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Str. 428 44. Jahrgang Ausgabe A nr. 218

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Sonnabend, den 10. September 1927

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Stresemanns Ueberraschungsrede.

Deutschland   für die obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit.

V. Sch. Genf  , 9. September.  ( Eigenbericht.) Der Freitagnachmittag brachte eine Fülle von wichtigen Reden, zunächst auf dem Bressebankett eine der finnreichen Improvisationen Briands, der stürmische Ovationen folgten. Sodann zu Beginn der Bollsizung eine längere Rede Stresemanns, die starken Eindruck machte und allgemeinen Beifall fand. Vor allem wirkte die Mitteilung ausgezeichnet, daß die Reichsregierung beschlossen habe, die fakultative Klausel der Sagung des Haager Schiedsgerichtshofes zu ratifizieren. Dadurch, daß das Geheimnis dieser Absicht bis zuletzt streng gewahrt worden war machte diese Ankündigung mitten in der Rede um so stärkeren Eindrud, wie der spontane Beifall deutlich bewies. Allgemein wird dieser Beschluß der Reichsregierung lediglich als eine positive Tatsache und als ein Fortschritt gelobt, ist doch

Deutschland   die alleinige Großmacht, die sich zu dieser Ratifi­zierung entschlossen hat.

Nach Stresemanns Rede erklärten die franzöfifchen Delegierten in der Borhalle, daß demnächst auch Frankreich   die vorbehaltlose Ratifizierung dieser Klausel vornehmen werde.

Mag auch der erste Teil der Rede Stresemanns vielleicht allzu deutlich den nüchternen Stempel der Ressortarbeit getragen haben, fo mar ihr zweiter Teil dafür persönlicher und interessanter. Sehr glücklich mar Stresemanns Formel, daß man, nicht die Abrüst, u mg von der Sicherheit, die Sicherheit von dem Recht, das Recht non der Moral auhängig machen dürfe, um schließlich zu erklären, daß man nicht abrüsten fönne.

Stresemanns Rede löste starken Beifall aus, noch stärker aber war der Applaus nach der franzöfifchen Uebersetzung, besonders bei der französischen   Delegation; Briand   beglückwünschte Stresemann  . Im allgemeinen soll man nicht zu großes Gewicht auf solche Beifalls­kundgebungen und Gratulationen im Bölkerbundsfaal legen, wo die konventionellen Höflichkeitsformen der Diplomatie bis zur Uner träglichkeit gepflegt werden. In diesem Falle aber war der Beifall Briands zweifellos echt. Einige Minuten später sagte mir Briand  ganz spontan, daß ihm Stresemanns Rede außerordentlich gut ge­fallen hätte und dasselbe wiederholte er immer wieder in den wärmsten Ausdrücken anderen ihm bekannten deutschen   Pressever tretern und Delegierten. Aehnlich äußerten sich alle übrigen franzö­fischen Delegierten. Unzweifelhaft hat

Stresemann durch diese Rede Deutschland   einen Dienst erwiesen. Bei dieser Gelegenheit sei betont, daß endlich einmal eine deutsche  Rede in Genf   in wirklichem Französisch wiederholt wurde. Der junge Völkerbundsdolmetscher Mathieu, der das in der deutschen  Delegation gut übersetzte Manuskript vorlas, löfte diese Aufgabe so vorzüglich, daß die franzöfifche Uebertragung noch stärker wirkte als der deutsche   Vortrag, zumal der Dolmetscher an das Manuskript weniger gebunden schien als Stresemann selbst.

Nach Stresemann   sprach Sofal, der am Schluß seiner Rede im Namen der polnischen Delegation den Antrag einbrachte, den am Mittwoch abend die Juristen Frankreichs  , Deutschlands   und Eng­lands ihm abgerungen hatten. Das war feine Sensation mehr, denn man hatte gegen Mittag erfahren, daß die Warschauer   Regie­rung dieser Fassung zugestimmt und daß die polnische Delegation ihre Abänderungsanträge vom Donnerstag zurückgezogen hatte.( Es ist also der Entwurf, der als Fassung Nr. 2 in der Freitag- Morgenausgabe des Vorwärts" gestanden hat.) Ueber­raschend wirkte nur, daß dieser in Wirklichkeit gar nicht mehr polnische Antrag als Antrag der polnischen Delegation vorgelegt wurde. Seit Mittwoch abend hieß es allgemein und ganz offiziell, daß es ein Antrag der vier Delegationen Frankreichs  , Englands, Deutschlands  und Polens   sein würde, der vom Präsidenten Guani verlesen wer­den würde. Indessen hatte es sich plößlich in legter Stunde heraus­gestellt, daß ein solches Verfahren geschäftsordnungswidrig wäre, und so wurde wider Erwarten der gemeinsame Antrag wieder zu einem polnischen.

Das ist wohl der Gipfel der Blamage.

Die Bolen arbeiten einen Antrag aus, die Großmächte verarbeiten Die Polen   arbeiten einen Antrag aus, die Großmächte verarbeiten ihn bis zur Untenntlichkeit mit dem Ergebnis, daß die Bolen, die den von ihnen gestern als unannehmbar bezeichneten Entwurf als ihren eigenen einbringen müffen.

schaftstonferenz und die von ihr ausgehenden Ideen wesentlich| meinsame Tiefladelinie der sozialen Belastung, damit erleichtert worden. Seit über 60 Jahren habe ein Handelsvertrag fair play im internationalen Wettbewerb möglich sei. zwischen beiden Ländern nicht bestanden. Nun ging der Redner über zu den Fragen der Sicherheit und Abrüftung.

Der Geist und der Wille zur Verständigung hat am hart­nädigsten gefämpft,

Die bisherige Entwicklung zum Frieden hat darunter gelitten, daß man zuweilen in bedenklicher Weise die eine dieser zusammen­hängenden Fragen gegen die andere ausspielte.

Der Weltkrieg war wohl das größte revolutio= näre Ereignis, das Jahrhunderte gesehen haben. Er sah die höchste Entflammung des friegerischen Geiſtes, er jah ihre myſtiſche Auffassung der Völker, er sah die Größe des einzelnen, der das Leben gering achtete gegenüber der Idee Heimat und Baterland, endete aber in einem großen Fragezeichen, mit dem die Ge­danken der Menschheit nicht abschlossen, sondern vor neuen Pro­blemen standen. Neben Glanz und Glorie großer Taten sahen wir zerstörte Fluren, menschliches Elend und soviele ungelöste Rätsel, wie faum jemals vorher.

um wohlberechtigte, vielfach entgegenstrebende Interessen beider Länder zu diesem Abschluß zu führen. Lassen Sie uns hoffen, daß dieser Geist der Verständigung und der Zusammenarbeit, der immer mehr internationale Formen auch in anderen Beziehungen sucht, uns helfen möge, um durch die Verbindung wirtschaftlicher Gemeinschaften der Berständigung der Völker selbst zu dienen. Laffen Sie uns die Arbeit, die hier begonnen ist, praktisch meiter­führen und uns hoffen, daß die an sich schon unter den Wirkungen der großen Weltereignisse verarmten Staaten, die von ihren Bürgern weit größere Abgaben fordern müssen, als jemals in früheren Zeiten, ihr Land nicht als Bollwerke ansehen, die gegen jeden Einbruch anderer Staaten zu verteidigen sind, sondern daß die den Außenministern oft vorgeworfene Art, auch auf die Inter­essen anderer Rücksicht zu nehmen, Sinnbild des gegenseitigen Güter- Wir sahen, wie die Erregung der Völker sich geltend machte in der austausches sein möge. Dem, der führt in der Wirtschaft, die Führung, dem, der durch geistige und förperliche Mitarbeit ihm zum Gelingen der Arbeit unentbehrlich ist, der gerechte Lohn und die soziale Fürsorge! Dazu ist notwendig, eine ge­

Umwälzung ganzer Staatswesen, in einer neuen sozialen Gliederung, die vielfach zu einer sozialen Revolutionic­rung führte, in völlig neuen Ideen über das Verhältnis des Staates zum Einzelnen, in einem Wechsel der Entwicklungen, die

Was ist die fakultative

fakultative Klausel"?

Die völkerrechtliche Bedeutung der Erklärung Stresemanns.

In der Verfassung( ,, Statut", wie es genannt wird) des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, den der Völker­bund im Haag errichtet hat, findet sich nämlich die fakulta= tive Klausel. Diese besagt, daß jeder Staat fakultativ, also freiwillig, ohne dazu gezwungen zu sein, das Obliga­torium unterschreiben kann. Er verpflichtet sich damit, für eine Reihe von Jahren, gegenüber den Staaten, die das gleiche tun, alle entstehenden Rechtsstreitigkeiten vom Ge­richtshof entscheiden zu lassen.

Die deutsche Delegation hat gestern erflärt, sie werde| Nachbarn dies Obligatorium durch Schiedsverträge auf sich die Fakultativ- Klausel" des Internationalen Gerichts- genommen. Zugleich besteht seit 1920 noch eine andere Mög= hofes über das Obligatorium" unterzeichnen. Um die Be- lichkeit für einen Staat, der Gewaltanwendung zu entsagen. deutung dieses Schrittes abzuschäzen, ist es nötig, sich den Stand des Völkerrechts in Erinnerung zu rufen. Vor dem Weltkriege kämpften die Sozialisten und die bürgerlichen Pazifisten, auch manche Kleinstaaten für das sogenannte Obligatorium. Dies Obligatorium sollte die Berpflichtung darstellen, Streitigkeiten durch Richter­spruch, statt durch Gewalt, zu erledigen. Aber nur eine An­zahl Kleinstaaten bekannte sich zu dieser Verpflichtung. Sie schlossen Schiedsverträge untereinander ab, in denen sie sich gegenseitig zuficherten, das Völkerrecht zwischen ihnen herr hen zu lassen. Die Großmächte dagegen lehnten durchweg eine solche Bindung ab. Sie waren weit davon entfernt, politische Streitigkeiten die die Ehre"," Unabhängig feit" oder die Unversehrtheit des Gebietes" berührtender Entscheidung von Schlichtern zu unterwerfen. Nicht ein mat reine Rechtsstreitigkeiten über die Aus­legung eines Vertrages, die Feststellung einer Vertragsver legung oder die Festsetzung einer Entschädigung dafür wollten sie einem Richterspruch überlassen. Denn für die herrschenden Klassen und Cliquen aller Großmächte galt die geheime Instruktion, die Baron von Holstein für die deutsche  Delegation auf der 1. Haager Friedenskonferenz verfaßt hat: Für den Staat gibt es teinen höheren Zwed als die Wahrung feiner Intereffen; diese werden bei Großmächten nicht notwendig identisch sein mit der Erhaltung des Friedens, sondern viel eher mit der Bergewaltigung des Feindes und kon­turrenten."

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Aber so start ist noch immer die alte Ideologie der Souveränität, daß erst ein Dugend Kleinstaaten dies Obliga­torium auf sich genommen haben. Keine Großmacht hat bisher dies Obligatorium unterschrieben. Das konservativ regierte England z. B. ist ganz entschieden dagegen, auf diplomatische und andere Machtmittel bei Austragung von Rechtsstreitigkeiten zu verzichten. Dasselbe gilt für Italien  ; auch die ost- und südeuropäischen kleinen Staaten haben die Fakultativklausel des Obligatoriums nicht unterschrieben. Nur Frankreich   hatte, im Rahmen des Genfer   Protokolls, sich dazu bekannt. aber seine Unterschrift ist nicht rechtsgültig geworden, da das Genfer   Protokoll scheiterte. Wir begrüßen es, daß die deutsche Delegation dies Obligatorium wieder­aufgenommen und erklärt hat, es in der laufenden Sizungs­periode unterzeichnen zu wollen.d

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Erwägungen über diesen Schritt geschwebt. Es vermindert Schon vor Genf   haben innerhalb des Auswärtigen Amis den Wert des Entschlusses nicht, daß er in der Genfer  So waren die Großmächte sich 1899 im geheimen gegen Kampfesatmosphäre gereift ist. Für unverbesserliche Natio­das Obligatorium politischer Streitschlichtung einig. nalistenfalls es folche im Reichskabinett noch geben sollte Und als 1907, auf der 2. Haager   Konferenz, wenigstens das ist wohl der Gedante, daß man ihn als einen Gegenstoß juristische Obligatorium durchgesetzt werden sollte, da gegen die polnische Offensive auffassen kann, das Argument sten diesen Völkerrechtsfortschritt sabotierte. war es das kaiserliche Deutschland  , das am brutal- gewesen, mit dem sie sich zur Zustimmung in der Rumpf­fabinettsfizung, die gestern mittag stattfand, durchgerungen haben. Aber es ist gar nicht notwendig, die seelische Ver­faffung der Herren Hergt, v. Reudell, Koch zu erforschen. Die deutschnationale Fraktion wird demnächst in offener Reichstagssigung, bei der Vorlage des Gesezentwurfs über die von Stresemann   angekündigte Unterzeichnung der Fakultativklausel, Farbe zu bekennen haben.

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Die grauenhafte Lehre des Weltkrieges war tief genug, um neues Völkerrecht, wenigstens innerhalb des Bölker­bundes zu schaffen. Hier gilt jezt der Saß, daß bei poli­tifchen Streitigkeiten der Versuch zur friedlichen Schlichtung gemacht werden soll. Dazu ist der Böiferbunds­rat da. Hier besteht noch die in den letzten Tagen viel ge­nannte Lüde, daß nicht unter allen Umständen auf die Ge­walt verzichtet werden muß. Was die Rechtsstreitig teiten angeht, so besteht auch heute noch nicht In der Nachmittagsitzung der Vollversammlung sprach Reichs. Das allgemeine Obligatorium. Es gibt feinen Welt­außenminister Dr. Stresemann, und zwar zunächst über die Schiedsvertrag, in dem sich bereits alle Staaten ver­Beltwirtschaftstonferenz, die den Wert der interpflichtet hätten, alle Rechtsstreitigkeiten unbedingt nationalen Fachtagungen überhaupt so deutlich gemacht habe durch Richterspruch entscheiden zu lassen. Jedoch hat eine An­Stresemann sagte dann: zahl von ihnen untereinander Schiedsverträge ab­geschlossen, in denen fie sich gegenseitig dazu verpflichten: ins­besondere Deutschland   hat seit 1922 gegenüber fast allen feinen

Die Rede Stresemanns.

Das Zustandekommen des deutsch  - franzöfifchen Han belsvertrages sei durch die Zusammenarbeit der Beltwirt

Wir zweifeln nicht, daß sie ihre Führer im Staatsschiff nicht im Stich lassen wird. Nimmt sie das internationale Obligatorium aber an, dann schwört sie wieder ein Stück des alten Deutschland   ab. Sie verwirft dann die Politik, die die Haager Friedensgedanken sabotierte. Sie muß sich äußerlich zu den Grundsäzen bekennen, die früher allein der inter­nationale Sozialismus und Pazifismus zu verwirklichen strebte. Was das monarchische Deutschland   im Haag in Trümmer schlug, das hat das republikanische Deutschland   in Genf   mitaufzubauen unternommen