Donnerstag
15. September 1927
Unterhaltung und Wissen
Beilage
des Vorwärts.
An Bord der Nassau 1918
Ueber die Veranlassung zur Festsetzung der Offiziere und der panifartigen Vorgänge hierbei erfahren wir am nächsten Tage folgendes:
Als die Nachricht von der beabsichtigten Sprengung fam, eilten die Leute von der Versammlung an Bord und alarmierten die Besagung, soweit diese auf dem Schiffe war. Einige Leute eilten nach achtern zu den Offizieren und gaben ihnen zu verstehen, daß sie verhaftet seien. Einem Feuerwerksmaaten wurde von einem Offizier eine Pistole vor den Kopf gesetzt. Auf einen anderen Kameraden wurden in einer Offizierskammer gleich zwei Pistolen angeschlagen. Nachdrängende Leute schlugen die Pistolen zurüd. Die Offiziere wurden entwaffnet und an Land geführt. Die Offiziere hatten entgegen ihrem abgegebenen Ehrenwort- noch Waffen gehabt. Ein Leutnant bat den ihn verhaftenden Heizer, ihn noch mals auf die Kammer zu lassen, da er noch einige Familienbilder mitnehmen wolle. Gleich darauf hört der Heizer aus der Kammer einen Schuß, stürzt hinzu und findet den Offizier in seinem Blute. Er hatte sich selbst eine Kugel in den Kopf gejagt. Dieser Fall war der einzige mit blutigem Ausgange.
Der Schuß wurde sowohl an Bord, als auch an Land gehört. Während die an Bord befindlichen Leute glaubten, die Offiziere hätten von Land aus nach uns geschossen, wurde von den Leuten an Land angenommen, es wäre aus der Offizierskammer heraus geschossen worden. Beide Seiten machten sich deshalb klar zum Feuern. Ich bin der Ueberzeugung, daß es zu einem Blutbade getommen wäre, wenn von irgendeiner Seite in der allgemeinen Berwirrung noch ein Schuß abgegeben worden wäre.
Am nächsten Morgen wurde dann die rote Flagge gesetzt. Der Rommandant war nicht mit von Bord gegangen, sondern hatte er. flärt, er verlasse das Schiff nicht. Im Laufe des Tages hatte er zu verschiedenen Malen Weinfrämpfe bekommen und wurde des. halb auf das ebenfalls im Kanal liegende Schulschiff Hessen " ge= bracht. Nachmittags wurde die Steuerbordfeite( wir lagen mit der Steuerbordseite dem Lande zu) gefechtstiar gemacht, da Rends= burger Husaren gegen uns im Anzuge sein sollten.
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Gegen Abend hieß es: Alle Mann achteraus!" Unser Führer, der oben erwähnte Feuerwerksmaat, sagte uns, daß der Vertreter von ,, Nassau" in der Bersammlung die Erregung bei uns wegen der Flagge geschildert habe und ihm erklärt worden sei, wir sollten die Handelsflagge fezen. Diese Maßnahme sollte gleichzeitig bezwecken, daß die Offiziere und der Kommandant wieder an Bord geholt werden tonnten, da sie sonst von uns an Land verpflegt werden mußten.
Nachdem der Feuerwerksmaat geendet, ergriff unser Bootsmann, ein alter Soldat mit schon ergrautem Haar, das Wort und führte aus: Obgleich Decoffizier, bin ich nicht gegen euch. Wir Deckoffiziere haben selbst genug unter dem alten System zu leiden gehabt. Oft genug ist es vorgekommen, daß wir in der Stadt, bei cinem Ausgang mit der Familie, das Trottoir verlassen mußten, sobald sich ein Offizier näherte. Vielmals hätte man der Vater eines solchen Offiziers sein können. Das erstaunte und verwunderte Aufblicken der Kinder, das unangenehme Gefühl, die Familie sich selbst überlaffen zu müssen, war nicht erhebend. Solche Fälle, abgesehen von den übrigen unwürdigen Notwendigkeiten des bisherigen Systems, sollen euch sagen, daß wir selbst eine Kenderung wünschen und nicht gegen euch sind. Ich bitte euch, mir Glauben zu schenken. Ich bin heute beim Kommandanten auf der Kammer gewesen( auf ,, Hessen "). Der Mann ist tatsächlich gebrochen. Ihr habt durch eure Meinung selbst bewiesen, daß die Flagge es allein nicht tut. Wie kann überhaupt eine andere Formation, die sich an Land befindet, wissen, was uns Seeleuten die Flagge ist. Ich bitte euch, nach dem Sehen der Hondelsflagge sofort unseren Kommandanten benachrichtigen zu dürfen, damit er auch eine Freude hat."
Die Erlaubnis wurde ihm gegeben und die Handelsflagge gesetzt. Der Kommandant jedoch ließ sagen, er würde nicht cher an Bord tonimen, bis die Kriegsflagge wieder gefeßt sei.
Abends wurde wieder gepfiffen: ,, Alle Mann achteraus!" Beim Schein einer Taschenlampe verlas ein Mann der von uns nach Kiel geschickten und eben wieder zurückgekehrten Kommission das Programm der Kieler Besagung, das sich im wesentlichen mit dem unseren deckte. Sodann gab er bekannt, daß der Abgeordnete Noste, der in Kiel die Sache leitete, ihm vollständige Freiheit in bezug der Flagge gelaffen habe. Wir fönnten feinetwegen die rote oder die weiße oder die Kriegs- oder die Handelsflagge, oder wenn es uns Spaß mache, auch alle zusammen sehen. Da die Flaggenfrage bei uns schon brennend geworden war, wurde beschlossen, am nächsten Morgen die Kriegsflagge wieder zu sehen und so den Offizieren jeden Grund zu nehmen. gegen uns zu arbeiten.
Der nächste Tag brachte denn auch in aller Frühe die Flaggen parade wie vorgesehen, sowie eine Ansprache des zurückgekehrten Kommandanten. Seine Rede war so gehalten, daß man einen verstedten Angriff gegen uns heraushören fonnte.
Für diesen Tag war ich als Freiwächter beurlaubt. Als wir abends 11 Uhr wieder an Bord wollten, konnten wir aus der Ent. fernung sehen, daß bei uns die Scheinwerfer flar, und später, daß alle Mann achteraus waren. Ehe wir jedoch an Bord tamen, waren die Leute schon wieder weggetreten. An Bord angekommen, erfuhren wir, daß die Ruhe, die vormittags geherrscht, schon wieder weg war. Der Kommandant hatte in einer Ansprache erklärt, der Soldatenrat habe ihm nichts zu sagen, sondern ihn höchstens zu bitten, so, wie fich das ihm gegenüber gezieme. Etwas Näheres fonnte ich nicht in Erfahrung bringen. Da eine große Anzahl Leute an Land gewesen war, sollten auf Veranlassung des Kommandanten am nächsten Morgen noch mal ,, alle Mann achteraus", jedenfalls zu dem zwecke, um den alten Zustand vor der Umwälzung wieder herzustellen.
Am nächsten Morgen, gleich nach Baden und Banken" wurde bie Rebe des Rommandanten nochmals besprochen. Wir tamen au
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Tagebudinotizen eines Heizers.
folgendem Ergebnis: Alle, die zum Kommandanten stehen, gehen achteraus; alle, die mit dem Soldatenrate sind, gehen auf die Back! Nicht lange darauf wurde gepfiffen: Alle Mann achteraus!" Wie verabredet, versammelten sich jedoch Mannschaft und Unteroffiziere sowie einige Decoffiziere auf der Bad. Hier wurde jeder nochmals aufgefordert, dahin zu gehen, wohin sein freier Entschluß ihn wiese, mit der Bemerkung, daß alle, die nicht mit uns seien, binnen drei Stunden von Bord zu gehen hätten. Gleich zu Beginn erschien der erste Offizier und fragte, ob er als Vertreter des Kommandanten einige Worte an die Leute richten könne. Unser Vorsitzender fragte darauf: Kameraden, wollt ihr ihn hören?" Einstimmig erscholl der Ruf: ,, Nein, wir wollen nichts mehr hören!" Nach dieser Kundgebung entfernte sich der erste Offizier wieder. Es wurde sodann beschlossen, an die Offiziere folgendes Ultimatum zu stellen: Die Offiziere sollen sich entweder uns anschließen oder binnen drei Stunden ohne Ausweis und Papiere von Bord gehen." Der Kommandant sowie der erste Offizier fuhren zur Beratung zum Geschwaderchef nach Ostfriesland ", famen jedoch nicht wieder zurück. Die Offiziere, die ohne Mitwirkung des Kommandanten feine Erklärung abgeben wollten, erhielten die Erlaubnis, während der Fahrt nach w.haven, die nachmittags stattfinden sollte, an Bord zu bleiben, durften sich jedoch nicht mehr frei bewegen. Die Deckoffiziere hatten sich uns angeschlossen und taten Offiziersdienste.
Nachmittags fuhr das Geschwader aus in die Nordsee . Nassau" als drittes, da man uns offenbar nicht traute. Wir hätten sonst in der üblichen Reihenfolge als letztes Schiff fahren müssen. Während der Fahrt waren, wie gesagt, unsere Offiziere achtern interniert, im Gegensatz zu den übrigen Schiffen, deren Kommandant auf der Brüde war. Die Führung unseres Schiffes hatte der Steuermann und ein Lotse. Ich kann wohl sagen, daß sämtliche Manöver, teil
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weise mit Mufit ausgeführt, ebenso flappten wie früher. Schon vor dem Auslaufen aus dem Kanal einigten wir uns, die rote Flagge zu setzen. Die Besatzungen der in Curhaven liegenden Schiffe begrüßten uns begeistert, so daß fast jede Minute ein dreifaches Hurra" erscholl.
Die Nacht verlief ruhig. Morgens, Sonntag, lagen mir auf Wilhelmshavener Reede. Frühzeitig liefen wir ein, begrüßt von den hier liegenden Schiffen. Für Sonntag nachmittag war ein Umzug der gesamten Marine und Bevölkerung nach dem großen Platz der Matrosendivision angesetzt. Ein nicht übersehbarer Zug bewegte sich zur festgesezten Zeit nach dem Plaze. Jede Abteilung mit Mufit. Flugzeuge begleiteten uns und warfen Flugblätter ab. Die auf dem Blaze versammelten Bersonen wurden auf etwa 100 000 geschätzt. Die Dächer der umliegenden Gebäude, die Bäume, jeder höher ge= legene Platz war besetzt. Verschiedene Redner unterrichteten die Anwesenden von den Ereignissen.
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Nach den Ansprachen wurde unter Kanonenschüssen die letzten, die ich vernommen die letzte Kriegsflagge auf dem Kommandanturgebäude niedergeholt. Ein allgemeiner Taumel hatte die Leute erfaßt. Die Freude über das nunmehrige Kriegsende fam abends noch einmal zum Ausdruck, als gegen 7 Uhr die Flotte ein Feuerwerk veranstaltete, das tein Ende nehmen wollte. Die Sirenen und Heuler der Schiffe gaben dazu eine gewaltige, wenn auch keineswegs melodische Begleitung. Ich habe das Feuerwert später in einer Nummer der Berliner Illustrirten" im Bilde gesehen.
Es sind dieses ungefähr die Borgänge beim ersten Geschwader. Heute sind die Aussichten auf eine gute Zukunft wir schreiben den 8. Dezember 1918 feineswegs gute. Mögen unsere Kriegsgegner unseren guten Willen anerkennen und uns eine Lebensmöglichkeit lassen!
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Als in den ereignisreichen ersten Novembertagen des Jahres 1918 die Matrosen und Heizer des dritten deutschen Geschwaders über die Admiralsrebellion gesiegt und die Sache des Volkes zu der ihren gemacht hatten, hißten sie die rote Fahne. Und von Kiel aus nahm sie in schnellem Lauf ihren Weg durch ganz Deutschland . Aber nicht immer war die rote Fahne Symbol für den Befreiungskampf des Proletariats. Sie ist erst geschichtlich geworden, was sie heute ist.
Unter Karl dem Großen war sie das Zeichen des Blutbannes, das heißt, der Gerichtsbarkeit über Leben und Tod der Untertanen. Dann blieb die rote Fahne jahrhundertelang Symbol der absoluten Königsmacht und wurde oft genug das Beichen für die ungehemmte Auswirkung dieser Macht gegen das elendete Handwerksgesellen im alten Frankreich gegen ihre Beiniger Volt. Noch im 18. Jahrhundert, wenn hungrige Bauern und ver rebellierten, verhängten die föniglichen Beamten den Kriegszustand und das Standrecht; und als Zeichen der an fein Gesez gebundenen töniglichen Gewalt entrollten sie die rote Fahne.
Selbst während der großen französischen Revolution sehen wir die rote Fahne noch einmal diese Rolle spielen. Das einer großen Rundgebung gegen das Königtum versammelt. Bolt von Paris hatte sich am 17. Juli 1791 auf dem Marsfeld zu Nationalversammlung und Munizipalität widersetzten sich. Der Kriegszustand wurde zum Schutz des Königtums und des neu erstandenen Großbürgertums verhängt. Lafayette und Bailly er schienen mit Militär auf dem Marsfeld. Bailly ließ die rote Fahne als Zeichen des Kriegszustandes entrollen, und tausendstimmig gellte ihm der Ruf aus der Menge entgegen: Nieder mit der roten Fahne!" Lafayette antwortete mit Gewehren und ließ in die dichtgedrängte Menge feuern. Biele Tote und Verwundete foftete dieses Gemezzel auf dem Marsfeld, mit dem eine Periode der offenen Reaktion eingeleitet wurde.
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Aber schon am 10. August 1792 trat die entscheidende Wendung ein, die auch für die Geschichte der roten Fahne bedeutungsvoll wurde. Der König faß noch immer in den Tuilerien und war bemüht, die Hilfe fremder Staaten gegen die Revolution zu gewinnen. Ein neuer Aufstand wurde geplant, wobei auch der Gedanke auftauchte, die rote Fahne zu einem Symbol des revolutionären Boltes umzuwandeln. In den Erinnerungen Chau mettes( ipäter Generalanwalt der Pariser Kommune ) wird darüber berichtet: In dem Klub der Cordeliers( dort sammelte Danton seine Anhänger) gab es verschiedene Ausschiffe, die den Aufstand vor
bereiteten, unter ihnen auch einen, der für rote Fahnen mit der folgenden Aufschrift zu sorgen hatte:" Standrecht des Volkes gegen den Aufruhr des Hofes", und unter dieser Fahne hatten sich die wirklichen Republikaner zu sammeln, die einen Freund, ein Kind, einen Verwandten zu rächen hatten, der am 17. Juli auf dem Marsfeld ermordet wurde.
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Auch der Jacobiner Carra bestätigt im wesentlichen diese Darstellung. und als sich das Volk von Paris am 10. August erhob, die Tuilerien besetzte, die Absehung und Gefangennahme des Königs erzwang, marschierten feine Maffen zum ersten Male hinter der roten Fahne. Sie verschwand bald wieder und wurde von der Tricolore abgelöst. Erst in Februarrevolution 1848 tauchte die Erinnerung an den 10. August 1792 wieder im Bewußtsein der revolutionären Massen auf, und am 25. Februar erschienen proletarische Barrikadenkämpfer vor dem Pariser Stadthaus und forderten von der provisorischen Regierung die Erklärung der roten Fahne zum Nationalsymbol Frankreichs . Doch die Mehrheit der provisorischen Regierung lehnte ab. Aber den kämpfenden Massen gen die Errichtung von Nationalwerkstätten durch bewaffnete De blieb die rote Fahne revolutionäres Symbol. Die Kubisten erzwanmonstrationen unter der roten Fahne, und als es durch Schließung der Nationalwerkstätten zu schweren Kämpfen tam, stiegen die Arbeiter unter roten Fahnen auf die Barrikaden.
In Deutschland stand 1848 die Revolution unter dem Zeichen von Schwarzrotgold. Aber auch damals tauchte vereinzelt die rote Fahne auf. So beim Sturm auf das Berliner Zeughaus am 14. Juni und im badischen Septemberaufstand.
Während der Pariser Kommune 1871 war die rote Fahne beherrschend, und General Bergeret nahm fie gelegentlich einer Ansprache an die Nationaltruppen gegen die Diffamierung der Reaktion in Schuß: Diese Fahne ist nicht das Symbol von Blut, Anarchie und Verwirrung, sie ist das reine Sinnbild des Bolkes."
Das reaktionäre Bürgertum hat die Kommune in Blut erstickt und die rote Fahne als Symbol der Anarchie verleumdet. Aber trag aller Schmähungen des Bürgertums gegen die rote Fahne ist sie doch das reine Zeichen des Befreiungskampfes aller Schaffenden geblieben. Rote Fahnen wehten an den geschichtlichen Novembertagen 1918 in Kiel von den deutschen Kriegsschiffen, rote Fahnen wehten, als am 7. und 9. November das deutsche Proletariat marschierte. Rote Fahnen wehen überall, wo das Proletariat für Recht und Freiheit, für Frieden und Sozialismus fämpft. Tausendfach geheiligt ist uns die rote Fahne durch die Kämpfe der Vergangenheit und der Gegenwart. Und so rein, wie wir sie übernommen haben, wollen wir sie bewahren und vorwärtsstürmen mit ihr, bis wir sie einſt fämpfend und siegend durch die Tore einer neuen Freiheit tragen fönnen,