchern vor dem Unwetter Schutz zu finden. Plötzlich blieb sein Blick an einer halbverfallenen Hütte haften, die grau zwischen den Stämmen der Bäume schimmerte. Dorthinein, so rasch als möglich, dorthinein. Nachdem er in die Hütte gestürzt war, stellte er den nassen Koffer auf den Fußboden und begann das Wasser abzuschütteln. Als er sich genügend geschüttelt hatte und um sich schaut«, sah er in einer Ecke eine menschliche Gestalt auf einer Streu liegen. Im ersten Moment erfaßte ihn ein Gefühl der Freude, wie es gewöhnlich in einsamen Augenblicken die Nähe eines lebenden Wesens erweckt, doch dann, als er Gesicht, Kleidung und Gestalt des Menschen recht ins Auge gefaßt hatte, wich die Freude der Emp- sindung des Schreckens und der Unruhe: ollen Anzeichen nach saß ein Landstreicher vor ihm. Gewaltig, von heldenhaftem Körperbau, zerlumpt, zerzaust, völlig durchnäßt vom Regen. Sein pockennarbiges knochiges Gesicht schien hart und grausam.Natürlich ein Land- streicher" dachte Grunew-Grunewitzki und instinktiv faßte seine Hand nach dem mit Tscherwonzen(Zehnrubelscheinen) gefüllten Geldbeutel in seiner Tusche. Aber der Landstreicher sagte, die dunklen fleischigen Lippen zu einem Lächeln verziehend: Wie, dich hat wohl auch der Regen hereingetrieben?" Ja," sagt« Grunew-Grunewitzki, indem er sich möglichst von ihm entfernt«, mit erschrecktem und verlorenen. Blick ihn musternd. Seinen Schreck wahrnehmend, sagte der Landstreicher, indem er zu lachen fortfuhr: Fürchte dich nicht, ich werde dir nichts tun, ja, und Geld habe ich eben selbst genug. Glaubst du's nicht? Glaubst du, nur du könntest viel Geld haben?" Er entnahm dem Busen ein zusammen- gerolltes schmutziges Tuch und indem er es aufwickelt«, zeigte er Grunew-Grunewitzki ein Päckchen Papiergeld.Da! Hast du ge- sehen? Eine ganze Wirtschaft kann ich mir jetzt einrichten!" Schau, wieviel Geld," dachte Grunew-Grunewitzki, der hat 'cher jemand erschlagen oder beraubt!" Doch der sah ihn jetzt mit ganz lachendem Blick an, fragte: Willst du. ich schenke dir etwas davon. Ich bin gutmütig, sobald ich viel Geld habe." Aber, wo denken Sie hin," fuchtelte Grunew-Grunewitzki mit den Armen,wie sollte ich..." Wenn du nicht willst, ist's nicht nötig," er steckt« das Geld wieder in den Busen,du hast wohl selbst Geld zu Haus in der Tasche. Dem Aussehen nach scheinst du nicht Not zu leiden. Aber bei mir, Bruder, kommt es vor, daß es selbst zum Fressen nicht reicht. Tagelang laufe ich umher wie ein hungriger Wolf. Und der Magen fällt so«in, daß die Hosen herunterfallen." Womit beschäftigen Sie sich eigentlich?" Womit ich mich beschästige? Wie's kommt. Habe mich früher mit Diebstahl beschäftigt, hab's jetzt an den Nagel gehängt, hol's dieser und jener, hab's satt. Vergangenes Jahr arbeitet« ich am Schwarzen Meer als Lastträger und jetzt habe ich angefangen, mich als Tagelöhner zu verdingen. Hab mich ein wenig satt gegessen und ein« Kleinigkeit an Geld zurückgelegt. Wcrd's nach Hause schicken. ins Dorf. Habe dort«in« alte Mutter, ist immer siech..." Das lügt er alles," dachte Grunew-Grunewitzki.beschäftigt sich mit Diebstahl und Plündern, was Geld er da im Busen hat, sicher mehr als ich in der Brieftasche." Fragte: Nun, was ist denn beller, auf Tagelohn gehn, oder von Dieb- stahl leben?". Der Landstreicher sah ihn aufmerksam an. Und was ist deiner Meinung nach besser?" Nun, natürlich auf Tagelohn gehen." Wozu fragst du dann unnützer Weise? Nur aus bösem Kummer und Hunger geht man stehlen." Gnmewitzki hatte die Angst um Geld und Leben fast vergesien. und obgleich er den Worten des Landstreichers keinen Glauben schenkte, dachte er doch, jener wolle nach dem gutenGeschäft" ein- fachausruhen" und daher drohe ihm, Grunew-Grunewitzki. weiter kein« Gefahr. Und gleichsam zur Bestätigung seiner Gedanken über dasAus- ruhen" stopft« der Landstreicher das über den erdigen Fußboden oerstreute schmutzige Stroh hinter seinen Rücken und legte sich nieder. Er verschränkte beide Arm« unter dem Kopse und es dauerte nicht lang, so schnarchte er laut und tief. Grunew-Grunewitzki wartete ein paar Minuten, hob seinen Koffer von der Erde auf und verließ die Hütt«. Bon der Hütte führte«in Fußpfad zum Waldessaume und Grunew-Grunewitzki folgte ihm. In seiner Seele herrscht« jetzt Ruhe. Er war wohlbehalten wie vorher, wie vorher lag unange- tostet das Geld in seiner Brieftasche. Zu Hause wird er seinen Be- kannten von der Begegnung mit dem Landstreicher erzählen. Biel «

werden sich wundern, daß er ihn so leicht los geworden ist. Und wirklich, wenn man so nachdachte, war es doch seltsam, daß der Landstreicher nicht versucht hatte, ihn zu berauben. Hatte er es ja ohne jegliche Mühe und ungestraft tun dürfen. Ringsum Wald, Gewitter, Oeds. Und er hätte so gut noch etwaszuarbeiten" können. Dies Geld hätte das andere wohl nicht gestört. Er selbst hatte genug Geld in der Tasche und doch hätte er auch eine kleine Summe nicht verschmäht, besonders jetzt, da er 150 bis 120 Rubel zu wenig erhandelt hatte. Und plötzlich begann sein Herz in angespannten, dicht auf- einanderiolgenten Schlägen zu pochen, und nebefhast entstieg ein Gedanke der Tiefe seines Hirns. Mit aufmerksamem, gespanntem Blick schäme er wieder nach dem vom Mondlichte erhellten Walddickicht zurück. Es lockte ihn. Es lockt« das zwischen den Bäumen oersteckte Hüttchen, lockte der

Westarp contra Westarp.

Mußischel, MMdwng < Kml;<zeitunf

BÜR&ERBLOCK'THEATERJ herbei ihr Leute, kommt und schaut, Wie furchtlos, ohne Federlesen Der Kasper hier den Kasper haut: So mos ist noch nicht dagewesen! Link» droht als Führer der Fraktion Er:.3ch. Graf Westarp , hab's befohle«!", Um recht« als Chef der Redaktion Sein eigen Abbild zu versohlen! Der Westarp link» führt sein Programm ZNit keuschenRichllinlen" umwickelt, Der Rechte schwingt den Halter stramm. Der monarchistisch leitartikelt. Da» klatsch», da» patscht, da» schollt, da» knallt. Hier offiziell, dort ficht privat er. Uus aber läßt der Aufruhr kalt. Wir wissen: Kasperletheater...!

fast schlafende Landstreicher, lockte das in desien Busen verborgene Geld. Doch, war es nicht furchtbar, dorthin zurückzukehren? War doch der Landstreicher von mächtigem Wüchse und augenscheinlich mit großer physischer Kraft ausgestattet. Er lächelt«. Kann ein in tiefem Schlaf befangener Mensch furchtbar sein? Er ist ja hilflos und ohnmächtig wie ein kleines Kind. An der Böschung zwischen dem Schutt lagen große Kieselstein«. Nach allen S'iren Umschau haltend, schlich er zur Böschung, hob«inen schweren Kieselstein vom Erdboden auf und ihn fest mit der Faust umschließend, ging er langsamen Schrittes dem Fußpfade nach in den Wold... Als Grunew-Grunewitzki bis auf einige Schritt- an die Hütte herangekommen war, blieb er stehen und lauschte. Lautes Schnarchen ließ sich von dorther vernehmen.Gott sei Dank," dachte er,er schläft noch so fest wie vorher." Vorsichtig schaute er in die Hütte. Vom Mondlicht beschienen lag der Landstreicher wie vorher auf der Streu, das Gesicht zu oberst und schlief fest. Seine gewölbte Brust atmete gleichmäßig und ruhig. Di« Arme lagen, herabgejallen, un- beweglich zu beiden Seiten. Grunew-Grunewitzki begann sich ihm geräuschlos zu nähern, die Hände auf dem Rücken und ohne den Blick von seinem im Abendlichte bleichen Gesicht zu wenden. Nahe an ihn herantretend, ließ Grunew-Grunewitzki sich auf ein Knie nieder und die Augen zusammenkneifend, schlug er mit dem Kiesel- stein auf den Nasenrücken zwischen den Augenbrauen. Dann, schwer atmend vor Aufregung, in dem Gedanken, der Landstreicher könnte noch nicht tot sein, könnte aufstehen und den Kampf mit ihm aufnehmen, begann er ihm Schlag auf Schlag zu versetzen... Als er glaubte annehmen zu dürfen, daß der Landstreicher vollends tot fei, bückte er sich und, bemüht, nicht in sein furcht- erregendes entstelltes Antlitz zu schauen, steckte er ihm hastig die Hand in den Busen... Er zog das Bündel mit dem Gclde hervor, sprang auf die Füße und eilte davon. In dem vollkommen leeren Warteraum entnahm Grunew- Grunewitzki mit leicht bebender Hand seiner Tasche das dort vcr- borgen« Geld und begann es zu zählen. Nachdem er dreimal aus- merksani gezählt hatte, fand er, daß es nicht mehr war, als vier- unddreißig Rubel nebst einigen kleinen Münzen... Enttäuscht, erbittert sing er an sie in seine Brieftasche zu stecken. Währenddessen löste sich etwas Weißes aus dem schmutzigen Tuch und viel lautlos aus den Fußboden: EinTscherwonetz!")" dachte voller Freude Grunew-Grunewitzki und mit schneller Bewegung hob er den vierfach gefalteten Zettel vom Boden auf. Doch es war kein Tscherwonetz. Es war«in zerknülltes bespuktes, nach Machorka- tabak riechendes Blättchen Papier . Drauf waren mit Bleistift einig« Worte hingematt. Grunew-Grunewitzki las sie beim Scheine der Laterne:

Mutter! Ich schicke Dir dreißig Rubel zur Herstellung Deiner Gesundheit und für die Wirischast. Jetzt habe ich mich verdungen, «inen Brunnen zu reinigen. Im Herbst werde ich, wenn ich dann auch Arbeit habe, Dir unbedingt noch Geld schicken und werde selbst kommen, um dich wiederzusehen. Wie ist jetzt Deine Gesundheit. Ich bin gesund und munter, was ich auch Dir wünsche. Euer Sohn Prochor." Einige Sekunden blickte Grunew-Grunewitzki verloren und ent- setzt auf die sorgsam hingemalten Krähenfüße vor sich, dann flüstert« er, ermunternd den Kops zurückwerfend:Na. ganz gleich, niemand wird es erfahren, nur muß dieser Brief vernichtet werden." Nachdem er ihn in allerkleinste Stücke zerrissen hatte,»er- streute er diese nach allen Richtungen, und, bemüht seinem Gesicht «inen nihigen und sorglosen Ausdruck zu oerleihen, trat er auf die Plattform hinaus. Mit seinen Lichtern das Dunkel zerteilend, kam der Zug heran. (Aus dem Rullischrn übertragen von Sascha Rosenthal.)

) Zehnrubelschein.

Selbstöarsteller. Bon Dr. Adam K u ck h o f f. Naiver Anschauung ist der Schauspieler ein Mensch, der die Fähigkeit hat, sich in eine bestimmte Rolle zu verwandeln, ein anderes Wesen, als er selbst ist,darzustellen", gleichviel ob er sich dieses Wesen selbst erdenkt oder ob es ihm von einem Dichter vor- gestaltet wird. In der Tat sind unsere Schauspieler in 09 von lOO Fällen Darsteller in diesem Sinne. Wie sehr und wie wenig bei dem einzelnen auch die Persönlichkeit mitsprechen, wie sehr die Darstellung der Rolle von seinerAussassung" bestimmt sein mag, so heftet sich der Anteil des Zuschauers wesentlich an die dar- gestellte Gestalt, wenn ihm auch im Vergleich eine besondere Eigen- art des Darstellenden deutlich werden wird, die sich aus dem Unter- schied von Mensch und Mensch von selbst ergibt. Diesem Haupttyp, der übrigens in der Wiedergabe des Kunstwerkes höchste Leistungen zu vollbringen imstande ist, treten in jeder Generation eine ver- dältnismäßig kleine Anzahl von Schauspielern gegenüber, deren Bühnengestaltungen von nichts anderem getragen wird als von dem Drang, sich selbst in wechselnden Verwandlungen darzustellen. Die Scheidung zwischen den beiden Typen ist theoretisch nicht leicht. Denn wie der Darsteller fremder Gestalt bemüht ist, in ihr zugleich seine Persönlichkeit zur Entfaltung zu bringen, so wird der Selbstdarstellcr in vielen Fällen den echtesten Willen haben, sich in eine sremde Gestalt zu verwandeln, ja, er wird den Vorwurf selbstischer Vergewaltigung einer gegebenen Rolle mit dem Zorn aufrichtiger Ueberzeugung" zurückweisen. Seine Auffassung erscheint ihm als die wahrste und einleuchtendste Sache von der Welt, die Dichtung, der Dichter, kannim Grunde" nichts anderes gemeint und gewollt haben, als was er naturhaft aus ihm empfindet und, scheinbar, wiedergibt. Hier beginnt der immer wieder erneuerte Konflikt zwischen dem Spielleiter und dem auf seiner Meinung starr bestehenden Selbstdarsteller, der oft deshalb so hoffnungslos ist, weil jeder der Beiden objektiv im Recht zu sein glaubt. Es ist nicht einmal vorgekommen, sondern es wiederholt sich stets aufs neue aus der Natur der Sache, daß ein solcher Selbstdarsteller sogar besser als der abwesende Dichter weiß, welchen Sinn eine Stelle im Gefüge der Handlung oder der Rolle habe. Aber die theoretische Ueberlegung wird im Augenblick gegen- standslos, wo der Selbstdarsteller die Bühne betritt. Denn er ist eigentlich das, was mir heute als dengroßen" Schauspielsr empfinden, ohne uns über das Geheimnis feiner Wirkung aus- reichend Rechenschaft geben zu können. Die einheitlichste. Aufsllh- rung, getragen von ausgezeichneten Schauspielern, wechselt unver- sehens in eine andere Beleuchtung, wenn einer jener wenigen Großen"(es gibt ihrer höchstens ein Dutzend in jeder Generation) in die Handlung eingreift. Es genügt, daß er die ersten Gesten tut, die ersten Worte in den Raum schickt, um sofort Mitspieler, die eben noch als runde Gestalten auf der Bühne standen, ins Halb- relief eines plastischen Hintergrundes zurückzudrängen. Eine Er- klärung dieser Tatsache gibt es nicht, wenn man sie nicht in der Persönlichkeit des Selbstdarstellers erblicken will, womit freilich nur ein Unbekanntes durch sich selbst erläutert würde. Man kann die Erscheinung nur dahin umschreiben, daß um den Selbstdarsteller oder den großen Schauspieler sich eine Atmosphäre bewegt, die gleichsam von selbst die Bühne und den Zuschauerraum bis in den äußersten Winkel erfüllt. Denn wohlgemerkt, es ist nicht die künst- lerische Leistung als solche, die den Zuschauer packt: auch bei offen- bar verschlampter Darstellung, ja bei deutlichen Mätzchen bleibt die zwingende Gewalt jener Raumbcherrschung, und es ist durchaus nichf ausgeschlossen, daß neben frechem Komödiantentum und be- wußter Mache desStars" in der gleichen Aufführung eine künst- lerische Leistung von hohen Graden steht, ohne sich auf das Publikum auch nur annähernd mir derselben Gewalt auszuwirken. Es hat keinen Zweck, gegen diesen Tatbestand zu wettern, um so mehr als auch der, der seine künstlerische Problematik aufs klarste erkennt, sich denKerlen" des Theaters nicht entziehen kann. Kommt hinzu, daß ihre schöpferische Kraft oft genug in über- lieferten Gestalten der Dichtung Dinge herausspürt, mit denen nur blinde Genialität sie zu völliger Neuheit zu beleben oder bei schwächeren Werken erst zur völligen Rundheit aus der kümmer- lichen Skizze auszufüllen vermag. Wo ein Dichter der Klassik zu neuer Tradition aus dem herkömmlichen Schema gelöst wurde, war es bis in jüngste Entwicklung fast ausschließlich ihr Werk. Und wenn an einem Abend das Publikum hingerisien rast, was bleibt dem lebendigen Kenner der Bühne anderes übrig als festzustellen,' daß es von einer Macht ergriffen wird, der er selbst und häusig seine entschiedensten kritischen Bedenken unterliegen. Eine andere Frage, ob die überbetonte Geltung des Selbst- darstellers nicht Zeichen einer Zeit ist, die sich allzusehr in ihm wiedererkennt. Denn wie der große Schauspieler erst mit dem werdenden Individualismus im 18. Jahrhundert heraufkam, so entspricht die besinnungslose Extase des henügen Großstadrpublikums vor seinen Lieblingen in ihrer Slusqeblähtheit der degenerierten Bedeutung, zu der das persönlicheErlebnis" in allen' Bereichen unseres kulturellen Daseins sich übersteigert hat. Greift doch in den letzten Jahrzehnten das Symptom in charakteristischer Weise weiter. Einmal haben wir seit dieser Zeit etwa zu dem Selbst- darstcller den sich selbst darstellenden Spielleiter hinzubekommen, der wiederum das Ganze, Dichtung, Szene und Ensemble zum Aus- druck seiner Persönlichkeit zu machen strebt; aus der ankwren Seite ist in. Film der so schon entfesselte Selbstdarsteller zu der völligen Entfesselung der Stegreiskomödie zurückgelangt. Es hat schon seinen Sinn, wenn die Filme der amerikanischen GrotestkünstlerCharlie Chaplin als...",Buster Keaton als..." und so weiter heißen, Ilcberschriften, die ehrlicherweise auch auf den Programmen mancher Startheater stehen dürften, obwohl angeblich dieses oder jenes Stück von geringerem oder größerem Rang aufgeführt wiicki. Erst in den russischen Filmen der letzten Jahre bahnt sich Wandlung an.Potemkin" undDie Mutter" haben ihre Wirkung nicht durch den Star, sondern im Dienst einer neuen kollektiven Ausfassung des szenischen Schassens. Vielleicht, daß im Gefolge dieser Entwicklung auch der Selbstdarsteller an Bedeutung verliert, nicht als ob er aushörte, aufhören sollte oder auch nur aushören könnt« zu sein, sondern in dem Sinne, daß auch sein« überlagernde Stellung als gleiche, nur gesammelter« Kraft aller erscheint, die mit ihm in demselben überpersönlichen Wollen verbunden sind.